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Stephanie Saalfeld verlässt die Porzellanmanufaktur Fürstenberg

11. März 2021, Fürstenberg/Weser. Überraschung für die Porzellanwelt: Stephanie Saalfeld, seit 23 Jahren das Gesicht der niedersächsischen Porzellanmanufaktur Fürstenberg und elf davon als alleinige Geschäftsführerin, verließ im Februar 2021 das niedersächsische Pendant zum sächsischen Nationalheiligtum Meissen. Eine plötzliche Entscheidung offensichtlich – ein Interimsmanager musste her.

In knappen Worten heißt es in der Pressemitteilung des Unternehmens: „Unter ihrer Leitung wurde die Marke ‚Fürstenberg‘ als Premium-Marke weiterentwickelt und stand national wie auch international für Innovation, Qualität, Produktion in Deutschland sowie für handwerkliche Präzision. Stephanie Saalfeld hat die Porzellanmanufaktur auf eigenen Wunsch verlassen. Neuer Geschäftsführer ist seit dem 22. Februar 2021 der erfahrene Interims Manager André Neiß.

Der Aufsichtsrat dankt Frau Saalfeld für ihre langjährige Tätigkeit, ihr großes Engagement für das Unternehmen und wünscht Frau Saalfeld für die Zukunft alles Gute.“

Die berühmte Manufaktur, gegründet im Jahr 1747 durch Herzog Carl I. von Braunschweig-Wolfenbüttel – ist heute immer noch in niedersächsischem Staatsbesitz und soll das erklärtermaßen auch bleiben, wie Ministerpräsident Stephan Weil erst am 4. Januar 2021 von der Deutschen Presseagentur (dpa) – von dieser unter dem Corona-Eindruck (wegen ihrer Kostenverursachung für den Landeshaushalt) nachgefragt – zitiert wurde: „Wir sind der Auffassung, dass wir solche kulturhistorisch wertvollen Institutionen erhalten sollten. Das fällt uns mal leichter, mal schwerer. … Es ist eine der ältesten und wichtigsten deutschen Porzellan-Manufakturen. Ich würde davor warnen, dass wir jetzt zu einem Ausverkauf von kulturellem Erbe kommen.“

Fürstenberg hat vor vier Jahren unter Saalfelds Führung erst seinen ‚Mitmach-Bereich‘ für Besucher und den musealen Teil im historischen Jagdschloss mit großem Aufwand (ca. 5 Mio. Euro) auf den neuesten Stand gebracht.

Foto: Martin Specht

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Strickkrawatten ‚Made in Germany‘ – von Ascot in Krefeld

3. Februar 2021, Krefeld. Ich bin ein großer Fan von Strickkrawatten. Mit ihrer Struktur und ihrem lässigen Aussehen geben sie einem Outfit das gewisse Etwas. Gleichzeitig wirken sie förmlich genug, um sie zu einem Anzug zu tragen. Sie werden aus verschiedenen Materialien wie Seide, Wolle, Kaschmir, Baumwolle oder Mischgeweben hergestellt. Ich persönlich mag es auch in diesem Punkt klassisch und bevorzuge Strickkrawatten aus Seide. Ich habe viele Hersteller probiert, um die richtige Krawatte zu finden, aber einer ist und bleibt mein Favorit … und er befindet sich ganz in der Nähe von meinem Zuhause. Ich spreche vom Krawattenhersteller Ascot aus der deutschen Seidenstadt Krefeld. Das Unternehmen fertigt seit über 100 Jahren Krawatten von Hand. Es verfügt darüber hinaus über die erforderlichen Maschinen zur Herstellung von Strickkrawatten, die sie seit Jahrzehnten für zahlreiche namhafte Modehäuser produzieren.

Karl Moese, der Urgroßvater der heutigen Eigentümer, war ein Mann mit einem ausgeprägten Sinn für Qualität und Schönheit. Er war sehr elegant, doch gleichzeitig etwas reserviert und kein besonders guter Geschäftsmann. Trotzdem gründete er im Jahr 1908 ein Unternehmen mit dem Ziel, die besten Krawatten der Welt herzustellen. Doch ohne seine Frau Gertrud hätte es wohl nicht lange bestehen können. Sie war eine clevere Geschäftsfrau und wusste, wie man ein Unternehmen führt. So entstand die perfekte Kombination eines brillanten kreativen Kopfes und eines ausgeprägten Geschäftssinns. Es war Gertrud, die das Unternehmen durch zwei Weltkriege hindurchbrachte, und Karl, der stets dafür Sorge trug, dass die Qualität der Krawatten erstklassig blieb.

Trotz der harten Arbeit hatte das Paar natürlich auch ein Familienleben. Ihr Sohn Erwin teilte die Leidenschaft und den Enthusiasmus für Krawatten mit seinen Eltern. Auf einer Reise nach England, die Erwin Ende der 1940er-Jahre unternahm, besuchte er das berühmte Royal-Ascot-Pferderennen und war angesichts der gutgekleideten Briten dort begeistert. Nachdem er all die elegante Bekleidung und insbesondere zahlreiche tolle Krawatten erleben durfte, entschied er, dass Ascot der ideale Markenname wäre. So kam es dann auch und der Name ist bis heute geblieben.

Das Unternehmen wuchs und entwickelte sich weiter. Erwin entpuppte sich als guter und empathischer Verkäufer und die Kunden verbrachten gern Zeit mit ihm und kauften mit Freude seine Produkte. Erwin war mit Hilde verheiratet und sie hatten gemeinsam zwei Kinder. Eines davon war Wolfgang, Erwins Nachfolger. Doch bevor er die Geschäfte übernahm, sandte ihn Erwin nach Lyon und Como, um das Handwerk zu erlernen. Lyon und Como waren – wie Krefeld – europäische Zentren der Seidenweberei und ideale Orte dafür. Nach seiner Rückkehr übernahm er das Unternehmen mit dem Ziel, es zu großen Erfolgen zu führen. Zusammen mit seiner Frau Helga hatte er zwei Kinder: Jan und Barbara, die das Unternehmen heute führen.

Wolfgang tat sich mit Hermann-Kurt Schwartz zusammen und gemeinsam schafften sie es, das Unternehmen auf der internationalen Bühne zu etablieren. Es waren diese beiden, die damit begonnen haben, an Messen wie der SEHM in Paris und der ‚Pitti Uomo‘ in Florenz teilzunehmen, um internationale Kunden und Vertreter zu treffen. Dies wird auch heute noch fortgeführt. Jan und Barbara bringen die Krawatte mit innovativen Ideen ins 21. Jahrhundert.

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…das Garnlager…

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Ein Mitarbeiter kontrolliert die Einstellung am Strickstuhl

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Manufakturen-Blog: „Knit Ties“ – Strickkrawatten kommen aus Deutschland nur noch von Ascot (Foto: Ascot)

Ich kann mich noch sehr gut daran erinnern, als ich das erste Mal die Manufaktur in Krefeld betreten habe. Genau genommen begann das Erlebnis bereits auf dem Parkplatz, von wo aus ich den Prozess der Krawattenherstellung bereits durch das Fenster hindurch beobachten konnte. Im ersten Bereich, in den Jan mich führte, werden die Seidenstoffe für die klassischen Krawatten zugeschnitten. Es stehen verschiedene Schnittmuster für Fliegen, Krawatten, Krawattenschals und sogar siebenfach gefaltete Krawatten zur Verfügung. Die Stoffe werden zugeschnitten. Bei teilautomatisiert gefertigten Krawatten wird die Einlage von einer Maschine mit dem Seidenstoff vernäht und dieser anschließend von einer Näherin nach außen gestülpt. Im Anschluss ist die Krawatte – nach einigen letzten Detailarbeiten und dem Bügeln – für den Versand bereit. Wenn der Stoff in der Abteilung für vollständig handgemachte Krawatten weiterverarbeitet wird, legt eine Näherin zunächst die Einlage ein, faltet den Stoff um diese herum und sichert diesen mit Stecknadeln, sodass alles an seinem Platz bleibt. Anschließend verschließt sie die Krawatte mit einer von Hand platzierten Naht. Hierbei handelt es sich um einen sehr arbeitsintensiven Prozess, der in einem ruhigen Raum bei vollster Konzentration erfolgt. Sowohl die teilautomatisiert als auch die komplett von Hand gefertigten Krawatten von Ascot sind von exzellenter Qualität und ich trage sie seit vielen Jahren mit großer Freude. Doch das ist noch nicht alles, was Ascot zu bieten hat. Ein ganz besonderes Produkt des Unternehmens ist eines meiner Lieblingsaccessoires. Ich spreche von den Strickkrawatten.

Strickkrawatten werden aus Seide, Wolle oder sogar Kaschmir hergestellt und sind in verschiedenen Strukturen, Farben und Dessins verfügbar. Und alle von ihnen werden auf eindrucksvollen alten Maschinen gefertigt, die noch aus den 1950er-Jahren stammen und seitdem nicht verändert wurden. Denn warum sollte man etwas ändern, wenn eine neue Maschine die Aufgabe auch nicht besser erledigen kann? Die alten Maschinen stehen für die Qualität aus der guten alten Zeit, als Strickkrawatten den klassischen Krawatten fast den Rang abliefen. Ascot wurde so berühmt für die Herstellung von Strickkrawatten, dass viele renommierte Modehäuser und -marken ihre Strickkrawatten bei Ascot produzieren lassen. Schauen Sie sich die Strickkrawatten, die Sie besitzen, einmal genau an: Wenn auf dem Etikett „Made in Germany“ steht, können sie nur von Ascot stammen. Das gilt unabhängig davon, bei welchem Modehaus, Geschäft oder von welcher Marke Sie diese erworben haben. Ascot ist das einzige Unternehmen in Deutschland, das noch Strickkrawatten herstellt.

Nachdem die Krawatten langsam auf den großen alten Maschinen aus Seiden-, Woll- oder Kaschmirgarnen gestrickt wurden, werden sie von Näherinnen verschlossen. Dabei handelt es sich um eine Arbeit, die viel Präzision erfordert. Anschließend wird noch ein Etikett aufgebracht und das Produkt ist für den Versand bereit.

Die Vielfalt an Texturen ist der interessanteste Aspekt dieser Strickkrawatten. Mein Favorit ist eine dicke Textur mit knirschendem Griff, die den schönen französischen Namen „Cri de la soie“ trägt. In der Hand fühlt sie sich knirschend und steif an, doch sie ermöglicht einen traumhaften Knoten. Weiterhin gibt es einige flachere Texturen, bei denen sich eine leichte Zickzack-Struktur auf der Krawatte erkennen lässt. Die Optik der klassischen Strickkrawatte ist häufiger anzutreffen, während glattere Stricktexturen vornehmlich mit Woll- oder Kaschmirstoffen realisiert werden. Natürlich gibt es eine große Vielfalt an Dessins. Ein Beispiel sind Punkte, die üblicherweise nach dem Stricken mit einer dem Sticken ähnelnden Technik aufgebracht werden, sowie Streifen oder Birdseye-Muster, die in die Krawatte eingewebt werden.

Das ist eine der Spezialitäten von Ascot in Krefeld geworden. Es handelt sich dabei nicht nur um den letzten deutschen Hersteller von Strickkrawatten, sondern auch um eines von weniger als 10 Unternehmen weltweit, die diese Technik noch beherrschen. Gleichzeitig ist die Nachfrage nach Strickkrawatten im letzten Jahr deutlich gestiegen.

Ascot unterhält einen der allerletzten Produktionsstandorte für Krawatten in Deutschland. Viele Unternehmen haben ihre Produktion über die Jahre verlagert oder aufgegeben. In Deutschland gibt es nur noch zwei Krawattenhersteller. Ascot ist freilich der einzige davon, der Strickkrawatten anbietet. Auch zahlreiche der lokalen Zulieferer des Unternehmens haben ihre Tätigkeit aufgegeben oder sind ins Ausland gegangen. Im Gespräch mit Jan über die heutige Bedeutung des Standorts Krefeld als Seidenstadt erzählte er mir, dass es vor Ort nur noch eine Seidenweberei gibt. Ascot arbeitet natürlich mit ihr zusammen, aber inzwischen kommt der überwiegende Teil der eingesetzten Seidenstoffe und Garne aus Italien und England, wo es noch eine Seidenindustrie gibt. Bei Ascot handelt es sich also um eines der letzten Unternehmen in Krefeld, das im Seiden- und Krawattenhandwerk tätig ist.

Fotos: Ascot


Dieser Text über Ascot erschien zuerst im Blog von Tim Mureau. Er wurde aus dem Englischen von Wieners + Wieners übersetzt.

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Henry’s Eismanufaktur – oder: Vom Versuch, das perfekte Eis zu machen

29. Juni 2020, Saarbrücken. Die Corona-Krise beschleunigt auch die Diskussion, wie wir leben wollen: Globalisiert – oder doch lieber regional? Ist die Produktionsart unserer Güter egal – oder haben wir nur Spaß daran, wenn wir möglichst alles über sie wissen? Reicht uns das Fleischlabel mit der Güteklasse ‚1‘ (industriell) – oder muss es ‚bio‘ sein? Versuchen wir vegan zu leben – oder ist der Mensch das ‚Raubtier‘? Lästigerweise mutiert die Eisdiele an der Ecke sich vielerorten verbal und aus Gründen des Marketings zur Eismanufaktur, obwohl sie nur die (übertragene) Güteklasse ‚1‘ verdiente (Grundeispaste „selbstvermischt“ mit verschiedenen Industrie-Geschmäckern und Halbfertigprodukten), wie es die FAZ in einem Wutanfall im Jahr 2016 kritisierte. Was also tun, wenn man selbst eine Eismanufaktur nach Definition des Manufaktur-Begriffs ist? Ein Besuch bei Henry’s Eismanufaktur in Saarbrücken. Zur Nachahmung empfohlen.

Eigentlich hatte ich gedacht, ich hätte die Evolution des Speiseeises verstanden: Vom luxuriösen Nachtisch im Restaurant, dem Auftauchen der Italiener in den 1960er Jahren, die ständig verfügbare Fürst-Pückler-Rolle im kleinen Supermarkt meiner Großeltern… dann kam Mövenpick mit ‚Marple Walnuß‘, Häagen Dazs, Ben & Jerry‘s… zuletzt weitere, immer hippere Marken… Seit einigen Jahren: Bio-Eis. Zum Beispiel ‚Snuten lekker‘ aus dem Bremer Blockland.

Jetzt strahlt ein neuer Stern am Horizont – im Saarland, da wo es so viele Sterne-Restaurants gibt, in der Nähe zu Frankreich, wo die Menschen es sich abgeguckt haben, besser zu essen – und viel mehr Geld dafür auszugeben. Dort hat Dominik Heil sein Unternehmen begründet. Doch trotzdem beginnt seine Geschichte an der Nordsee, auf der Insel Langeoog, da wo es auch Eis gibt – aber kein so gutes… Da wo der kühle Wind den Geist freibläst – und manchmal auch Gedanken von ihrem kreisenden Spreu befreit.

Am Strand wurde Henry zum Wappentier berufen – der Weimaraner-Labrador-Rhüde des späteren Gründers, vorgeschlagen von einem britischen Urlauberpaar, das Heil um seine Meinung zu seiner Eisselbständigkeit fragte, die ihm schon so lange durch den Kopf ging. Ihm – dem Mann aus der Automobilindustrie. Mit seinem Team aus bis zu 40 Kollegen organisierte er die Belieferung von VW-Konzerntöchtern mit vielen Millionen Bauteilen eines amerikanischen Zulieferers. Natürlich im Jahr. „Es wurde mir im Laufe der Zeit trotzdem zu langweilig“, sagt Heil heute. Kaum aus dem Urlaub zurück, begann Heil zu experimentieren… Warum? „Es gab kein gutes Eis, fand ich“, sagt Heil schulterzuckend. Das war im Jahr 2010.

Seine Kündigung zwei Jahre später aus dem erfolgreichen Automotive-Job verstanden nur Eingeweihte: sich selbstständig zu machen mit der Idee von besserem Eis und den ersten Rezepten.

Heute hat Heil wieder ein Team – von in der Spitze 34 Mitarbeitern im Sommer vor Corona, als er seine beiden Promotion-Verkaufswagen noch auf Großveranstaltungen schicken konnte. Als seine Testeisdiele in der Saarbrücker Innenstadt noch Schlangen von 150 Kunden und mehr erzeugte.

Manufakturen-Blog: Dominik Heil gründete Henry's Eismanufaktur, gab ihr den Namen seines Hundes - und ist Perfektionist jeden Details (Foto: Wigmar Bressel)

Dominik Heil gründete Henry’s Eismanufaktur, gab ihr den Namen seines Hundes – und ist Perfektionist jeden Details

Manufakturen-Blog: Betörender Melonen-Duft in Henry's Eismanufaktur in Saarbrücken (Foto: Wigmar Bressel)

Betörender Melonen-Duft in Henry’s Eismanufaktur in Saarbrücken

Heute verfügt Henry’s über 300 selbstentwickelte Rezepte. Eines der Geheimnisse ist das in der Regel selbstzubereitete Obst. Für die Kirscheis-Sorten kaufte er sich eine eigene Entsteinungsmaschine. In der Regel wird jedoch von Hand geschnitten. Kein Matsch. Keine Kompromisse. „Wir verwenden keine Halbfertigprodukte“, erklärt der Unternehmer. Außerdem erfolgt der vollständige Verzicht auf künstliche Konservierungs- und Farbstoffe. Dafür findet nur regionale Bio-Milch aus dem Bliesgau einen Einsatz. „Wir glauben an regional. Wir wollen möglichst regional. Und wir wollen einen Bezug zwischen Lebensmittel und Kunden herstellen.“ Konsequent lehnte Heil die Anfrage von Discountern und Vollsortimentern ab: „Lokale Edeka-Märkte und der Feinkosthandel müssen reichen. Ich will auch unsere manufakturelle Produktionsweise nicht durch Lieferverpflichtungen verändern müssen…“

Mein Besuch im Gewerbehof ein bisschen abseits des Trubels ist dementsprechend auch ein Erlebnis – so schmucklos das Produktionsgebäude, so verführerisch der Duft, der mir entgegenschlägt: Betörend duftet es nach Honigmelone, als ich längs der Produktion gehe. „Es kann sein, dass ich gleich ein bisschen zwischendurch telefonieren muss“, erklärt der Chef, „ich erwarte den Anruf eines Landwirts, der uns morgen 200 Kilogramm Rharbarber liefern will; da muss ich die Leute dann einteilen, damit wir das innerhalb des Tages erledigt kriegen…“

Die Eisproduktion ist in Corona-Zeiten natürlich eine Herausforderung. „Selbstredend haben wir in der Lebensmittel-Produktion ein Hygieneschutz-Konzept.“ Alle Mitarbeiter tragen Haarnetz, Gesichtsmaske – auffällig ist der Abstand, den sie einzuhalten versuchen. „Jetzt geht es vor allem darum, dass nicht nur die Kunden optimal geschützt werden – sondern auch die Mitarbeiter sich selbst gesund halten.“

Wenn man in die Tiefkühlräume blickt, fragt man sich natürlich unweigerlich, was der Saarländer am Liebsten isst. Dominik Heil: „Das lässt sich gar nicht so genau sagen. In der Eisdiele haben wir zwölf Eissorten. Mehr nicht. Davon sind sieben die Klassiker von Erdbeer über Schoko zu Mango. Hinzu kommen vier wechselnde Sorten. Und dann eben die Sorte des Tages. Die ist manchmal eben schon nach einem Tag aufgegessen.“ Das ist keine Übertreibung – über Instagram und Facebook kommuniziert der Unternehmer selbst mit 7000 beziehungsweise 12 000 häufig sehr treuen Followern. Ein Post – „und manchmal steht zwei Minuten später der erste Abonnent vor der Eisdiele und sagt: ‚Ich habe eben gelesen, dass es jetzt eine Eissorte gibt, die ich noch nicht kenne.“

Auch eine andere Geschichte gehört noch erzählt – die der Eissorte ‚Halva‘. Domink Heil: „Eine Privatkundin rief an und fragte, ob wir ihr ein Eis produzieren könnten, das sie in London in einem Sternerestaurant gegessen und dessen Rezept sie sich besorgt habe. Wir haben uns bemüht – und die Sorte wurde auch bei den Saarbrückern ein Erfolg.“ Halva – das ist ein Sesam-Milcheis mit Schokostückchen, geröstetem Sesam und Erdnüssen. Im Internet wird die Henry’s-Kreation von Kunden mit fünf von fünf Sternen bewertet. Von mir auch.

Fotos: Wigmar Bressel

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¡Machete! für die Welt – eine Solinger Vergangenheit in Kolumbien

12. Juni 2020, Manizales. Es kann vorkommen, dass man mitten im Dschungel im Amazonasgebiet auf die Stadt Solingen stößt. Natürlich nicht sprichwörtlich, aber zumindest der Name taucht unerwartet auf. Geschrieben auf die Klinge einer Machete, mit der eben noch der Besitzer auf Lianen und Unterholz eingehauen hat, steht dort: „Gebr. Weyersberg, Solingen“. Aha, interessant, denkt der Betrachter. ‚Gebr. Weyersberg, Solingen‘ findet sich aber nicht nur auf einer einzelnen Machete, von der man denken könnte, dass es sie vielleicht per Zufall aus der Klingenstadt auf den südamerikanischen Kontinent verschlagen hat, sondern auf Hunderten, Tausenden, die man in der Region in jedwedem Zustand der Abnutzung zu Gesicht bekommt. Ist Solingen auch die Macheten-Stadt? Nein, man hätte davon gehört… Neben dem Solinger Namenszug befindet sich auch der Hinweis „Hecho en Colombia“, – hergestellt in Kolumbien. Also doch kein eindeutig Solingen zuzuordnendes Produkt. Aber wie kommt der Name der bergischen Klingenstadt und der einer Solinger Familie auf ein in ganz Süd- und Mittelamerika verbreitetes Produkt? Allzumal Macheten nicht zu den in Europa gebräuchlichen Schneidwerkzeugen gehören. Die Geschichte ist interessant. Javier Henao, Exportchef der im kolumbianischen Manizales ansässigen Firma INCOLMA erzählt sie gern.

„INCOLMA“, erläutert Señor Henao das Kürzel des Firmennamens. „Bedeutet Industria Colombo Alemana de Machetes. Das Unternehmen wurde am 20. Mai 1960 gegründet. Die Gründer waren die Gebrüder Weyersberg aus Solingen und ihre damaligen kolumbianischen Geschäftspartner. „Die Familie Weyersberg stellte bereits seit dem 17. Jahrhundert Schneidwaren in Solingen her, darunter Schwerter, Messer, Scheren und repräsentative Dolche für das preußische Militär.

„Abgesehen davon“, fährt Señor Henao fort, „produzierten die Gebrüder Weyersberg vor dem Zweiten Weltkrieg Macheten für den Weltmarkt. Damals waren die beiden größten Macheten-Hersteller Weyersberg und die britische Firma Collins. Als während der Nachkriegsjahre die Produktionskosten in Europa immer weiter stiegen – zum Teil waren die Lohnkosten dafür verantwortlich – verlagerte die Firma Weyersberg ihre Macheten-Produktion aus Solingen nach Kolumbien.“

Zu dieser Entscheidung dürfte auch – neben den in Lateinamerika bis heute wesentlich niedrigeren Löhnen – beigetragen haben, dass sich in Südamerika einige der wichtigsten Abnehmerländer für Macheten befinden. Gemeinsam mit kolumbianischen Geschäftspartnern gründeten die Solinger die Industria Colombo Alemana de Machetes S.A. (INCOLMA).

Dass die Wahl des Standortes auf Manizales fiel, hat mit der kolumbianischen Wirtschaft zu tun. Manizales liegt in der zona cafetera, dem größten Kaffeeanbaugebiet Kolumbiens. Während der 1920er und 1930er Jahre boomte das Kaffeegeschäft dermaßen, dass Kaffee zum wichtigsten Exportprodukt des Landes wurde und die Infrastruktur der Region stark ausgebaut wurde. In Manizales – das ungefähr gleich weit von den drei wichtigen Großstädten Cali, Medellín und Bogotá entfernt ist – siedelten sich wegen der guten Infrastruktur Hersteller landwirtschaftlicher Geräte an.

„Die Deutschen brachten das Know-how mit, das sie aus der Macheten-Herstellung in Solingen besaßen“, sagt Javier Henao. Sogar das Logo der Gebrüder Weyersberg, eine Trompete, wurde übernommen. Die Marke Corneta (zu Deutsch Horn oder Trompete) wurde in ganz Latein-und Südamerika für ihre ausgezeichnete Qualität bekannt und geschätzt. Im Jahr 1968 wurde zwischen den Staaten der Andengemeinschaft (ANDEA) – Bolivien, Ecuador, Kolumbien, Peru und Venezuela – ein Freihandelsabkommen geschlossen, das auch den Handel mit den Macheten aus Manizales weiter beförderte. 1973 verkauften die Deutschen ihre Anteile an INCOLMA. „Seitdem“, so Senor Henao, „ist die Firma komplett in kolumbianischer Hand.“

Manfuakturen-Blog: Javier Henao leitet den Export der Macheten-Manufaktur INCOLMA (Foto: Martin Specht)

Javier Henao leitet den Export der Macheten-Manufaktur INCOLMA

Manufakturen-Blog: Bei INCOLMA Macheten in Manizales Kolumbien Befestigen der Griffe (Foto: Martin Specht)

Sieht das nicht ein bisschen aus, wie bei Güde, Gehring oder Böker? Befestigen der Griffe der Macheten bei INCOLMA…

Und das Geschäft läuft ausgezeichnet. Dass die Machete gerade in den Tropen und Subtropen zu den am weitesten verbreiteten Schneidwerkzeugen gehört, liegt vor allem an der dichten Vegetation in diesen Zonen, sowie den Produkten der dort ansässigen Landwirtschaft. Mit der Machete lässt sich ein Weg durch die Schlingpflanzen des Amazonasdschungels bahnen – im Ernstfall sogar noch einer giftigen Schlange der Kopf abschlagen – aber auch das Zuckerrohr auf einem Feld ernten, oder eine Kokosnuss öffnen. Es handelt sich in der Tat um ein äußerst universal einsetzbares Instrument.

Entstanden ist die Machete nach dem Eintreffen der Spanier auf dem amerikanischen Kontinent und während der darauffolgenden Kolonialisierung. Die Ureinwohner Nord-, Süd- und Mittelamerikas kannten bis zum 15. Jahrhundert keine Klingen aus Eisen. Maya und Inka verwandten Messer und Äxte aus Stein oder Kristall. Form und Größe der Machete – die Klingenlänge der verbreitetsten Modelle variiert zwischen 20 und 60 Zentimetern – dürften aus den Säbeln der conqistadores hervorgegangen sein und stellen – wenn man so will – die Evolution einer mittelalterlichen europäischen Waffe in ein bis heute aktuelles Schneidwerkzeug dar. Das Wort machete lehnt sich an das spanische cachete an, – was sich mit „Schlag“ übersetzten lässt. Außerdem schwingt macho darin mit.

„In den Tropen und in vielen Entwicklungsländern der Erde“, sagt Javier Henao, „ist die Machete das wichtigste Werkzeug der Menschen. Sie kann als Messer, Säge oder Axt gebraucht werden. Aber die Machete ist noch mehr. Sie kann auch eine Waffe sein. Kurzum, die Machete ist für viele Menschen ein Partner, den man für fast alles brauchen kann.“ Darum gehört die Machete zum Alltagsleben einfach dazu. Manchmal sogar auf eine Weise, die man nicht erwartet. Wenn in Kolumbien vor einem Geschäft in großen Lettern machetes angepriesen werden, handelt es sich dabei in den meisten Fällen nicht um besagte Haumesser, sondern um Sonderangebote, die so günstig sind, dass sie den Kunden quasi „umhauen“. Die Machete steht also auch sprachlich für den radikalen Schnitt.

INCOLMA ist heute der größte Hersteller für Macheten weltweit. Die Firma beliefert Kunden in etwa 40 Ländern. „Mexiko, Paraguay, Kenia, Honduras, Brasilien, Guayana, Gambia, Papua-Neuguinea, Kolumbien, Venezuela, Elfenbeinküste, Jamaika, Nigeria, Ecuador, Tansania, Ghana“, zählt Javier Henao einige der exotischen Abnehmerländer auf. Damit die halbe Welt mit Schneidwaren aus Manizales beliefert werden kann, beschäftigt INCOLMA 1.050 Angestellte. In drei Schichten – rund um die Uhr – werden an sechs Tagen in der Woche Macheten hergestellt. 42.000 Stück pro Tag! 1,1 Millionen pro Monat! Und alles trotzdem immer noch auf manufakturelle Art…

Auf seinem Weg durch die Produktion bleibt Señor Henao an verschiedenen Stellen stehen, um mit den Mitarbeitern zu sprechen. Wegen des Lärms der Maschinen ist es schwierig sich zu verständigen. Überall raucht, zischt, dampft und qualmt es. An einigen Stellen ergießen sich Funkenregenschauer über die laufenden Maschinen. Der Warnton eines fahrenden Gabelstaplers übertönt die sowieso schon extreme Geräuschkulisse.

In einem Büro, geschützt vor dem Getöse von draußen, erklärt Javier Henao die Schritte, die zur Herstellung einer qualitativ hochwertigen Machete nötig sind: „Für unsere machetes verwenden wir weichgeglühten Stahl aus Deutschland oder Südkorea. Es handelt sich um einen Karbonstahl [SAE1074]. Das ist die Grundlage. Übrigens mit einer Beimischung von Mangan. Dadurch hält die Klinge länger. Bei uns wird der Stahl geschnitten, dann die entsprechende Form für Klinge und Griff ausgestanzt.“

An einer Wand des Büros hängen Muster verschiedener Klingen. Auch abgesehen von der Länge unterscheiden sie sich stark voneinander. Bei manchen ist die Spitze abgerundet und nahezu flach, bei anderen dagegen gerade ausgeführt.

„Als nächstes“, fährt Señor Henao fort, „kommt etwas, das wir von den Deutschen gelernt haben: Der Stahl wird heißgewalzt. Dadurch lässt sich die Klinge so formen, dass sie zur Spitze hin dünner wird. Das wiederum führt dazu, dass die Machete gut ausbalanciert ist, und nicht durch das zu starke Gewicht kopflastig und zu schwer wird. Die gute Führung der Klinge macht die Machete zu einer idealen Verlängerung des Armes, desjenigen, der sie benutzt.“

Nach dem Heißwalzen des Stahls wird die endgültige Form der machete in mehreren Arbeitsschritten durch Schleifen und Schmieden genauer ausgeführt. Danach werden die Löcher für den Griff gebohrt. „Wenn wir soweit sind“, sagt Javier Henao, während er einen Blick aus der Tür des Büros wirft und auf die andere Seite der Halle deutet, „werden die Klingen gehärtet.“ Die unfertigen Macheten tauchen in Bäder und verschwinden in Öfen. Beim Abkühlen steigt weißer Dampf in die Höhe. „Danach wird die Klinge poliert und ausgerichtet.“ Gleich reihenweise sind Arbeiter damit beschäftigt – Körbe voller Macheten neben sich – einzelne Klingen in einer Vorrichtung aus zwei Blöcken hin und her zu biegen. Abschließend wird ein prüfender Blick über den – in den meisten Fällen – geraden Rücken der Klinge geworfen. Überhaupt werden die Macheten während des gesamten Fertigungsprozesses mehrmals auf ihre Qualität und Elastizität geprüft. „Letzteres geschieht auch maschinell“, so Javier Henao. „Die Klingen werden in einer eigens dafür vorgesehenen Maschine gebogen.“  Dann werden die Griffschalen – aus Holz oder Kunststoff – vernietet. Am Ende werden die machetes mit einem Aufkleber der Firma – samt Solingen Schriftzug – versehen und verpackt.

„Noch etwas“, sagt Señor Henao mit einem Anflug von Stolz in der Stimme. „Das meiste, was Sie hier sehen, mussten wir selbst entwickeln. Die Maschinen, die Öfen, die Vorrichtungen. Es gibt keinen Hersteller auf der Welt, der Maschinen zum Schärfen von Macheten anbietet.“

Es ist eine Herausforderung, Macheten in so großer Stückzahl und gleichbleibender Qualität zu produzieren. Dass es so viele unterschiedliche Modelle gibt, macht den Produktionsprozess wahrscheinlich nicht einfacher. Warum stellt INCOLMA mehr als 50 verschiedene Typen von machetes her?

„Das hat etwas mit dem Land, in dem sie benutzt werden, seiner Kultur und den dortigen Gewohnheiten zu tun“, sagt Javier Henao. „Weit weniger mit dem Zweck – wie Zuckerrohr-oder Bananenernte – für den sie gebraucht werden. Natürlich benötigt man für das Schneiden von Zuckerrohr eine längere Machete, weil die Pflanze möglichst nah am Boden abgeschnitten werden muss, um das Maximum zu ernten. Aber nur etwa zehn Prozent unserer verkauften Macheten werden zum Zuckerrohrschneiden benutzt. Und das geschieht sowohl in Afrika, wie auch in Südamerika. Zum Beispiel sieht die Machete der Zuckerrohrarbeiter auf Kuba vollkommen anderes aus, als die, die in Kolumbien für den selben Zweck benutzt wird.“

Der Exportchef liefert die Erklärung für die Vielfalt der Modelle: „Die Menschen wollen das, was sie kennen. Der Markt für Macheten ist sehr konservativ. In Kenia verkaufen wir nur drei oder vier unterschiedliche Modelle. Ähnliches gilt für die meisten Länder. Unsere Kunden entstammen der Landbevölkerung. Wenn sich etwas einmal bewährt hat, will die Mehrheit von ihnen nichts Neues ausprobieren. Obwohl andere Modelle für ihre Zwecke genauso geeignet wären. Das fängt schon beim Griff aus Holz oder Plastik an. In Kolumbien sind Griffschalen aus Plastik beliebt, in Paraguay solche aus Holz. Manchmal poliert. Es ist Tradition. Das gilt übrigens auch für die Scheiden der Macheten.“ In einigen Regionen sind diese Scheiden aus Leder und reich verziert, in anderen Gegenden aus Holz, dann wieder gibt es Länder, für diese werden sie aus Kunststoff gefertigt.

Doch genau dieses konservative, der Tradition und Gewohnheit verhaftete Verhalten der Kunden ist auch eine große Chance für INCOLMA, sich gegen die Konkurrenz aus China zu wehren. „Macheten“, so Señor Henao, „sind eines der wenigen Produkte in Lateinamerika, bei denen China nicht den Markt dominiert. Wir können mit den Chinesen nicht allein über den Preis konkurrieren. Aber wenn es um das Preis-Leistungs-Verhältnis geht, da sind wir besser. Wenn der Kunde eine Machete von uns kennt, dann wird er keine aus China in die Hand nehmen. Die Chinesen verwenden keinen heißgewalzten Stahl, ihre Klingen verjüngen sich nicht. Sie geben der Klinge nicht den Schwung.“ Doch: „In Ost-Afrika drängen die Chinesen auf den Markt. Aber – Gott sei Dank – sind die Menschen dort so traditionell und konservativ, dass sie die chinesischen Macheten einfach nicht akzeptieren. Wir können überleben und sogar wachsen.“

Der Exportchef weist auch noch auf eine andere Besonderheit des Marktes für Macheten hin, die oft übersehen wird: „Die Lebensdauer der Machete! Ein ganz wichtiger Punkt. Wir haben es zwar nicht mit einem ständig wachsenden, aber einem stabilen Markt zu tun. Wenn eine machete Tag für Tag gebraucht und ständig geschärft wird hat sie eine überschaubare Lebensdauer. Soweit ich informiert bin, hat Honduras den größten Verbrauch. Dort hält eine machete etwa einen Monat. In Kolumbien circa drei bis sechs Monate. Das gilt wie gesagt aber nur für den starken, professionellen Gebrauch.“

Ein wesentlicher Faktor, der den Erfolg INCOLMAs ausmacht, ist die Fähigkeit, eine große Zahl unterschiedlicher Macheten in Manizales herzustellen. Es gibt Sonderanfertigungen für beinahe jeden Kundenkreis auf der Welt. Darunter auch solche Modelle mit verkürzter und geschwärzter Klinge für das Militär. „Wer immer eine Machete haben möchte“, sagt Señor Henao, „wir machen das bestmögliche Modell für seine Bedürfnisse. Wir kämpfen tagtäglich darum, ihm die beste machete zu geben!“ Und auch darin zeigt sich etwas von der Solinger Vergangenheit.

Fotos: Martin Specht

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Aus einfachstem Material Kostbarkeiten machen – ein Besuch im Werksmuseum der Glasmanufaktur Lalique

14. November 2019, Wingen-sur-Moder. Man kann schon sagen: Ja, das ist ein Teil des Geheimnisses des Erfolges – nimm etwas ganz Preiswertes, wie Quarzsand, misch es mit Pottasche und vielleicht auch Bleimennige, erhitz es stark und verschmelz es… aber dann, aber dann! Dann braucht es eben die Magie des Künstlers, des Designers oder Erfinders, damit daraus etwas als kostbar Empfundenes wird. Damit aus zwei-drei Kilo Glas oder Bleiglas zum Beispiel eine Blumenvase wird, die von den Liebhabern und Fans jedoch als Kunstobjekt betrachtet wird. Für das sie bereit sind, viele tausend Euro zu bezahlen. Ein Magier seiner Zunft war der französische Juwelier René Lalique, der irgendwann die Edelsteine vergaß – und sich ganz auf die Produktion von künstlerischem Glas konzentrierte; und von seinem Genie Generationen leben lässt – bis heute.

Eine Ausfahrt in die Nord-Vogesen. Glas wurde traditionell dort hergestellt, wo es Wald gab für Holzkohle und Pottasche. So geriet auch René Lalique von Paris aus in die Vogesen – im Jahr 1921 durch ein französisches Wirtschaftsförderungsprogramm angelockt, aufgelegt für das bedürftige Elsass, das gerade erst aus dem Deutschen Kaiserreich in die Republique zurückgekehrt war und nun wieder den Rand zum Nachbarn bildete. Randlagen-Besiedelung mit hunderttausend Franzosen war angesagt – und für die wurden französische Arbeitgeber gesucht.

Lalique wurde im Jahr 1860 in Ay in der Champagne geboren, wuchs jedoch in Paris auf, wo er Lehren zum Zeichner und Schmuckgestalter durchlief. Ein zweijähriges Studium in London förderte seine Begeisterung für die Natur – und so wurde René Lalique schnell zu einem bekannten Entwerfer von Schmuck nach Art des französischen Jugendstils. Bekannte Juweliere wie Cartier und Varenne nahmen ihn unter Vertrag – im Jahr 1885 machte er sich mit einer Werkstatt selbständig. „Anders“ an Lalique war: sein wachsendes Desinteresse an klassisch-wertvollen Materialien wie Gold und Edelstein; stattdessen kombinierte er Horn und Emaille – mit Glas.

Es folgte das erste eigene Geschäft, die Einladung zu Ausstellungen wie beispielsweise die Teilnahme an der Weltausstellung in St. Louis in den USA im Jahr 1904 – dann kam es zum ersten großen Schritt: Der Pariser Parfümeur Francois Coty beauftragte ihn mit Entwurf und Produktion von Parfümflakons, Lalique musste expandieren, mietete eine erste Glasproduktion in Combs-la-Ville. Weitere Parfümeure schlossen sich an – im Jahr 1911 stellte Lalique seine Schmuckproduktion ein und konzentrierte sich fortan auf Glas. Und stieg in das Objekt-Geschäft ein: Ozeandampfer, Orientexpress, Pullman-Reisewagen, Kirchenfenster, der Palast des japanischen Prinzen Asaka Yasuhiko, Skulpturen für Brunnen und Motorhauben von Bentley und Rolls-Royce und, und, und…

Schließlich also der Gang ins Elsass, das ihn gar nicht so gerne aufnehmen wollte. Die ortsansässigen Größen wie Saint Louis Kristallglas und die Glashütte in Meisenthal verweigerten die Zusammenarbeit – so musste er Glasmacher um Glasmacher einzeln anwerben, um seine vielen Aufträge souverän abarbeiten zu können. In der Spitze bis zu 300 Mitarbeiter.

Künstlerisch erfolgte sein nächster Schwenk, er wechselte vom romantischen Jugendstil zum strengeren Art Déco mit seinen Linien und Mustern – das er maßgeblich mitprägte.

Manufakturen-Blog: René Laliques Parfüm-Flakons mit dem Weinreben-Stopfen (Foto: Wigmar Bressel)

René Laliques Parfüm-Flakons mit dem Weintrauben-Stopfen

Manufakturen-Blog: Marie-Claude Laliques Skulptur von 1988 und ihre Medaillen für die Olympischen Spiele 1992 im Museum in Wingen-sur-Moder_Foto_Wigmar_Bressel

Eine Skulptur von 1988 und die Medaillen für die Olympischen Winterspiele 1992 nach dem Entwurf von Renés Enkeltochter Marie-Claude Lalique

Manufakturen-Blog: René Lalique auf einem Foto um das Jahr 1925 herum im Werksmuseum in Wingen-sur-Moder (Repro: Wigmar Bressel)

René Lalique auf einem Foto um das Jahr 1925 herum im Werksmuseum in Wingen-sur-Moder

Manufakturen-Blog: Die Glashütte von Lalique in Wingen-sur-Moder (Foto: Wigmar_Bressel)

Die Glashütte von Lalique in Wingen-sur-Moder

Was war Laliques Geheimnis? René Lalique hatte schnell die Bedeutung von Patenten erkannt. So entwickelte er in Wingen ein Verfahren, wie eine Maschine Glas in Metallformen bläst – die meisten Lalique-Produkte sind dementsprechend „maschinengeblasen“ und gegossen. Und ein anderes Verfahren war das des Ätzens von Glas – dementsprechend sind viele Lalique-Produkte „mattgeätzt“. Man könnte sagen: eigentlich einfach! Aber: Irgendjemand musste es erst heraustüfteln und den Mut haben, mattgeätztes Glas dem berühmten glitzernden Kristallschliff entgegenzusetzen – und dieses Verdienst gebührt eben René Lalique.

Nach der deutschen Besetzung im Jahr 1940 wurde die Glashütte Lalique geschlossen, die kriegstauglichen Männer eingezogen in den Dienst. Als der Unternehmensgründer am 1. Mai 1945 starb, waren die Alliierten zwar schon durch die Vogesen hindurch – aber die Wiedereröffnung durch seine Kinder erlebte er nicht mehr.

Die Manufacture Lalique wurde noch zwei weitere Generationen lang von der Familie geführt. Das Programm wurde größer, Schmuck kehrte zurück, dann auch eigenes Parfüm in eigenen Flakons, natürlich.

Im Jahr 1994 erfolgte der erste Verkauf – an Pochet, einen berühmten französischen Glashersteller (und inzwischen Multi-Konzern), gegründet im Jahr 1623. Rote Zahlen bei Lalique führten jedoch zum Weiterverkauf: Seit dem Jahr 2008 ist Lalique jetzt in erfolgreicherer Schweizer Hand (Art & Fragrance SA, heute Lalique Group SA). Das Unternehmen erwirtschaftet immer noch den größten Teil seines Jahresumsatzes von 81 Millionen Euro (2016) im Bereich der Dekorationsobjekte.

In Wingen unterhält das Unternehmen in einem Neubau seit dem Jahr 2011 das sehr besuchenswerte Werksmuseum. In ihm wird die Produktion und der Werdegang der Künstler aus der Lalique-Familie gut dargestellt; außerdem zeigt es Produkte aus allen Epochen: Schmuck, die Parfümflakons – und natürlich die geätzten Vasen und Lampen, für die Lalique heute vor allem steht. Das eigentliche Werk kann man nicht so einfach besichtigen – es liegt versteckt hinter dem Bahndamm etwa drei Kilometer vom Museum entfernt; wer es einmal von außen sehen möchte, folge den diskreten Schildern ‚LR Manufacture‘ ab dem Verkehrskreisel im Ort…

Fotos und Repros: Wigmar Bressel

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Manufakturen-Blog: Bildschirminstallation im Musée Lalique - in der Gießerei (Foto: Wigmar Bressel)

Bildschirminstallation im Musée Lalique – beim Glasblasen

 

Manufakturen-Blog: Bildschirminstallation im Musée Lalique - in der Gießerei (Foto: Wigmar Bressel)

Bildschirminstallation im Musée Lalique – in der Gießerei

 

Manufakturen-Blog: Bildschirminstallation im Musée Lalique - im Glühofen wird das Glas heruntergekühlt (Foto: Wigmar Bressel)

Bildschirminstallation im Musée Lalique – im Glühofen wird das Glas heruntergekühlt

 

Manufakturen-Blog: Bildschirminstallation im Musée Lalique - Schleifen des Glases (Foto: Wigmar Bressel)

Bildschirminstallation im Musée Lalique – Schleifen des Glases

 

Manufakturen-Blog: Bildschirminstallation im Musée Lalique - Endkontrolle der Produkte und Nacharbeit (Foto: Wigmar Bressel)

Bildschirminstallation im Musée Lalique – Endkontrolle der Produkte und Nacharbeit

‚Immaterielles UNESCO-Kulturerbe‘ – ein Besuch in der Glasmanufaktur Harzkristall in Derenburg

5. Juli 2019, Derenburg. „Weltweite Bedeutung“ – so kann man den Titel übersetzen: Die „manuelle Fertigung von mundgeblasenem Hohl- und Flachglas“ ist seit dem Jahr 2015 ‚Immaterielles Kulturerbe – Bereich: Traditionelle Handwerkstechniken im Bundesweiten Verzeichnis der Deutschen UNESCO-Kommission, Organisation der Vereinten Nationen für Bildung, Wissenschaft und Kultur‘. Höchste Zeit für einen Besuch in der nördlichsten Glashütte Deutschlands – bei ‚Harzkristall‘ in Derenburg in Sachsen-Anhalt.

Die Anfahrt durch die Hügeligkeit des nördlichen Harzvorlands ist malerisch – die Bundesstraße 6 ‚neu‘ ein Prunkstück des Aufbaus Ost. Brockenblick über viele, viele Kilometer, am Aufstieg zum Harz die markanten Schlösser Wernigerode und Blankenburg im Blick, fährt man schließlich über eine kurvige Landstraße durch ein kleines verträumtes Dorf – und da steht plötzlich merkwürdig unmotiviert unter der Adresse ‚Im freien Felde‘ tatsächlich auf freiem Felde, umgeben von Stoppelfeldern, die Glasmanufaktur: ein großer roter Backsteinbau mit einem 59 Meter hohem Schornstein.

Der Ort liegt wie im Nirgendwo. Man fragt sich: Warum hier? Warum Glas? Wer hatte Bedarf? Wer hatte das Wissen? Warum überhaupt? Warum so riesig? Für die Welfen, für die Herrscher des Landes Braunschweig?

Wie so oft, ist die Geschichte eine ganz andere. Wenn man weiß, dass die Manufaktur im Jahr 1946 gegründet wurde: von aus ihrer Heimat vertriebenen Sudetendeutschen, von Glasmachern aus der typischen Glasmacher-Ecke der Sudeten und des Bayerischen Waldes, die auf ihrem Weg Richtung Westen im Braunschweigischen landeten. Man hielt die  sowjetische Verwaltung für provisorisch, konnte nicht wissen, dass noch im gleichen Jahr das geteilte Herzogtum und der Freistaat Braunschweig aufgelöst werden würden und die neuen Länder Niedersachsen und Sachsen-Anhalt entlang der ‚Zonengrenze‘ entstehen würden. Dass aus einer von den Alliierten des zweiten Weltkriegs verabredeten Interessenzone nur kurze Zeit später ihre neue Heimat Derenburg für 40 Jahre in einem von zwei neuen Deutschlands liegen würde – hinter dem sogenannten „Eisernen Vorhang“. Erst „Ostzone“ – dann manifestiert als DDR.

Geflüchtet, den Krieg überlebt – die Glasmacher aus den Sudeten baten um die Gründungserlaubnis für ihre ‚Hohlglasveredelungsgenossenschaft Wernigerode‘. Ein kurzes Glück – denn im Jahr 1949 erfolgte schon die Enteignung der frischen Genossen und die Überführung in den Volkseigenen Betrieb mit dem viel funkelnderen Namen ‚VEB Glaswerk Harzkristall Derenburg‘; „Kristall“ – gefühlt welch Hochstapelei in einem kriegsverwüsteten Land. Aber immerhin entschied der Rat des Kreises auch, dass dem nun volkseigenen Glaswerk eine größere Immobilie bessere Entwicklungschancen bieten würde – und der Betrieb erhielt das inzwischen ungenutzte frühere Überlandwerk Derenburg der ebenfalls enteigneten Landeselektrizitätsgenossenschaft auf freiem Feld als neue Betriebshülle für Öfen und Produktion.

So also kam die Glashütte zu ihrem kuriosen Sitz und ihrem Namen.

Manufakturen-Blog: Blick in die große Produktionshalle von Harzkristall in Derenburg (Foto: Wigmar Bressel)

Blick in die große Produktionshalle von Harzkristall in Derenburg

In den 1960er Jahren erfolgte eine Neuausrichtung: Harzkristall wurde mit anderen Kunsthandwerksbetrieben der Kunsthochschule Burg Giebichenstein im mehr als hundert Kilometer entfernten Halle an der Saale zugeordnet, wurde Lehr-Außenstelle, wurde von vielen Glasdesignern der DDR durchlaufen, man durfte experimentieren, durfte devisenbeschaffende Dinge für den Handel mit dem Westen entwickeln und produzieren.

Nach dem Jahr 1990 wieder Ungewissheit, bis schließlich die Treuhand das Glaswerk an das Land Sachsen-Anhalt verkaufte, das bis zum Jahr 2004 den Weiterbestand sicherte. Die Kunsthochschule blieb Partner; weitere Hochschulen kamen hinzu.

Dann kam Gerhard Bürger, ein Niedersachse, verliebte sich in die Glasmanufaktur, erwarb sie vom Land, sanierte, konzeptionierte neu und um, schmiedete weitere Partnerschaften – vor allem aber gab er Geld; er war nicht bereit, dieses inzwischen entwickelte kulturelle Erbe des Harzvorlandes aufzugeben. Und inzwischen ist es auch Teil seiner privaten Stiftung, die den Erhalt sichern soll – und in manchen guten Jahren auch die Glasmanufaktur die Stiftung.

Manufakturen-Blog: Ein Regal im großen Formenlager (Foto: Wigmar Bressel)

Ein Regal im großen Formenlager

Nun also ‚Immaterielles UNESCO-Kulturerbe‘ gemeinsam mit solch anderen renommierten Manufakturen wie Poschinger oder Lamberts Waldsassen, der Baruther und der Gernheimer Glashütte. Der Titel ist jedoch nicht wirklich nur „immateriell“, soll nicht nur auf die Bedeutung hinweisen, sondern verpflichtet die zertifizierten Betriebe – zumeist Manufakturen – zum Mitmachen: zum Ausbilden, zur Öffentlichkeitsarbeit, zur Aktivität.

Aber er ist auch gut fürs Marketing, er stützt mühsam Errungenes: Fährt man auf die Glasmanufaktur auf dem freien Feld zu, so sieht man bald die Parkplätze, Busparkplätze und Hilfsparkplätze auf einer Wiese… jährlich besuchen eine Viertelmillion Menschen Harzkristall. Besuchen die Glas-Einkaufwelt, genießen den Brockenblick vom neuen hauseigenen Weinberg, nutzen den riesigen Kinderspielplatz im Rahmen ihres Familienausfluges. Bis zu 40 000 Menschen nehmen an den Führungen teil. Wer will, kann sich in das Handwerk des Glasmachens ganz praktisch einführen lassen: Tages- und Wochenseminare im Glasblasen, vielleicht bald auch im Gravieren, individuelle Gläser und Lampenschirme, Plätze für freischaffende Künstler, für Studenten, die die Technik der Hütte nutzen können und auch schon nutzen – ja es gibt sogar noch die inzwischen renovierten Gästezimmer zum Übernachten aus der Kunsthochschul-Ägide, jetzt für neue Residenten.

Wenn man so will, führt einen der Begriff ‚immateriell‘ leicht auf einen falschen Pfad – denn bei Harzkristall wird manufakturelles Handwerk ganz konkret und zum Anfassen praktiziert. Jahrtausendealtes Wissen, ganz materiell. Fahren Sie unbedingt einmal hin und erleben Sie die Faszination selbst…

Fotos: Wigmar Bressel

 

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Robert Nuslan ging bei ‚Hutkönig‘ ganz diskret in den Ruhestand

25. Februar 2019, Regensburg. Er hat sich leise verabschiedet – aber nun schlägt er doch noch einmal große Wellen, denn die Mittelbayerische Zeitung widmet seinem Abtritt in den Ruhestand eine ganze Seite – es ist von „Abdankung“ die Rede: Robert Nuslan, das Gesicht von ‚Hutkönig am Dom‘, Deutschlands vielleicht bekanntestem Hutfachgeschäft mit angeschlossener Manufaktur, hat mit 62 Jahren die Stafette an seinen zehn Jahre jüngeren Bruder Andreas weitergereicht. 45 Jahre im Familienunternehmen seien genug, befand der Ältere.

Die Nuslans sind schon seit dem Jahr 1875 im Hutwesen unterwegs. Gewachsen als Reparateure von beschädigten Hüten, als diese noch unbedingt „in“ waren – und sich (wie während des 1. Weltkrieges) viele Menschen für das Verlängern des Lebenszyklusses ihrer Hüte entschieden. Erst nach dem Krieg wurde aus ‚Nuslan & Lange‘ die Marke ‚Hutkönig‘: „Vorbild war ein Geschäft in Passau, das sich ‚Hutkönigin‘ nannte. So hat es mir meine Oma erzählt“, erklärt Robert Nuslan – und so konnte man es nun in der Zeitung lesen.

Ältester prominenter Kunde, an den sich Nuslan erinnert, war Luis Trenker (1892 – 1990). Aber insbesondere ein großer Bericht im deutschen ‚Playboy‘ über die Firma und einen neuen Hut aus der Hand von Nuslans Bruder Andreas (der Ausbildungen sowohl zum Hutmacher als auch zum Modistenmeister durchlief) im Jahr 1995 brachte die Regensburger Hüte wieder ins Bewusstsein: Erst kam Bundestagspräsident Kai-Uwe von Hassel (der Sohn sang bei den berühmten ‚Domspatzen‘), dann die Landesprominenz von Seehofer bis Söder, Ski-Ass Christian Neureuther, aber auch Frauen, wie Alice Schwarzer – Nuslans letztverkaufter ‚Playboy‘-Hut ging an den heutigen Bundesgesundheitsminister Jens Spahn.

In der Manufakturen-Szene ist Robert Nuslan gut bekannt. Erst im Jahr 2018 nahm er gemeinsam mit seiner Tochter Bettina für eine knallblaue Version einer ‚Indiana Melusine‘ aus sibirischem Wildhasen-Haar auf dem 10. Zukunftsforum Deutsche Manufakturen die Auszeichnung zum ‚Manufaktur-Produkt des Jahres 2018 – Erkennen von Trends‘ entgegen.

Viele Anwesende bei der Preisverleihung, wie der ehemalige bayerische Landwirtschaftsminister Helmut Brunner (CSU), ließen sich bei der Gelegenheit mit einem der ‚Hutkönig‘-Hüte fotografieren.

Und wie geht es bei ‚Hutkönig‘ mit seinem 14 Mitarbeitern weiter? Andreas Nuslan und seine Lebensgefährtin Melanie Marling haben die Weiterentwicklung des Geschäftshauses am Krauterermarkt angekündigt: „Im März beginnt der große Umbau.“ Im Jahr 2020 soll ein Teil der Produktion an den Innenstadt-Standort verlegt werden – das feine Handwerk muss noch klarer gezeigt werden. Letztenendes auch, damit wir alle besser verstehen, dass ein Hut 82 Arbeitsschritte haben kann und ruhig auch mal 800 Euro kosten darf. Wenn er aus Regensburg von Nuslans kommt.

Manufakturen-Blog: Andreas Nuslan hat von seinem älteren Bruder Robert das Familienunternehmen übernommen (Foto: Hutkönig)

Andreas Nuslan hat von seinem älteren Bruder Robert das Familienunternehmen übernommen (Foto: Hutkönig)

Fotos: Martin Specht, Hutkönig

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„Wir haben vor allem im Objekt-Geschäft den Vorteil, in Deutschland für Europa zu fertigen“ – die Leuchtenmanufaktur Gebrüder Knapstein

19. Februar 2019, Sundern. Da, wo das Sauerland bergig wird, da saß einmal die deutsche Leuchten-Industrie. Saß. Denn heute kommt fast alles aus den Billig-Lohn-Ländern, selbst wenn das Versandlager noch im Hochsauerlandkreis steht. Aber auch nur fast. Denn in Sundern sitzt ein kleiner Innovator: Die Leuchtenmanufaktur Gebrüder Knapstein hat vor einigen Jahren die Gestensteuerung in die Innenraumleuchte eingeführt – und sich (zunächst natürlich belächelt) einen teilweise „schalterlosen“ Vorsprung erarbeitet. Knapstein – das sind heute hochwertige Leuchten in feiner Anmutung und raffinierter Technik. 55 Mitarbeiter haben so ihr Auskommen.

Knapstein wurde im Jahr 1954 von den namensgebenden zwei Brüdern Knapstein gegründet und zügig vom Zulieferer zum Hersteller entwickelt. Inzwischen haben sie ihren Familienbetrieb an ihre jeweiligen Söhne weitergegeben – die Vettern Jürgen (Vertrieb) und Georg Knapstein (Einkauf) setzen sich seit zwanzig Jahren schon mit den Herausforderungen einer lange verträumten und plötzlich ausgesourcten Branche auseinander. „Der qualifizierte Facheinzelhandel schrumpft, der Baumarkt mit den Importwaren und seinen Kopien bekannter Leuchten ist oft der einzige Anbieter auf weiter Flur“, räumt Jürgen Knapstein freimütig ein. Trotzdem macht er keinen unzufriedenen Eindruck.

Denn: Der Importeur kann ja doch häufig nicht liefern. Und dann schlägt die Stunde des deutschen Herstellers. Schnell, innovativ, alle Kundenwünsche erfüllend – und der Service im Nachgang, wenn im Hotel eine Lampe beschädigt wurde und Ersatz her muss. Wenn das verbaute Leuchtmittel, die LED, ausgewechselt werden muss – dann kommt die Anfrage nach Hilfe. Und die eilt nicht aus China und Indien herbei. Sondern aus dem Sauerland. Jürgen Knapstein: „Wir haben vor allem im Objekt-Geschäft den Vorteil, in Deutschland für Europa zu fertigen.“

Manufakturen Blog: Gebr. Knapstein Leuchtenmanufaktur Schreibtischlampe (Foto: Knapstein)

Schreibtischlampe mit Kugelgelenk (Foto: Knapstein)

Manufakturen-Blog: Runde Deckenleuchte mit direktem und indirekten Leuchtband von Knapstein (Foto: Knapstein)

Runde Deckenleuchte mit direktem und indirekten Leuchtband von Knapstein (Foto: Knapstein)

Oder aber wenn der Innenarchitekt Abwandlungen braucht: Der Schalter links statt rechts, der Schwenkarm länger oder kürzer, der Schirm aus schwerentflammbaren Materialien, in kleinen Stückzahlen digital bedruckt – am besten jeder Schirm anders: ‚Wünsch dir was‘ – das ist die Domäne von Knapstein.

Knapstein kauft Messing und Stahl als Rohr- und Blechware, Glasschirme und Leuchtmittel (von Osram). Von diesem ersten Stadium wird alles „inhouse“ komplett durchgearbeitet: Entwurf, Design, Konstruktion, Werkzeugbau, Zuschnitt, schweißen und löten, schleifen und polieren, entfetten, lackieren, montieren, teilweise das Nähen eigener Lampenschirme.

Die besondere Branchen-Innovation der jüngeren Zeit von Knapstein ist die Entwicklung und Einführung der Gestensteuerung bei vielen Leuchten (besonders interessant für freihängende Leuchten), die dem Unternehmen einen Schub (und zehn zusätzliche Arbeitsplätze) gebracht haben. Es ist faszinierend, wie das Licht heller oder dunkler wird, wie die Leuchte sich abschaltet oder anspringt, nur weil man mit der Hand an den LED-Bändern vorbeiwischt. Die Ahnung entsteht, wie gut das im Altbau wirken kann, wenn man nicht die Wände für neue Leitungen aufreißen muss oder alle Schalter auf ‚dimmbar‘ gewechselt werden müssen. Und alles auch in der Ausführung ‚wohnlicher Lampenschirm‘ oder mit Echtholz und Echtholz-Furnieren an die jeweiligen Möbel angepasst. Am schönsten ist jedoch die makellose Verarbeitung der Metalle, satte Blechstärken, die handgeschliffenen Übergänge, die feinen Lötstellen, die kaum zu erahnen sind!

Sie brauchen eine innovative und elegante Innenraum-Leuchte? Fragen Sie ruhig mal Knapstein

Fotos: Wigmar Bressel, Knapstein

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Manufaktur 4.0: Was die Positionen N49º03’54“O13º10’6“ und N34º31’41“O69º10’20“ verbindet

17. Dezember 2018, Zwiesel. Der Begriff Manufaktur mag 350 Jahre alt sein – aber in den Betrieben dieser Produktionsart steckt oft – oder nach wie vor – eine hohe Innovationskraft. Tja, was verbindet die Koordinaten aus der Überschrift? Lesen Sie selbst: Mein Besuch bei Thomas Koy in der superinnovativen Holzprodukte-Manufaktur „Holz.lieb.ich“ im Bayerischen Wald.

Eine Besonderheit der in Zwiesel ansässigen Holzmanufaktur „Holz.lieb.ich“ ist es, die dort hergestellten Produkte mit den GPS-Koordinaten der Standorte der verwendeten Bäume – die den Rohstoff Holz für Verpackungen, Regale und Anderes liefern – zu bezeichnen. Ist das Produkt fertiggestellt, wird die Angabe der Position aus Längen- und Breitengraden, Minuten, Sekunden und Dezimalsekunden auf die Oberfläche gedruckt. Der Geschäftsführer der Manufaktur Dr. Thomas Koy ist vor Jahren auf die Idee gekommen, um, wie er sagt, ein Zeichen zu setzen.

„Mich ärgert, dass jede Firma, die Verpackungen herstellt im Marketing das Schlagwort sustainability benutzt. Egal, ob es sich um Stahl, Glas oder Plastik handelt, alle reden immer von sustainability. Diese Art von Nachhaltigkeit reduziert sich auf einen Marketing-Begriff. Darum wollte ich sie neu definieren. Wir arbeiten ja nun mal mit diesem natürlichen Rohstoff Holz. Also bin ich von der sustainability zur traceability gekommen.“ Der „Rück-Verfolgbarkeit“.

„Wenn jemand sagt, dass er nachhaltig produziert und arbeitet, dann muss diese Nachhaltigkeit rückverfolgbar sein“, so der Geschäftsführer. Thomas Koy ist von der Praxis, den Standort der verarbeiteten Bäume zu benennen, anhaltend überzeugt. Über diese Besonderheit der Manufaktur „Holz.lieb.ich“ wurde schon mehrfach in Zeitungen, Zeitschriften und auch im Manufakturen-Blog berichtet: Die Kennzeichnung beeindruckt Kunden weltweit und Thomas Koy legt Wert auf die Tatsache, dass „unser Massivholz ausschließlich aus Bayern stammt. Die Forstwirtschaftsbetriebe und Sägewerke müssen angeben, aus welchen Forstwirtschaftsgebieten das Holz stammt. Die Fichten – die wir im Bereich Weichholz verarbeiten – stammen zu 100 Prozent aus Gebieten die maximal 20 Kilometer von unserem Standort in Zwiesel entfernt liegen.“

Harthölzer, wie Buche, Esche, Erle und Eiche kommen aus Qualitätsgründen aus dem Spessart, wobei circa 50 Prozent des verarbeiteten Buchenholzes ebenfalls einem Gebiet mit einem Radius von etwa 20 Kilometern um die Manufaktur in Zwiesel entstammen. „Holz.lieb.ich“, so hat man den Eindruck, ist ebenso wie die Bäume, tief verwurzelt im Bayerischen Wald. Doch es gibt noch eine andere Seite der Manufaktur, deren moderne Hallen inmitten hügeliger Waldgebiete liegen. Man entdeckt sie, wenn man fragt, welche Verbindung zwischen den GPS-Koordinaten N49º03’54“O13º10’6“ und N34º31’41“O69º10’20“ besteht. Erstere bezeichnet den Standort einer Buche, aus deren Holz ein schmuckes Kästchen gefertigt wurde, letztere den der afghanischen Hauptstadt Kabul.

Afghanistan ist die Heimat von Fani, einem der Angestellten von „Holz.lieb.ich“, der mit hoher Wahrscheinlichkeit auch an der Herstellung besagter Schatulle beteiligt war. Fani – stämmig und um die 30 Jahre alt – war in Afghanistan Meister im Gewichtheben, bevor es ihn in den Bayerischen Wald verschlug. Dass er als Nicht-Bayer, Nicht-Deutscher und Nicht-Europäer – wahrscheinlich „rückverfolgen“ die in Zwiesel Geborenen Fanis Herkunft in genau dieser Reihenfolge – in der Manufaktur „Holz.lieb.ich“ beschäftigt ist, ist keine Ausnahme.

„Im Betrieb“, so Thomas Koy, „haben wir Mitarbeiter aus neun verschiedenen Nationen. Unter den mehr als 50 Angestellten finden sich Menschen aus Japan, den Philippinen, Afghanistan, China, Mali, Eritrea, Tschechien, Russland und Syrien.“ Welche Gründe gibt es für diese internationale Belegschaft in einer vergleichsweise abgelegenen Region?

„Im Bayerischen Wald haben viele Betriebe das Problem, dass die großen Städte eine Art Sogwirkung auf Fach- und Arbeitskräfte ausüben. Passau, Regensburg und Landshut sind etwa eine Stunde Autofahrt von Zwiesel entfernt. Das BMW-Werk in Dingolfing nennt man im Bayerischen Wald sogar ‚den großen Staubsauger‘.“

Tatsächlich werden laut BMW täglich etwa 13.000 Mitarbeiter mit Bussen an circa 2500 Haltestellen in der gesamten Region eingesammelt und nach Dingolfing zur Schichtarbeit gefahren, – beziehungsweise nach Feierabend wieder nach Hause gebracht.

„Das Problem ist“, erklärt Thomas Koy, „dass BMW sehr gut bezahlt. Ein Helfer bei BMW verdient weit mehr als ein qualifizierter Schreiner im Bayerischen Wald. Darum sieht der Arbeitnehmer erst einmal nur seinen Nettolohn. Doch man muss auch rechnen: Zwei Stunden Fahrt mit dem Bus zur Arbeit und zwei zurück nach Hause. Das bedeutet, den Tageslohn nicht durch acht, sondern durch zwölf Stunden zu dividieren. Das versuchen wir den Arbeitnehmern zu verdeutlichen. Übrigens auch, dass der Freizeitwert in unserer Gegend hoch sein kann.“

Dazu kommt, dass traditionell gerade im Bayerischen Wald viele Familien nebenbei noch etwas Land- oder Forstwirtschaft betreiben. Als Thomas Koy im Jahr 2010 den Betrieb „Holz Liebich“ übernahm, sah er sich auch aus diesen Gründen mit dem Problem konfrontiert, genügend fähige Arbeitskräfte zu finden.

„Als Manufaktur“, sagt er rückblickend, „sind wir von Anfang an sehr offensiv mit dem Thema umgegangen und haben verschiedene Arbeitszeitmodelle angeboten. Der Produktionschef des alten Betriebs wehrte sich anfangs mit Händen und Füßen dagegen. Aber meine Frau hat sich als Thüringerin und Sozialpädagogin durchsetzen können, und so haben wir zum Beispiel Arbeitsplätze geschaffen, die sich zwei Frauen teilen können. Das war im Bayerischen Wald bis zu diesem Zeitpunkt nicht normal. Doch gerade hier können Kinder nur halbtags in die Schule oder den Kindergarten gehen, oder manche Familien, die in einem Mehrgenerationen-Haushalt – ebenfalls typisch für den Bayerischen Wald – leben, haben vielleicht pflegebedürftige Angehörige zu Hause, und dadurch können diese Arbeitnehmer nicht am herkömmlichen Arbeitsmarkt teilnehmen. Aus diesem Grund haben wir gesagt, dann bieten wir eben flexible Arbeitszeitmodelle an, die den Möglichkeiten gerecht werden, die diese Arbeitnehmerinnen oder Arbeitnehmer haben.“

Schon bald machte sich ein auch weiterer positiver Effekt der neuen Arbeitszeitmodelle bemerkbar. „Und siehe da“, sagt Thomas Koy. „Gerade diese Arbeitsplätze wurden effizienter. In zweimal vier Stunden wird von zwei Leuten schneller produziert, als von einem in acht Stunden, der zwischendurch auch mal ‚Lecks‘ hat.“

Der innovative Umgang der Manufaktur mit den Fragen der Arbeitsplatzvergabe und Gestaltung führte schon bald dazu, dass die Herkunft der Menschen, die dort Beschäftigung fanden, internationaler wurde. „Im Bayerischen Wald ist es sehr schwierig, junge Leute zu finden, die bei uns arbeiten wollen. Durch die Tätigkeit meiner Frau – die als Sozialpädagogin Flüchtlinge betreut – fanden viele von ihnen einen Weg in die Manufaktur.“

Bei einer derart internationalen Belegschaft stellt die Kommunikation eine der größten Herausforderungen für einen reibungslosen Ablauf der Produktion dar. Denn Menschen, die gemeinsam etwas herstellen, müssen miteinander kommunizieren, – verbal und auch schriftlich in einer Sprache, die möglichst alle verstehen.

„Die Leute“, sagt Thomas Koy, „die in der Manufaktur arbeiten wollen, sollten willens und dazu in der Lage sein, die deutsche Sprache zu lernen. Das ist für uns wichtig, weil die Integration am Arbeitsplatz mit der Sprache beginnt. Die Basis der Kommunikation muss gegeben sein. Punkt.“ Das Erlernen einer Sprache – zum Teil in einer, demjenigen bis dahin unbekannten Schrift – ist jedoch ein relativ aufwendiger Lernprozess. „Klar,“ räumt Koy ein, „ist das auch alles learning by doing und braucht seine Zeit.“

Um das an einem Beispiel zu veranschaulichen, erzählt er, wie er eines Morgens einen Aushang am Schwarzen Brett des Betriebes befestigte. Fani, der Afghane, stellte sich neben ihn und machte mit seinem Smartphone ein Foto des Blattes. Auf die Frage, warum er dies tue, gab er Thomas Koy zu verstehen, dass er den auf Deutsch verfassten Aushang nun mittels eines Übersetzungsprogramms ins Farsi übersetzen ließe. Technik und Digitalisierung helfen also auch im Kleinen, auf einer individuellen Basis, bei der Zusammenarbeit in der Manufaktur.

Thomas Koy sieht „Holz.lieb.ich“ als eine hochmoderne „Manufaktur 4.0“: „Gerade durch unserer hohe Internationalisierung in der Arbeitnehmerschaft und den immer weiter steigenden Kosten, wie sie eine Manufaktur mit einer großen Zahl an Arbeitnehmern und den damit verbundenen Lohnkosten nun einmal hat, muss ich mir etwas überlegen, wie ich die Manufaktur 4.0, sprich das digitale processing dazu nutze, die Arbeitsabläufe zu vereinfachen und zu optimieren. Beispielsweise ist es für viele unserer Arbeitnehmer einfacher mit einem RFID-Chip [die Daten eines Radio Frequency Identification-Chips lassen sich mit geringer Energie auslesen; RFID-Chips sind beispielsweise im Personalausweis der Bundesrepublik Deutschland zu finden] an ein Terminal zu gehen, um die Arbeitszeit zu erfassen. Aber wir gehen nun noch einen Schritt weiter: Wir werden mit einer speziellen Software die komplette Arbeitsvorbereitung und Durchführung in der Manufaktur digitalisieren.“

Manufakturen-Blog: Thomas Koy hat sein berufliches Leben der Holzmanufaktur Holz.lieb.ich und deren Weiterentwicklung verschrieben (Foto: Martin Specht)

Thomas Koy hat sein berufliches Leben der Holzmanufaktur Holz.lieb.ich und deren Weiterentwicklung verschrieben

Manufakturen-Blog: ...unter anderem integriert die Holzmanufaktur sehr erfolgreich Migranten - wie Fani aus Afghanistan - in den Bayerischen Wald (Foto: Martin Specht)

…unter anderem integriert die Holzmanufaktur sehr erfolgreich Migranten – wie Fani aus Afghanistan – in den Bayerischen Wald

Manufakturen-Blog: Fani beim Tackern von eleganten Geschenkverpackungen, dem Hauptprodukt von Holz.lieb.ich (Foto: Martin Specht)

Fani beim Tackern von eleganten Geschenkverpackungen, dem Hauptprodukt von Holz.lieb.ich

Dazu muss gesagt werden, dass die acht neuen Produktionshallen von „Holz.lieb.ich“ zu beiden Seiten einer Achse angelegt sind, die die Funktion einer Straße in der Produktion übernimmt. Ist ein Arbeitsschritt beendet, wird das Material in den Mittelgang befördert und von dort zur Weiterbearbeitung in der nächsten Halle abgeholt.

„Wir werden in den kommenden zwei Jahren in allen Hallen Terminals installieren“, erläutert der Geschäftsführer. „In der Verwaltung wird jeder Auftrag digital erfasst, auf alle Hallen und Arbeitsschritte heruntergebrochen und an den entsprechenden Maschinen hinterlegt. Dann muss der Maschinenbediener nur noch ans Terminal gehen, seinen Namen eingeben und seinen Chip daran halten, und wir wissen, wie lange er für wie viel Stück gebraucht hat. Bislang schreibt der Mitarbeiter diese Angaben auf die rote Arbeitskarte, aber für manch einen ist es schwierig, das auf Deutsch zu schreiben. Doch diese Daten sind die Basis unseres Deckungsbeitrags. Mit der Digitalisierung wird es einfacher.“

Die Manufaktur hat aber nicht nur Mitarbeiter aus allen Teilen der Welt, sondern auch eine Vielzahl internationaler Kunden, die wiederum von dem globalen Mikrokosmos der tief im Bayerischen Wald entstanden ist, profitieren.

„Wir liefern in 37 Länder“, sagt Thomas Koy. „Wenn uns Kunden aus dem Ausland besuchen, beeindruckt sie auch unsere internationale Belegschaft. So etwas haben sie definitiv nicht im Bayerischen Wald erwartet. Als ich mit dem Eigentümer einer Firma aus Iran durch den Betrieb ging, konnte ich ihm Mitarbeiter vorstellen, die Farsi sprechen, mit denen er sich dann auf Farsi unterhalten konnte. Oder, ein weiteres Beispiel, alle zwei Jahre besucht uns ein Kunde aus Japan. Neuerdings arbeitet auch eine Japanerin in unserer Manufaktur. Jetzt bekommt er seine E-Mails nicht mehr auf Englisch, sondern auf Japanisch.“

Thomas Koy ist stolz darauf, weltweit Kunden – und auch Mitarbeiter aus aller Welt – zu haben. Bevor er vor acht Jahren in Zwiesel ansässig wurde, arbeitete er für ein großes Unternehmen in der Schweiz und kam selbst als Außenstehender in den „Woid“.

„Dieser kulturelle Wandel wird auch an meiner Person deutlich“, beschreibt er seine Erfahrung. „Als ich 2010 hier ankam, schauten die Menschen skeptisch. Ich war Preuße – noch dazu mit einem Doktortitel – der vorher in der Schweiz gelebt hatte. Manchmal habe ich gedacht, dass die Einheimischen darauf warteten, dass ich anfange Bayerisch zu sprechen. Aber ich berlinerte weiterhin und trug auch keine Tracht oder ließ mir einen Gamsbart wachsen. Und dadurch beginnt dann mit Kunden und Menschen schnell ein sehr persönliches Gespräch, weil sie fragen: ‚Was hat sie denn hierher verschlagen?‘ Später wurde ich sogar Botschafter Niederbayerns.“

In diesem Fall kann man also von einer erfolgreichen Integration sprechen. Wahrscheinlich auch darum, hat Thomas Koy ein Bewusstsein dafür entwickelt, was dies für seine ausländischen Mitarbeiter bedeuten kann.

„Fani, der afghanische Gewichtheber“, sagt er. „Ist eigentlich ein Paradebeispiel mustergültiger Integration. Er kam als Analphabet hier her, heute kann er Farsi lesen und spricht ein gutes Deutsch. Er wird von anderen Mitarbeitern an den Wochenenden eingeladen und trainiert weiter als Gewichtheber in einem regionalen Verein. Der Fani arbeitet fleißig und hat sich bei uns dazu qualifiziert, dass er in jeder der acht Hallen einsetzbar ist und zwei Maschinen selbstständig bedient. Er ist mittlerweile Maschinenführer und hat Deutsche als Helfer. Das ist Hammer!“

Leider hat der Afghane Fani seit einiger Zeit ein Problem. Ihm droht die Abschiebung nach Kabul, weil er bei seiner Einreise nach Deutschland nicht alle erforderlichen Dokumente präsentieren konnte. Auf einem Personaldokument fehlt ein Passbild und es ist schwer, einem deutschen Verwaltungsbeamten klar zu machen, dass solche Papiere in dem kriegs- und bürgerkriegsgeplagten Land am Hindukusch sehr einfach zu verlieren, und nur sehr schwer wieder zu beschaffen sind. Thomas Koy hat deswegen bereits an den Regierungspräsidenten geschrieben.

„So etwas regt mich auf“, sagt er. „Auf der einen Seite wird immer gesagt, dass wir Fachkräfte brauchen, auf der anderen Seite soll gerade Fani abgeschoben werden.“

Sein Wissen um die Problematik zeigt, dass dem Geschäftsführer von „Holz.lieb.ich“ der Zusammenhang zwischen der Teamfähigkeit der Mitarbeiter und der Produktivität des Betriebs, bewusst ist. Dies und eine umfassende Digitalisierung, die viele Arbeitsschritte erleichtert, sind ein überaus moderner Ansatz für die Produktion in einer Manufaktur. In diesem Fall ist es also die Arbeit in der Manufaktur, die eine Buche aus dem Bayerischen Wald mit einem Menschen aus Afghanistan verbinden kann.

An eine Sache, sagt Thomas Koy, müsse er sich aber erst gewöhnen. Wenn ein Syrer „Passt scho“ in bayerischem Dialekt zu ihm sagt, kling das immer noch ungewohnt. Aber auch dafür hat er eine Erklärung parat: „Über die Linguistik kann man eben auch Teamfähigkeit unter Beweis stellen und nach außen leben.“ Wahrscheinlich ganz besonders in Bayern.

Fotos: Martin Specht

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Benedikt Poschinger: „Jeder muss zu seiner Zeit das Richtige tun, damit er das Unternehmen erhält“

23. November 2018, Frauenau. „Seit 1568“, sagt Benedikt Freiherr Poschinger von Frauenau, „gibt es die Glashütte in Frauenau.“ Seitdem ist sie im Besitz der Familie von Poschinger. Als die Poschingers mit der Herstellung von eigenem Glas im Bayerischen Wald begannen, waren gerade einmal 76 Jahre vergangen, seit Christoph Kolumbus den amerikanischen Kontinent entdeckt hatte. Im Jahr 1568 floh Maria Stuart aus einem schottischen Gefängnis, die Konquistadoren suchten nach El Dorado, Katharina von Medici versuchte in Frankreich die Hugenottenkriege zu beenden und es sollten noch mehr als 200 Jahre vergehen, bis der Seefahrer James Cook Australien entdeckte. Falls damals in einem der in Frauenau hergestellten Gläser versehentlich eine Luftblase eingeschlossen wurde – dies gilt als Fehler in der Glasherstellung – hätte sie sich in den vergangenen 450 Jahren möglicherweise ein kaum wahrnehmbares Stück bewegt. Glas soll sich im Laufe der Zeit verändern.

Ebenso die Menschen. Seit den Anfängen sind auf den im Jahr 1523 geborenen Joachim Poschinger, der als erster der Familie mit der Glasherstellung begann, 15 Generationen gefolgt. Die Glasmanufaktur in Frauenau befindet sich seit 450 Jahren in Familienbesitz. Damit ist sie die Älteste ihrer Art in Deutschland und weist weltweit die am weitesten zurückreichende Familientradition im Glas auf. Wie, frage ich Benedikt Freiherr Poschinger von Frauenau, geht man mit so einer Tradition um?

„Selbstverständlich ist es eine Verpflichtung“, sagt der 47jährige, der die Glasmanufaktur im Jahr 2007 von seinem Vater übernahm. „Andererseits ist es aber auch ein Ansporn dazu, so wie die Generationen vor mir, das Beste zu geben und die Manufaktur zu bewahren. Jeder muss zu seiner Zeit das Richtige tun, damit er das Unternehmen erhält und an die nächste Generation übergeben kann. Wenn man bedenkt, dass Vorfahren von mir während des Dreißigjährigen Krieges mit dieser Sache beschäftigt waren, kann man sich vorstellen, wie groß diese Herausforderung sein kann.“  Abgesehen von dem erwähnten Dreißigjährigen Krieg überstand die Glasmanufaktur auch zwei Weltkriege, die Industrielle Revolution und ist bislang auch der Globalisierung erfolgreich begegnet.

Manufakturen-Blog: Poschingers Glasmanufaktur in Frauenau (Foto: Martin Specht)

Blick auf Poschingers Glasmanufaktur in Frauenau…

Manufakturen-Blog: In der Ofenhalle mit dem "dreihäfigen" Glasofen (Foto: Martin Specht)

…und in die Ofenhalle mit dem „dreihäfigen“ Glasofen

„Diese Verpflichtung“, betont der Freiherr, „fühle ich zwar, aber auf eine Weise, die mich nicht erdrückt. Das ist, glaube ich, sehr wichtig, weil man sonst erstarrt. In alten Familien wird Tradition und ein gewisses Denken darüber bewusst und auch unbewusst weitergegeben. Die Familiengeschichte ist auf vielerlei Art greifbar, auch in Gemälden oder Gebäuden.“

In solch einem historischen Gebäude befindet sich die Glasmanufaktur „von Poschinger“. In den Büros hängen Jagdtrophäen und Familienportraits. In der Ofenhalle nimmt ein Sammlung historischer Gläser, die dort hergestellt wurden, eine meterhohe Wand ein. Ein großes Holz-Kruzifix fällt ins Auge. Und auch der Raum, in dem wir unser Gespräch führen, sieht aus, als wäre er Bestandteil eines Museums. Möbel und Gemälde aus dem 17. beziehungsweise 18. Jahrhundert, dunkles Holz und eine Vielzahl von Ordnern und Mappen.

„Trotz der langen Tradition“, fährt der Freiherr fort, „hat unser Vater meinem Bruder und mir immer freie Wahl darin gelassen, was wir machen möchten.“ Benedikt Freiherr von Poschinger hat Forstwirtschaft studiert, bevor er die Leitung der Glasmanufaktur übernahm.

„Ich kenne Beispiele aus anderen Familien, wo den Kindern schon früh gesagt wird: ‚Denk daran, du bist einmal derjenige, der das alles übernehmen muss!‘ Ich denke, wenn so etwas zur falschen Zeit in der Entwicklung geschieht, besteht die Gefahr, dass die Nachkommen dann gerade etwas anderes machen, als das, was die Eltern sich vorstellen.“

Allerdings, auch diesen Aspekt berührt das Gespräch, ist die Möglichkeit einer freien Berufswahl eine relativ moderne Entwicklung.

„Früher gab es die klassischen Laufbahnen der Söhne“, erläutert Benedikt von Poschinger. „Wenn es mehrere waren, dann hat einer den Betrieb übernommen, einer ging zum Militär und einer ins Kloster oder wurde Priester.“ Und nach einem Moment des Nachdenkens fügt er an: „Heute ist es Gott sei Dank so, dass sich jeder verwirklichen kann. Aber auch das kann eine gewisse Gefahr bergen.“

Benedikt Poschinger ist sich der Tatsache bewusst, dass er zwar einerseits Bestandteil einer überaus langen Tradition ist, andererseits jedoch einen Betrieb mit etwa 30 Angestellten in einer modernen und globalisierten Welt führt. Seine Schlussfolgerung: „Man muss den Blick frei haben und auch in einem traditionsreichen Unternehmen modern denken.“

Dass gerade im Bayerischen Wald vor einigen Hundert Jahren eine Vielzahl von Glashütten entstand, hat sowohl geographische, wie auch geologische Gründe. Zur Glasherstellung benötigt man Quarzsand, der sich bei einer Temperatur von circa 1.400 Grad Celsius zu Glas schmelzen lässt. Um die Öfen für diesen Schmelzprozess heizen zu können, war das Vorhandensein von Holz in ausreichendem Maße nötig. Beides fand sich im Bayerischen Wald.

„Heute würde man sagen: es gab hier einen Standortfaktor“, so Freiherr Poschinger. „Der Bayerische Wald ist ein Granit-Gneis-Gebirge, in dem Quarz in großen Mengen vorkommt. Und Holz ebenso. So, wie die Porzellan-Hersteller dort sind, wo Kaolin natürlich vorkommt, oder die Eisenhütten dort sind, wo es Kohle gibt, sind die Glashersteller hier zuhause. Das war früher nicht anders möglich. Man konnte im Bayerischen Wald auch hervorragend die Wasserkraft nutzen. Bäche und Flüsse, die die Mühlräder, die Schleifsteine und Schleifereien angetrieben haben.“

Damals wie heute werden Kanten und Grate der Gläser nach dem Erkalten abgeschliffen. Während Benedikt Poschinger spricht, sind in der Ofenhalle hinter ihm die Glasbläser am Werk und balancieren geschickt rotglühende Klumpen an langen Blasrohren. Wenn sie das Glas zum Abkühlen in einen der Wasserbehälter tauchen, steigen weiße Dampfwolken in die historische hölzerne Dachkonstruktion empor. Mit einer Ausnahme, sagt der Freiherr, sei alles, was man zur Glasherstellung benötigte, im Bayerischen Wald zu finden gewesen. Das, was fehlte, war Kalk. Die Zugabe von Kalk während des Schmelzprozesses sorgt dafür, dass das entstehende Glas besser aushärtet. Er musste aus der Ulmer Gegend in die Glashütten des Bayerischen Wald gebracht werden.

„Es waren die Landesherren“, sagt Benedikt Poschinger, „die das Glashandwerk im Bayerischen Wald speziell gefördert haben. Das hatte einen einfachen Grund: Nur aus der Holzwirtschaft [vor Beginn der Glasherstellung der dominierende wirtschaftliche Faktor in der Region] waren keine großen Steuereinnahmen zu erwarten. Darum haben die Landesherren Anreize geschaffen, damit sich Menschen ansiedeln und Glashütten betreiben.“ Poschinger lacht. „Heute würde man sagen: Das war Strukturpolitik.“

Seit ihren Anfängen hängt die Glasherstellung im Bayerischen Wald mit der Land- und Forstwirtschaft zusammen. Heute hat die Familie von Poschinger den größten Waldbesitz in Niederbayern.

„Diese Konstellation“, so der Freiherr, „musste bestehen, weil man das Holz zum Heizen der Öfen brauchte. Landwirtschaft, Forstwirtschaft und Manufaktur, das gehörte zusammen. Glas machen ohne Wald ging nicht. So waren die frühen Glashütten damals auch analog zum Landwirtschaftsgut sogenannte ‚Glashüttengüter‘. Man kann sich diese Glashüttengüter als weitgehend autarke ‚Siedlungs-Inseln‘ im Wald vorstellen. Zum Transport der Waren verwendete man Ochsenkarren; die Zugtiere und die Ernährung der Menschen machten den landwirtschaftlichen Faktor aus.“

Manufakturen-Blog: Klassisches Drehen und Blasen - mit viel Geschick und Erfahrung entstehen perfekte Formen (Foto: Martin Specht)

Klassisches Drehen und Blasen – mit viel Geschick und Erfahrung entstehen perfekte Formen…


Manufakturen-Blog: Herstellung einer historischen Schlegelflasche in der Glasmanufaktur von Poschinger (Foto: Martin Specht)

…die immer wieder nacherhitzt werden müssen – wie hier bei der Herstellung einer historischen Schlegelflasche


Manufakturen-Blog: Ein Mitarbeiter trägt einen großen gläsernen Tischfuß zum Schleifen (Foto: Martin Specht)

Ein Mitarbeiter trägt einen großen gläsernen Tischfuß zum Schleifen

Zur damaligen Zeit war die Donau die nächstgelegene große Verkehrsader, zu der die kostbaren Gläser transportiert wurden, um über den Fluss weiter verschifft zu werden.

Im 18. Jahrhundert tauchte der „eiserne Moa“ im Bayerischen Wald auf: Als „eisernen Mann“ bezeichneten die Menschen in der Region die ersten Maschinen, die Handarbeit durch maschinelle Fertigung ersetzten. Bis zum Beginn des 19. Jahrhunderts waren die meisten Gläser und Glaserzeugnisse in Europa mundgeblasen. Das änderte sich mit dem Fortschreiten der Industrialisierung. Und zum ersten Mal in der Geschichte waren die Glashütten nicht mehr an einen  Standort gebunden. Rohstoffe und Produkte konnten dank Eisenbahn und – etwas später den Automobilen – beinahe überall hin transportiert werden. Um dieser veränderten Marktlage zu begegnen, mussten die Glashütten mehr bieten, als reine Gebrauchsgläser.

„Früher stellten wir hauptsächlich einfache Trink- oder Vorratsgläser her“, sagt Freiherr Poschinger. „Aber im Zuge der Industrialisierung tauchten auch Kunstströmungen, wie der Jugendstil, in der Gestaltung unserer Glaserzeugnisse auf. Heute würde man Produktdesign dazu sagen.“

Einer der bekanntesten unter den Gestaltern, die zu Anfang des 19. Jahrhunderts mit der Glasmanufaktur von Poschinger zusammenarbeiteten, war der 1868 geborene Peter Behrens. Zum Beispiel der Schriftzug „Dem deutschen Volke“, der über dem Portal des Berliner Reichstagsgebäudes prangt, entstand unter seiner Mitwirkung. Behrens – der auf den Gebieten des Typhographie, Architektur und Produktgestaltung tätig war – war einer der Vorläufer des modernen Industrie-und Corporate-Designs. Ein von ihm gestaltetes Trinkglas wird heute immer noch unter der Bezeichnung „Peter-Behrens-Glas“ in der Glasmanufaktur von Poschinger hergestellt.

Auch heute arbeitet Benedikt Poschinger mit Künstlern und Designern zusammen. „Es ist spannend, Design und Handwerk zusammenzuführen“, sagt der Freiherr. „Glas ist ein ganz besonderer Werkstoff, der – könnte man sagen – seinen eigenen Kopf hat. Eine mit einem CAD-Programm erstellte Zeichnung, bei der es um Winkel mit einem Zehntel Grad geht, das ist vielleicht in einem metallverarbeitenden Betrieb machbar, aber nicht mit mundgeblasenem Glas. Wenn man aber dann mit dem Designer gemeinsam die Grenzen des Machbaren auslotet, entstehen dabei faszinierende Lösungen. So ist zum Beispiel der Tisch von Sebastian Herkner entstanden.“

Der Bell Table hat einen glockenförmigen Fuß von Poschinger aus farbigem Glas und wird von der Firma ClassiCon vertrieben.

Jedoch konnten sich längst nicht alle Glashütten, die es im Bayerischen Wald gab, mit besonderem Design und einem veränderten Angebot behaupten. Betriebe, die die Industrialisierung gemeistert hatten, mussten in den 1990er Jahren den Herausforderungen der Globalisierung begegnen.

„Vor der Automatisierung“, so Benedikt Poschinger, „wurden selbst Glühbirnen mundgeblasen. Heute entstehen in einer Hightech-Fabrik durch Press-Blas-Verfahren um die 15.000 Gläser pro Stunde. Wir schaffen gerade einmal 30. Die industrielle Massenfertigung hat zu einem Rückgang an Arbeitsplätzen geführt. Dadurch drohen natürlich auch spezielle handwerkliche Fähigkeiten auszusterben.“ Nach einem Moment des Nachdenkens fügt er fügt an: „Ein weiterer ‚Schlag‘ für die Glashütten war die Öffnung des Markts für osteuropäische Waren. Auf einmal drängten Glashütten aus Polen, Weißrussland oder Rumänien auf den Markt.“

Zusätzlich dazu, erklärt Poschinger, hätten sich bei vielen Menschen in Deutschland die Tischsitten dahingehend verändert, dass Gläser häufig zu einer Trendware werden, die nach einer Saison durch Neue ersetzt wird. Darum dürfen sie nicht viel kosten und stammen oft aus dem billigen Sortiment großer Möbelhäuser. „Zum Glück“, so Benedikt Poschinger, „gibt es aber auch wieder mehr Menschen, die Wert auf etwas Beständiges legen.“

Die Frage, wie viele Glashütten heute noch in der Region existieren, ist schnell beantwortet:

„Außer der Glasmanufaktur von Poschinger gibt es in Frauenau noch eine Glashütte und bei Zwiesel die Firma Theresienthal, sowie die große maschinell betriebene Hütte Zwiesel-Kristallglas, ehemals Schott.“

Die Glashütte Theresienthal war bis in die 1970er Jahre ebenfalls im Besitz der Familie von Poschinger. „Unser Familie ist verzweigt“, erzählt der Freiherr. „Nach Theresienthal wurde eingeheiratet. Der Kompagnon des letzten Poschinger, der dort saß, hat die Hütte verkauft. Dann ging sie zweimal in die Insolvenz. Heute wird sie als Kapitalgesellschaft geführt.“

Wäre es für die Familie von Poschinger eine Option gewesen, die zum Verkauf stehende Glashütte zu erwerben? „Nein,“ sagt Benedikt Poschinger, „eine Glashütte reicht.“

Es gibt keinen besseren Ort um ein Gespräch über Tradition und Geschichte der Glasmanufaktur von Poschinger zu führen, als den Raum der „das Gedächtnis der Hütte“ genannt wird. Hier sind die Entwürfe und Zeichnungen aus mehreren hundert Jahren archiviert. „Wenn ein Kunde käme, und nach etwas Altem fragte“, so der Freiherr, „würde er es hier finden. Nicht die Form selber, in der das Glas geformt wird, denn diese Formen sind aus Holz und gehen irgendwann einmal kaputt. Aber die Schnitte und technischen Formzeichnungen sind in Zeichenbüchern und Ordnern archiviert. Und für manchen Designer ist dieses Durchblättern durch die Jahrzehnte eine Inspiration.  Manchmal holt man eine Form hervor, die plötzlich wieder sehr aktuell ist. Diese Dinge sterben nie.“

Durch die Fenster des „Gedächtnisses“ fällt der Blick auf die große Ofenanlage und die Glasbläser darum herum. Auch ihre Vorgänger – wenn auch nicht in familiärer, so doch in handwerklicher Tradition – waren bereits vor 450 Jahren an diesem Ort mit der Herstellung von Glas beschäftigt.

Manufakturen-Blog: Poschinger fertigt auch historische Karaffen und Glasgegenstände nach (Foto: Martin Specht)

Poschinger fertigt auch historische Karaffen und Glasgegenstände nach

Fotos: Martin Specht

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