Einträge von Wigmar Bressel

Die Eisenhütte in Augustfehn

Augustfehn. Fahrt durch Ostfriesland nach Osten. Flaches Land. Ganz flaches Land. Grünland, ab und an ein Wäldchen. Kühe, Schafe, Pferde – das Reich von Carmen und Tamme Hanken, den berühmten Tier-Chiropraktikern, dem „Knochenbrecher“ aus Filsum. Sowie Ottifanten – und dessen Erfinders Otto Waalkes, dem Komiker aus Emden. Die Landschaft nennt man ‚Marsch‘. Gibt es eine Bodenerhebung – dann ist es gerne ein Deich. Kleine Straßenbrücken sehen aus, als wären sie von van Gogh gemalt, sie führen über die Entwässerungs- und Torfkanäle, mit deren Bau das lange unwirtliche Binnenland – norddeutsche Moorlandschaften eben – trockengelegt wurden. Dazu gehörte auch die Gründung vieler Ortschaften während des 30jährigen Krieges, der sogenannten „Fehndörfer“, die als Kolonien gedacht wurden, den Torfabbau zum Brennen und Düngen fördern und der Lebensmittelerzeugung dienen sollten. Und auch für Sonstiges. Eines dieser Dörfer im Osten dieser Landschaft – genaugenommen auf der östlichen Grenze dieser Region und als erstes schon von der Verwaltung im Landkreis Ammerland liegend – ist die Gemeinde Augustfehn, allerdings erst im Jahr 1850 gegründet und mit dem Namen des Oldenburger Großherzogs Paul Friedrich August ausgestattet. Herausragend steht in ihm ein schöner Wasserturm. Er gehört zu „Sonstiges“: zur ‚Eisenhütte Augustfehn‘, einer ehemals großen Manufaktur mitten im Torfland.

Das, was uns antreibt – Handlungsanleitung für den Eintritt in die Welt der Manufakteure

Bremen. Wenn man eine der Casting-Shows wie „The Voice of Germany“ sieht, dann stellt man fest, wie positiv vor allem Menschen unser Land sehen, die unter schwierigsten Umständen nach Deutschland eingewandert sind. Sie stehen da auf den Bühnen, glühen für ihre Musik und erzählen, was sie an unserem Land so toll finden: Frieden, Sicherheit, Zuversicht, Verlässlichkeit, Toleranz und Qualität.

Wir alle kennen diese uns und unserem Land zugeschriebenen Eigenschaften. Für uns klingen sie manchmal hohl, weil wir immer wieder vergessen, dass sie auch bei uns erkämpft werden mussten. Erkämpft von Menschen, die mit Leidenschaft für ihre Ansichten angetreten sind. Deutsche und Leidenschaft – na ja, auch eine funktionierende Verwaltung erzählt letzten Endes von einer Leidenschaft, die man nicht als albern herabwürdigen muss. Denn jedes System, das funktioniert, funktioniert nur, weil es von einem schwer greifbaren Kitt, einer in ihm wirkenden Anziehungskraft zusammengehalten wird, die nicht mit Arbeitsanweisungen und Pflichtgefühl allein zu erklären sind. Pflicht – ja, woher sollte sie denn wohl kommen? Pflicht resultiert immer aus tieferen Überzeugungen, die im Geheimen in uns Menschen wirken. Überzeugungen, die – solange sie nicht durch äußere Einflüsse verloren gehen oder sich in Negative wandeln – uns viel stärker antreiben, als wir im täglichen Arbeitsleben bemerken.

Kein Bling Bling – von der Sehnsucht nach der deutschen Manufaktur

Bremen. Letzten Endes ist der NSA-Abhör-Skandal doch zu etwas gut. Die Revolution blieb zwar aus – aber die Erschütterung über das Ausspähen der verbündeten deutschen Bundesregierung blieb. In jedem von uns ein bisschen. Der eine Großteil meiner Bekannten hat gesagt: Ich habe es schon immer gewusst. Der andere Großteil hat gesagt: Bei mir gibt es für die nichts zu holen. Getroffen hat es aber trotzdem jeden – ein Stück persönliche Sicherheit ist weg, wenn Sicherheitsprogramme uns weltweit heimlich hinterher spionieren. Man erinnert sich gerne und wehmütig an den angeblichen Trend „Cocooning“, das sich zu Hause Einspinnen, der vor zehn Jahren in Wohnwelten und Küchen eingetroffen war: Man lud wieder zu sich nach Hause ein, präsentierte sich ein Stück privater, als im Restaurant oder Club. Heute denken wir: Hätten wir das bloß noch ein bisschen öfter gemacht, statt uns so bei Facebook auszutoben. Und beim Blick auf das Smartphone wird uns klar, was dieses vom handgeschliffenen Kochmesser unterscheidet: Beide können etwas – das Smartphone super telefonieren und das Messer super schneiden; beide können auch etwas nicht – nämlich in den Geschirrspüler. Während das Smartphone nun aber heimlich weitermeldet, mit wem kommuniziert wurde, behält das Messer für sich, was es geschnitten hat…

Yenidze – von der Tabakwarenmanufaktur zum höchsten Biergarten Dresdens

Dresden. Manchmal bleiben Manufakturen Wahrzeichen über ihre eigene Endlichkeit hinaus. Dies gilt auch für die Dresdner Tabakwarenmanufaktur ‚Yenidze‘, die seit dem Jahr 1909 mit ihrem spektakulären Bau in Anlehnung an die Architektur der Grabmoschee eines reichen Ägypters namens Khair Bak in Kairo direkt an die westliche Innenstadt Dresdens anschließt. Im Zweiten Weltkrieg von den Bomben der Alliierten stark beschädigt, wurden die zerstörten Teile zu DDR-Zeiten wieder aufgebaut und in den 1990er Jahren grundsaniert; die ‚Yenidze‘ gilt heute als eines der markantesten historischen Bauwerke Dresdens neben Frauenkirche, Zwinger und Semper-Oper. Die Dachterrasse des zweietagigen Restaurants unter der markanten Glaskuppel, in der im Winterhalbjahr ein Theater arbeitet, wird als „Dresdens höchster Biergarten“ vermarktet.

Ambiente 2023 stellt für Manufakturen mehr Fragen, als sie Antworten gibt

Frankfurt am Main. Nach der ‚Ambiente‘ ist vor der ‚Ambiente‘ – die von der Messegesellschaft als „größte Konsumgütermesse der Welt“ bezeichnete Ausstellung über alle 12 Hallen des Messegeländes präsentierte sich über das vergangene Wochenende nach zwei Jahren Corona-Pause gemischt: Die Hallen waren neu verteilt – die berühmte 3.1 rund ums Kochen ist nun in der 8, die hochwertige Halle 4.1 war nun in die Halle 12.1 umgesiedelt – entsprechend groß war die Skepsis bei den Frankfurt-bereiten Ausstellern unter den Manufakturen. Da der Aussteller-Katalog nicht rechtzeitig zur Messe-Eröffnung fertiggestellt war, herrschte entsprechend großes Durcheinander und viele Aussteller wurden von Besuchern nicht gefunden und für „ist nicht da“ erklärt; das immer wieder abstürzende Kassensystem und überhaupt nur vier geöffnete Kassen für Eintrittskarten im Messeturm sorgten am ersten Messetag für lange Schlangen und Wartezeiten von mehr als einer halben Stunde am Eingang. Für eine so traditionsreiche Messegesellschaft irgendwie blamabel.

André Scheffler wird Geschäftsführer der Besteckmanufaktur von Koch & Bergfeld

Bremen. Geduld ist keine Tugend – aber sie ist wichtig, wenn man eine der interessanten Positionen in der deutschen Wirtschaft erreichen will. Oder wie würden Sie es bezeichnen, wenn es um ein mehr als 190 Jahre altes und unabhängiges Familienunternehmen geht? André Scheffler ist alt genug. Er ist 61. Jung und dynamisch im Kopf. Es macht Spaß, sich mit ihm zu unterhalten. Er hat anderthalb Jahre auf seine Einstellung gewartet. Er hat locker durchgehalten. Nun wird der langjährige Vertriebsleiter der Porzellanmanufaktur Fürstenberg neuer Geschäftsführer der Besteckmanufaktur von Koch & Bergfeld in Bremen. Es geht für ihn vom Porzellan ins Silber. Er verspricht uns allen: „Ich werde mein gesamtes Herzblut in die Weiterentwicklung dieses Unternehmens stecken.“ Gründungsjahr 1829 – aber jede Generation muss es erhalten und in die nächste weitertragen.

Zehnmal Weimar-Porzellan-PopArt jetzt im Projektraum ‚unverloren‘

Hamburg. Zum Ende des Jahres 2018 wurde Weimar-Porzellan, die Porzellanmanufaktur aus Blankenhain bei Weimar, nach 228 Jahre geschlossen, die 60 Mitarbeiter wegen Ratlosigkeit und zu wenigen Aufträgen entlassen. Die Fotoredakteurin Susanne Katzenberg aus Hamburg stieß ihm Rahmen einer Recherche zu Porzellan aus Thüringen auf das traurige Schicksal dieses deutschen Traditionsunternehmens. Sie erwarb die Rechte zur Produktion der Vase ‚Tini‘ aus der Insolvenzmasse und lässt sie von der Porzellanmanufaktur Reichenbach sehr erfolgreich wieder produzieren. Für diese – und anderes ostdeutsches Design – schuf sie im September 2022 den Projektraum ‚unverloren‘ in der Hospitalstraße 91 in Hamburg-Altona; seit dem 7. Januar 2023 werden dort auch zehn Grafiken auf Hahnemühle-Kunstdruckpapier zu Weimar-Porzellan von mir aus dem Manufakturen-Blog-PopArt-Projekt gezeigt und zu Preisen ab EUR 45,00 verkauft.

Höchster Porzellanmanufaktur wird staatlich – ein guter Weg zur Bewahrung deutschen Know-hows

Frankfurt am Main. Wie bewahren wir Europäer in Zeiten der Internationalisierung und Globalisierung unsere Identität? Und: Was ist überhaupt ‚europäische Kultur und Identität‘? Fragen, die vielleicht noch deutlicher herausgearbeitet und beantwortet werden müssen, für die wir vielleicht noch tragfähige Antworten entwickeln und an diese glauben müssen… Einfache Beispiele sind das Essen mit ‚Messer und Gabel‘ (die meisten Menschen auf dem Erdball essen mit den Fingern, die zweitmeisten mit Stäbchen). Deshalb ist es eine wirklich gute Nachricht, dass sich die hessische Landesregierung unter Führung der CDU besonnen und es gewagt hat, die zweitälteste deutsche Porzellanmanufaktur – die Höchster, seit 1746, am Frankfurter Stadtrand gelegen – zu übernehmen. Die Hochschule für Gestaltung Offenbach bekommt einen Lehrstuhl für Porzellan, ein Institut für Materialforschung – und die Porzellanmanufaktur wird dafür die Lehrwerkstatt.

Sie sollte den „guten Geschmack des deutschen Volkes“ fördern – des Kaisers Majolika-Manufaktur Cadinen

Lüneburg. Welch ein Projekt! Wenn der Kaiser höchstpersönlich „auf die Ausbildung guten Geschmacks im deutschen Volke einwirken“ wollte – dann war Großes, wenn nicht gar Kulturell-Revolutionäres, in Vorbereitung. Der vielschichtige, schillernde, ganz sicher exzentrische, bisweilen unverständliche Wilhelm der II. (1859 – 1941) hatte im ostpreußischen Cadinen bei Elbing mit Blick aufs Haff im Jahr 1898 ein verschuldetes historisches Gut aus Ritterordenszeit als Sommer-Option erworben; dort wurden Pferde gezüchtet – und Ziegel gebrannt, aus denen man den ganzen Ort (heute Kadyny, 500 Einwohner) am Erbauen war. Die feinen Waren aus der von seinem Vorfahren, dem berühmten Friedrich dem Großen, entwickelten Königlichen Porzellan-Manufaktur (KPM) in Berlin für die königlichen Schlösser und Besitzungen, waren teuer. Da kam die wiederaufkommende Begeisterung für Ton und Fayence gerade recht: Der Cadiner Ton war gut und hielt den angeordneten Beprobungen stand. So startete das Projekt ‚Künstlerische Volksbildung‘. Auf die Geschichte bin ich im sehr besuchenswerten Ostpreußischen Landesmuseum in Lüneburg gestoßen.

Dornburger Schlösser – dort begann die moderne Manufaktur-Keramik

Dornburg. Vor drei Jahren hörte ich in der ‚Klappholttal – Akademie am Meer‘ auf Sylt während eines Urlaubsaufenthalts den Vortrag des bedeutenden deutschen Architekturkritikers Dankwart Guratzsch (‚Die Welt‘) zu ‚100 Jahre Bauhaus‘. Guratzsch verblüffte die Gäste mit einem Eröffnungsbild: Dies zeigte keineswegs die berühmten Schuhkartons aus Dessau in Glas und Weiß – sondern ein den Meisten unbekanntes Gebäude; natürlich das des ersten ‚Bauhauses‘ aus Weimar, des von Henry van de Velde entworfenen und errichteten Ateliergebäudes (1904 – 1911) der ‚Großherzoglich-Sächsischen Kunstgewerbeschule Weimar‘, die durch ihre Fusion im Jahr 1919 mit Walter Gropius‘ ‚Großherzoglich-Sächsischen Kunstschule Weimar‘ sich zum ‚Bauhaus‘ wandelte: Kunstgewerbe und Kunst vereint. Eine Idee, die dreizehn Jahre hielt – dann wurde das Bauhaus – über Dessau nach Berlin immer weiterverzogen – von den Nationalsozialisten verboten.

Noch weniger ‚form follows function‘ (ein berühmter Spruch des 3. Bauhaus-Direktors Ludwig Mies van der Rohe im US-amerikanischen Exil), als die Gebäude in Weimar, bietet das liebliche Gebäude der ersten Keramikwerkstatt (1920 – 1925) des Bauhauses: der Marstall der Schlösser in Dornburg. In dieser Orgie aus Rosa und Cremegelb, durch Gärten mit den drei Schlössern verbunden – darunter genau gegenüber dem Eingang das Jagd- und Lustschloss – steckten die Wurzeln der späteren ‚Neuen Sachlichkeit‘ und die Basis unserer heutigen Keramik von KPM-Porzellan bis Hedwig Bollhagen, teilweise auch Meissen und Schwarzburger Werkstätten. Der erste Leiter der Keramikwerkstatt wurde der Berliner Gerhard Marcks (1889 – 1981); dieser ist heute vor 41 Jahren gestorben.