Frankfurter Allgemeine reiht „Manufaktur“ unter ihre Unworte des Jahres 2016
5. Februar 2016, Frankfurt am Main. Erst hüh, nun hott. Im Sommer des Jahres 2010 machte die Frankfurter Allgemeine Zeitung mit einer mehr als zwanzigteiligen Serie unter der Verantwortung der Redakteurin Julia Löhr über das Erstarken der Manufakturen auf sich aufmerksam („Deutsche Manufakturen“), berichtete sogar im ersten Teil von der Gründung des Verbandes Deutsche Manufakturen e. V. in Bremen. Jetzt die 180-Grad-Wende: Löhrs Kollegin Karin Truscheit schreibt am 2. Januar 2016, warum „Manufaktur“ nun in der FAZ zum Unwort erklärt wird: „Das Wort Manufaktur wird inflationär gebraucht.“
Auf 34 Zeilen regt sich die Autorin darüber auf, dass der Preis für das Eis aus der fälschlicherweise sich selbst „Eismanufaktur“ nennenden Eisdiele „um die Ecke“ aus ihrer Sicht „reine Willkür“ sei – Erdbeereis sogar 50 Cent teurer als Mango. Donnerwetter! Und das nur, weil Erdbeereis aus natürlichen Zutaten nunmal teurer herzustellen ist, als Mangoeis?
Harje Kaemena, Geschäftsführer des Bio-Eis-Pioniers „Snuten Lekker“ aus dem Bremer Blockland: „Bio-Erdbeeren kommen bei uns aus Deutschland. Die werden einzeln gepflückt. Das kostet. Mangos kommen auch als Bio-Ware schon püriert aus Billiglohn-Ländern. Das macht die Mango im Eis viel billiger, als die Erdbeere im Eis. Das führt zu Preisunterschieden.“
Und so könnte man die FAZ immer weiter widerlegen: bei den kritisierten Hemden-Manufakturen (da gibt es ja nun mal nur „Campe & Ohff“ aus Lauterbach und „Müller“ aus Hof), bei den angeblichen Pfeifen-Manufakturen (da gibt es nur eine, nämlich „Vauen“ aus Nürnberg) – diese tragen die Bezeichnung mit Fug und Recht.
Nee, da springt die FAZ verdammt kurz, ehrlichgesagt: enttäuschend zu kurz.
Die missbräuchliche Nutzung des Manufaktur-Begriffs durch Kunsthandwerker, Handwerker, Dienstleister und Hobby-Enthusiasten darf ja durchaus als Verbrauchertäuschung angeprangert werden. Aber auch nur dafür. Denn ansonsten beschreibt der Begriff ‚Manufaktur‘ eine Produktionsform – neutral und sinnvoll wie ‚Handwerk‘ oder ‚Industrie‘. Für die Einordnung bedarf es immer der Bildung und Recherche des Journalisten, der ja die Verantwortung dafür trägt, was er im Einzelfall so schreibt. Letzten Endes adeln Journalisten auch häufig den Handwerker fahrlässig zur Manufaktur.
Frau Truscheit ist mir ansonsten unbekannt, über ihren Rechercheaufwand für ihren kleinen Beitrag kann ich nichts sagen. Sagen kann ich aber: Ihr Text passt nicht zu ihrer Anklage, der Überschrift. Da ihre Beispiele diese nicht belegen und schon gar nicht stützen.
Als wäre die Zeitung ihr privater Blog, stützt sie die Unwort-Anklage leider vor allem nur mit ihrer ganz persönlichen Meinung und stützt darauf auch ihre ganz persönliche Hoffnung – original Truscheit: „Gut, im Sinne von ‚herausragend‘ sind auf jeden Fall immer die Preise in den Manufakturen. Und manchmal passt auch die Qualität zum Preis. Wenn das nicht so ist, kann man nur hoffen, dass sich die Geschichte wiederholt und die Manufaktur bald wieder von der Fabrik abgelöst wird.“
Wie gut, dass auch die FAZ von gestern so gut zum Fischeinwickeln ist – oder im Altpapier landet. Schade, FAZ – echt underperformt.
Foto: Wigmar Bressel
Ein nachdenklicher Artikel dazu auch in der aktuellen Ausgabe „Manufakturenstrasse OBJECTS No8″ von Pascal Johanssen, der, wie sie wissen, selbst das PR-Rad des Manufaktur-Populismus kräftig in Schwung – und ins Trudeln? – gebracht hat. Immerhin, fasst er sich nun an die eigene Nase:“ Waren wir nur gesichtslose Akteure, die auch auf der jüngeren Konsumismuswelle surften und dabei das moralische Genießen propagierten?“ fragt er sich.
Letztlich ist es der reine Opportunismus, der ihn und andere dazu bringt das Hohelied der Manufaktur und der Handmade-Kultur aus voller Kehle zu singen. Viele schöne Worte und sehr viele schöne Fotos – gerne auch und vor allem online – um zu suggerieren, dass sich demnächst bei den Manufakturen der Manufakturenstrasse ( http://deutsche-manufakturenstrasse.de/manufakturen/) knarrend das Werkstatt-Tor öffnet um den Blick auf die Werkbank frei zu geben. Da assoziiert man gleich den Geruch einer feurigen Esse oder feuchten Porzellans und frisch gehobelten Holzes! Es muss sich noch zeigen wie viele dieser Tore sich wirklich empfangsbereit öffnen wenn der neugierige Individualtourist mal kurz vorbei schauen möchte um die Sensation einer handgefertigten Luxusuhr oder eines Schreibgerätes im Entstehungsprozess zu bewundern.
Damit die „Manufaktur-Inhaber und Führungskräfte von mittelständigen Qualitätsproduzenten“ sich auch ganzheitlich auf diese und andere Anforderungen einstellen können gibt es demnächst sogar den „Zukunftskonvent Deutscher Manufakturen 2016“ . Die Teilnahme kostet schlappe 2500 Euro für das 2 Tage Seminar im Berliner Direktorenhaus. Erstklassige Experten (welcher seriöse Veranstalter kann es sich leisten diese noch 10 Tage vorher unbenannt zu lassen?) werden kreative, anwendungsorientierte Auseinandersetzung mit aktuellem Management-Wissen bieten.
Es wird sicher nicht darum gehen wie man sich die, von der handwerklichen Arbeit beschmutzten Hände gekonnt und glaubhaft an der Schürze abwischt bevor man seinen Kunden begrüßt. Vielmehr darum, wie man sich werblich, strategisch, geschäftstüchtig der Ideale des individuell Handgemachten, der handwerklichen Meisterschaft, bemächtigt um sie zur Optimierung des eigenen Image als Manufaktur zu nutzen. Und damit sind wir wieder bei der Kritik, die in der FAZ geäussert wird.
Welche Berechtigung diese hat, können die Geschäftsführer der Manufakturen der Manufakturenstrasse ( http://deutsche-manufakturenstrasse.de/manufakturen/) besser erkennen, wenn sie sich mit offenen Augen und bei klarem Verstand in ihren Unternehmen umschauen. Diese sind in der Regel Traditionsbetriebe, die heute ihr unternehmerisches, handwerksbasiertes Erbe nicht nur bewahren sondern beherzt und innovativ in die Zukunft tragen.
Hier wird wahrhaftig für die Zukunft gedacht und gehandelt: technisch, gestalterisch, unternehmerisch! Stolz sollten sie das in die Welt hinaus posaunen – werblich, strategisch, geschäftstüchtig – und nicht mit dem althergebrachten Manufaktur-Begriff und einem eher behaupteten als tatsächlichen Aktionismus verunklären, der ohnehin nur so weit reicht, wie der Zeitgeist trägt.
Liebe Frau von Gwinner,
vielen Dank für Ihre Überlegungen. Sie waren ja selbst bei uns auf dem 4. Manufakturendinner in Bremen, haben ja aus erster Hand erfahren können, dass sich derzeit Vieles formiert. Als Gesellschafter einer Manufaktur finde ich das sehr positiv.
Vor sieben Jahren gab es noch nicht den Verband Deutsche Manufaktuen e. V. und auch kein Zukunftsforum Deutsche Manufakturen (mittlerweile schon das Achte), vor drei Jahren noch kein Manufakturendinner (für Manufakturunternehmer) und keinen Wettbewerb zum „Manufaktur-Produkt des Jahres“ (mittlerweile den Dritten), vor vier Jahren noch keine Worldtour Handmade in Germany, vor zwei Jahren noch keinen Deutschen Manufakturenführer (Deutsche Standards Editionen), vor zwei Jahren noch keine Deutsche Manufakturenstraße. Vor einem Jahr noch keine ZEIT-Manufakturenreise (unter Leitung von Olaf Salié). Das sind alles wichtige Schritte, die der Branche helfen, zu üben, wie sie das eigene Unternehmen präsentieren können und wollen, sich mit dem Manufaktur-Begriff für sich selbst zu beschäftigen – Ihr eigener Blog hat schließlich auch dazu beigetragen.
Ja, wo viel Bewegung ist, da ist auch viel Staub in der Luft. Ich finde die Kritik von FAZ und ZEITMAGAZIN letztendlich auch gar nicht schlimm – das gehört zur Abgrenzung in der Begriffs-Nutzung dazu, zeigt auch wichtige Grenzen auf; die zweckentfremdende und verbrauchertäuschende Nutzung des Manufaktur-Begriffs ist noch lange nicht auf ihrem Höhepunkt, schätze ich.
Umso wichtiger ist die Diskussion um den Begriff. Da kann man nur jeden auffordern, sich daran zu beteiligen. Ich sehe jedenfalls das Wirken von Pascal Johanssen (und Katja Kleiss) als sehr positiv und hilfreich für die Manufakturen an, zumal unter Nutzung deren Zeitschrift „Objects“. Und bin wie Sie mal gespannt, wie gut die teilnehmenden Manufakturen an der Deutschen Manufakturenstraße sich öffnen für individualreisende Besucher. Wie es gehen kann, schauen wir uns im Rahmen des 8. Zukunftsforums Deutsche Manufakturen am 17. Juni in Wolfach (Schwarzwald) bei der privaten Dorotheenhütte an: 250 000 Besucher im Jahr, davon 15 000 Chinesen – das würden alle Manufakturen gerne nachmachen…
Beste Grüße
Wigmar Bressel
Vor 22 Jahren, als wir die RKM-Rheinsberger Keramik Manufaktur GmbH gründeten, um die 250-jährige Rheinsberger Keramiktradition weiter zu führen, hat Herr Carstens (Carstens Keramik Fredelsloh) über den Begriff Manufaktur gespottet. 15 Jahre später hat er seinen Betrieb auch mit dem Begriff Manufaktur vermarktet, worüber wir uns sehr geärgert haben. Diesbezüglich verstehe ich die Kritik an der inflationären Benutzung des Begriffes Manufaktur durchaus, obwohl dem Artikel die fachliche Grundlage fehlt.
Wenn man die eigentliche Definition zu Grunde legt: Fertigung mit der Technologie des Handwerks mit veränderten Organisationsstrukturen, also einer höheren Arbeitsteilung, dürften viele Fertigungsstätten den Namen Manufaktur nicht führen. Auch die bekannte Manufaktur Meißen führt dann die Manufaktur zu unrecht. Wir haben 1990 den Begriff der handwerklich orientierten industriellen Fertigung geprägt. Da das sachlich zwar richtig, für die Vermarktung aber viel zu kompliziert ist, sind wir bei der Manufaktur geblieben, obwohl es streng nach Definition nicht ganz richtig ist, trotzdem die bei uns eingesetzte Technologie 300 Jahre alt ist.
Vielleicht sollte man den Begriff der Manufaktur neu definieren, also weiter fassen. Aber so definieren, einschränken, dass nicht jeder die werbewirksame Manufaktur nutzen darf, aber die Fertigungsstätten, die klassische Technologien einsetzen und/oder einen hohen manuellen Fertigungsanteil haben.
Hans-Jürgen Naundorf
Keramik Manufaktur Dornbusch GmbH in 16831 Rheinsberg Friedrichszentrum 1
Gut geschrieben und so wahr, Herr Bressel. Enttäuschender Artikel der Kollegin.
ich kann die aussagen von hr bressel nur unterstreichen. denn die behauptungen in der FAZ scheinen von einer unwissenden geschrieben oder zumindest mit sehr unreflektierten vorurteilen behaftet.
und da frage ich mich, ob es wirklich verantwortungsvoll von einer zeitung ist, sich als multiplikator von vorurteilen zu betrachten. es gibt sicher zeitungen, die das so machen. bei der FAZ ist mir das neu.
eine konsequenz des lesers: den fisch mit der zeitung einwickeln.
eine möglichkeit der schreiberin: sich eine echte manufaktur und deren ideale (und die gibt es) mal aus der nähe ansehen.