Schlagwortarchiv für: Kunsthandwerk

Dornburger Schlösser – dort begann die moderne Manufaktur-Keramik

13. November 2022, Dornburg. Vor drei Jahren hörte ich in der ‚Klappholttal – Akademie am Meer‘ auf Sylt während eines Urlaubsaufenthalts den Vortrag des bedeutenden deutschen Architekturkritikers Dankwart Guratzsch (‚Die Welt‘) zu ‚100 Jahre Bauhaus‘. Guratzsch verblüffte die Gäste mit einem Eröffnungsbild: Dies zeigte keineswegs die berühmten Schuhkartons aus Dessau in Glas und Weiß – sondern ein den Meisten unbekanntes Gebäude; natürlich das des ersten ‚Bauhauses‘ aus Weimar, des von Henry van de Velde entworfenen und errichteten Ateliergebäudes (1904 – 1911) der ‚Großherzoglich-Sächsischen Kunstgewerbeschule Weimar‘, die durch ihre Fusion im Jahr 1919 mit Walter Gropius‘ ‚Großherzoglich-Sächsischen Kunstschule Weimar‘ sich zum ‚Bauhaus‘ wandelte: Kunstgewerbe und Kunst vereint. Eine Idee, die dreizehn Jahre hielt – dann wurde das Bauhaus – über Dessau nach Berlin immer weiterverzogen – von den Nationalsozialisten verboten.

Noch weniger ‚form follows function‘ (ein berühmter Spruch des 3. Bauhaus-Direktors Ludwig Mies van der Rohe im US-amerikanischen Exil), als die Gebäude in Weimar, bietet das liebliche Gebäude der ersten Keramikwerkstatt (1920 – 1925) des Bauhauses: der Marstall der Schlösser in Dornburg. In dieser Orgie aus Rosa und Cremegelb, durch Gärten mit den drei Schlössern verbunden – darunter genau gegenüber dem Eingang das Jagd- und Lustschloss – steckten die Wurzeln der späteren ‚Neuen Sachlichkeit‘ und die Basis unserer heutigen Keramik von KPM-Porzellan bis Hedwig Bollhagen, teilweise auch Meissen und Schwarzburger Werkstätten. Der erste Leiter der Keramikwerkstatt wurde der Berliner Gerhard Marcks (1889 – 1981); dieser ist heute vor 41 Jahren gestorben.

Marcks ist in der Manufakturen-Branche kein Unbekannter: Er lieferte Skulpturen-Entwürfe für die Porzellanmanufaktur Meissen, die Schwarzburger Werkstätten für Porzellankunst und die Steingutfabrik Vordamm. Seine „andersartigen“ Entwürfe – er selbst hatte keine keramische Ausbildung und verstand sich überhaupt als Bildhauer – reichten Gropius, um ihn für Dornburg anzuheuern. Marcks soll den Studierenden Gestaltung beibringen. Mit dem lokalansässigen Töpfermeister Max Krehan (1875 – 1925) wird Marcks ein versierter Techniker als ‚Werkmeister‘ zur Seite gestellt.

Die Keramikwerkstatt war für die Studierenden eine Herausforderung: Im Juli 1920 begannen sie mit dem Umbau des Marstalls in Eigenleistung – Pferdeboxen herausreißen, Wände einbauen, Technik mit Hilfe von zwei lokalen Handwerken installieren. Brennöfen einbauen, sechs Drehscheiben auf einem langen Balken – für den ‚Formmeister‘ Marcks ein eigenes Atelier und ein Wohnhaus in der heutigen Max-Krehan-Straße 2; für die Studierenden sind die bisherigen Gesindekammern über den Werkstätten, jedoch möbliert aus den Schlössern, schließlich war die Monarchie ja gerade untergegangen und der eben noch so großzügige und kunstbegeisterte Großherzog „weg vom Fenster“. Mangels eines eigenen Herdes wurde in einer der Schlossküchen mitgekocht. Die Fertigstellung und offizielle Eröffnung der Keramikwerkstatt wurde am 3. Oktober 1920 gefeiert.

Die Keramikwerkstatt sollte sich übrigens finanziell selbst tragen, ihre eigenen Kosten durch marktgängige Geschirre selbst einspielen… es wurde also beschlossen, sicherheitshalber zweigleisig zu fahren: neues marckssches Design hier – klassische Keramik dort… unter den enthusiastischen jungen Bauhäuslern wurden diese Arbeiten als „Bauerkeramik“ verspottet, was viel über das eigene revolutionäre Selbstverständnis und die Meinung über Marcks‘ Lehre aussagt, aber genauso von der Meinung zum Geschmack der größtenteils ländlichen Kunden erzählt, die von Werkmeister Krehan und seiner bisherigen Töpferei angelockt sind.

Nur 16 Studenten absolvieren in den fünf Jahren die Keramikwerkstatt – für die Manufakturen-Branche wird Marguerite Friedlaender (1896 – 1985) die wichtigste, denn sie wird später von der Königlichen Porzellan-Manufaktur (KPM) in Berlin  beauftragt und entwirft berühmtes Geschirr, das heute noch produziert wird. Friedlaender war Dekormalerin in einer Rudolstädter Porzellanmanufaktur – aber das genügte ihr nicht.

Manufakturen-Blog: Das erste Bauhaus - ab dem Jahr 1920 in Weimar (Foto: Wigmar Bressel)

Das erste Bauhaus – ab dem Jahr 1920 in Weimar

Manufakturen-Blog: Gerhard Marcks in seinem Atelier in Berlin-Nikolassee (zwischen 1939 und 1942 - Foto: Archiv der Gerhard-Marcks-Stiftung, Bremen

Gerhard Marcks in seinem Atelier in Berlin-Nikolassee (zwischen 1939 und 1942 – Foto: Archiv der Gerhard-Marcks-Stiftung, Bremen)

Manufakturen-Blog: Formenlager im Museum zur Keramik-Werkstatt (Foto: Wigmar Bressel)

Formenlager im Museum zur Keramik-Werkstatt

Manufakturen-Blog: Dort oben, hoch über der Saale und der Moderne des Bahnhofs trutzend, stehen die drei Schlösser in Reihe - die ersten fünf Jahre Heimstatt für die Bauhaus-Keramik. (Foto: Wigmar Bressel)

Dort oben, hoch über der Saale und der Moderne des Bahnhofs trutzend, stehen die drei Schlösser in Reihe – die ersten fünf Jahre Heimstatt für die Bauhaus-Keramik.

Manufakturen-Blog: Das Jagd- und Lustschloss der Weimarer Herzöge - direkt gegenüber des Eingangs zum Marstall und der Bauhaus-Keramikwerkstatt (Foto: Wigmar Bressel)

Das Jagd- und Lustschloss der Weimarer Herzöge – direkt gegenüber des Eingangs zum Marstall und der Bauhaus-Keramikwerkstatt

Manufakturen-Blog: Glasuren und Färbemittel, wie sie zur Werkstätten-Zeit existierten (Foto: Wigmar Bressel)

Glasuren und Färbemittel, wie sie zur Werkstätten-Zeit existierten

Nach der Gesellenprüfung in der Keramikwerkstatt im Jahr 1922 wechselte sie an die Kunstgewerbeschule Burg Giebichenstein in Halle an der Saale, legte dort als erste Frau in Deutschland die Prüfung zur Keramikmeisterin ab, übernahm im Jahr 1929 die Leitung der dort neu eingerichteten Porzellanwerkstatt. Die KPM aus Berlin beauftragte sie mit einem Kaffee-, Mokka- und Teeservice. Am Ende standen fünf Service mit insgesamt 59 Formen – das berühmteste wurde die sogenannte ‚Hallesche Form‘ und die Vasen unter dem Namen ‚Halle‘, die dekoriert von Trude Petri (1906 – 1998, studiert in Hamburg an der ‚Hochschule für bildende Kunst‘, seit 1929 bei der KPM in Berlin angestellt) bis heute erhältlich sind.

Im Jahr 1925 erfolgte die Vertreibung des Bauhauses aus Weimar – und mit ihr die der Keramikwerkstatt. Während Gropius mit seiner Hochschule nach Dessau ging, wechselten sowohl Marcks als auch Friedlaender nach Halle. Marcks wurde dort Professor und machte seinen Weg. Von ihm stammt zum Beispiel die Skulptur der berühmten ‚Bremer Stadtmusikanten‘ am UNESCO-Welterbe Bremer Rathaus, die heute jedes Jahr Millionen Menschen besuchen, darunter auch viele Japaner, die mit Grimms populären Märchen sozialisiert sind. Sein Gesamtwerk wird durch das Gerhard-Marcks-Haus in Bremen erforscht.

In Dornburg widmet sich inzwischen ein kleines Museum im Marstall der Keramik-Werkstatt; man sieht viele Original-Exponate sowie die Einrichtung aus der damaligen Zeit.

Manufakturen-Blog: Marguerite Friedlaender (2. v. r.) im Kreis der Kommilitonen in der Bauhaus-Keramik-Werkstatt in Dornburg (Ausschnitt eines Fotos des Archivs der Gerhard-Marcks-Stiftung, Bremen

Marguerite Friedlaender (2. v. r.) im Kreis der Kommilitonen in der Bauhaus-Keramik-Werkstatt in Dornburg (Ausschnitt eines Fotos des Archivs der Gerhard-Marcks-Stiftung, Bremen)

Manufakturen-Blog: Die kleine Skulptur der 'Bremer Stadtmusikanten' von Gerhard Marcks im Marcks-Haus, wie sie in Groß am Rathaus steht (Foto: Wigmar Bressel)

Die kleine Skulptur der ‚Bremer Stadtmusikanten‘ von Gerhard Marcks im Marcks-Haus, wie sie in Groß am Rathaus steht

Fotos: Wigmar Bressel, Archiv der Gerhard-Marcks-Stiftung (Bremen)

manufakturen-blog_logo

Der Manufakturen-Blog auf Istagram II – 1250 Abonnenten und ihre zehn beliebtesten Bilder

27. September 2022, Bremen. Seit sieben Jahren postet der Manufakturen-Blog auch auf Instagram – manchmal täglich, manchmal wöchentlich, manchmal mit Urlaubspause. Trotzdem sind die Abonnenten-Zahlen des ‚Kanals‘ @manufakturenblog kontinuierlich angestiegen: um 180 im Jahr. Inzwischen lassen sich 1250 Menschen Fotos aus dem Blog dort zeigen. Und – welche Themen-Fotos fanden diese in den sieben Jahren am Interessantesten, welche wurden mehr als hundertmal ‚gelikt‘? Hier die TOP 10 unserer ‚Follower‘ aus 471 Fotos:

Platz 1

Manufakturen-Blog: Claudia Schoemig in ihrem Showroom in der Werkstatt in der Raumerstraße 35 unter einer großen Leuchtreklame eines früheren Berliner Geschäfts (Foto: Wigmar Bressel

Claudia Schoemig von Schoemig Porzellan in ihrem Showroom in der Werkstatt in der Raumerstraße 35 unter einer großen Leuchtreklame eines früheren Berliner Geschäfts – die Geschichte aus dem Blog hier. Veröffentlicht am 2. Mai 2021.

Platz 2

Manufakturen-Blog: Frohstoff ist eine Siebdruckerei in Hamburg, die sich selbst 'Siebdruck- und Textilmanufaktur' nennt (obwohl sie die fertiggewebten Stoffe einkauft) - ich finde die von Hand im Einzeldruckverfahren gestalteten Geschirrtücher von den Motiven her schön und sie finden deshalb neben denen von echten Webereien (Manufaktur) Einsatz in meiner Küche. (Foto: Wigmar Bressel)

Frohstoff ist eine Siebdruckerei in Hamburg, die sich selbst ‚Siebdruck- und Textilmanufaktur‘ nennt (obwohl sie die fertiggewebten Stoffe einkauft) – ich finde die von Hand im Einzeldruckverfahren gestalteten Geschirrtücher von den Motiven her schön und sie finden deshalb neben denen von echten Webereien (Manufaktur) Einsatz in meiner Küche. Veröffentlicht am 9. Mai 2021.

Platz 3

Manufakturen-Blog: ...welch Lieblichkeit! Ein Lustschloss! Aber was macht es im Manufakturen-Blog? Na, dort im Marstall der Dornburger Schlösser mit Blick auf ebendieses Schlösschen begann im Jahr 1920 die Keramik-Werkstatt des Bauhauses ihre Arbeit; die berühmteste Studentin von Gerhard Marcks war Marguerite Friedländer, die später für die Königliche Porzellan-Manufaktur entwarf... (Foto: Wigmar Bressel)

…welch Lieblichkeit! Ein Lustschloss! Aber was macht es im Manufakturen-Blog? Na, dort im Marstall der Dornburger Schlösser mit Blick auf ebendieses Schlösschen begann im Jahr 1920 die Keramik-Werkstatt des Bauhauses ihre Arbeit; die berühmteste Studentin von Gerhard Marcks war Marguerite Friedländer, die später für die Königliche Porzellan-Manufaktur entwarf… Veröffentlicht am 24. April 2020.

Platz 4

Manufakturen-Blog: Schablonen für Löffel in der Besteckmanufaktur von Koch & Bergfeld in Bremen - so überprüft man, ob Rohlinge für Werkzeuge passen. (Foto: Wigmar Bressel)

Schablonen für Löffel in der Besteckmanufaktur von Koch & Bergfeld in Bremen – so überprüft man, ob Rohlinge für Werkzeuge passen. Veröffentlicht am 22. Dezember 2020.

Platz 5

Manufakturen-Blog: Solche Parfüm-Flakons machten den französischen Juwelier René Lalique berühmt - das Unternehmen im Elsaß hat heute ein tolles Werksmuseum in Wingen-sur-Moder, in dem eine Vielzahl von Glaspreziosen gezeigt werden. (Foto: Wigmar Bressel)

Solche Parfüm-Flakons machten den französischen Juwelier René Lalique berühmt – das Unternehmen im Elsaß hat heute ein tolles Werksmuseum in Wingen-sur-Moder, in dem eine Vielzahl von Glaspreziosen gezeigt werden. Der Beitrag zu meinem Besuch dort – hier. Veröffentlicht am 12. November 2020.

Platz 6

Manufakturen-Blog: Kaffeefilter aus KPM-Porzellan an der Wand als Deko - das bietet das KPM-Hotel & Residences im KPM-Quartier in der Berliner Wegelystraße - und auch im gesamten Haus natürlich das Manufaktur-Porzellan. (Foto: Wigmar Bressel)

Kaffeefilter aus KPM-Porzellan an der Wand als Deko – das bietet das KPM-Hotel & Residences im KPM-Quartier in der Berliner Wegelystraße – und auch im gesamten Haus natürlich das Manufaktur-Porzellan. Veröffentlicht am 29. April 2021.

Platz 7

Manufakturen-Blog: Die farbenfrohen Tassen der Bremer Keramikerin Tanja Möwis mit ihrem jeweils andersfarbigen "Sportstreifen"; Möwis leitete eine Keramik-Manufaktur, bevor sie sich selbständig machte. (Foto: Wigmar Bressel)

Meine farbenfrohen Tassen der Bremer Keramikerin Tanja Möwis mit ihrem jeweils andersfarbigen „Sportstreifen“; Möwis leitete eine Keramik-Manufaktur, bevor sie sich selbständig machte. Veröffentlicht am 13. März 2021.

Platz 8

Manufakturen-Blog: ...und da ist sie ja auch schon, die KPM, die Königliche Porzellan-Manufaktur in Berlin; im Jahr 1763 gegründet, drei Jahre danach in wirtschaftlichen Schwierigkeiten und von Friedrich dem Großen übernommen. Vor ungefähr 20 Jahren von Jörg Woltmann, einem Berliner Bankier, aus dem Eigentum des Bundeslandes Berlin erworben. (Foto: Wigmar Bressel)

…und da ist sie ja auch schon, die KPM, die Königliche Porzellan-Manufaktur in Berlin; im Jahr 1763 gegründet, drei Jahre danach in wirtschaftlichen Schwierigkeiten und von Friedrich dem Großen übernommen. Im Jahr 2006 von Jörg Woltmann, einem Berliner Bankier, aus dem Eigentum des Bundeslandes Berlin erworben. Veröffentlicht am 10. Februar 2021.

Platz 9

Manufakturen-Blog: Viele Kunsthandwerker wären gerne 'Manufaktur'; aber mit Schneidebrettern lässt sich in der Regel keine Manufaktur aufbauen und betreiben. Ich habe dieses Brett von 'Chiemgauer Schneidebretter' wegen seiner geometrischen Schönheit sofort gekauft - das Unternehmen hat sich trotz sehr vieler Insta-Follower inzwischen woandershin verlagert... (Foto: Wigmar Bressel)

Viele Kunsthandwerker wären gerne ‚Manufaktur‘; aber mit Schneidebrettern lässt sich in der Regel keine Manufaktur aufbauen und betreiben. Ich habe dieses Brett von ‚Chiemgauer Schneidebretter‘ wegen seiner geometrischen Schönheit sofort gekauft – das Unternehmen hat sich trotz sehr vieler Insta-Follower inzwischen woandershin verlagert… Veröffentlicht am 26. Februar 2021.

Platz 10

Manufakturen-Blog: Servierplatten aus der Porzellanmanufaktur Reichenbach, entworfen von Paola Navone; Familie Geithe von Reichenbach leistet ebenfalls erstklassige Arbeit sowie Insta-Arbeit für ihr Thüringer Unternehmen, das so manches Größere inzwischen überlebt hat. (Foto: Wigmar Bressel)

Servierplatten mit dem berühmten Perl-Rand aus der Porzellanmanufaktur Reichenbach, entworfen von Paola Navone; Familie Geithe von Reichenbach leistet erstklassige Arbeit sowie Insta-Arbeit (mehr als 4600 Abonnenten) für ihr Thüringer Unternehmen, das so manches Größere inzwischen überlebt hat. Veröffentlicht am 7. November 2021.

Fotos: Wigmar Bressel

manufakturen-blog_logo

Vom inneren Wert der Keramik

2. Juni 2022, Leipzig. Wer Porzellan sagt – muss eigentlich auch Keramik sagen. Denn viel früher als die Porzellan-Bewegung in Europa mit der Erfindung des ‚Weißen Goldes‘ durch Johann Friedrich Böttger im 18. Jahrhundert, schon Jahrtausende vor der Gründung der berühmten europäischen Porzellanmanufakturen, hatten Menschen mit dem Brennen von Ton begonnen: Mit der Sesshaftwerdung des Menschen weitete sich der Bedarf an Aufbewahrung aus – und so gelten Tonscherben als das Zeugnis für menschliche Siedlung schlechthin. Und wie steht es heute um die Keramik? Ein Blick auf Instagram zeigt: So manche Keramikerin und so mancher Keramiker hat viel mehr Follower, als die berühmten Porzellanmanufakturen. Aber bildet das auch die Wirklichkeit ab? Verdient man mit Keramik Geld? Geht handwerkliche Keramik – in Deutschland? Ich treffe mich mit der bekannten Keramikmeisterin Franziska M. Köllner in Leipzig.

„Porzellan ist überhaupt nicht mein Material – das ist mir zu hart und zu kalt“, sagt Köllner. Und wenn man ihr so zuhört, dann versteht man sehr gut, was sie meint. Vielleicht ist Keramik in unserer Vorstellung femininer, als Porzellan. Die Techniken der Verarbeitung sind in etwa gleich – jedoch haben beide Materialien ihre eigene Favorisierung: Während die konfigurierte Porzellanmasse (Porzellan ist kein Naturprodukt) meistens in Formen gegossen wird, wird Keramik aus dem in Tongruben abgebauten Naturprodukt entweder in Ringen ‚aufgebaut‘ oder mit der berühmten Drehscheibe gedreht und geformt. Techniken, die sich einfach anhören und beim Zuschauen auch tatsächlich so einfach erscheinen – aber im Detail liegt, wie bei Allem, die Kunst; und so unterscheidet sich die Enthusiastin im Volkshochschul-Kurs doch sehr von der Berufskeramikerin. Und die herrliche Albernheit von Leslie Nielsen und Priscilla Presley an der Töpferscheibe im Filmklamauk ‚Nackte Kanone‘ bringt unter den Fingern der Fachleute filigranes und hauchdünnes Geschirr hervor, das sich in Ausführung und Form kaum von Porzellan unterscheidet – und vom Laien auch nicht unterschieden werden können.

Franziska M. Köllner hat ihre Ausbildung in der Endzeit der DDR gemacht. Im Jahr 1968 geboren, verweigerte sie den Gang auf die Russisch-Oberschule, absolvierte, wie die meisten Schüler in der DDR, die 10. Klasse an der POS („Polytechnische Oberschule“) – und wollte – inspiriert durch ihre vielen Ferienaufenthalte im Künstlerkollektiv Schaddelmühle im Muldental bei Grimma – Keramikerin werden. Das gelang ihr sehr prominent: Sie wurde nach Kontaktanbahnung durch einen befreundeten Leipziger Galeristen im Jahr 1984 von Ulli Wittich-Großkurth in Jena aufgenommen; eine Frau, die man als eine der Ikonen der DDR-Keramik beschreiben könnte. Und so waren die Auftraggeber der Werkstatt und Meisterausbildung auch oft der Staatsrat und der FDGB, dessen Boss Harry Tisch (1927 – 1995) ein besonderer Fan der Keramik aus Jena war. Besondere Aufträge und große Vorbilder machen junge Auszubildende groß.

Trotz Wendewirren fand die Meisterausbildung in Jena statt und endet im Jahr 1992 glücklich mit dem Abschluss – jedoch mitten im Desinteresse der Bewohner der Post-DDR: „Es gab damals vor allen Dingen Begeisterung für neue Fernseher und alles Technische – aber nicht für einheimische Keramik.“ Und auf einmal fehlte die Hochschul-Reife doch und der Keramikmeisterin der Zugang zu einem universitären zweiten Anlauf.

Also der mühsame Weg über die Töpfer- und Keramikmärkte, über Praktika und freie Aufenthalte an Kunsthochschulen, die Besuche von Workshops im In- und Ausland auf der ganzen Welt.

Das elterliche Wohnhaus im Leipziger Westen bot Platz für die Werkstatt, die Garage wurde zur Galerie.

Manufakturen-Blog: Die Auszubildende Franziska M. Köllner Ende der 1980er Jahre in Jena bei der Arbeit. (Foto: Wigmar Bressel)

Lehrling Franziska Ende der 1980er Jahre in Jena – ein Foto neben einer Tasse aus ihrer heutigen Produktion.

Manufakturen-Blog: Der Küchenfußboden im Elternhaus - hier entstand Franziska M. Köllners Leidenschaft für Keramik. (Foto: Wigmar Bressel)

Der Küchenfußboden aus Schaddelmühlener Keramik im Elternhaus verstärkte die Begeisterung für Keramik.

Manufakturen-Blog: Blick in den bis oben gefüllten zehneckigen Brennofen bei Franziska M. Köllner (Foto: Wigmar Bressel)

Blick in den bis oben gefüllten zehneckigen Brennofen

Manufakturen-Blog: Mate-Kalebassen beim Trocknen (Foto: Wigmar Bressel)

Mate-Kalebassen beim Trocknen

Manufakturen-Blog: Im Atelier-Verkauf bei Franziska M. Köllner in Leipzig mit Keramik-Geschirr im 'Vietnam-Köllner'-Grün - im Hintergrund ein Foto, das ihre Tochter von ihr gemacht hat. (Foto: Wigmar Bressel)

Im Atelier-Verkauf mit Geschirr im typischen Köllner-Grün – im Hintergrund ein Foto, das ihre Tochter Nina Emilia von ihr gemacht hat.

Wie es bisweilen so ist mit Garagen – es kamen immer neue Ideen: Eine Galerie für Keramik und anderes Kunsthandwerk musste her – also wurde die ‚Schwarz Weiß Werkstatt Galerie‘ in der ehemaligen Baumwollspinnerei mitbegründet. Noch besser wäre gleich ein Kunstverein: der ‚terra rossa e. V.‘ wurde ins Leben gerufen. Warum muss man für Keramikmärkte so weit reisen? Köllner entwickelte die Idee für den Keramikmarkt am Museumskomplex Grassi. Wie kommt man in den Handel? Na, noch direkter sind doch Pop-up-Stores, die sich nach der Phase des Experimentierens einfach dauerhaft etablieren, wie der in der berühmten Mädler-Passage.

Da kam vor einigen Jahren dieser Vietnamese in die Schwarz Weiß Werkstatt Galerie. Unentschlossen dreinschauend, offensichtlich kritisch, etwas suchend, die Tassen drehend und wendend. Auf die Frage, wie sie helfen könne, antwortete er: „Ich suche Teeschalen für mein Restaurant in einer ganz bestimmten Form. Wie ich sie von früher aus Vietnam kenne.“

In Leipzigs Westen wurde die Drehscheibe angeworfen, entworfen, gedreht, versucht, verworfen. „Mir fehlte noch das Bild, was er genau wollte“, räumt Franziska M. Köllner achselzuckend ein. Irgendwann war es so, wie es der Kunde sich vorstellte. Weitere asiatische Auftraggeber erschienen. Folgeaufträge schlossen sich an – Blumenvasen entstanden im Raku-Brand, Schalen für die Pho-Suppe entworfen, Stäbchen-Behälter kreiert. Asien ließ die Leipzigerin nicht mehr los. Sie bereiste Vietnam und Thailand – auf der Suche nach mehr Verständnis für die andere Keramik-Kultur.

In verschiedenen Werkstätten erbat sich Köllner einen Zugang zum Arbeitsplatz, begann sich vor Ort in das Teetrinken modellierend und formend hineinzuarbeiten, gewöhnte sich an die Drehscheiben, die andersherum, als die deutschen, drehen – irgendwann stand das Bild auch in ihrem Kopf, wie Tee „perfekt“ getrunken werden könnte.

Wer Tee sagt, sagt vielleicht auch Mate-Tee. Das Naturprodukt aus Südamerika nimmt seit Jahren auch in Europa einen Aufschwung. Glück für Köllner, dass das aufstrebende Unternehmen Caámate – Spezialist für Tee und Zubehör – in Laufentfernung zur Werkstatt seinen Sitz hat. Und dass Mate-Tee aus speziellen Keramikgefäßen – sogenannten ‚Kalebassen‘ – getrunken wird.

Seitdem sind viele Tausend Mate-Tee-Kalebassen, Kännchen und Schalen aus der Leipziger Werkstatt in den Tee-Accessoire-Handel gegangen. Losgrößen von zweihundert und fünfhundert sind an der Tagesordnung, es könnte von ihr noch viel mehr produziert werden, sagt sie – qualifizierte und engagierte Mitarbeiter wären gefragt, sind jedoch Mangelware, wie überall.

Nach meinem Besuch denke ich: Um das Interesse an Keramik steht es doch besser, als ich zuvor dachte – aber sie steht unter denselben Problemen, wie alle anderen Handwerksprofessionen auch; theoretisch „goldener Boden“ – praktisch sind zu wenige Menschen bereit, die sorgfältige Arbeit zu machen. Die sich in die alte Tradition der Bandkeramiker stellen wollen, die schon vor 9000 Jahren in unseren Breiten töpferten und ihre Waren verzierten – sprich: in den Dienst unserer Kultur. Die verstehen, wie man Design unter den Gegebenheiten des Materials umsetzen kann. Die bereit sind, zu erlernen, wie man Ton und Keramik zum Sprechen bringt – sie eine Geschichte erzählen lässt, sie als Produkt das unterstützen lässt, was auf und in ihnen präsentiert wird. Umso wichtiger ist für uns Kunden zu lernen, den inneren Wert und Anspruch der seltenen Schönheiten zu erkennen und zu verstehen – dort, wo wir ihnen begegnen.

Fotos: Wigmar Bressel

manufakturen-blog_logo