Yenidze – von der Tabakwarenmanufaktur zum höchsten Biergarten Dresdens
8. Juli 2023, Dresden. Manchmal bleiben Manufakturen Wahrzeichen über ihre eigene Endlichkeit hinaus. Dies gilt auch für die Dresdner Tabakwarenmanufaktur ‚Yenidze‘, die seit dem Jahr 1909 mit ihrem spektakulären Bau in Anlehnung an die Architektur der Grabmoschee eines reichen Ägypters namens Khair Bak in Kairo direkt an die westliche Innenstadt Dresdens anschließt. Im Zweiten Weltkrieg von den Bomben der Alliierten stark beschädigt, wurden die zerstörten Teile zu DDR-Zeiten wieder aufgebaut und in den 1990er Jahren grundsaniert; die ‚Yenidze‘ gilt heute als eines der markantesten historischen Bauwerke Dresdens neben Frauenkirche, Zwinger und Semper-Oper. Die Dachterrasse des zweietagigen Restaurants unter der markanten Glaskuppel, in der im Winterhalbjahr ein Theater arbeitet, wird als „Dresdens höchster Biergarten“ vermarktet.
Tabakwaren waren prädestiniert für die Produktionsform der Manufaktur: Zunächst entstanden im 16. Jahrhundert die Glashersteller im Bayerischen Wald, dann im 17. Jahrhundert die Stoffhersteller mit ihrer konzentrierten Leinenproduktion in Schlesien, dann die Porzellanmanufakturen in Meißen, Fürstenberg und Berlin, schließlich eben auch die Tabakwaren-Branche, die sich handgedreht in immer größeren Firmen zusammenfand. Die ‚Orientalische Tabak- und Cigarettenfabrik Yenidze‘, gegründet im Jahr 1886 von einem Unternehmer namens Hugo Zietz, ist ein beeindruckendes Beispiel dafür: Zietz hatte Zugang gewonnen in die Tabakregion von Yenice (heute: Genisea in Griechenland) im Norden des Osmanischen Reichs, in der ein sehr interessanter und beliebter Tabak angebaut wurde. Zwischen dem Deutschen Kaiserreich und dem Reich des Kalifen bestanden vielfältige Handelsbeziehungen und so benannte Zietz seine Firma nach der Region.
Weil die Geschäfte sehr gut liefen, kaufte Zietz im Jahr 1907 ein scheinbar wenig attraktives Grundstück zwischen der Bahnlinie Berlin-Prag und befahrenen Straßen in der westlich an die pompös-barocke Innenstadt anschließende Friedrichstadt (benannt nach Friedrich August II. – Sohn von August dem Starken) im ehemaligen Ostra-Vorwerk (zur Versorgung des Fürsten- und Königshofes) gelegen. Für dieses gab er bei Architekt Martin Hammitzsch ein pikantes Industriebauwerk in Auftrag – eine Produktion, die auf keinen Fall aussehen durfte, wie eine Produktion; denn solche Gewerbebauten waren damals rund um die Innenstadt verboten – sie sollten die Stadtsilhouette aus Elbpromenade und königlichen Prunkbauten auf keinen Fall beeinträchtigen. Aber was war mit religiösen Gebäudetypen? Hammitzsch entwarf die bekannte Manufaktur als Moschee – gleichzeitig großes Marketing für schein-orientalische handgedrehte Zigaretten aus Dresden. Der Schornstein sah aus wie ein Minarett, die große Glaskuppel verbarg Sozialräume für die Mitarbeiter. In den ersten beiden Obergeschossen wurden die wertvollen handgedrehten Zigaretten und Zigarillos gefertigt, darüber einfachere Maschinenware. An die Fassade ließ Zietz eine große Begrüßung aller Bahnvorbeireisenden hängen: „Salem aleikum“.
Die Aufregung und Empörung war in Dresden groß – was hatte die örtliche Baubehörde dort bloß genehmigt? Hammitzsch wurde auf Forderung aus Sachsen aus der Reichsarchitektenkammer ausgeschlossen – aber das Yenidze-Projekt machte ihn berühmt.
Allmählich legte sich die Aufregung, Postkarten mit dem markanten Bauwerk erschienen und gingen in alle Welt. Der Hamburger Reemtsma-Zigarettenkonzern wurde auf Zietz aufmerksam und erwarb 38 Jahre nach Zietz‘ Gründung das Unternehmen samt ‚Tabakmoschee‘.
Im Jahr 1953 erfolgte die Enteignung und Umfirmierung hin zum Volkseigenen Betrieb ‚Importtabak‘ und dann zum VEB ‚Tabakkontor‘, der mit den in der Yenidze zwischengelagerten Tabaken alle Zigarettenfabriken der DDR belieferte, die daraus die Marken-Zigaretten ‚Cabinet‘, ‚F6‘ und ‚Karo‘ herstellten.
Ab 1990 übernahm die Treuhand, verkaufte das Gebäude zügig an einen Immobilienentwickler, der den Komplex mit mehr als 9000 Quadratmetern Fläche zu Büros, dem Restaurant, dem Theater und einer Diskothek umbaute. Heute gehört das Gebäude einem israelischen Geschäftsmann, der es konzeptionell genau so weiterbetreibt.
Was bleibt? Das spektakuläre Gebäude gehört zu den meistfotografierten in Dresden, da es fußläufig am Rande des Stadtzentrums direkt an Landtag und Elbe liegt – und es ist wirklich kaum zu übersehen. Von der deutschen Tabakwaren-Produktion ist nur noch wenig übrig. Ach ja, weil: „Rauchen schadet Ihrer Gesundheit“, stimmt.
Fotos: Wigmar Bressel