Ambiente 2023 stellt für Manufakturen mehr Fragen, als sie Antworten gibt
8. Februar 2023, Frankfurt am Main. Nach der ‚Ambiente‘ ist vor der ‚Ambiente‘ – die von der Messegesellschaft als „größte Konsumgütermesse der Welt“ bezeichnete Ausstellung über alle 12 Hallen des Messegeländes präsentierte sich über das vergangene Wochenende nach zwei Jahren Corona-Pause gemischt: Die Hallen waren neu verteilt – die berühmte 3.1 rund ums Kochen ist nun in der 8, die hochwertige Halle 4.1 war nun in die Halle 12.1 umgesiedelt – entsprechend groß war die Skepsis bei den Frankfurt-bereiten Ausstellern unter den Manufakturen. Da der Aussteller-Katalog nicht rechtzeitig zur Messe-Eröffnung fertiggestellt war, herrschte entsprechend großes Durcheinander und viele Aussteller wurden von Besuchern nicht gefunden und für „ist nicht da“ erklärt; das immer wieder abstürzende Kassensystem und überhaupt nur vier geöffnete Kassen für Eintrittskarten im Messeturm sorgten am ersten Messetag für lange Schlangen und Wartezeiten von mehr als einer halben Stunde am Eingang. Für eine so traditionsreiche Messegesellschaft irgendwie blamabel.
Die Porzellanmanufaktur Dibbern – die letzte verbliebene große deutsche Porzellanmanufaktur auf der Ambiente – steht jetzt zwar nicht mehr linksversetzt zum Haupteingang der Halle 4.1, sondern direkt und gleichwertig neben dem Silberwarenhersteller Robbe & Berking aus Flensburg in der 12.1 frontal zu Eingang – jedoch zum rückwärtigen. „Wir sind mit dem Standplatz sehr zufrieden“, sagte Jan Dibbern am ersten Messetag.
Dibbern wurde von Bernd T. Dibbern im Jahr 1972 gegründet. Eigentlich hatte er Architekt werden wollen, hat er mir einmal erzählt – seine Eltern wollten das nicht. Er wurde Kaufmann, interessierte sich für skandinavisches Design, arbeitete für Georg Jensen in New York, erhielt die Greencard – kehrte jedoch aufgrund seiner Einberufung zum US-Militär zur Zeit des Vietnam-Krieges nach Deutschland zurück. Dort machte er sich selbständig, vertrat Itala sehr erfolgreich auf dem deutschen Markt. Als ihm der Vertrag gekündigt wurde, begann er sein eigenes Porzellan zu entwerfen: ‚Solid Color‘ entstand, wurde und wird dem Unternehmen von Schönwald produziert – knackige Farben, frei kombinierbar, seit dem Jahr 1982 erfolgreich bis heute im Handel. Für die Produktion bei Hutschenreuther, dem ältesten deutschen privaten Porzellanhersteller (seit 1814) entwickelte er seinen ganz großen Wurf – ein geradliniges Geschirr aus Fine Bone China; doch Hutschenreuther machte genau zum Produktionsbeginn im Jahr 1996 zu. Wie reagierte Dibbern? Er kaufte im Jahr 1997 mutig das stillgelegte Werk, rekrutierte rund 130 ehemalige Hutschenreuther-Mitarbeiter für Hohenberg an der Eger. Diesmal unter Dibbern. Der Rest ist Geschichte: Beim deutschen Bundeskanzler tafelt man inzwischen mit seinem Geschirr, in Hotels überall auf der Welt, auf bedeutenden Kreuzfahrtschiffen. Dibbern bekam als Retter der Porzellanfertigung im Nirgendwo von Hohenberg das Bundesverdienstkreuz. Das Unternehmen macht heute rund 20 Millionen Euro Umsatz und wird von seinen Söhnen Jan und Ben geführt – Manufaktur ist es allemal. Im März des Jahres 2022 ist Bernd T. Dibbern im Alter von 80 Jahren gestorben. Es war die erste ‚Ambiente‘ nach ihm.
Die große Frage in allen produzierenden Branchen ist natürlich auch: Welche Veränderung, welche Chancen bringt der 3-D-Druck, der seit etwa 15 Jahren in der Entwicklung ist? Das Studio ‚Migration of matter‚ aus Berlin zeigte es auf der Messe anhand von Blumenvasen: Die Schichten wurden wie bei einer Aufbaukeramik in etwa fünf Millimeter starken Strängen aufmontiert. Der Energieverbrauch ist nicht das Problem – jedoch die Zeit, die das Ganze benötigt.
Der Vorteil: Man muss nicht töpfern können, um die Vase herzustellen – dafür jedoch computeraffin sein und sich für Auto-CAD interessieren. Gebrannt wird klassisch. Mit vergleichbaren Preisen um die 120 Euro für die Endkunden ist 3-D also keine Gefahr für die Porzellanmanufakturen und schon garnicht für die Industrie mit ihrer Ausbeuter-Keramik aus dem sogenannten ‚Globalen Süden‘ oder Asien; eher eine Ergänzung. Die Entwürfe dieses Studios zeigen ihre Drucker-Herkunft ganz deutlich – es erinnert einstweilen an Termiten-Hügel und passt zum beliebten Ethno-Look.
In der neuen ‚Kochen‘-Halle 8 fand man die baden-württembergische Kupfermanufaktur Weyersberg. Marc Weyersberg ächzst mit seinem Acht-Mitarbeiter-Unternehmen unter den Messekosten, insbesondere der Messebau hat sich preislich verdoppelt: „Das darf nicht so weitergehen, das können wir sonst nicht mehr stemmen.“ Die Kupfermanufaktur hat gemeinsam mit der Messerschmiede Güde aus Solingen (Weyersberg ist selbst Solinger) eine Messerserie mit Kupfergriffen entwickelt. Sieht wunderbar aus, ist antibakteriell. Haken an der Sache: Das kleine Unternehmen kann die Nachfrage wieder einmal nicht befriedigen. Und: Güde – dorthin hätte man ungeduldige Händler ja verweisen können – passte die neue Halle und ihr Standplatz nicht, war erst gar nicht vertreten.
Dagegen erste Zufriedenheit am Stand der Solinger Messermanufaktur Gehring, die mit eigenem Standbau reist: Zu Ehren des Firmengründers Hugo Gehring wurde von den Söhnen Volker und Hartmut (seit dem Jahr 2007 Geschäftsführer) eine Messerserie ‚Hugo – H1‘ mit geschwungenem schwarzen Holzgriff entworfen, prompt vom ‚Rat für Formgebung‘ für sein chices Design mit dem ‚German Design Award Special 2023‘ ausgezeichnet.
Aber auch in der ehemaligen ‚Kochen‘-Halle 3.1 gab es ‚Manufaktur‘ zu entdecken: Die Textildruckerei Frohstoff (gegründet im Jahr 2002, inzwischen zwölf Mitarbeiter) aus Hamburg mit ihren poppigen Geschirrtüchern, Kissen und Bettwäschen stand jetzt ungefähr dort, wo immer Güde gestanden hatte. Frohstoff-Mitinhaber Jörg Vogt ließ am Messestand Einkaufsbeutel mit einer kleinen Handsiebdruck-Anlage vor aller Augen show-bedrucken – wer solchen Aufwand betreibt, hat die Aufmerksamkeit der Messebesucher.
Fotos & Video: Wigmar Bressel