Zum 275. Geburtstag der Porzellanmanufaktur Fürstenberg
30. August 2022, Fürstenberg/Weser. Die älteste norddeutsche Manufaktur feiert in diesem Jahr ihren 275. Geburtstag: die Porzellanmanufaktur Fürstenberg in Fürstenberg oberhalb der Weser bei Höxter. Einst im Jahr 1747 auf Betreiben von Karl dem Ersten, Herzog von Braunschweig-Wolfenbüttel, gegründet, um das Fürstentum zu modernisieren, ist die Manufaktur heute sowohl ein staatlich-niedersächsisches Kulturgut, als auch ein Name und eine feste Marke auf der ganzen Welt für herausragendes deutsches Manufaktur-Porzellan. Zu Besuch am Tag der offenen Tür.
Als weißer Solitär steht die Manufaktur-Anlage oben am Berghang: Über der Weser thronend das urige Schloss im Stil der Weserrenaissance, dazugehörend die später gebaute und immer erweiterte Manufaktur mit ihren schlichten Gewerbebauten, Schornsteinen, Shed-Dächern; dann das Dorf Fürstenberg, das erst über hunderte von Jahren den Support für das Jagdschloss der Braunschweiger Herzöge stellte, nahtlos anschließend von Heerscharen von Drehern, Formenbauern, Porzellanmalern, Bossierern, Vergoldern, Brennmeistern und Hüttenknechten bewohnt wurde – den Manufakturmitarbeitern, in der Spitze um die 500, heute um die Einhundert, verstreut und pendelnd bis zu einer Stunde je Fahrt. Fürstenberg bot zwei entscheidende Vorteile: der große Wald des Sollings als Brennmaterial – und der Porzellanbestandteil Kaolin im Abbau im benachbarten Neuhaus.
Karl der Erste war der große Modernisierer in seinem Teil des heutigen Niedersachsen: Er etablierte eine öffentliche Brandkasse (aus der die heutige ÖVB-Versicherung hervorging), gründete als ‚Collegium Carolinum‘ die spätere Technische Universität Braunschweig, beschäftigte Gotthold Ephraim Lessing als Hofbibliothekar, sanierte die Saline Schöningen – und gründete die Bank, die die Basis für die heutige NORD/LB bildete. Und eben Fürstenberg – unabhängig werden vom Import des begehrten „weißen Goldes“ aus Sachsen (Meissen), Berlin (KPM) und Übersee. Nach jahrelangen Selbstversuchen wurde entnervt ein Mitarbeiter der Höchster Porzellanmanufaktur abgeworben…
Zwei Weltkriege und der Absturz der deutschen Adelshäuser in die politische Bedeutungslosigkeit in der Geschichte der Bundesrepublik ließen vergessen, dass Braunschweig einmal zu den europäischen ‚Big Playern‘ gehörte: Karls Vorfahren gründeten Bayerns heutige Hauptstadt München und waren mit der Schwester des englischen Königs Richard Löwenherz verheiratet, Karls Sohn Karl Wilhelm Ferdinand versuchte die Französische Revolution zu stoppen, drohte den Aufständischen in Paris mit „Artillerie-Bombardement“ (das ging gründlich schief – schlage nach unter: „Guillotine“), wurde Anführer der Alliierten europäischen Truppen gegen Napoleon (und im Jahr 1806 auf dem Schlachtfeld von Auerstedt tödlich verwundet),
eine weitere Nachfahrin wurde Königin von Griechenland und Mutter der spanischen Königin Sophia… Wenn man heute über das Bild von Niedersachsen nachdenkt, dann denkt man an Land- und Viehwirtschaft, vielleicht noch Kalibergbau – und Landschaft vom Harz über die Lüneburger Heide bis zur Nordsee; ‚Braunschweig‘ spielt trotz seiner Vergangenheit im Bewusstsein heute kaum eine Rolle.
Im Jahr 2017 wurde in den südwestlichen Vorposten des Landes von der Landesregierung kräftig investiert: Fünf Millionen Euro flossen in die Sanierung des Schlosses und des Museums. Der Betrieb ist sowieso auf dem technisch aktuellen Stand: Am Herdwagenofen werden die Gestelle mit den zu brennenden Halbfertigteilen teilautomatisch in den Brennraum gehoben, in Abkühlräumen können die „Scherben“ genannten Stücke individuell über bis zu sechs Wochen ihre Hitze abgeben, übersichtlich und klar ist jeder Arbeitsschritt (modellieren, verputzen, Glühbrand bei 980 Grad Celsius, lackieren oder bemalen oder dekorieren, abermaliges Brennen bei 1400 Grad Celsius).
Interessante Designer halfen, das Image aus der Zeit des Rokoko-Porzellans herumzureißen: Wilhelm Wagenfeld, Sieger-Design, EOOS, Alfredo Häberli, zuletzt Foster plus Partner. Und mit Sieger begann der Siegeszug der innenvergoldeten Champagner-Porzellanbecher, Solitäre, die unabhängig vom eigenen Geschirr zuhause, gesammelt werden – darauf Motive von Superhelden bis zum T-Rex. Die Sammeltasse von heute.
Trotzdem – auch Fürstenberg hat seinen täglichen Kampf zu kämpfen. „Fürstenberg? Liegt in der Mitte des größten deutschen Autobahnrings! In jede Richtung 60 Kilometer…“, witzelte Stephanie Saalfeld, die langjährige damalige Geschäftsführerin der Porzellanmanufaktur Fürstenberg, gerne. Und Dr. Christian Lechelt, seit dem Jahr 2016 Direktor des dazugehörigen Firmenmuseums im Schloss, antwortete am Sonntag auf die Frage „Wie geht’s?“ mit: „Das Weser-Bergland ist vielen Menschen unbekannt, das erlebe ich auf den Tourismus-Messen – da müssen wir alle hier uns noch kräftig anstrengen.“ Er meint damit die Schlösser und Sehenswürdigkeiten, die sich entlang des niedersächsisch-nordrheinwestfälisch-bremischen Grenzflusses aneinanderreihen; der dazugehörige Weser-Radwanderweg wurde zwar mehrfach zum Schönsten in Deutschland gewählt – aber die Infrastruktur ist mäßig: zu wenig Betten, schlichteste Gastronomie, kaum ergänzender Öffentlicher Nahverkehr. Lechelt sagt: „Das dreht sich im Kreis: Wegen fehlender Betten und Touristen zu wenig Gastro; wegen fehlender Gastro zu wenig Touristen. Wer baut dann für Betten? Wer macht den ersten Schritt?“ Bezeichnenderweise ist auch das schlosseigene Bistro ‚Carl‘ ohne Pächter.
Vor dem Fall des Eisernen Vorhangs hatte Fürstenberg 100 000 Besucher im Jahr – heute freute man sich über ein Drittel. Immerhin: Allein am Sonntag kamen trotz gesperrter Weserbrücke von und nach Höxter 3100 Gäste, also zehn Prozent eines guten Besucherjahres aufeinmal. War es Verbundenheit, Ausflug, Unterhaltung? Fast egal, für handgefertigtes deutsches Porzellan gilt: im Bewusstsein der Gesellschaft bleiben.
Fotos: Wigmar Bressel, Martin Specht (1)