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Die Leinenweberei Seegers & Sohn – vom Aufbruch in die Zukunft

1. November 2022, Steinhude. Eigentlich sollten Manufakturen ‚resilient‘ gegen globale Krisen sein: Sie produzieren vom Rohstoff bis zum fertigen Produkt, beliefern genauso Händler wie Endverbraucher vorrangig auf regionalen und nationalen Märkten, reparieren die Produkte, die nach Jahren defekt oder beschädigt zurück ins Werk kommen, können meistens noch Ur-Formen aus ihrer Gründungszeit nachfertigen. Sie produzieren ethisch unter Einbeziehung ihrer lokalen Anwohner, den Auflagen der Gewerbeaufsicht und zahlen ortsübliche, dem jeweiligen Landes- oder EU-Recht unterliegende Gehälter. Klar, sie sind nicht gegen Energiepreis-Entwicklungen durch Kriege wie in der Ukraine gefeit und müssen sich auch den Notwendigkeiten steigender Umwelt- und Gesundheitsschutz-Auflagen stellen… Gerade bedrücken die schlechten Nachrichten aus der sächsischen Leinenweberei Hoffmann in Neukirch/Lausitz – da flattert über Instagram die Einladung zu den ‚Tagen der offenen Tür‘ bei Hoffmanns Mitbewerber, der Leinenweberei Seegers & Sohn aus Steinhude am gleichnamigen „Meer“, aufs Smartphone. Eine willkommene Einladung, nachzuschauen, was die älteste deutsche Leinenweberei (gegründet im Jahr 1765) anders macht…

Also Sonntagsausfahrt ans Steinhuder Meer: Die Bleichenstraße herunter, leuchtet schon der riesige Schriftzug ‚Leinenfabrik‘ den Besuchern entgegen. Vor einer abgewaschenen und neuverputzten Spät-Gründerzeit-Industriefassade aus dem Jahr 1912 erwarten uns 50 Außengastronomie-Sitzplätze – rappelvoll, passend zu den 100 Fahrrädern und weiteren 50 Autos, die auf dem Firmenparkplatz stehen. Das Unternehmen gönnt sich einen eigenen Museumsteil (so erreicht man die Sonntagsöffnung und die Touristen: „Frühstück ab 10 Uhr“), in dem auch ein Teil des Cafés untergebracht ist. Dabei ist Seegers kein Museum – sondern ein Produktionsbetrieb, der seine Nische im Markt perfekt bedient: 140 Meter Leinen, Halbleinen und Baumwolle für Handtücher, Bettwäsche, Tischdecken, Servietten, Brotbeutel und und und werden jeden Werktag gewebt. Die Kunden: Berühmte Hotels, die Deutschen Botschaften, das Kanzleramt – aber vor allem unendlich viele Menschen, die mit Tischkultur leben, die auf die halbfesten und durch den Leinenanteil besonders saugstarken Geschirrhandtücher stehen, mit denen sich Gläser so hervorragend polieren lassen… weg ist der Kalkrand aus der Geschirrspülmaschine!

Dann der Werksrundgang durch die Heiligtümer: der Maschinensaal mit den 16 Jacquard-Webstühlen, das Lochkarten-Archiv mit den mehr als 5000 Papier-Lochkarten, über deren Abtastung sich die Webstühle das Muster für den zu webenden Stoff ziehen, die Garnrollen mit ihren bis zu 30 Kilometer langen Fäden, die Näherei mit ihren acht Arbeitsplätzen, Stofflager, Garnlager. Uns führt der 34jährige Weber Sascha Pleger, der seit elf Jahren im Unternehmen arbeitet und heute die Produktion verantwortet. Geduldig erklärt er, wie ein Webstuhl arbeitet, funktioniert, „tickt“. Er erzählt vom tagelangen Umspannen, wenn auf dem Webstuhl ein anderes Muster gewebt werden soll, denn die Stühle verfügen über 3600 bis 9000 Kettfäden – das sind die Längsfäden, durch die der Schussfaden (das ist der mit der Farbe) hindurchgeschossen wird und durch dessen Steuerung (auf und ab) über die Lochkarte das Muster entsteht; jeder Einzelne muss durch den Stuhl gezogen und verknotet werden. Geduld ist gefragt – und man darf nicht durcheinanderkommen… Sind die Webstühle nicht schon zu alt für eine moderne Fertigung? Pleger stellt die Gegenfrage: „Kann ich einen modernen, computergesteuerten Hochleistungswebstuhl selbst reparieren? Diese mechanischen Webstühle kann ich auseinanderbauen und jedes einzelne Bauteil ersetzen – bei den neuen Maschinen muss ich immer auf den Mechaniker warten.“ Und häufig wird es dann ein Programmierer sein, der an die Software heran muss…

Manufakturen-Blog: Im Websaal der Leinenfabrik Seegers & Sohn in Steinhude mit ihren Jacquard-Webstühlen (Foto: Wigmar Bressel)

Im Websaal der Leinenweberei Seegers & Sohn in Steinhude mit ihren Jacquard-Webstühlen

Manufakturen-Blog: Anstehen im rustikalen werkseigenen Café - früher war das ein Teil der Bleichhalle (Foto: Wigmar Bressel)

Anstehen im rustikalen werkseigenen Café – früher war das ein Teil der Bleichhalle

Manufakturen-Blog: ...der Schriftzug 'Leinenfabrik' ist schon von Weitem zu sehen (Foto: Wigmar Bressel)

Seegers‘ Schriftzug ‚Leinenfabrik‘ ist schon von Weitem zu sehen

Manufakturen-Blog: Die Parkplätze rund um den Betrieb sind voll mit Fahrrädern und Autos (Foto: Wigmar Bressel)

Die Parkplätze rund um den Betrieb sind voll mit Fahrrädern und Autos

Manufakturen-Blog: Beim Weben - der Webstuhl fertigt das Muster 'Gregor' (Foto: Wigmar Bressel)

Beim Weben – der Webstuhl fertigt gerade das Muster ‚Gregor‘

Manufakturen-Blog: Im Werksverkauf liegen Tischläufer neben Handtücher, Decken, Bettbezügen, Servietten... (Foto: Wigmar Bressel)

Im Werksverkauf liegen Tischläufer neben Handtüchern, Decken, Bettbezügen, Servietten…

Gehörschutz ist in der Produktion Pflicht. Pleger warnt vor – und schaltet einen Webstuhl ein. Dieser rattert sofort los, erzeugt 108 Dezibel. Für einen Moment geht das. Man sieht zu, wie langsam ein klassisches Muster für Geschirrtücher entsteht und sich auf eine Rolle wickelt. Kleine Reiter aus Blech bewegen sich auf und ab – für jeden Kettfaden einer. Reißt ein Faden, dann merken das auch diese Webstühle schon, und bleiben sofort stehen – denn das war eines der ersten Probleme, die gelöst werden mussten. Das Muster darf keine Unregelmäßigkeiten haben.

Nach dem Zweiten Weltkrieg gab es noch sieben Leinenwebereien in Steinhude, das bereits im Jahr 1728 das Weber-Zunftrecht verliehen bekam. Das Steinhuder Meer bedeutete gute Wasserversorgung – eine Grundvoraussetzung für den Anbau von Flachs, der vor der Baumwolle das europäische Textil war. „Mein Großvater hat sich in den 1950er Jahren gegen die damals sehr populäre Verarbeitung von Polyester und anderen Kunstfasern entschieden“, erzählt Adrian Seegers, heute geschäftsführender Gesellschafter in neunter Generation, auf der Rückseite der Speisekarte des hauseigenen Cafés; sein Vorfahr, der Weber Johann Dietrich Jacob Seegers, hatte das Unternehmen damals als ‚Leinen- und Tischzeugweberei Seegers‘ gegründet. Jedenfalls führen die Seegers und ihre Mitarbeiter auf diese großväterliche ablehnende Haltung gegenüber Plastiktischdecke & Co. ihr Überleben zurück. Als einziger Weberei in Steinhude. Hotels und Gastronomen sei Dank.

Inzwischen hat sich die Haltung in bestimmten Kreisen geändert: Wer heute in die Gastronomie liefern will, bezieht sein Garn besser aus der EU – denn der Nachweis der Unbedenklichkeit bezüglich Pestiziden muss sein. Seegers & Sohn verwebt nur Oeko-Tex-zertifizierte Garne. Nachhaltigkeit und faire Arbeitsbedingungen sind dem Unternehmen ein Anliegen. Es soll ja alles stimmig sein.

Wenn man durch den Betrieb geleitet wurde, landet man im Werksverkauf in der alten Bleichhalle und auf dem alten Garnboden. Logisch. Wer eben von den Produkten überzeugt wurde, der soll ja auch kaufen können: Geschirrtücher gibt es ab sechs Euro, Reinleinen-Bettwäsche ab 186,00 Euro pro Garnitur. Alles, wenig überraschend, auch in einem tadellos funktionierenden Online-Shop. Man kann nur staunen, wie richtig solch ein kleiner Betrieb (mit 34 Mitarbeitern) dort in Steinhude alles macht!

Fotos: Wigmar Bressel

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Die Leinenweberei Hoffmann muss hoffen

20. Oktober 2022, Neukirch/Lausitz. Aus der Lausitz – da, wo demnächst die letzten Braunkohletagebaue in Badeseen umgewandelt werden, kommen auch schlechte Nachrichten. Dort, wo die europäische Manufakturen-Entwicklung begann, als im 17. Jahrhundert sogenannte ‚Verleger‘ Tuchproduktionen im großen Stil in Auftrag gaben und von Heimarbeitern und Handwerksbetrieben mithilfe der Dampfmaschine eben die ersten Manufakturen gegründet wurden, meldete im Frühsommer ausgerechnet der älteste dort noch existierende Leinen-Weber, die Leinenweberei Hoffmann in Neukirch, Insolvenz an. „Die Aussichten waren schlecht, es drohte die Zahlungsunfähigkeit“, sagt Geschäftsführer Reinhard Ruta, der seit 14 Jahren den Betrieb leitet.

Seit dem Jahr 1905 hatten sich zunächst Karl-Gustav Schulze und Martin Hoffmann, dann nur noch die Hoffmanns, seit dem Jahr 2007 schließlich die Enthusiasten Reinhard Ruta und Sieghard Albert als Altersnachfolger, einen Namen gemacht, seit sechs Jahren nur noch Reinhard Ruta. Die DDR-Zeit hatte die Weberei, nach der Enteignung im Jahr 1971, innerhalb des ‚Volkseigenen Betriebs Wäscheunion‘ unter dem Namen ‚Damastweberei Oberodewitz‘ einigermaßen selbständig und glücklich überstanden – da Hoffmanns nie aus den Büchern und dem Grundbuch gelöscht wurden, erfolgte die Rückgabe durch die Treuhand eher reibungslos und im Jahr 1991 ausgesprochen früh.

Der Neustart in der Alteigentümer-Struktur erfolgte mit einem Paukenschlag: Die damalige Deutsche Bundespost plazierte in Neukirch einen Großauftrag – Postsäcke! Banken folgten, ließen sich die klassischen Münzbeutel fertigen, die so griffig und haltbar zugleich sind.

Aber was Hoffmann natürlich auszeichnet, ist die Vielfalt der Webmöglichkeiten, die in einem einzigen Betrieb mit gerade einmal 17 Beschäftigten vereint sind: historische Schützen-Webmaschinen für Gewebe mit fester Webkante, Jacquard-Webmaschinen für Tischdecken, Servietten etc. sowie elektronisch gesteuerte Webmaschinen für das klassische Halbleinen-Geschirrtuch. Darüberhinaus hat sich das Unternehmen auch darauf spezialisiert, neben den Heimtextilien sogenannte ‚technische Gewebe‘ herzustellen – also Gewebe, die technisch-physische Eigenschaften haben müssen, die von den Auftraggebern benötigt werden. Reinhard Ruta: „Ein Großteil unseres Geschäfts mit sehr treuen Kunden, mit denen wir teilweise schon mehr als 20 Jahre eng zusammenarbeiten.“

Man war bisher auch durchaus innovativ: Toll sind die Frottée-Handtücher aus einem Mix aus 40 % Leinen und 60 % Baumwolle; das ‚Zwei-Zonen-Flex-Tuch‘ zum Rückenrubbeln mit unterschiedlichen Härtegraden ist eine besondere Entwicklung für den Wellnessbereich und wurde beim Wettbewerb zum ‚Manufaktur-Produkt des Jahres 2015‘ ausgezeichnet.

‚Ja – und wo ist jetzt das Problem?‘, möchte man denken.

Da ist das Problem: Zunächst hatte es seit Jahrzehnten geheißen: ‚Bau dein Lager ab – das bindet nur Kapital. Alle Lieferanten liefern doch just in time!‘ Nun – das bezog sich auf den regionalen Flachsanbau (Leinen wird aus der Flachs-Faser gesponnen); der ging jedoch zurück, bis er nahezu verschwand. Also auf einmal: Belgien, Irland, Frankreich, Italien… Ägypten… China… Just in time? „Lieferzeiten und Engpässe!“, grummelt Ruta: „Die Verfügbarkeit von Flachsgarnen auf dem Beschaffungsmarkt ist in den vergangenen zwei bis drei Jahren schwierig geworden. Die Anbieterstruktur hat sich dramatisch verändert, die Anzahl der Garnlieferanten ist geringer geworden, gewünschte Garnqualitäten gibt es zeitweise oder teilweise überhaupt nicht mehr. Wie auch bei vielen anderen Rohstoffen und Zulieferprodukten in anderen Branchen. Darüber hinaus sind massive Preissteigerungen einhergehend mit der Forderung der Lieferanten nach Vorauskasse auch ein Teil der Ursachen für die gesamte Beschaffungsproblematik.“

Bedeutet: Aufträge theoretisch ja, Lieferfähigkeit nein. Farben, die der Kunde seit Jahren für kleine Chargen ordert, – plötzlich nicht mehr aufzutreiben. Immer auf der Suche nach dem passenden Garn – das dafür jedoch europalettenweise zum Preis von bis zu zehntausend Euro.

Ute Czeschka vom Manufakturhaus in Meißen handelt seit vielen Jahren mit Hoffmann-Produkten, wir sprachen vor langer Zeit schon über Hoffmann, sie sagte damals: „Super Qualität, schönes, seltenes, klassisches Design – aber, wie die Produkte von vielen Manufakturen, zunächst mit zu geringer Händler-Marge ausgestattet.“ Ein Problem: Aus Angst vor ausbleibenden Aufträgen und zu geringem Selbstbewusstsein, sorgenvoll auf die Einkaufsgewohnheiten der großen Ketten in China blickend, hat man die eigenen Produkte zu günstig am Markt plaziert; am Ende bleibt für keinen Marktteilnehmer Geld übrig: Händler verdienen zu wenig, die Aufträge kommen nur noch von Spezialisten, der Hersteller verkauft aus Verzweiflung fast alles direkt an den Endverbraucher oder Großkunden – und gerät wegen fehlender Schaufenster in der Gesellschaft in Vergessenheit. Das Problem vergrößert sich und vergrößert sich. Am Ende kennt fast niemand mehr den tollen ‚Oberlausitzer Leinendamast‘.

Dagegen könnte Marketing helfen. Facebook, Instagram, Twitter, Pinterest – wie sie alle heißen. Ein zeitgemäßer Online-Shop bestimmt auch. Reinhard Ruta weiß um die Mängel – in einem Interview sagte er: „Wir haben hervorragende Produktionsfachleute. Was uns aber fehlt, ist geeigneter Nachwuchs. Wir brauchen jüngere Leute, die am Erhalt unseres Handwerks interessiert sind und sich mit heutigen Marketingfragen und digitalen Prozessen auskennen.“ Er weiß um die Mängel – aber er sanierte lieber einen Teil des Produktionshallen-Dachs; auch wichtig, dass es nicht hereinregnet und die Heizung den Oberlausitzer Himmel übermäßig erwärmt.

Der Wirtschaftsingenieur aus dem nordhessischen Kassel kam als glücklicher Kunde: „Ich habe in Berlin eine Hoffmann-Bettwäsche-Garnitur in einem Fachgeschäft gekauft – die hat mich so begeistert!“ Er fragte sich zu Hoffmann durch, besuchte den Hersteller auf einer Messe, dann den Betrieb in Neukirch.

Aus Produkt-Begeisterung wurde Eigentum: „Die Tochter der Familie Hoffmann und ihr Mann brauchten eine Altersnachfolge.“ Ruta inzwischen auch: „Ich bin 64. Ich kann das ja nicht ewig machen.“ Und sein Alter verhinderte ja auch, realistisch betrachtet, ein größeres Bankdarlehen für seinen inhabergeführten Betrieb.

Manufakturen-Blog: Das Bespannen eines mechanischen Webstuhls dauert drei Tage (Foto: Wigmar Bressel)

Das Bespannen einer mechanischen Webmaschine dauert drei Tage

Manufakturen-Blog: Geschäftsführer Reinhard Ruta vor der historischen Stechuhr - sie ist immer noch in Betrieb (Foto: Wigmar Bressel)

Geschäftsführer Reinhard Ruta an der historischen Stechuhr – sie ist immer noch in Betrieb

Manufakturen-Blog: Eingang zum Werksverkauf an der Zittauer Straße (Foto: Wigmar Bressel)

Eingang zum Werksverkauf an der Zittauer Straße

Manufakturen-Blog: Die Größe der Produktionsgebäude wird erst klar, wenn man das Gelände umschreitet (Foto: Wigmar Bressel)

Die Größe der Produktionsgebäude wird erst klar, wenn man das Gelände umschreitet

Manufakturen-Blog: Mechanisches Zusammenlegen der langen Stoffbahnen für den Transport zum 'Veredeler' - zum Waschen und Bügeln und Vorbereiten für die Auslieferung an die Kunden (Foto: Wigmar Bressel)

Mechanisches Säumen und Zusammenlegen der langen Stoffbahnen – hier: technisches Gewebe – für die Weiterverarbeitung, Konfektionieren und Vorbereiten für die Auslieferung an die Kunden

Manufakturen-Blog: In der Näherei (Foto: Wigmar Bressel)

In der Näherei

Manufakturen-Blog: Zuschnitt von Küchenhandtüchern für eine Kundin in einer Sonderfarbe (Foto: Wigmar Bressel)

Zuschnitt von Küchenhandtüchern für eine Kundin in einer Sonderfarbe

Dass das Problem bei Hoffmann überhaupt Wellen schlug, ist der Leipziger Initiative ‚Lokaltextil‘ zu verdanken. Diese ist derzeit sehr mit der Idee der Lausitzer Leinen-Fertigung und des regionalen Flachs-Wiederanbaus befasst. Als „Initiative zur Stärkung des textilen Bewusstseins“ veröffentlichte sie deshalb am 5. Juli 2022 einen Hilferuf im Internet und auf Instagram: „Bitte unterstützt die Leinenweberei Hoffmann!“. Im Text heißt es: „Leider gehen die jüngsten Schwierigkeiten unserer Zeit auch an der Leinenweberei Hoffmann nicht spurlos vorüber. Corona, Krieg und Beschaffungsprobleme setzen die Leinenweberei Hoffmann zunehmend unter Druck…  Das erfordert eine andere Lagerwirtschaft und Vorfinanzierungsmittel… Habt Ihr zukunftsorientierte Ideen für die Leinenweberei? Kennt Ihr Investoren, die nachhaltige lokale Wertschöpfungsketten fördern möchten?“

Der erste Investitionsbedarf – ein Mix aus Kaufpreis und ‚working capital‘ sowie echter Investitionen in die historische Produktion und Immobilienteile, Besucherparkplätze und einen würdigen als auch barrierefreien Werksverkauf, jedoch auch einen zeitgemäßen Online-Shop, Internetauftritt und Social-Media-Aktivitäten – wird sich auf geschätzte 1,5 Millionen Euro belaufen. Die Summe hört sich ersteinmal nach etwas an – aber man darf nicht vergessen, dass die Leinenweberei Hoffmann sowohl sächsisches als auch nationales Wirtschaftskulturgut ist; das gilt es zu erhalten und in die nächste Generation zu transformieren – sonst sind in Jahrhunderten erworbene Fähigkeiten und Kenntnisse für die deutsche Gesellschaft verloren. ‚Die Letzten ihrer Art‘ – es lohnt sich darüber nachzudenken, wie wir sie erhalten. Ruta sagt jedenfalls: „Ich werde jeden Investor unterstützen, der den Betrieb erhält und in die Zukunft führt.“

Insolvenzverwalter Dr. Ralf Goethner, der seit dem 4. August das Sagen hat, hat inzwischen Kaufinteressenten. Mal sehen, wen und welches Konzept er den Gläubigern und der Öffentlichkeit präsentiert.

Fotos: Wigmar Bressel

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Strickkrawatten ‚Made in Germany‘ – von Ascot in Krefeld

3. Februar 2021, Krefeld. Ich bin ein großer Fan von Strickkrawatten. Mit ihrer Struktur und ihrem lässigen Aussehen geben sie einem Outfit das gewisse Etwas. Gleichzeitig wirken sie förmlich genug, um sie zu einem Anzug zu tragen. Sie werden aus verschiedenen Materialien wie Seide, Wolle, Kaschmir, Baumwolle oder Mischgeweben hergestellt. Ich persönlich mag es auch in diesem Punkt klassisch und bevorzuge Strickkrawatten aus Seide. Ich habe viele Hersteller probiert, um die richtige Krawatte zu finden, aber einer ist und bleibt mein Favorit … und er befindet sich ganz in der Nähe von meinem Zuhause. Ich spreche vom Krawattenhersteller Ascot aus der deutschen Seidenstadt Krefeld. Das Unternehmen fertigt seit über 100 Jahren Krawatten von Hand. Es verfügt darüber hinaus über die erforderlichen Maschinen zur Herstellung von Strickkrawatten, die sie seit Jahrzehnten für zahlreiche namhafte Modehäuser produzieren.

Karl Moese, der Urgroßvater der heutigen Eigentümer, war ein Mann mit einem ausgeprägten Sinn für Qualität und Schönheit. Er war sehr elegant, doch gleichzeitig etwas reserviert und kein besonders guter Geschäftsmann. Trotzdem gründete er im Jahr 1908 ein Unternehmen mit dem Ziel, die besten Krawatten der Welt herzustellen. Doch ohne seine Frau Gertrud hätte es wohl nicht lange bestehen können. Sie war eine clevere Geschäftsfrau und wusste, wie man ein Unternehmen führt. So entstand die perfekte Kombination eines brillanten kreativen Kopfes und eines ausgeprägten Geschäftssinns. Es war Gertrud, die das Unternehmen durch zwei Weltkriege hindurchbrachte, und Karl, der stets dafür Sorge trug, dass die Qualität der Krawatten erstklassig blieb.

Trotz der harten Arbeit hatte das Paar natürlich auch ein Familienleben. Ihr Sohn Erwin teilte die Leidenschaft und den Enthusiasmus für Krawatten mit seinen Eltern. Auf einer Reise nach England, die Erwin Ende der 1940er-Jahre unternahm, besuchte er das berühmte Royal-Ascot-Pferderennen und war angesichts der gutgekleideten Briten dort begeistert. Nachdem er all die elegante Bekleidung und insbesondere zahlreiche tolle Krawatten erleben durfte, entschied er, dass Ascot der ideale Markenname wäre. So kam es dann auch und der Name ist bis heute geblieben.

Das Unternehmen wuchs und entwickelte sich weiter. Erwin entpuppte sich als guter und empathischer Verkäufer und die Kunden verbrachten gern Zeit mit ihm und kauften mit Freude seine Produkte. Erwin war mit Hilde verheiratet und sie hatten gemeinsam zwei Kinder. Eines davon war Wolfgang, Erwins Nachfolger. Doch bevor er die Geschäfte übernahm, sandte ihn Erwin nach Lyon und Como, um das Handwerk zu erlernen. Lyon und Como waren – wie Krefeld – europäische Zentren der Seidenweberei und ideale Orte dafür. Nach seiner Rückkehr übernahm er das Unternehmen mit dem Ziel, es zu großen Erfolgen zu führen. Zusammen mit seiner Frau Helga hatte er zwei Kinder: Jan und Barbara, die das Unternehmen heute führen.

Wolfgang tat sich mit Hermann-Kurt Schwartz zusammen und gemeinsam schafften sie es, das Unternehmen auf der internationalen Bühne zu etablieren. Es waren diese beiden, die damit begonnen haben, an Messen wie der SEHM in Paris und der ‚Pitti Uomo‘ in Florenz teilzunehmen, um internationale Kunden und Vertreter zu treffen. Dies wird auch heute noch fortgeführt. Jan und Barbara bringen die Krawatte mit innovativen Ideen ins 21. Jahrhundert.

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…das Garnlager…

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Ein Mitarbeiter kontrolliert die Einstellung am Strickstuhl

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Manufakturen-Blog: „Knit Ties“ – Strickkrawatten kommen aus Deutschland nur noch von Ascot (Foto: Ascot)

Ich kann mich noch sehr gut daran erinnern, als ich das erste Mal die Manufaktur in Krefeld betreten habe. Genau genommen begann das Erlebnis bereits auf dem Parkplatz, von wo aus ich den Prozess der Krawattenherstellung bereits durch das Fenster hindurch beobachten konnte. Im ersten Bereich, in den Jan mich führte, werden die Seidenstoffe für die klassischen Krawatten zugeschnitten. Es stehen verschiedene Schnittmuster für Fliegen, Krawatten, Krawattenschals und sogar siebenfach gefaltete Krawatten zur Verfügung. Die Stoffe werden zugeschnitten. Bei teilautomatisiert gefertigten Krawatten wird die Einlage von einer Maschine mit dem Seidenstoff vernäht und dieser anschließend von einer Näherin nach außen gestülpt. Im Anschluss ist die Krawatte – nach einigen letzten Detailarbeiten und dem Bügeln – für den Versand bereit. Wenn der Stoff in der Abteilung für vollständig handgemachte Krawatten weiterverarbeitet wird, legt eine Näherin zunächst die Einlage ein, faltet den Stoff um diese herum und sichert diesen mit Stecknadeln, sodass alles an seinem Platz bleibt. Anschließend verschließt sie die Krawatte mit einer von Hand platzierten Naht. Hierbei handelt es sich um einen sehr arbeitsintensiven Prozess, der in einem ruhigen Raum bei vollster Konzentration erfolgt. Sowohl die teilautomatisiert als auch die komplett von Hand gefertigten Krawatten von Ascot sind von exzellenter Qualität und ich trage sie seit vielen Jahren mit großer Freude. Doch das ist noch nicht alles, was Ascot zu bieten hat. Ein ganz besonderes Produkt des Unternehmens ist eines meiner Lieblingsaccessoires. Ich spreche von den Strickkrawatten.

Strickkrawatten werden aus Seide, Wolle oder sogar Kaschmir hergestellt und sind in verschiedenen Strukturen, Farben und Dessins verfügbar. Und alle von ihnen werden auf eindrucksvollen alten Maschinen gefertigt, die noch aus den 1950er-Jahren stammen und seitdem nicht verändert wurden. Denn warum sollte man etwas ändern, wenn eine neue Maschine die Aufgabe auch nicht besser erledigen kann? Die alten Maschinen stehen für die Qualität aus der guten alten Zeit, als Strickkrawatten den klassischen Krawatten fast den Rang abliefen. Ascot wurde so berühmt für die Herstellung von Strickkrawatten, dass viele renommierte Modehäuser und -marken ihre Strickkrawatten bei Ascot produzieren lassen. Schauen Sie sich die Strickkrawatten, die Sie besitzen, einmal genau an: Wenn auf dem Etikett „Made in Germany“ steht, können sie nur von Ascot stammen. Das gilt unabhängig davon, bei welchem Modehaus, Geschäft oder von welcher Marke Sie diese erworben haben. Ascot ist das einzige Unternehmen in Deutschland, das noch Strickkrawatten herstellt.

Nachdem die Krawatten langsam auf den großen alten Maschinen aus Seiden-, Woll- oder Kaschmirgarnen gestrickt wurden, werden sie von Näherinnen verschlossen. Dabei handelt es sich um eine Arbeit, die viel Präzision erfordert. Anschließend wird noch ein Etikett aufgebracht und das Produkt ist für den Versand bereit.

Die Vielfalt an Texturen ist der interessanteste Aspekt dieser Strickkrawatten. Mein Favorit ist eine dicke Textur mit knirschendem Griff, die den schönen französischen Namen „Cri de la soie“ trägt. In der Hand fühlt sie sich knirschend und steif an, doch sie ermöglicht einen traumhaften Knoten. Weiterhin gibt es einige flachere Texturen, bei denen sich eine leichte Zickzack-Struktur auf der Krawatte erkennen lässt. Die Optik der klassischen Strickkrawatte ist häufiger anzutreffen, während glattere Stricktexturen vornehmlich mit Woll- oder Kaschmirstoffen realisiert werden. Natürlich gibt es eine große Vielfalt an Dessins. Ein Beispiel sind Punkte, die üblicherweise nach dem Stricken mit einer dem Sticken ähnelnden Technik aufgebracht werden, sowie Streifen oder Birdseye-Muster, die in die Krawatte eingewebt werden.

Das ist eine der Spezialitäten von Ascot in Krefeld geworden. Es handelt sich dabei nicht nur um den letzten deutschen Hersteller von Strickkrawatten, sondern auch um eines von weniger als 10 Unternehmen weltweit, die diese Technik noch beherrschen. Gleichzeitig ist die Nachfrage nach Strickkrawatten im letzten Jahr deutlich gestiegen.

Ascot unterhält einen der allerletzten Produktionsstandorte für Krawatten in Deutschland. Viele Unternehmen haben ihre Produktion über die Jahre verlagert oder aufgegeben. In Deutschland gibt es nur noch zwei Krawattenhersteller. Ascot ist freilich der einzige davon, der Strickkrawatten anbietet. Auch zahlreiche der lokalen Zulieferer des Unternehmens haben ihre Tätigkeit aufgegeben oder sind ins Ausland gegangen. Im Gespräch mit Jan über die heutige Bedeutung des Standorts Krefeld als Seidenstadt erzählte er mir, dass es vor Ort nur noch eine Seidenweberei gibt. Ascot arbeitet natürlich mit ihr zusammen, aber inzwischen kommt der überwiegende Teil der eingesetzten Seidenstoffe und Garne aus Italien und England, wo es noch eine Seidenindustrie gibt. Bei Ascot handelt es sich also um eines der letzten Unternehmen in Krefeld, das im Seiden- und Krawattenhandwerk tätig ist.

Fotos: Ascot


Dieser Text über Ascot erschien zuerst im Blog von Tim Mureau. Er wurde aus dem Englischen von Wieners + Wieners übersetzt.

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