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Vom inneren Wert der Keramik

2. Juni 2022, Leipzig. Wer Porzellan sagt – muss eigentlich auch Keramik sagen. Denn viel früher als die Porzellan-Bewegung in Europa mit der Erfindung des ‚Weißen Goldes‘ durch Johann Friedrich Böttger im 18. Jahrhundert, schon Jahrtausende vor der Gründung der berühmten europäischen Porzellanmanufakturen, hatten Menschen mit dem Brennen von Ton begonnen: Mit der Sesshaftwerdung des Menschen weitete sich der Bedarf an Aufbewahrung aus – und so gelten Tonscherben als das Zeugnis für menschliche Siedlung schlechthin. Und wie steht es heute um die Keramik? Ein Blick auf Instagram zeigt: So manche Keramikerin und so mancher Keramiker hat viel mehr Follower, als die berühmten Porzellanmanufakturen. Aber bildet das auch die Wirklichkeit ab? Verdient man mit Keramik Geld? Geht handwerkliche Keramik – in Deutschland? Ich treffe mich mit der bekannten Keramikmeisterin Franziska M. Köllner in Leipzig.

„Porzellan ist überhaupt nicht mein Material – das ist mir zu hart und zu kalt“, sagt Köllner. Und wenn man ihr so zuhört, dann versteht man sehr gut, was sie meint. Vielleicht ist Keramik in unserer Vorstellung femininer, als Porzellan. Die Techniken der Verarbeitung sind in etwa gleich – jedoch haben beide Materialien ihre eigene Favorisierung: Während die konfigurierte Porzellanmasse (Porzellan ist kein Naturprodukt) meistens in Formen gegossen wird, wird Keramik aus dem in Tongruben abgebauten Naturprodukt entweder in Ringen ‚aufgebaut‘ oder mit der berühmten Drehscheibe gedreht und geformt. Techniken, die sich einfach anhören und beim Zuschauen auch tatsächlich so einfach erscheinen – aber im Detail liegt, wie bei Allem, die Kunst; und so unterscheidet sich die Enthusiastin im Volkshochschul-Kurs doch sehr von der Berufskeramikerin. Und die herrliche Albernheit von Leslie Nielsen und Priscilla Presley an der Töpferscheibe im Filmklamauk ‚Nackte Kanone‘ bringt unter den Fingern der Fachleute filigranes und hauchdünnes Geschirr hervor, das sich in Ausführung und Form kaum von Porzellan unterscheidet – und vom Laien auch nicht unterschieden werden können.

Franziska M. Köllner hat ihre Ausbildung in der Endzeit der DDR gemacht. Im Jahr 1968 geboren, verweigerte sie den Gang auf die Russisch-Oberschule, absolvierte, wie die meisten Schüler in der DDR, die 10. Klasse an der POS („Polytechnische Oberschule“) – und wollte – inspiriert durch ihre vielen Ferienaufenthalte im Künstlerkollektiv Schaddelmühle im Muldental bei Grimma – Keramikerin werden. Das gelang ihr sehr prominent: Sie wurde nach Kontaktanbahnung durch einen befreundeten Leipziger Galeristen im Jahr 1984 von Ulli Wittich-Großkurth in Jena aufgenommen; eine Frau, die man als eine der Ikonen der DDR-Keramik beschreiben könnte. Und so waren die Auftraggeber der Werkstatt und Meisterausbildung auch oft der Staatsrat und der FDGB, dessen Boss Harry Tisch (1927 – 1995) ein besonderer Fan der Keramik aus Jena war. Besondere Aufträge und große Vorbilder machen junge Auszubildende groß.

Trotz Wendewirren fand die Meisterausbildung in Jena statt und endet im Jahr 1992 glücklich mit dem Abschluss – jedoch mitten im Desinteresse der Bewohner der Post-DDR: „Es gab damals vor allen Dingen Begeisterung für neue Fernseher und alles Technische – aber nicht für einheimische Keramik.“ Und auf einmal fehlte die Hochschul-Reife doch und der Keramikmeisterin der Zugang zu einem universitären zweiten Anlauf.

Also der mühsame Weg über die Töpfer- und Keramikmärkte, über Praktika und freie Aufenthalte an Kunsthochschulen, die Besuche von Workshops im In- und Ausland auf der ganzen Welt.

Das elterliche Wohnhaus im Leipziger Westen bot Platz für die Werkstatt, die Garage wurde zur Galerie.

Manufakturen-Blog: Die Auszubildende Franziska M. Köllner Ende der 1980er Jahre in Jena bei der Arbeit. (Foto: Wigmar Bressel)

Lehrling Franziska Ende der 1980er Jahre in Jena – ein Foto neben einer Tasse aus ihrer heutigen Produktion.

Manufakturen-Blog: Der Küchenfußboden im Elternhaus - hier entstand Franziska M. Köllners Leidenschaft für Keramik. (Foto: Wigmar Bressel)

Der Küchenfußboden aus Schaddelmühlener Keramik im Elternhaus verstärkte die Begeisterung für Keramik.

Manufakturen-Blog: Blick in den bis oben gefüllten zehneckigen Brennofen bei Franziska M. Köllner (Foto: Wigmar Bressel)

Blick in den bis oben gefüllten zehneckigen Brennofen

Manufakturen-Blog: Mate-Kalebassen beim Trocknen (Foto: Wigmar Bressel)

Mate-Kalebassen beim Trocknen

Manufakturen-Blog: Im Atelier-Verkauf bei Franziska M. Köllner in Leipzig mit Keramik-Geschirr im 'Vietnam-Köllner'-Grün - im Hintergrund ein Foto, das ihre Tochter von ihr gemacht hat. (Foto: Wigmar Bressel)

Im Atelier-Verkauf mit Geschirr im typischen Köllner-Grün – im Hintergrund ein Foto, das ihre Tochter Nina Emilia von ihr gemacht hat.

Wie es bisweilen so ist mit Garagen – es kamen immer neue Ideen: Eine Galerie für Keramik und anderes Kunsthandwerk musste her – also wurde die ‚Schwarz Weiß Werkstatt Galerie‘ in der ehemaligen Baumwollspinnerei mitbegründet. Noch besser wäre gleich ein Kunstverein: der ‚terra rossa e. V.‘ wurde ins Leben gerufen. Warum muss man für Keramikmärkte so weit reisen? Köllner entwickelte die Idee für den Keramikmarkt am Museumskomplex Grassi. Wie kommt man in den Handel? Na, noch direkter sind doch Pop-up-Stores, die sich nach der Phase des Experimentierens einfach dauerhaft etablieren, wie der in der berühmten Mädler-Passage.

Da kam vor einigen Jahren dieser Vietnamese in die Schwarz Weiß Werkstatt Galerie. Unentschlossen dreinschauend, offensichtlich kritisch, etwas suchend, die Tassen drehend und wendend. Auf die Frage, wie sie helfen könne, antwortete er: „Ich suche Teeschalen für mein Restaurant in einer ganz bestimmten Form. Wie ich sie von früher aus Vietnam kenne.“

In Leipzigs Westen wurde die Drehscheibe angeworfen, entworfen, gedreht, versucht, verworfen. „Mir fehlte noch das Bild, was er genau wollte“, räumt Franziska M. Köllner achselzuckend ein. Irgendwann war es so, wie es der Kunde sich vorstellte. Weitere asiatische Auftraggeber erschienen. Folgeaufträge schlossen sich an – Blumenvasen entstanden im Raku-Brand, Schalen für die Pho-Suppe entworfen, Stäbchen-Behälter kreiert. Asien ließ die Leipzigerin nicht mehr los. Sie bereiste Vietnam und Thailand – auf der Suche nach mehr Verständnis für die andere Keramik-Kultur.

In verschiedenen Werkstätten erbat sich Köllner einen Zugang zum Arbeitsplatz, begann sich vor Ort in das Teetrinken modellierend und formend hineinzuarbeiten, gewöhnte sich an die Drehscheiben, die andersherum, als die deutschen, drehen – irgendwann stand das Bild auch in ihrem Kopf, wie Tee „perfekt“ getrunken werden könnte.

Wer Tee sagt, sagt vielleicht auch Mate-Tee. Das Naturprodukt aus Südamerika nimmt seit Jahren auch in Europa einen Aufschwung. Glück für Köllner, dass das aufstrebende Unternehmen Caámate – Spezialist für Tee und Zubehör – in Laufentfernung zur Werkstatt seinen Sitz hat. Und dass Mate-Tee aus speziellen Keramikgefäßen – sogenannten ‚Kalebassen‘ – getrunken wird.

Seitdem sind viele Tausend Mate-Tee-Kalebassen, Kännchen und Schalen aus der Leipziger Werkstatt in den Tee-Accessoire-Handel gegangen. Losgrößen von zweihundert und fünfhundert sind an der Tagesordnung, es könnte von ihr noch viel mehr produziert werden, sagt sie – qualifizierte und engagierte Mitarbeiter wären gefragt, sind jedoch Mangelware, wie überall.

Nach meinem Besuch denke ich: Um das Interesse an Keramik steht es doch besser, als ich zuvor dachte – aber sie steht unter denselben Problemen, wie alle anderen Handwerksprofessionen auch; theoretisch „goldener Boden“ – praktisch sind zu wenige Menschen bereit, die sorgfältige Arbeit zu machen. Die sich in die alte Tradition der Bandkeramiker stellen wollen, die schon vor 9000 Jahren in unseren Breiten töpferten und ihre Waren verzierten – sprich: in den Dienst unserer Kultur. Die verstehen, wie man Design unter den Gegebenheiten des Materials umsetzen kann. Die bereit sind, zu erlernen, wie man Ton und Keramik zum Sprechen bringt – sie eine Geschichte erzählen lässt, sie als Produkt das unterstützen lässt, was auf und in ihnen präsentiert wird. Umso wichtiger ist für uns Kunden zu lernen, den inneren Wert und Anspruch der seltenen Schönheiten zu erkennen und zu verstehen – dort, wo wir ihnen begegnen.

Fotos: Wigmar Bressel

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Henry’s Eismanufaktur – oder: Vom Versuch, das perfekte Eis zu machen

29. Juni 2020, Saarbrücken. Die Corona-Krise beschleunigt auch die Diskussion, wie wir leben wollen: Globalisiert – oder doch lieber regional? Ist die Produktionsart unserer Güter egal – oder haben wir nur Spaß daran, wenn wir möglichst alles über sie wissen? Reicht uns das Fleischlabel mit der Güteklasse ‚1‘ (industriell) – oder muss es ‚bio‘ sein? Versuchen wir vegan zu leben – oder ist der Mensch das ‚Raubtier‘? Lästigerweise mutiert die Eisdiele an der Ecke sich vielerorten verbal und aus Gründen des Marketings zur Eismanufaktur, obwohl sie nur die (übertragene) Güteklasse ‚1‘ verdiente (Grundeispaste „selbstvermischt“ mit verschiedenen Industrie-Geschmäckern und Halbfertigprodukten), wie es die FAZ in einem Wutanfall im Jahr 2016 kritisierte. Was also tun, wenn man selbst eine Eismanufaktur nach Definition des Manufaktur-Begriffs ist? Ein Besuch bei Henry’s Eismanufaktur in Saarbrücken. Zur Nachahmung empfohlen.

Eigentlich hatte ich gedacht, ich hätte die Evolution des Speiseeises verstanden: Vom luxuriösen Nachtisch im Restaurant, dem Auftauchen der Italiener in den 1960er Jahren, die ständig verfügbare Fürst-Pückler-Rolle im kleinen Supermarkt meiner Großeltern… dann kam Mövenpick mit ‚Marple Walnuß‘, Häagen Dazs, Ben & Jerry‘s… zuletzt weitere, immer hippere Marken… Seit einigen Jahren: Bio-Eis. Zum Beispiel ‚Snuten lekker‘ aus dem Bremer Blockland.

Jetzt strahlt ein neuer Stern am Horizont – im Saarland, da wo es so viele Sterne-Restaurants gibt, in der Nähe zu Frankreich, wo die Menschen es sich abgeguckt haben, besser zu essen – und viel mehr Geld dafür auszugeben. Dort hat Dominik Heil sein Unternehmen begründet. Doch trotzdem beginnt seine Geschichte an der Nordsee, auf der Insel Langeoog, da wo es auch Eis gibt – aber kein so gutes… Da wo der kühle Wind den Geist freibläst – und manchmal auch Gedanken von ihrem kreisenden Spreu befreit.

Am Strand wurde Henry zum Wappentier berufen – der Weimaraner-Labrador-Rhüde des späteren Gründers, vorgeschlagen von einem britischen Urlauberpaar, das Heil um seine Meinung zu seiner Eisselbständigkeit fragte, die ihm schon so lange durch den Kopf ging. Ihm – dem Mann aus der Automobilindustrie. Mit seinem Team aus bis zu 40 Kollegen organisierte er die Belieferung von VW-Konzerntöchtern mit vielen Millionen Bauteilen eines amerikanischen Zulieferers. Natürlich im Jahr. „Es wurde mir im Laufe der Zeit trotzdem zu langweilig“, sagt Heil heute. Kaum aus dem Urlaub zurück, begann Heil zu experimentieren… Warum? „Es gab kein gutes Eis, fand ich“, sagt Heil schulterzuckend. Das war im Jahr 2010.

Seine Kündigung zwei Jahre später aus dem erfolgreichen Automotive-Job verstanden nur Eingeweihte: sich selbstständig zu machen mit der Idee von besserem Eis und den ersten Rezepten.

Heute hat Heil wieder ein Team – von in der Spitze 34 Mitarbeitern im Sommer vor Corona, als er seine beiden Promotion-Verkaufswagen noch auf Großveranstaltungen schicken konnte. Als seine Testeisdiele in der Saarbrücker Innenstadt noch Schlangen von 150 Kunden und mehr erzeugte.

Manufakturen-Blog: Dominik Heil gründete Henry's Eismanufaktur, gab ihr den Namen seines Hundes - und ist Perfektionist jeden Details (Foto: Wigmar Bressel)

Dominik Heil gründete Henry’s Eismanufaktur, gab ihr den Namen seines Hundes – und ist Perfektionist jeden Details

Manufakturen-Blog: Betörender Melonen-Duft in Henry's Eismanufaktur in Saarbrücken (Foto: Wigmar Bressel)

Betörender Melonen-Duft in Henry’s Eismanufaktur in Saarbrücken

Heute verfügt Henry’s über 300 selbstentwickelte Rezepte. Eines der Geheimnisse ist das in der Regel selbstzubereitete Obst. Für die Kirscheis-Sorten kaufte er sich eine eigene Entsteinungsmaschine. In der Regel wird jedoch von Hand geschnitten. Kein Matsch. Keine Kompromisse. „Wir verwenden keine Halbfertigprodukte“, erklärt der Unternehmer. Außerdem erfolgt der vollständige Verzicht auf künstliche Konservierungs- und Farbstoffe. Dafür findet nur regionale Bio-Milch aus dem Bliesgau einen Einsatz. „Wir glauben an regional. Wir wollen möglichst regional. Und wir wollen einen Bezug zwischen Lebensmittel und Kunden herstellen.“ Konsequent lehnte Heil die Anfrage von Discountern und Vollsortimentern ab: „Lokale Edeka-Märkte und der Feinkosthandel müssen reichen. Ich will auch unsere manufakturelle Produktionsweise nicht durch Lieferverpflichtungen verändern müssen…“

Mein Besuch im Gewerbehof ein bisschen abseits des Trubels ist dementsprechend auch ein Erlebnis – so schmucklos das Produktionsgebäude, so verführerisch der Duft, der mir entgegenschlägt: Betörend duftet es nach Honigmelone, als ich längs der Produktion gehe. „Es kann sein, dass ich gleich ein bisschen zwischendurch telefonieren muss“, erklärt der Chef, „ich erwarte den Anruf eines Landwirts, der uns morgen 200 Kilogramm Rharbarber liefern will; da muss ich die Leute dann einteilen, damit wir das innerhalb des Tages erledigt kriegen…“

Die Eisproduktion ist in Corona-Zeiten natürlich eine Herausforderung. „Selbstredend haben wir in der Lebensmittel-Produktion ein Hygieneschutz-Konzept.“ Alle Mitarbeiter tragen Haarnetz, Gesichtsmaske – auffällig ist der Abstand, den sie einzuhalten versuchen. „Jetzt geht es vor allem darum, dass nicht nur die Kunden optimal geschützt werden – sondern auch die Mitarbeiter sich selbst gesund halten.“

Wenn man in die Tiefkühlräume blickt, fragt man sich natürlich unweigerlich, was der Saarländer am Liebsten isst. Dominik Heil: „Das lässt sich gar nicht so genau sagen. In der Eisdiele haben wir zwölf Eissorten. Mehr nicht. Davon sind sieben die Klassiker von Erdbeer über Schoko zu Mango. Hinzu kommen vier wechselnde Sorten. Und dann eben die Sorte des Tages. Die ist manchmal eben schon nach einem Tag aufgegessen.“ Das ist keine Übertreibung – über Instagram und Facebook kommuniziert der Unternehmer selbst mit 7000 beziehungsweise 12 000 häufig sehr treuen Followern. Ein Post – „und manchmal steht zwei Minuten später der erste Abonnent vor der Eisdiele und sagt: ‚Ich habe eben gelesen, dass es jetzt eine Eissorte gibt, die ich noch nicht kenne.“

Auch eine andere Geschichte gehört noch erzählt – die der Eissorte ‚Halva‘. Domink Heil: „Eine Privatkundin rief an und fragte, ob wir ihr ein Eis produzieren könnten, das sie in London in einem Sternerestaurant gegessen und dessen Rezept sie sich besorgt habe. Wir haben uns bemüht – und die Sorte wurde auch bei den Saarbrückern ein Erfolg.“ Halva – das ist ein Sesam-Milcheis mit Schokostückchen, geröstetem Sesam und Erdnüssen. Im Internet wird die Henry’s-Kreation von Kunden mit fünf von fünf Sternen bewertet. Von mir auch.

Fotos: Wigmar Bressel

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Pascal Johanssen: „Das Anstiften von positiven oder kritischen sozialen Verhaltensweisen“

23. Januar 2020, Berlin. Wenn aus dem Direktorenhaus in Berlin eine neue Publikation angekündigt wird, steigt die Spannung: Niemand hat bisher auf eigenes Risiko so viele Veröffentlichungen zu Manufaktur-Fragen riskiert, wie Pascal Johanssen. Jetzt legt er das Buch ‚Handmade in Germany – Manufactory 4.0‘ vor. 260 Seiten Texte, Interviews und Fotos, in und mit denen gemeinsam er der Frage nach der Manufaktur in Gegenwart und Zukunft nachgeht. Und damit die Gedanken auch aus dem deutschsprachig-kulturellen Schmortopf entweichen können, ist das Buch komplett zweisprachig deutsch-englisch gehalten – 38 Euro Kaufpreis sind gut investiertes Geld, wenn man wissen möchte, wohin die Reise der Manufakturen gehen und welche Bestimmung den Manufakturen in unserem Wirtschaftssystem zukommen könnte…

Ja, Sie haben richtig gelesen: Bestimmung. Denn genauso, wie das Erlernen von handwerklichen Fähigkeiten unser Gehirn anregt und weiterentwickelt, so muss man nur das „Vieles geht“ der freien Kräfte der liberalisierten und globalisierten Marktwirtschaft gedanklich für einen Augenblick verlassen, um sich zu erinnern, dass Dinge und Systeme eine Bestimmung haben können, die sich aus ihrer jeweiligen Immanenz der vielen kleinen typischen Teilchen zusammensetzt und nicht nur Problem, sondern zugleich Lösung anbietet. Bei Pascal Johanssen im Buch klingt das dann so:

„Die These dieses Buches ist, dass wir ein neues Qualitätsverständnis für unsere Produkte brauchen, das Solidität, Agilität und Pietät verbindet. … Pietät schließlich meint in diesem Zusammenhang, eher im antiken Wortsinn, den Respekt vor dem Menschen, als ‚pflichtbewusstes Benehmen gegenüber Mensch und Gott‘. Den Produkten muss eine ethische Komponente eingewoben sein, die ausspricht, dass eine positive Zukunft nicht allein durch technologische und ökonomische Möglichkeiten angetrieben wird, sondern zudem von einer kulturellen Leitidee getragen wird: nämlich von der Vision, ein gutes Leben für möglichst weltweit zehn Milliarden Menschen organisieren zu können.“

Ist das nicht ein aufregendes Zitat aus dem Buch? Daran erinnert zu werden, dass man als kleine Manufaktur und Kunsthandwerker in irgendwo doch am Großen und Ganzen mitarbeitet, man für die Nachhaltigkeit in der Konsumgüter-Branche mit verantwortlich sein könnte?

Ich jedenfalls verabredete mich mit Pascal Johanssen sofort zu einem Telefongespräch über sein neues Buch:

„Das Buch soll eine Lebens- und Arbeitseinstellung zusammenfassen“

Welche Idee steckt hinter dem neuen Buch?

Mir geht es darum, aufzurütteln. Wir haben viele facettenreiche Unternehmen mit Qualitäten, die weit über das reine Produzieren schöner Produkte hinausreichen. Aber niemand weiß das. Viele bewegen sich in Nischen. Man hat das Gefühl, dass das notwendige ‚übergeordnete Gespräch‘ fehlt. Das war mein Ansatzpunkt für das Buch: die Akteure selber zu Wort zu bringen. Sie dazu zu bringen, Chancen und Probleme selbst zu formulieren.

Das Buch ist mit einem aufwändig geprägten Hardcover ausgestattet – aber nach dem Lesen und Betrachten der vielen Fotos versteht man doch: Es ist eigentlich ein Arbeitsbuch mit Thesen zu Manufaktur und artverwandter Produktionsformen. Was hat dich zu dieser Buchausstattung bewogen?

Das Buch ist ja nicht in erster Linie nur für Manufakturen gedacht. Es ist für Leser gedacht, die die Vermutung haben, dass hinter der Fassade der „romantischen“ Manufakturen, von denen man ab und zu liest, eigentlich etwas ganz Anderes steckt: nämlich heutige Unternehmen, die in der Gegenwart leben, aber nicht industriell produzieren und nicht jeden Trend mitmachen. Das Buch soll eine Lebens- und Arbeitseinstellung zusammenfassen.

Mir ging es tatsächlich darum, dass auch Unbeteiligte Eindrücke aus dieser Welt bekommen können – quer durch die Gewerke, quer durch die unterschiedlichen Größen der vorgestellten Betriebe. Bilder sind da natürlich ebenso wichtig wie Texte. Die Typografie des Buches ist vielleicht etwas experimentell, na ja, das ist Geschmacksache!

Zum Inhalt. In deinem vorangestellten Essay fällt das Wort „Pietät“ auf. Was hast du dir bei der Einführung dieses Wortes in den Manufakturen- und Konsum-Gesellschafts-Diskurs gedacht?

Der Begriff Pietät wirkt ziemlich aus der Zeit gefallen, das dachte ich auch schon… er wird ja eher mit Bestattungsunternehmen im Verbindung gebracht. Mir ging es aber um etwas Anderes. Ich wollte ausdrücken, dass Unternehmen heute, nach allem was man weiß, eine Verantwortung tragen: für die Umwelt, den Konsum, das Anstiften von positiven oder kritischen sozialen Verhaltensweisen.

Manufakturen-Blog: Das neue Buch 'Handmade in Germany - Manufactory 4.0' von Pascal Johanssen - versehen mit Arbeitsmarken des Interviewers (Foto: Wigmar Bressel)

Das neue Buch ‚Handmade in Germany – Manufactory 4.0‘ von Pascal Johanssen (versehen mit Arbeitsmarken des Interviewers)

Dieses Verantwortungsbewusstsein trägt heute – gerade in Deutschland – jeder gern vor sich her, jedes Unternehmen, ob es jetzt Windkraftanlagen baut oder Müsli einrührt. Diese demonstrative „Verantwortung“ ist mittlerweile ein Standart-Dispositiv des Ethik-Marketings. Pietät ist leiser. Ein eingeschriebenes Gefühl für Angemessenheit, das man hat oder nicht. Die Produkte der Zukunft müssen neben ihren anderen Produktqualitäten mit einer Selbstverständlichkeit „Gutes“ bewirken, ohne das man darüber ständig reden muss.

Du meinst, du hast ein Wort gesucht, das von den Zeitgeist-Leuten noch nicht leichtfertig verbraucht wurde…

Ja. Zeitgeist ist ja nichts Schlechtes, aber die große „Verantwortungserwartung“, die die heutige Welt jedem abverlangt, macht alles so schwer. Eine selbstverständliche Leichtigkeit, ein intelligenter Umgang mit Ressourcen, wäre doch schon ausreichend.

Du weist im Buch den Manufakturen eine Bedeutung für die Nachhaltigkeits-Wende im Konsumgüterbereich zu. Siehst du in der Produktionsart von produzierendem Handwerk und Manufakturen eine Immanenz in der Frage von Nachhaltigkeit?

Ich habe mir immer die Frage gestellt: Welche Rolle spielt eigentlich ein nicht-industriell produzierendes Unternehmen heute noch? Soll es – wie ein Museum – an althergebrachte Fertigungstechniken erinnern? Natürlich nicht. Manufakturen sind auch nicht einfach Luxusunternehmen, die für die happy few produzieren. Das können gern die Luxuskonzerne übernehmen. Aus meiner Sicht knüpfen Manufakturen an den Werkbund-Gedanken an, an die Frage, was eigentlich ein gutes Produkt ausmacht, das sich in die alltägliche Lebenswelt von normalen Menschen einbringen kann. Die Lösung dieser Frage ist gar nicht so einfach, weil allen ethischen und emotionalen Wünschen immer eine wirtschaftliche Realität für alle Beteiligten entgegensteht. Die Beantwortung der Frage, was ein gutes Produkt heute ist, also die Aktualisierung des Werkbund-Gedankens, kommt an der nachhaltigen Produktion nicht vorbei. Für die Realisierung der Konsumwende haben Manufakturen tatsächlich eine aktuelle Relevanz! Sie können hier etwas leisten, was andere nicht können. Die anderen großen Themen – die Energiewende oder Mobilitätswende etc. – werden zwischen Politik und Industrie ausgehandelt. Hier haben Manufakturen keine messbare Wirkung, sie sind höchstens Ideengeber. Bei der privaten Konsumwende können Manufakturen einschreiten: sie bieten dem Kunden, der das gängige Industrieprodukt sieht und kennt, das etwas bessere Produkt. Die Alternative, die vielleicht sauberer produziert wurde, die etwas schöner ist, bei dem der Kunde vielleicht sogar denjenigen kennt, der es hergestellt hat. Das sind Qualitäten, die Industrieprodukte nur ganz schwer simulieren können.

Fotos: Philipp Haas, Wigmar Bressel

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Pascal Johanssen (ed.)

Handmade in Germany – Manufactory 4.0

deutsch/englisch, Hardcover

EUR 38,00

ISBN 978-3-89790-541-2

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„Noch besser als ein schönes Hemd, ist ein schönes Hemd, das passt“ – zu Besuch in der Hemdenmanufaktur Campe & Ohff

16. April 2018, Lauterbach. Allein das Wort ist etwas Besonderes. Haifisch-Kragen. Ein Hemdkragen. Das Merkmal des Haifisch-Kragens ist, dass die beiden Kragenspitzen sehr weit auseinander liegen, gewissermaßen nach außen streben. Einen breiten Krawattenkonten mit Volumen bringt das exzellent zur Geltung. Wer genau sich, vor mehr als einhundert Jahren, die Bezeichnung ausgedacht hat, ist nicht zuverlässig überliefert. Jedenfalls ist diese spezielle Kragenform im Englischen – weit weniger bildhaft – auch als Cut-Away-Kragen bekannt. Eine Theorie über den Ursprung des ungewöhnlichen Namens besagt, dass der Raum zwischen den Kragenspitzen – einem gleichschenkligen Dreieck ähnlich – an den Umriss eines Haifisch-Gebisses erinnere. Darum: Haifisch-Kragen.

Das Wort ist jedenfalls prägnant, es assoziiert Verwegenheit, Energie und Schnelligkeit. Man hat den Eindruck, dass sein Schöpfer etwas von diesen Attributen –  aber auch der Eleganz des Raubfisches – in die Bezeichnung der Kragenform einfließen lassen wollte. Ob auch Bertold Brecht in seiner 1928 entstandenen, gesellschaftskritischen „Dreigroschenoper“ an den Haifisch-Kragen gedacht hat, als er schrieb: „Und der Haifisch, der hat Zähne. Und die trägt er im Gesicht“, ist zumindest vorstellbar.

„Der Haifisch-Kragen“, sagt Christian von Campe. „Ist ein Klassiker, – aber beim Business-Outfit immer noch aktuell. Da wird verbreitet Krawatte getragen und er passt einfach sehr gut dazu.“ Christian von Campe ist einer der beiden Geschäftsführer der Hemdenmanufaktur „Campe & Ohff“. Hans-Henrik Ohff der andere. Die „von Campe & Ohff GmbH“ wurde 1996 gegründet. Acht Jahre zuvor – im Oktober 1988 – leistete Christian von Campe seinen Grundwehrdienst bei der Bundeswehr. „Damals“, so sagt er, „begegnete ich zwei Menschen, zu denen sich im Laufe der Zeit eine sehr innige und intensive Freundschaft entwickelt hat: Christian Ohff und Friedrich von Schönfels.“

Je mehr sich die zweijährige Dienstzeit dem Ende näherte, desto wichtiger wurde das Thema Zukunft in den Überlegungen und Gesprächen der Freunde.

„Wir hatten den Spleen“, sagt Christian von Campe rückblickend, „irgendetwas Selbstständiges zu machen, aber keine konkrete Vorstellung davon, was das sein sollte.“

Nach dem Wehrdienst hielten sie Kontakt, gingen jedoch erst einmal getrennte Wege. Christian von Campe studierte Betriebswirtschaft in Berlin.

„Für ein Praktikum“, sagt er, „brauchte ich die passende Garderobe und wollte Maßhemden bestellen. Ich fand keine geeignete Adresse in Deutschland. Also orderte ich eins bei einer Firma aus Hongkong. Das Erste, das ankam, war ganz in Ordnung. Von zehn weiteren, die ich bestellt hatte, war keines so wie ich es haben wollte. Die konnte man eigentlich nur in die Tonne treten.“

Vielleicht kann man den Zeitpunkt, an dem Christian von Campe diese Erfahrung seinen Freunden mitteilte, als die Geburtsstunde der Hemdenmanufaktur „Campe & Ohff“ bezeichnen. Die Phase in der sich die, bis dahin eher vage Ideenfindung konkretisierte. Gemeinsam mit Christian Ohff entstand der Plan, Maßhemden in Deutschland anzubieten.

„Eine der Vorgaben, die uns dabei wichtig erschienen“, erläutert Christian von Campe. „War, dass das Hemd nicht mehr als 100 D-Mark kosten sollte.“

Als nächstes begann die Suche nach geeigneten Lieferanten, die unter dieser Voraussetzung qualitativ hochwertige Hemden produzieren konnten. „Christian Ohff und ich sind kreuz und quer durch Europa gefahren, um uns Firmen anzuschauen und Messen zu besuchen. Das war sehr intensiv“, erinnert sich Christian von Campe. „Im Jahr 1996 hatten wir dann auf einer dieser Touren einen schweren Verkehrsunfall, den Christian leider nicht überlebte.“

Das gemeinsam begonnene Projekt wäre in dieser tragischen Situation zu einem Ende gekommen, hätten sich die Familien der Beteiligten nicht nachdrücklich dafür ausgesprochen es weiterzuführen. Hans-Henrik Ohff, der jüngere Bruder von Christian Ohff, der in Berlin Geographie studierte, sprang ein und engagierte sich nun ebenfalls in Produktion und Vertrieb von Maßhemden. In den nächsten Jahren bauten sie so einen Versandhandel auf. Produziert wurde an verschiedenen Orten in Europa, unter anderem in Polen.

„Im Spätherbst 1996“, sagt Christian von Campe, „kamen wir mit unserem ersten Katalog heraus. Damals hatten wir eine Schneiderei in der Pfalz, mit der wir zusammengearbeitet haben.“

Schon bald gingen die ersten Bestellungen ein. „Leider“, so Christian von Campe, „stellte sich schnell heraus, dass diese Schneiderei der Sache nicht gewachsen war. Wir – Herr Ohff, meine Frau (Charlotte von Strenge, Schneidermeisterin und technische Leiterin von Campe & Ohff) und ich  – mussten immer öfter selbst hinfahren und bei den Zuschnitten helfen. Ich hatte in Kunst immer eine Vier und war da eher unbeholfen, – aber: Die Idee hat uns zusammengeschweißt!“

In dieser Zeit wurde auch in Hamburg ein erstes Ladengeschäft eröffnet, damit sich die Kunden die Stoffe ansehen, und ihre Maße nehmen lassen konnten. „Ein reiner Online- oder Versandhandel ist mit Maßhemden nicht gut machbar“, erläutert Christian von Campe. „Bei den Stoffen fehlt die Haptik, wenn man sie nur auf dem Bildschirm sieht. Man muss einen Stoff in der Hand haben, um ein Gefühl für die Struktur und Festigkeit zu bekommen. Außerdem sehen die Farben in natura anders aus, als auf einer Abbildung.“

Heute verschickt Campe & Ohff in etwa zweimonatigem Rhythmus Stoffproben an seine Kunden und unterhält neben dem Ladengeschäft in Hamburg ein weiteres in Berlin. „Die meisten Kunden, die heute über unsere Website bestellen“, sagt Christian von Campe, „haben die Stoffe zumindest irgendwann einmal selbst in der Hand gehabt.“

Manufakturen-Blog: Hans-Henrik Ohff und Christian von Campe in der Manufaktur in Lauterbach (Foto: Martin Specht)

Hans-Henrik Ohff und Christian von Campe (v. l.) in der Manufaktur in Lauterbach (Foto: Martin Specht)

Im Oktober 1998 bezog Campe & Ohff eine eigene Produktionsstätte in Lauterbach. Seitdem wird in der nordhessischen Kleinstadt produziert. Insgesamt arbeiten 11 Mitarbeiter im Vertrieb, 25 in der Produktion. Im Jahr 2017 wurden circa 15 000 Maßhemden hergestellt.  Von der anfänglichen Idee eines reinen Versandhandels, sagt Hans-Henrik Ohff, sei man aber im Laufe der Zeit abgekommen.

„Wir haben gemerkt, dass der persönliche Kontakt zu den Kunden das A und O ist. Darum gehen wir auch auf Messen und sind auf Veranstaltungen präsent. Es gibt immer wieder Firmen, die versuchen, im großen Stil Maßhemden über das Internet oder über das Kaufhaus zu verkaufen. Aber ich glaube, das Maßhemd bei Aldi wird es nie geben. Dazu braucht man einfach zu viel Beratung. Es ist viel persönlicher, als einen Artikel nur in den Einkaufswagen zu legen.“

Christian von Campe fügt an: „Die Idee, dass Kunden ihre Maße selbst nehmen und dann über das Internet oder schriftlich mitteilen, funktioniert nicht. Bei uns werden für die Maßanfertigung auch individuelle Haltungsmerkmale berücksichtigt. Wir nehmen die Halsweite, Oberweite, Taillenweite, den Hüftumfang, die Oberarmweite, Schulter- und Rückenbreite, die jeweiligen Armlängen und den Umfang der Handgelenke von rechter und linker Hand.“ Auf den Unterschied zwischen Maßanfertigung und Maßkonfektion, wie sie beispielsweise manche Kaufhäuser anbieten, angesprochen, reagiert Christian von Campe skeptisch.

„Das ist ein strittiges Thema. Es gibt keine juristische Definition für eine Maßanfertigung. Für uns stellt es sich jedoch so dar, dass bei einer Maßkonfektion lediglich Längenmaße verwandt und verändert werden. Zum Beispiel die Rumpf- und Armlänge in Kombination mit der Halsweite. Aber für die Konstruktion des Schnittes werden nur Standardmaße zu Grunde gelegt. Individuelle Haltungsmerkmale werden in der Maßkonfektion definitiv nicht berücksichtigt.“

Hans-Henrik Ohff ist der Ansicht: „In der sogenannten Maßkonfektion steht im Vordergrund, dass der Kunde hinsichtlich der Ausstattung (Kragenform, Manschetten, Knöpfe) frei entscheiden kann. Aber nicht hinsichtlich der Maße, denn es werden Standardmaße verwandt.“

Einen großen Vorteil sehen Christin von Campe und Hans-Henrik Ohff in der räumlichen Nähe von Verkauf und Produktion. Sie legen Wert darauf, heute ausschließlich in der Bundesrepublik Deutschland zu produzieren. Das erlaubt ihnen, auf Änderungswünsche ihrer Kunden schnell und zuverlässig reagieren zu können. Kragen und Manschetten lassen sich auch nach Jahren noch austauschen, Änderungen zeitnah vornehmen. „Das ist ein Vorteil, den wir haben“, so Christian von Campe. „Und der zur Kundenbindung beiträgt. Ich habe das Gefühl, dass unsere Kunden gerne eine persönliche Beratung in Anspruch nehmen. Das Produkt ist individuell, die Menschen sind individuell, darum muss man ihnen auch entsprechend begegnen können.“

Überhaupt seien ihre Kunden, sagen die Geschäftsführer von Campe & Ohff, in der Regel Menschen, die großen Wert auf Individualität legen. Viele von ihnen lassen sich die maßangefertigten Hemden monogrammieren, um zu zeigen, dass sie etwas Besonderes und Eigenes tragen. „Das Monogramm“, erläutert einer der Geschäftsführer, „verleiht dem Hemd eine persönliche Note. Die Initialen lassen darauf schließen, dass man sich etwas hat anfertigen lassen. Das hat in der Wahrnehmung eine höhere Bedeutung.“

Spielen angesichts dieser Überlegungen Faktoren wie Mode und Modernität für Campe & Ohff überhaupt eine Rolle? Sie tun es, sagt Hans-Henrik Ohff: „Modernität hat insofern eine Bedeutung, weil mehr jüngere Leute in die Ladengeschäfte kommen. Aber unsere Hauptkunden sind solche, die die Hemden für ihren Beruf brauchen. Darum sind auch die Farben der Stoffe, in denen wir anfertigen, hauptsächlich Weiß oder Blau. Diesen Kunden geht es höchstens mal um eine neue Kragenform (Campe & Ohff bietet über 100 verschiedene Kragenformen an) oder Brusttasche, aber nur selten um einen neuen Schnitt.“

Christian von Campe ergänzt: „Wir machen hauptsächlich Business-Hemden, die in der Kanzlei, dem Büro, der Bank oder wo auch immer getragen werden. Für uns ist es interessant, wenn ein Kunde immer wieder bestellt, um seinen Bedarf zu decken. Darum rennen wir nicht jedem Trend hinterher, verschließen uns aber auch nicht. Wenn der Haifisch-Kragen mal etwas weiter oder enger sein soll, dann machen wir das auch mit.“

Die Kundenstruktur, hauptsächlich im Business-Bereich angesiedelt, erklärt auch die Auswahl an Stoffen, die Campe & Ohff anbietet. Die Manufaktur arbeitet mit Webereien in der Schweiz und Italien zusammen. „Unsere Stofflieferanten gehören zu den besten der Welt“, sagt ein stolzer Christian von Campe. „Wir haben in unseren Musterbüchern ständig etwa 1500 verschiedene Stoffe, die wir verarbeiten können. Wenn ein Kunde ein einzelnes Hemd bestellt und wir dafür circa zwei Meter Stoff brauchen, bestellen wir den auch. Zur Auswahl kann man sagen: Etwa 50 Prozent der Stoffe, die wir anbieten, sind sogenannte Klassiker. Schwerpunkt auf Blau in verschiedenen Farbtönen und Strukturen, sowie Weiß. Beides wird im offiziellen Bereich getragen. Wenn der Bankvorstand aber sagt, er möchte auf dem Golfplatz auch ein Maßhemd tragen, für diesen Fall haben wir zum Beispiel auch karierte Stoffe im Programm.“

Dies gesagt, halten die beiden Geschäftsführer die Eröffnung einer zusätzlichen Luxuslinie von Campe & Ohff nicht für sinnvoll. Die Stoffqualität ist ohnehin schon außergewöhnlich hoch und auf Wunsch werden auch Perlmuttknöpfe verarbeitete. Die Preise für ein Maßhemd bewegen sich in der Regel zwischen achtzig und zweihundert Euro.

„Wenn wir eine noch hochwertigere Linie anbieten wollten“, sagt Hans-Henrik Ohff, „dann müssten wir auch mehr Optionen – beispielsweise von Hand angenähte Knöpfe – bieten. Das aber würde nicht in unsere bestehende Produktion passen. Es ist fraglich, ob der Kunde bereit wäre, den Aufwand zu bezahlen.“

Der Produktionsablauf, von dem Hans-Henrik Ohff spricht, ist so organisiert, dass ein Maßhemd möglichst effizient in etwa 70 bis 75 Minuten hergestellt werden kann. Der Zuschnitt des Stoffes erfolgt automatisch, die Maße des Kunden werden in ein CAD-Programm übertragen. Nach dem Zuschnitt entsteht in etlichen Arbeitsschritten – die Ärmel, Kragen und Manschetten werden genäht und zusammengesetzt, ebenso die Knopfleiste, eventuell ein Monogramm eingearbeitet, das Hemd wird gesäumt – ein Maßhemd. Endkontrolle und Verpackung finden unmittelbar im Anschluss an die Produktion statt.

„Wir bieten“, sagt Christian von Campe, „ein sehr gutes Preis-Leistungs-Verhältnis.“

Die Geschäftsführer der Manufaktur – die übrigens Gründungsmitglied des Verbandes Deutsche Manufakturen war – sind sich sicher, dass es auch in Zukunft genügend Kunden geben wird, denen ihr Auftreten und ihre Erscheinung ein maßgefertigtes Hemd wert ist.

„Zum Anzug mit Krawatte“, sagt Christian von Campe. „Gehört meiner Ansicht nach ein Hemd, das mit Manschettenknöpfen getragen wird. Der Konfektionshandel bietet da nur eine stark eingeschränkte Auswahl an Stoffen. Das ist bei uns anders. Ein Hemd mit Manschettenknöpfen ist vielleicht etwa umständlicher anzuziehen, aber ich finde, dafür entschädigt das bessere Aussehen allemal.“

Hans-Henrik Ohff nickt und sagt: „Noch besser als ein schönes Hemd, ist ein schönes Hemd, das passt.“ Auch das ist eine Haltung.

Fotos: Martin Specht

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Matthias Philipp von der Handmade-Worldtour: „Förderprogramme und finanzielle Zuschüsse für Manufakturen weiter ausbauen“

31. Dezember 2017, Berlin. Die Handmade-Worldtour des Berliner Direktorenhauses ist das ehrgeizigste Projekt in der Manufakturen-Branche. 180 Manufakturen und Designbüros sind seit dem Jahr 2015 gemeinsam rund um den Erdball mit einer großen Produkt- und Leistungsschau unterwegs. Start war in St. Petersburg – in den Jahren 2016 und 2017 war sie quer durch China unterwegs. In 2018 erfolgt der Wechsel in die USA. Gerade erschien der ‚Rundbrief‘ zum Jahresende 2017 für die Teilnehmer – Projektleiter Matthias Philipp berichtet von den Stationen, kündigt eine ständige Handmade-Vertretung in Peking sowie Bemühungen um Fördermittel für Manufakturen an.

Die ehrgeizige Ausgangsüberlegung der Direktorenhaus-Crew um Pascal Johanssen und Katja Kleiss war: Kann es schaffen, deutsche Manufakturprodukte und neues deutsches Design auch jenseits der großen Konzernmarken in den Multimillionen-Metropolen der Welt zu zeigen? An erstklassigen Standorten? Mit überschaubarem finanziellen Aufwand für alle Beteiligten – genaugenommen zu Aussteller-Kosten einer einzigen Frankfurter „Ambiente“ oder einer „IMM Cologne“? Aber genauso Geschäftskontakte knüpfen und Verkäufe einfädeln? Es entstand eine Warenpräsentation in Form einer Kunstausstellung… Nicht der Händler wird angesprochen – sondern jeder einzelne Besucher der Schau. Manchmal mehrere Tausend am Tag.

Wagemutige gab es von Anfang an genug – inzwischen hat sich die Teilnehmerzahl an der Worldtour auf 180 verdoppelt. Natürlich gab es auch Genörgel: Schon verspätet gestartet. Der Zeitplan zwischen den Stationen wurde nicht eingehalten. Manchmal war den Teilnehmern unklar, wie unnd wohin die Reise weiterlaufen würde. Zusatzstationen kamen hinzu. Der Verkaufsshop auf Chinesisch hinter der China-Firewall lässt seit mehr als einem Jahr auf sich warten. Probleme wurden unterschätzt – aber wer schon Geschäfte in Asien gemacht hat, kennt Probleme ja und weiß, wie aufwendig die Abwicklung sein kann: Zoll, Transport, Zusammenarbeit. Alles auch Fragen der Kultur.

Matthias Philipp zieht in seinem Rundbrief so Bilanz: „2017 konzentrierten wir uns nochmal ganz auf den chinesischen Markt, der gerade im Bereich der Luxuswaren und Qualitätserzeugnisse mit dem größten Wachstumspotenzial weltweit aufwartet und ein sehr attraktives Marktumfeld für deutschen Unternehmen bietet. Im Fokus standen deshalb die beiden Tier-1-Städte Peking und Tianjin, die zu den wichtigsten Handels- und Finanzmetropolen auf dem chinesischen Festland zählen und das höchste Einkommenslevel/BIP pro Kopf aufweisen – sowie Hongkong, das nach wie vor eines der wichtigsten Handelszentren in Asien ist.

Manufakturen-Blog: 'Handmade Worldtour' in Peking 2016 - Besucher an der Vitrine mit Besteck von Koch & Bergfeld (Foto: Direktorenhaus)

‚Handmade Worldtour‘ in Peking 2016 – Besucher an der Vitrine mit Besteck von Koch & Bergfeld (Foto: Direktorenhaus)

Aufgrund des großen Interesses der deutschen Manufakturen am chinesischen Markt, unseren Erfahrungen im Bereich Logistik und Zollabwicklung sowie unseren zahlreichen Kontakten in die chinesische Wirtschaft und zu chinesischen Medien bleibt ‚Handmade in Germany‘ auch weiterhin in China präsent! 2018 eröffnen wir deshalb in Peking ein ‚Handmade in Germany‘-Verbindungsbüro. In Zusammenarbeit mit dem Berliner Senat wird dieses als erste Anlaufstelle für deutsche Manufakturen und kleine und mittelständische Unternehmen für den Markteintritt beziehungsweise die weitere Markterschließung sowie den Vertrieb in China dienen.“

Insbesondere die deutsche Politik sei weiter zu sensibilisieren und für die Interessen kleiner deutscher Mittelständler zu begeistern: „Bevor es nächstes Jahr mit der Ausstellung weiter nach New York City geht und wir die Möglichkeiten hinsichtlich Förderprogramme und finanzieller Zuschüsse für Manufakturen weiter ausbauen.“

Fotos: Direktorenhaus

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Zur Handmade-Worldtour im chinesischen Fernsehen (aus Vimeo):

 

Orden, Anstecknadeln, Manschettenknöpfe – Deumer gibt die Antwort auf die Frage nach Manufaktur-Schmuck

29. November 2017, Lüdenscheid. Ich trage ja meistens Manschettenknöpfe. Kunststück – da ich wegen etwas längerer Arme sowieso nur Maßhemden von Campe & Ohff ordere, kann ich mir die Manschettenform für jedes Hemd aussuchen; preislich sind sie gleich, ob mit Umschlag für den Zierknopf, oder die Sportmanschette mit Kunststoff-Perlmutt-Imitat. Also bestelle ich oft „für Manschettenknöpfe“. Da im Knopf-Handel viel minderwertige Gussware angeboten wird, war es also „wenn, dann“ der Gang zum Goldschmied oder Juwelier. Vor einiger Zeit traf ich auf ein faszinierendes Paar in Sterlingsilber mit umlaufendem blauen Emaille-Band – von Deumer. Es wurde für mich Zeit, der Frage nachzugehen, wo serieller Manufaktur-Schmuck aus Deutschland seinen Platz hat, wenn auf der einen Seite billigerer Import aus Fernost drängt, auf der anderen Seite der Goldschmied mit Unikaten lockt. Ich fuhr ins Sauerland.

Lüdenscheid. Von einer Frau in einer Besprechung in Bochum wurde ich zuvor gewarnt, man wolle „dort nicht tot über dem Zaun hängen“. Und so präsentierte sich Lüdenscheid – immerhin oberhalb von 420 Metern über ‚Normal-Null‘ liegend – auch im November bei einem Grad Celsius und Schneefall grau. Deumers Adresse ‚Gartenstraße‘ hatte mich schon lange irritiert – Gewerbebau auf der „grünen Wiese“? Ja, aber irgendwie beruhigt stellte ich fest, dass es sich bei der heutigen Innenstadt-Lage um die namensgebenden Gärten zur Gründerzeit gehandelt haben muss, und mein Bild vom berühmten Produzenten nicht durch einen heutigen Trapezblechbau zu leiden braucht. Deumer produziert immer noch in einem schlichten, mehretagigen Fabrikbau mit Innenhof aus ebenjener Zeit. Innendrin die Faszination aus Altbau, Umbau, Anbau; Holzfußböden, grüne Maschinen, Mitarbeiter, die Raum für Raum an diesen klitzekleinen Anstecknadeln, Schmuckstücken, Orden, Medaillen, Manschettenknöpfen arbeiten. Werkzeuge bauen, vergolden, polieren, Emaille schmelzen, Metall mit dem Pinsel lackieren. Hochkonzentriert. Es duftet nach Schmieröl, es rumst, wenn die Spindelpresse losschlägt, die Stanze die Ronden aus den Blechen haut.

Johan Conze ist allein da. Sein Bruder und Mitgeschäftsführer Friedrich ist unterwegs. Den Conzes gehört das Unternehmen seit vier Generationen, seit ihr Urgroßonkel Wilhelm Conze vor hundert Jahren von der kinderlosen zweiten Deumer-Generation die Geschäftsanteile erwarb.

Manufakturen-Blog: Die Brüder Johan Conze und Friedrich Assmann leiten Deumer seit der Jahrtausendwende (Foto: Deumer)

Die Brüder Johan Conze und Friedrich Assmann (v. l.) leiten Deumer seit der Jahrtausendwende

Eigentlich wäre Wilhelm Deumer im Jahr 1863 auch mit Metallknöpfen für Uniformen gestartet. „In Lüdenscheid ist die Metallbearbeitung seit zweitausend Jahren nachgewiesen. Unsere Stadt war sogar einmal die Welthauptstadt der Metallknopf-Produktion – hier gab es 180 Firmen, die Knöpfe produzierten“, erzählt Johan Conze. Auf einmal hat Lüdenscheid mein Interesse. Und heute? „Gibt es nicht mehr. Wir bieten gerne noch Knöpfe für Smokinghemden an.“ Conze lacht. Es ist klar, dass man die 27 Mitarbeiter des Unternehmens damit nicht auslasten kann. Nicht einen, genaugenommen. Als hätte es Wilhelm Deumer – selbst gelerntet Metallbearbeiter und ursprünglich in der Knopfproduktion zu Hause – geahnt, hörte er von einem neuen Vergoldungverfahren und gewann einen Geschäftspartner zur Gründung seiner Fabrik mit dem Schwerpunkt Medaillen und Abzeichen.

Er bewarb sich erfolgreich um die Fertigung von Orden und Auszeichnungen – selbst heute macht ein ganz schöner Teil vom Umsatz die Fertigung von Schützenmedaillen aus. „Die sind immer noch häufig aus Silber.“ Obwohl selbst Lieferant von Auszeichungen für Armee und Politik zwischen 1933 und 1945, fertigt Deumer ab Kriegsende bis zum Abzug der britischen Truppen nach dem Mauerfall zahlreiche  Auszeichnungen der Britischen Rheinarmee. „Heute wächst der Umsatz mit hochwertigen Firmenauszeichnungen, Anstecknadeln… die können ruhig schon mal etwas kosten!“, Conze zeigt mir Beispiele, die gerade in Produktion sind: Echtgold, mit Brillianten besetzt, für die erfolgreichsten Vertriebsleute eines großen deutschen Mittelständlers. „Für solch eine Nadel brauchen wir schonmal 600 Euro.“ Und – wollen Männer so ausgezeichnet werden (es fehlt ja an Eichenlaub und Schwertern dazu)? „Also mir sagt der Einkäufer: unbedingt! Aber es liegt für die Ausgezeichneten ja auch immer noch ein großer Check für Boni dabei.“

Auf die Emaillewerkstatt ist man bei Deumer natürlich sehr stolz. Conze: „Wir sind die Einzigen in Deutschland, die das noch im seriellen Stil betreiben und können.“ Und so kommen zum Beispiel immer noch die Porsche-Embleme für alle, die sie sich zumeist für ihre historischen 911er leisten wollen und bestellen, von Deumer. Denn werkseitig werden heute in der Herstellung weniger aufwendige Deckelwappen verbaut.

Daher rührt auch die Deumer-typische Verbindung von Emaille und Manschettenknopf. Eigentlich ist dieses Schmelzglas nicht wertvoll – aber die Verarbeitung ist schwierig und aufwendig: Mit einer Flüssigkeit verbinden, schmelzen, Risse und Unebenheiten polieren, wieder überschmelzen, wieder polieren… Dabei ist Emaille schon lange bekannt: Die ältesten Funde stammen aus mykenischen Gräbern und seien 3500 Jahre alt, heißt es im firmeneigenen Blog.

Manufakturen-Blog: Schleifen und polierenen - bis alles schön glatt ist und glänzt (Foto: Wigmar Bressel)

Schleifen und polieren ist die wichtigste Handarbeit – bis alles schön glatt ist und glänzt, wie bei dieser Anstecknadel, die Dennis Busse poliert


Manufakturen-Blog: Manschettenknopf 'Blaues Band' mit blauem Knopf-Gegenstück (Foto: Deumer)

Manschettenknopf ‚Blaues Band‘ in Sterlingsilber mit blauem Knopf-Gegenstück

Der Aufwand, sehr gute Emaille zu erschaffen, ist der Grund, weshalb sie aus der Verarbeitung nahezu verschwunden ist. Der Industrie ist sie – außer als hauchdünne Industrie-Emaille beim Backblech – zu teuer; für Handwerker – wie Goldschmiede und Juweliere – ist sie kaum vorzuhalten: Schmelzofen, Energiebedarf, serielle Fertigung in Stückzahlen – das kann nur die Manufaktur noch leisten. Und da ist Deumer die Einzige. Und es beantwortet auch die Frage zur Notwendigkeit seriellen Manufakturschmucks – nur so können bestimmte kulturelle Handwerkstechniken, wie diese, erhalten bleiben.

Der theoretisch günstige Werkstoff Emaille ist also aufgrund seiner Seltenheit und seiner kulturellen Bedeutung wertvoll geworden – und so geht er bei Deumer eine schöne Symbiose mit Gold, Silber und anderen Metallen ein.

Meine ersten Manschettenknöpfe habe ich mir von meinem Vater geliehen, um im ersten Smoking meines Lebens zum Landespresseball gehen zu können. Es waren wunderbare, jedoch sehr einfach verarbeitet, Emaille-Silber-Knöpfe – eben aus der armen Nachkriegszeit. Ich war 21 Jahre alt. Zwei Jahre später nötigte ich auf Besuch bei meinem Onkel Arturo in Madrid diesen, mit mir in die Innenstadt zu fahren – ich habe mir bei einem Juwelier dann ‚Goldene‘ gekauft, die ich immer noch gerne trage (und an ihn denke). Bei Messeaufenthalten auf der ‚Ambiente‘ kamen Verschiedene aus Silber und Gold eines italienischen Anbieters hinzu. Dann kam der Mut, eigene Manschettenknöpfe zu entwerfen – sie sind gewölbt und rund oder gewölbt und quadratisch, aus Silberblechen ausgesägt und von Hand geschlagen. Hundert Stück mögen wir im Laufe einiger Jahre verkauft haben… Jetzt habe ich mir also nach langer Zeit wieder ein Paar gekauft – natürlich das mit dem blauen Band.

Ja, Manschettenknöpfe… man übersteht das Leben wahrscheinlich auch ohne – jedoch nicht so schön!

Fotos: Wigmar Bressel, Deumer (2)

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Zur Geschichte der Manschettenknöpfe ‚Blaues Band‘ im Unternehmens-Blog bei Deumer…

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‚Style‘ und ‚Style.us‘ – die fantastischen Schreibgeräte der Familie Mümmler

14. November 2017, Neumarkt. Sie sind so filigran. So schön. So praktisch mitzunehmen. Und mit ihnen schreibt sich so geschmeidig… Ich stelle fest, ich schwärme für die nur acht Millimeter dünnen Holzkugelschreiber der im Jahr 1899 gegründeten Holzschreibgerätemanufaktur e+m Holzprodukte aus dem oberpfälzischen Neumarkt!

Zuerst gesehen habe ich die Kugelschreiber aus den Hölzern Wildkirsche, Wenge, Zebrano oder Walnuss als Neuheit auf der Frankfurter Messe ‚Ambiente 2017‘ in Frankfurt. Wieder aufgetaucht sind sie dann mit dem Stylus-Gummi an der Kappe zum Bedienen von Tablets und Smartphones im Wettbewerb um das ‚Manufaktur-Produkt des Jahres 2017‘ – und dort eroberten sie sofort den 2. Platz im Hauptwettbewerb (in der Jury war u. a. Manufactum-Chef Dr. Christopher Heinemann und der ‚Digital-Papst des deutschen Handwerks‘ Christoph Krause).

Holz ist ‚das‘ Gen des Unternehmens der Familie Mümmler: Vor 118 Jahren von Konrad Ehmann gegründet, ging es damals um den perfekten Federhalter – eines der wichtigen Schreibgeräte der Zeit. Und Ehmann entwickelte und tüftelte… Bald hatte er 10 000 verschiedene Federhalter in Form und Farbe im Angebot, wurde der größte Federhalter-Fabrikant des Deutschen Reiches. Es kamen die Kriege, im zweiten wurden die Produktionshallen komplett zerstört… In vierter Familiengeneration trat Wolfram Mümmler in der 1980er Jahren in das von seinem Urgroßvater gegründete Familienunternehmen ein, erwarb nach und nach alle Gesellschaftsanteile von den anderen Familienmitgliedern, aus Ehmann wurde Ehmann + Mümmler, wurde die e+m Holzprodukte GmbH & Co. KG. Seine Frau Brigitte kam hinzu… Jetzt die Töchter, von denen Leonie in Hamburg studierte und in einer Kommunikationsagentur arbeitet, und Dorothee, die inzwischen Produktdesign an der Kunsthochschule Burg Giebichenstein studiert; beide haben schon am Messestand gejobbt, die Eltern ab und an vertreten und sich der Frage stellen müssen, ob sie einzeln oder gemeinsam die fünfte Familiengeneration im Unternehmen werden möchten…

Manufakturen-Blog: Brigitte Federhofer-Mümmler und Wolfram Mümmler in ihrem Betrieb - seit vielen Jahren denken sie sich immer neue Schreibgeräte aus Holz aus (Foto: e+m Holzprodukte)

Brigitte Federhofer-Mümmler und Wolfram Mümmler in ihrem Betrieb – seit vielen Jahren denken sie sich immer neue Schreibgeräte aus Holz aus (Foto: e+m Holzprodukte)

Manufakturen-Blog: Dorothee und Leonie Mümmler nehmen von Hartmut Gehring auf dem 9. Zukunftsforum Deutsche Mnaufakturen die Urkunde für Style.us entgegen (Foto: Deutsche Manufakturen e. V. / Martin Specht)

Dorothee und Leonie Mümmler nehmen von Hartmut Gehring auf dem 9. Zukunftsforum Deutsche Manufakturen die Urkunde für Style.us entgegen (Foto: Deutsche Manufakturen e. V. / Martin Specht)

Noch heute werden laut Produktkatalog von e+m Holzprodukte „alle Produkte nach alter Tradition auf klassischen Drechslereimaschinen hergestellt. Ein besonderes Anliegen“ sei „die Bewahrung der alten handwerklichen Traditionen“ sowie deren „Umsetzung in neue Produktionsschritte“.

Mümmlers stehen für Nachhaltigkeit. Die Manufaktur-Mitarbeiter begeistern sich für einheimische Hölzer. Der Betrieb ist seit dem Jahr 2007 FSC-zertifiziert: „Die Zertifizierungskette erstreckt sich vom Wald über das Sägewerk bis hin in die Manufaktur.“

Natürlich ist bei soviel Verständnis für Holz auch eine große Faszination für alle Hölzer dieser Erde da – und so wurden ‚Style‘ und ‚Style.us‘ mit Wenge und Zebrano geadelt. Hauchdünnes Holz mit Wechselminen, deren Schreibpaste besonders gut fließt, da an ein Mini-Lüftungsloch im Griff gedacht wurde, das einen Unterdruck verhindert. Hinzu kommt die stylische Metallkappe aus Messing oder Kupfer, mit oder ohne Stylus-Gummi, die – hinten aufgesteckt -, das Schreibgerät auf gute dreizehneinhalb Zentimeter verlängert und für die meisten Hände ausreichend groß macht. Faszination für EUR 35,00 – 40,00 uvp im guten Schreibwarenhandel oder bei e+m im Onlineshop.

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RAL versucht sich am Begriff ‚Manufaktur‘

18. Oktober 2017, Bonn. Glauben Sie, dass man den Begriff ‚Manufaktur‘ in drei knappen Hauptsätzen hinlänglich definiert bekommt? Bei diesem Manufakturen-Hype, bei der Diskussion um Missbrauch und Verbrauchertäuschung durch Dienstleister und Handwerker? Nein? RAL, das Deutsche Institut für Gütesicherung und Kennzeichnung e. V., hat unter der Registrierungsnummer RAL-RG 991 diesen Versuch unternommen. Ergebnis: wie erwartet – ‚ungenügend‘.

RAL ist schon eine gewisse Zeit rund um die Thematik befasst. Im Jahr 2016 hat sich der Berliner Unternehmer Ulrich Welter (Welter Manufaktur für Wandunikate) an den Bonner Gütesicherungs- und Kennzeichnungsverein gewandt, um eigentlich ‚Handmade in Germany‘ registrieren zu lassen. Das wurde damals nach Auskunft von RAL abgelehnt. Heraus kam dann ein Definitionsversuch für ‚Deutsche Wertarbeit‘, ‚Handgefertigt in Deutschland‘ – und zur Überraschung der deutschen Wirtschaftsverbände auch für ‚Made in Germany‘. Zehn Tage, nachdem ich hier im Blog am 18. Januar 2017 über die „vorläufige Endversion“ von RAL berichtete („Noch mit Macken: RAL-Definition der Begriffe „Deutsche Wertarbeit“, „Handgefertigt in Deutschland“ und „Made in Germany“ liegt jetzt in der Endfassung vor), zog dieser aufgrund meiner Kritik die Begriffsbestimmung zurück.

Dann war einige Zeit nichts dazu zu hören – bis RAL unter dem Datum 23. Mai 2017 überraschend die Registrierung RAL-RG 991 mit dem neuen Inhalt ‚Deutsche Wertarbeit‘, ‚Deutsche Handarbeit‘, ‚Deutsche Manufakturen‘ ‚(Handmade in Germany)‘ verschickte. Diesmal nicht als „vorläufige Endversion“ im Verkehrskreis, sondern gleich als „anerkannte Registrierung“.

Nun haben die RAL-Mitarbeiter damit gegen ihre eigenen Verfahrensgrundsätze verstoßen, denn nach diesen bezieht RAL in der Erarbeitung der Registrierungen laut Eigenbekundung „die direkt von den Festlegungen berührten Fach- und Verkehrskreise wie Hersteller, Handel und Behörden ein“ – und schließlich heißt es an gleicher Stelle auch: „RAL-Registrierungen sind eine Selbstverpflichtung der jeweiligen Wirtschaftszweige.“

„Selbstverpflichtung“ setzt Beteiligung und ein Übereinstimmen wenigstens eines Großteils der Beteiligten und Betroffenen voraus. Die Beteiligung hat nicht stattgefunden – damit ist eigentlich schon alles gesagt. Und RAL räumt selbst ein, dass die „maßgebliche Mitarbeit“ nur durch Unternehmer Welter und einen Assistant Professor of Luxury Marketing an der EMLYON Business School in Shanghai, Klaus Heine, erfolgte.

Trotzdem soll noch der Blick auf die neue RAL-Registrierung geworfen werden. RAL behauptet in ihr, die „Definition des Begriffes Manufaktur“ sei:

In einer Manufaktur werde Wertarbeit geleistet (Kriterium 1). Die Endmontage der Produkte erfolge zum größten Teil in Handarbeit (Kriterium 2). ‚Deutsche Manufaktur‘ sei eine besondere Form von ‚Deutscher Wertarbeit‘.

Das war’s nach RAL zur Definition des Begriffs ‚Manufaktur‘. Nichts zum arbeitsteiligen Arbeiten, nichts zur seriellen Fertigung, nichts zur Abgrenzung zu Dienstleistern, Handwerkern und Industrie, nichts zur besonderen Arbeitsform in der ‚Manufaktur‘.

Ähnlich unpräzise wird auch über einen Begriff wie ‚Deutsche Handarbeit‘ hinweggebügelt – auch diese sei eine besondere Form von ‚Deutscher Wertarbeit‘ und deshalb außerdem identisch mit der englischen Übersetzung ‚Handmade in Germany‘…

Apropos ‚deutsch‘: Auch für die Verwendung dieses Adjektivs werden Thesen aufgestellt, die sich noch beweisen müssten. Zum Beispiel, dass die Endmontage des Produkts von einem deutschen Unternehmen erfolgen müsse. Was ist gemeint? In Deutschland ansässig, wie es auch viele Konzerntöchter weltweit tätiger und ihren Sitz in einem anderen Land habender Firmen sind? Oder deutsche Gesellschafter oder Aktionäre? Oder geht es um deutsche Firmenkultur? Alles denkbar, jedoch unklar…

Und dann wird für die oben genannten und registrierten Begriffe auch noch postuliert, die Produkte, die unter diesen Begriffen gefertigt und in den deutschen Markt gebracht würden, „sollten regionale deutsche Kultur verkörpern“… als würden beispielsweise Porzellan und Glas, Schreibgeräte und Maßschuhe trotz globalisierter Welt von deutscher Region zu deutscher Region so unterschiedlich designt und gefertigt…

Irgendwie ist es traurig, der guten alten Tante RAL (gegründet im Jahr 1925 als ‚Reichsausschuss für Lieferbedingungen‘) dabei zuzusehen, wie sie unter der mangelnden Sorgfalt und dem fehlenden Verantwortungsbewusstsein dieser Mitarbeiter leidet.

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RAL-RG 991 ist zum Preis von EUR 20,54 (gedruckt) / EUR 32,13 (Download als PDF) zu beziehen über:

Beuth-Verlag GmbH, Burggrafenstraße 6, 10787 Berlin

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Mühles Rasierset ‚Hexagon‘ zum ‚Manufaktur-Produkt des Jahres 2017‘ gewählt

17. Mai 2017, Bremen. Die Form ist archaisch. Die Verarbeitung präzise und makellos. Die Faszination groß: Mühles neues Rasierset ‚Hexagon‘ aus der Zusammenarbeit mit dem Berliner Designer Mark Braun wurde in halb-anonymisierter schriftlicher Wahl von der Jury zum „Manufaktur-Produkt des Jahres 2017“ gewählt.

Das Produkt an sich hätte noch vor einigen Jahren so etwas wie Fragezeichen in den Gesichtern der Betrachter aufgeworfen – Rasierpinsel? Ein Nassrasierer mag ja noch vorstellbar sein… Aber Rasierpinsel? Gibt es nicht längst den günstigen Sprühschaum aus der Dose? 26 Jahre nach der Reprivatisierung Mühles von der Treuhand an die Gründerfamilie Müller erlebt Europa einen neuen Rasierkult. In den Metropolen entstehen wieder Rasiershops, in denen sich der Mann von heute verwöhnen lassen kann.

Die Jurymitglieder waren sich unabhängig voneinander alle einig: Das neue Rasierset von Mühle ist das Beste der eingereichten Produkte im Wettbewerb 2017.

Dr. Christopher Heinemann, Jurymitglied und Manufactum-Geschäftsführer und selbst bekennender Bartträger, sagte in seiner Laudation: „Es war ein solches Erlebnis, diese so genau gefertigten Dinge in die Hand zu nehmen, dass man selbst ins Überlegen kommt, warum man sich nicht täglich nass rasiert. So schön fühlen sie sich an und liegen so schmeichelnd in der Hand.“

Bei ‚Hexagon‘ handelt es sich um sechseckige Griffe aus Aluminium, die in drei Farben eloxiert erhältlich sind: Graphite, Bronze und einer grünmetallischen, als ‚Forest‘ bezeichneten, Farbe – alles Farben aus dem Erzgebirge, in dessen Rasurkultlern weltbekannten Dorf Stützengrün Mühle zu Hause ist.

Das Design erinnert an klassische Werkzeuge – und so hat man als kleinen Zusatz die Geodaten von Mühle in die Griffe graviert, so, wie halt Form- und Schnittwerkzeuge graviert werden.

Die Pinsel-Ausführungen sind – wie immer bei Mühles hochwertigen Linien – in klassischem Silberspitz-Dachszupf oder veganem Silvertip-Fibre, einer eigens von Mühle entwickelten Synthetikfaser, die den Qualitätseigenschaften des Dachshaares für den Rasierschaum in nichts nachsteht. Der Pinselkopf ist mit einem Gewinde verschraubt und austauschbar.

Das Set kostet EUR 149,00 uvp.

Weitere Informationen & Ansprechpartner

Wigmar Bressel, Verband Deutsche Manufakturen, Tel. 0421 – 55 90 6-20

www.deutsche-manufakturen.org

Jonas Rohrbach, blackbird/berlin Tel. 030 – 639 62 42 15

www.muehle-shaving.com

Die Plätze 2 und 3

2. Platz: Taschenkugelschreiber ‚Style.Us‘ mit Tablet- und Smartphone-Bedienkopf von e+m Holzprodukte aus Neumarkt in der Oberpfalz

Die Kugelschreiber in vier Holz-Arten sind mit nur acht Millimetern Durchmesser – bei einer Wechselmine! – ein kleines hölzernes Wunderwerk. Sie verfügen über eine Messing- oder Kupferkappe, die den Kugelschreiber von acht auf 13,5 Zentimeter Länge vergrößert. In die Kappe ist ein Messingring mit übergestülptem Stylus-Gummi eingearbeitet, mit dem sich Touch-Displays wunderbar bedienen lassen.

Technischer Kniff: Damit die Schreibpaste besser fließt, wurde ein winziges Ausgleichsloch in das Holz gebohrt, damit in Schaft und Mine kein Unterdruck entsteht.

Die Schreibgeräte kosten EUR 40,00 uvp.

www.em-holzprodukte.de

3. Platz: Schreibtisch ‚Denkplatz individuell‘ aus HPL der Möbelmanufaktur Tamesis aus Dessau

Das Material ist mit 13 Millimetern Stärke unglaublich dünn – und dazu noch aus den nachwachsenden Rohstoffen Papier und Harz. Die Möbel aus dem vor hundert Jahren für den Flugzeugbau entwickelten Material haben entsprechend eine ganz eigene Optik die aus der Oberfläche und der Schnittkante entsteht und so häufig zweifarbig akzentuiert eingesetzt wird.

HPL ist sehr fest, erst bei größeren Spannweiten bruchgefährdet – jedoch sehr schwer zu verarbeiten, da es Diamantsägeblättern bedarf, um das Material zuzuschneiden. Dafür erhält man Möbel, die im Labor zugelassen sind und auch gerne im Garten stehen können.

Tamesis präsentiert sich als Alternative zu renommierten Herstellern wie USM und Montana.

Der Schreibtisch kostet EUR 3500,00 uvp.

www.tamesis-design.de

Sonderpreise (Gewinner in drei Bewertungsgruppen)

 Design: Holzfassgereiftes Jahrgangsbier ‚Magnus 16‘ der BierManufaktur Riegele aus Augsburg – perfekt weiterentwickelter Trend der Craftbiere, tolle Umsetzung in einer eleganten, fastschwarzen 0,75-Liter-Flasche mit Kronkorken und Naturkorken in einer opulenten möbelartigen Verpackung, die dem Bier eine Bühne gibt und es gleichzeitig als besonders kostbar und wertvoll präsentiert, Limitierung auf 2016 Flaschen.

Das Bier kostet pro Flasche EUR 49,90 uvp.

www.riegele.de

Qualität & Wertigkeit: Ring ‚Elise‘ der Trauring-Manufaktur J. Fischer & Sohn KG aus Pforzheim – in den Platinring sind lavendelblaue Keramik-Intarsien eingearbeitet; 100 Brillianten bringen den Ring zum Funkeln. Die Besonderheit besteht im Verbund der drei Materialien: Platin, Keramik, Brillianten – hohe Wertigkeit und trotzdem handwerkliche Verarbeitung.

Der Ring kostet EUR 7459,00 uvp.

www.fischer-trauringe.de

Innovation & Funktionalität: Tischleuchte ‚Rima‘ von Holy Trinity aus Dresden – Die Leuchte verfügt über eine besondere Steuerung aus vier Ringen, die darüber entscheiden, wieviele der 56 in Reihe verbauten LEDs scheinen dürfen – und welche Stelle oder Stellen des Tisches sie in welcher Helligkeit beleuchten.

Die Leuchte kostet EUR 1489,00 uvp.

www.holytrinity.de

 

Jury 2017

Ute Czeschka, manufakturhaus.com

Benedikt Freiherr Poschinger von Frauenau, Freiherr von Poschinger Glasmanufaktur

Dr. Christopher Heinemann, Manufactum

Pascal Johanssen, Deutsche Manufakturenstraße

Franziska Klün, ysso.de

Christoph Krause, Kompetenzzentrum für Gestaltung, Fertigung und Kommunikation der Handwerkskammer Koblenz

Klaus-Peter Piontkowski, Genuss Pur und Genuss Professional

Bisherige Preisträger

Induktions-Keramik-Kupferpfanne der Kupfermanufaktur Weyersberg (2014)

Doppelhorn Nr. 103 in f/b der Gebr. Alexander Musikinstrumentenfabrik (2015, Konsumgüter), Gin Monkey 47 Distiller’s Cut (2015, Lebensmittel)

Taschenfüllfederhalter-Set Spatz & Kiebitz von Stefan Fink (2016)

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Noch mit Macken: RAL-Definition der Begriffe „Deutsche Wertarbeit“, „Handgefertigt in Deutschland“ und „Made in Germany“ liegt jetzt in der Endfassung vor

18. Januar 2017, Sankt Augustin. „Junge, das war noch deutsche Wertarbeit!“, sagt der Ältere zum Jüngeren. So hat man den Begriff „Deutsche Wertarbeit“ noch im Ohr. Jetzt hat sich Ulrich Welter, Inhaber der Welter Manufaktur für Wandunikate in Berlin, dahintergeklemmt und gleich drei Begriffs-Definitionen bei RAL Deutsches Institut für Gütesicherung und Kennzeichnung e. V. in Auftrag gegeben: „Deutsche Wertarbeit“, „Handgefertigt in Deutschland“ und „Made in Germany“. Die am 10. Januar 2017 vom Institut verschickte Endfassung wirft jedoch Fragen auf.

RAL wurde im Jahr 1925 gegründet – als „Reichsausschuss für Lieferbedingungen“. Inzwischen ist daraus ein interessanter Verein mit mehr als 120 korporierten Mitgliedern aus der Wirtschaft geworden, der sich um Begriffsdefinition und Gütezeichen, um die Definition von Farben (es gibt derzeit 2328 RAL-definierte Farben) und Umweltthemen (Zertifizierung mit dem Blauen Engel im Auftrag des Umweltbundesamtes) kümmert; im Kuratorium sitzen Vertreter dreier Bundesministerien und dreier Bundesämter, den Vorstand bilden Fachleute aus unterschiedlichsten Branchen und Verbänden.

Jetzt liegen also die RAL-Definitionen vor, nach denen in Zukunft abgemahnt und Protektion betrieben werden kann. Anders als bei der doch rein emotional-bewertenden Formulierung „Deutsche Wertarbeit“ spielen die Begriffe „Made in Germany“ und „Handgefertigt in Deutschland“ schon lange eine erhebliche Rolle.

Im Jahr 1887 hatten die Briten aus protektionistischen Gründen im sogenannten „Merchandise Marks Act“ die Deklaration „Made in…“ für ausländische Waren, die nach Großbritannien importiert wurden, eingeführt, im 1. Weltkrieg noch einmal für die Kriegsgegner verschärft, um der Bevölkerung einen besseren Boykott zu ermöglich. Ein Schuss, der vollkommen nach hinten losging – der Begriff wurde nach dem 2. Weltkrieg stattdessen zum Synonym für Qualität aus Deutschland.

Interessant ist, dass er bisher nicht definiert war und sich niemand so richtig für ihn verantwortlich fühlte.

Die Definition für „Made in Germany“ wurde bei RAL jetzt erstmals so hinterlegt:

„Der Hersteller muss im Familienbesitz in Deutschland sein. Maßgebliche Herstellung der Ware in Deutschland, entscheidender Wertschöpfungsanteil durch Zusammenbau in Deutschland, maßgebliche Veredelung des Produkts in Deutschland. Der Hersteller muss – wenn möglich – nachgewiesenermaßen alte Traditionen pflegen, die Produkte müssen – wenn möglich – regionale Kultur verkörpern.“

Wenn man sich allein den Tatbestand des Familienbesitzes betrachtet, sind Betriebe wie der Roboterspezialist Kuka aus Augsburg raus, Daimler und BMW, die Chemiekonzerne genauso wie die Pharmakonzerne, eigentlich alle Konzerne – zumal die Großen an der Börse.

Selbst solche Mittelständler wie der Kofferhersteller Rimowa aus Köln, der seit Januar 2017 als Mehrheitsgesellschafter den französischen Luxusgüter-Konzern LVMH hat (vermutlich eine gute neue „Heimat“ – auch wenn sie nicht deutsch ist).

Übrig bliebe „Made in Germany“ für Teile des Mittelstands. Wenn sie denn „nachgewiesener Maßen alte Traditionen pflegen“ und auch noch „regionale Kultur“ verkörpern.

Nachdenken über die Definition… Scheitert die Nutzung des Begriffs dann an zuviel Innovation? Was ist, wenn ich nicht mehr fräse, sondern erodiere? Wenn mein Prototypenbau auf 3-D-Druck umstellt? Ist das dann mangelnde Pflege der Tradition? Kann ein Koffer, ein Kochmesser, ein Silberbesteck, ein Auto überhaupt regional sein?

Und ist der Begriff „Made in Germany“ überhaupt noch werbewirksam, wenn ihn – relativ gesehen – kaum jemand benutzen darf? Wenn das in Deutschland zusammengebaute Auto sich nicht als „Made in Germany“ nennen darf? Welche Kraft wird der Begriff zukünftig haben, wenn bedeutende Teile der allgemein als deutschen Wirtschaft empfundenen Unternehmen ihn nicht mehr verwenden dürfen? Wenn der Begriff von den großen, aus Deutschland stammenden Massenprodukten, die überall auf der Welt zu finden sind, verschwindet?

Die Einschränkung auf „Familienbesitz“, „Tradition“ und „regionale Kultur“ halte ich für falsch. „Made“ und „in“ sollten sich auf „gefertigt“ und „in“ beziehen – sich also vor allem auf das wesentliche Fertigen sowie das geografische Merkmal Deutschland stützen. Die neue Begriffsbestimmung von RAL scheint mir auch der gängigen deutschen Rechtsprechung zuwiderzulaufen – ohne das auf die Schnelle überprüfen zu können (siehe auch Wikipedia zu „Made in Germany“). Letzteres ist aus meiner Sicht jedoch kein so gewichtiges Argument, denn sollten sich relevante Teile aus Wirtschaft und Gesellschaft auf eine veränderte Definiton verständigen, würden die Gerichte sicherlich einfach nachziehen.

Doch weiter, zu „Handgefertigt in Deutschland“. Der Begriff wurde nun so definiert, dass „die signifikanten Kernprozesse bei der Herstellung der Produkte von Hand ausgeführt werden“. Insbesondere soll eine „Kooperation/Zusammenarbeit verschiedener Berufe, soweit dies für die Herstellung des Produktes notwendig ist“, nachgewiesen werden. Und: „Die Individualisierung der Produkte darf nur durch Kleinserien erfolgen. Die Herstellung der Produkte muss mit über 60 % in Handarbeit erfolgen“.

Klar ist: Der Hobby-Künstler ohne spezifische Ausbildung darf seine Produkte fortan nicht mehr mit „Handgefertigt in Deutschland“ bewerben.

Sehr viel eingeschränkter wird der Kreis der zukünftigen Nutzer des Begriffs „Deutsche Wertarbeit“: „Die ‚Deutsche Wertarbeit‘ steht für Zuverlässigkeit, Funktionalität, Wertbeständigkeit, Know-how, Erfindergeist und Innovation.“ Ein Katalog benennt die Forderungen an die Nutzer. Interessant erscheint mir die Idee, den Nutzern den Einbau von „geplantem Verschleiß“ in die Produkte zu untersagen sowie die Austauschbarkeit von defekten Bauteilen mit Ersatzteilen vorzuschreiben.

Ich sage mal: Das neue Jahr begann interessant…

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Nachtrag vom 23. Januar 2017: Ach je – kaum ein paar kritische Nachfragen, schon zieht RAL die unter dem Datum des 10. Januar 2017 versandte sogenannte ‚Endfassung‘ zu den drei Begriffen wieder zurück. Sie sollen nun wieder bearbeitet werden… Wir bleiben gespannt!

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