Pascal Johanssen: „Das Anstiften von positiven oder kritischen sozialen Verhaltensweisen“
23. Januar 2020, Berlin. Wenn aus dem Direktorenhaus in Berlin eine neue Publikation angekündigt wird, steigt die Spannung: Niemand hat bisher auf eigenes Risiko so viele Veröffentlichungen zu Manufaktur-Fragen riskiert, wie Pascal Johanssen. Jetzt legt er das Buch ‚Handmade in Germany – Manufactory 4.0‘ vor. 260 Seiten Texte, Interviews und Fotos, in und mit denen gemeinsam er der Frage nach der Manufaktur in Gegenwart und Zukunft nachgeht. Und damit die Gedanken auch aus dem deutschsprachig-kulturellen Schmortopf entweichen können, ist das Buch komplett zweisprachig deutsch-englisch gehalten – 38 Euro Kaufpreis sind gut investiertes Geld, wenn man wissen möchte, wohin die Reise der Manufakturen gehen und welche Bestimmung den Manufakturen in unserem Wirtschaftssystem zukommen könnte…
Ja, Sie haben richtig gelesen: Bestimmung. Denn genauso, wie das Erlernen von handwerklichen Fähigkeiten unser Gehirn anregt und weiterentwickelt, so muss man nur das „Vieles geht“ der freien Kräfte der liberalisierten und globalisierten Marktwirtschaft gedanklich für einen Augenblick verlassen, um sich zu erinnern, dass Dinge und Systeme eine Bestimmung haben können, die sich aus ihrer jeweiligen Immanenz der vielen kleinen typischen Teilchen zusammensetzt und nicht nur Problem, sondern zugleich Lösung anbietet. Bei Pascal Johanssen im Buch klingt das dann so:
„Die These dieses Buches ist, dass wir ein neues Qualitätsverständnis für unsere Produkte brauchen, das Solidität, Agilität und Pietät verbindet. … Pietät schließlich meint in diesem Zusammenhang, eher im antiken Wortsinn, den Respekt vor dem Menschen, als ‚pflichtbewusstes Benehmen gegenüber Mensch und Gott‘. Den Produkten muss eine ethische Komponente eingewoben sein, die ausspricht, dass eine positive Zukunft nicht allein durch technologische und ökonomische Möglichkeiten angetrieben wird, sondern zudem von einer kulturellen Leitidee getragen wird: nämlich von der Vision, ein gutes Leben für möglichst weltweit zehn Milliarden Menschen organisieren zu können.“
Ist das nicht ein aufregendes Zitat aus dem Buch? Daran erinnert zu werden, dass man als kleine Manufaktur und Kunsthandwerker in irgendwo doch am Großen und Ganzen mitarbeitet, man für die Nachhaltigkeit in der Konsumgüter-Branche mit verantwortlich sein könnte?
Ich jedenfalls verabredete mich mit Pascal Johanssen sofort zu einem Telefongespräch über sein neues Buch:
„Das Buch soll eine Lebens- und Arbeitseinstellung zusammenfassen“
Welche Idee steckt hinter dem neuen Buch?
Mir geht es darum, aufzurütteln. Wir haben viele facettenreiche Unternehmen mit Qualitäten, die weit über das reine Produzieren schöner Produkte hinausreichen. Aber niemand weiß das. Viele bewegen sich in Nischen. Man hat das Gefühl, dass das notwendige ‚übergeordnete Gespräch‘ fehlt. Das war mein Ansatzpunkt für das Buch: die Akteure selber zu Wort zu bringen. Sie dazu zu bringen, Chancen und Probleme selbst zu formulieren.
Das Buch ist mit einem aufwändig geprägten Hardcover ausgestattet – aber nach dem Lesen und Betrachten der vielen Fotos versteht man doch: Es ist eigentlich ein Arbeitsbuch mit Thesen zu Manufaktur und artverwandter Produktionsformen. Was hat dich zu dieser Buchausstattung bewogen?
Das Buch ist ja nicht in erster Linie nur für Manufakturen gedacht. Es ist für Leser gedacht, die die Vermutung haben, dass hinter der Fassade der „romantischen“ Manufakturen, von denen man ab und zu liest, eigentlich etwas ganz Anderes steckt: nämlich heutige Unternehmen, die in der Gegenwart leben, aber nicht industriell produzieren und nicht jeden Trend mitmachen. Das Buch soll eine Lebens- und Arbeitseinstellung zusammenfassen.
Mir ging es tatsächlich darum, dass auch Unbeteiligte Eindrücke aus dieser Welt bekommen können – quer durch die Gewerke, quer durch die unterschiedlichen Größen der vorgestellten Betriebe. Bilder sind da natürlich ebenso wichtig wie Texte. Die Typografie des Buches ist vielleicht etwas experimentell, na ja, das ist Geschmacksache!
Zum Inhalt. In deinem vorangestellten Essay fällt das Wort „Pietät“ auf. Was hast du dir bei der Einführung dieses Wortes in den Manufakturen- und Konsum-Gesellschafts-Diskurs gedacht?
Der Begriff Pietät wirkt ziemlich aus der Zeit gefallen, das dachte ich auch schon… er wird ja eher mit Bestattungsunternehmen im Verbindung gebracht. Mir ging es aber um etwas Anderes. Ich wollte ausdrücken, dass Unternehmen heute, nach allem was man weiß, eine Verantwortung tragen: für die Umwelt, den Konsum, das Anstiften von positiven oder kritischen sozialen Verhaltensweisen.
Dieses Verantwortungsbewusstsein trägt heute – gerade in Deutschland – jeder gern vor sich her, jedes Unternehmen, ob es jetzt Windkraftanlagen baut oder Müsli einrührt. Diese demonstrative „Verantwortung“ ist mittlerweile ein Standart-Dispositiv des Ethik-Marketings. Pietät ist leiser. Ein eingeschriebenes Gefühl für Angemessenheit, das man hat oder nicht. Die Produkte der Zukunft müssen neben ihren anderen Produktqualitäten mit einer Selbstverständlichkeit „Gutes“ bewirken, ohne das man darüber ständig reden muss.
Du meinst, du hast ein Wort gesucht, das von den Zeitgeist-Leuten noch nicht leichtfertig verbraucht wurde…
Ja. Zeitgeist ist ja nichts Schlechtes, aber die große „Verantwortungserwartung“, die die heutige Welt jedem abverlangt, macht alles so schwer. Eine selbstverständliche Leichtigkeit, ein intelligenter Umgang mit Ressourcen, wäre doch schon ausreichend.
Du weist im Buch den Manufakturen eine Bedeutung für die Nachhaltigkeits-Wende im Konsumgüterbereich zu. Siehst du in der Produktionsart von produzierendem Handwerk und Manufakturen eine Immanenz in der Frage von Nachhaltigkeit?
Ich habe mir immer die Frage gestellt: Welche Rolle spielt eigentlich ein nicht-industriell produzierendes Unternehmen heute noch? Soll es – wie ein Museum – an althergebrachte Fertigungstechniken erinnern? Natürlich nicht. Manufakturen sind auch nicht einfach Luxusunternehmen, die für die happy few produzieren. Das können gern die Luxuskonzerne übernehmen. Aus meiner Sicht knüpfen Manufakturen an den Werkbund-Gedanken an, an die Frage, was eigentlich ein gutes Produkt ausmacht, das sich in die alltägliche Lebenswelt von normalen Menschen einbringen kann. Die Lösung dieser Frage ist gar nicht so einfach, weil allen ethischen und emotionalen Wünschen immer eine wirtschaftliche Realität für alle Beteiligten entgegensteht. Die Beantwortung der Frage, was ein gutes Produkt heute ist, also die Aktualisierung des Werkbund-Gedankens, kommt an der nachhaltigen Produktion nicht vorbei. Für die Realisierung der Konsumwende haben Manufakturen tatsächlich eine aktuelle Relevanz! Sie können hier etwas leisten, was andere nicht können. Die anderen großen Themen – die Energiewende oder Mobilitätswende etc. – werden zwischen Politik und Industrie ausgehandelt. Hier haben Manufakturen keine messbare Wirkung, sie sind höchstens Ideengeber. Bei der privaten Konsumwende können Manufakturen einschreiten: sie bieten dem Kunden, der das gängige Industrieprodukt sieht und kennt, das etwas bessere Produkt. Die Alternative, die vielleicht sauberer produziert wurde, die etwas schöner ist, bei dem der Kunde vielleicht sogar denjenigen kennt, der es hergestellt hat. Das sind Qualitäten, die Industrieprodukte nur ganz schwer simulieren können.
Fotos: Philipp Haas, Wigmar Bressel
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Pascal Johanssen (ed.)
Handmade in Germany – Manufactory 4.0
deutsch/englisch, Hardcover
EUR 38,00
ISBN 978-3-89790-541-2
Mit großem Interesse habe ich von dieser PUblikation gelesen; gerne würde ich eine Rezension dazu veröffentlichen / gegf. zu Ihrer Veerrfügung stellen.
Alois Fleig
Sehr geehrter Herr Fleig,
vielen Dank für Ihr Interesse! Bitte wenden Sie sich wegen eines Rezensionsexemplars direkt an den Verlag oder Pascal Johanssen im Direktorenhaus Berlin…
Mit freundlichen Grüßen
Wigmar Bressel