Manufakturen-Blog: Wie ein Katalog - nur ohne Messe... 'Das große Buch der Manufakturen', Herausgeber Olaf Salié, Edition Die Zeit, Callwey Verlag (Foto: Wigmar Bressel)

Wie ein Katalog – nur ohne Messe: ‚Das große Buch der Manufakturen‘ des Olaf Salié

27. April 2020, München. Der Callwey-Verlag präsentiert gemeinsam mit der Verlagsgruppe Die Zeit (ja ja, kleiner geht die Allianz nicht) in diesem Frühling ein umfangreiches Buch (420 Seiten im Überformat) in der Manufakturen-Branche: ‚Das große Buch der Manufakturen‘ – herausgegeben von Olaf Salié. Ein großes und vor allem schweres Buch, das in Text und Form eher schwülstig anmutend daherkommt, wie vor eigenem Kraft-Bewusstsein glücksbesoffen torkelnd auf dem Buchrücken in eigenen Aussagen kondensierend, wie: „Unverzichtbares Nachschlagewerk der schönsten Manufakturen im deutschsprachigen Raum“; man verspricht „mit allen wichtigen Hintergrundinformationen“ ein „umfassendes Hersteller- und Adressverzeichnis“… Man glaubt, man träfe auf die ‚Marktschreiergilde‘.

Selbstüberhöhung und Selbstüberschätzung… es berührt peinlich. Denn niemand steht für die Aussagen in diesem Buch gerade, niemand hat für das Buch recherchiert; die Texte durften die vertretenen Betriebe mithilfe von Profi-Textern selbst schreiben – und je mehr Geld sie für ihr Advertorial (eine Anzeige in Textform, meistens täuschend ähnlich zum redaktionellen Teil eines Mediums von Verlag und Werbeagenturen produziert) bereit waren zu investieren, desto bedeutender durften sie sich darstellen… Olaf Saliés altbekannte Konzeption aus dem unter seiner Leitung insolvent gegangenen Verlag ‚Deutschen Standards‘, das auch auf dieses Projekt angewendet wurde.

Ach – wären das interessante Infos für Sie als Leser gewesen, bevor Sie sich zum Buch-Kauf (oder als Beschenkter: zum Lesen) – entschlossen hätten? Ja? Davon erfahren Sie in diesem Buch nichts. Fühlen Sie sich getäuscht? Dürfen Sie. Denn dieses Buch ist in Wahrheit ein Katalog mit 380 Seiten Advertorials. Ein Buch ohne Autor. Und ohne Verantwortungsgefühl. Dafür für EUR 49,95 im Buchhandel (nun ja – ‚Kataloge‘, zumal zu Spezialfragestellungen, können eben auch teuer sein).

Kaufpreiskalkulation. Über den Preis kann man ein Projekt auch torpedieren. Das Buch ist im Handel (und auch positioniert als Geschenk) viel zu teuer, zumal es ja so fulminant über die sich darstellenden Firmen bereits abbezahlt wurde: jede von ihnen sollte zwischen EUR 980 („Premiumeintrag“) bis EUR 7800 („Partner“) zahlen. „Bewerben“ konnten sich die rund 600 angeschriebenen Firmen allerdings laut Vermarktungs-Exposé auch um einen der (angeblich 100) kostenlosen Grundeinträge… Oh jeh – Lotterie, oder was?

Drumherum. Auch dieses Salié-Buch hatte wieder einen sogenannten „Beirat“: Da er selbst ja Buch-Macher und nicht Sachbuch-Autor oder Schriftsteller ist, sich also ständig mit Dingen beschäftigt, von denen er selbsteinschätzend zu wenig Ahnung hat, bietet er ausgewählten Unternehmern eine Scheinmitsprache an. Diese werden auf Seite 15 des Buches aufgelistet. Für ihre Bereitschaft, ihren Unternehmer-Namen für die Vermarktungsexposés zur Verfügung zu stellen, wurde ihnen ein Rabatt von 50 Prozent auf ihre Einträge angeboten.

Optik. Das Layout des Buches wurde u. a. von Mario Lombardo entwickelt. Lombardo hat ein Büro für solche Fragestellungen, ist seit vielen Jahren bekannt. Lombardo entschied sich für eine mit Straßenzügen und Manufaktur-Namen bedruckte oder tättowierte Hand auf dem leinenartig-gebundenen Titel, die in verschiedenen Farben und Haltungen immer wieder im Buch auftaucht.

Manufakturen-Blog: 'Das große Buch der Manufakturen', Herausgeber Olaf Salie, Edition Die Zeit, Callwey Verlag (Repro: Wigmar Bressel)

‚Das große Buch der Manufakturen‘

Handarbeit. Ein vermutlich klassischer Denkfehler, da in Manufakturen zwar die Mitarbeiter dank ihrer Erfahrung entscheiden – jedoch nur teilweise in Handarbeit produzieren (sonst wären sie ja Handwerker – und keine Manufakturmitarbeiter; ohne Maschinen wären sie gar nicht in der Lage, in Serie zu fertigen).

Mangelnde inhaltliche Sorgfalt. Am Ärgerlichsten an diesem Buch sind die vielen inhaltlichen Fehler oder ‚Ungenauigkeiten‘, die sich aus den unterschiedlichen Interessen der Beteiligten ergeben: Die Zeit versucht mit diesem Buch den Verkauf ihrer Artikel im Zeit-Shop weiter anzukurbeln (im Buch je extra markiert); der Callwey-Verlag war nur bereit das Buch zu produzieren, wenn das finanzielle Risiko null oder gering sei; und die Manufakturen und Nicht-Manufakturen, die nun im Buch vertreten sind, haben als Advertorial-Inserenten halt darauf gepocht, sich so darzustellen, wie es ihnen gerade in den Kram passte. Der Zeit und dem Callwey-Verlag war das offensichtlich vollkommen „schnurz“.

Beispiele dafür gefällig?

Haben Sie schon einmal von der Manufaktur ‚Stand der Dinge‘ (S. 151) gehört? Nein? Kein Wunder – ist ja auch keine. Sondern es handelt sich um Produktgestalterinnen mit einem einzigen Mitarbeiter. Tecnolumen (S. 83) aus Bremen kennen Sie vielleicht wegen der Wagenfeld-Lampe (und der Anti-Plagiat-Kampagne). Jeder, der die Firma kennt, weiß, dass sie im Wesentlichen auswärts von Bremen „in Deutschland und Europa“ (Zitat Selbstdarstellung Firmenhomepage) produzieren lässt – hier wird sie als deutscher Hersteller vorgestellt. Oder Käthe Kruse (S. 342) – nur im Kleingedruckten wird das (Haupt-) Werk in Lettland erwähnt, vergessen auch zu erwähnen, dass das Unternehmen einem chinesischen Spielwarenhersteller gehört. Auf der Titelseite wird ein Unternehmen „Vickermann“ genannt – es heißt Vickermann und Stoya.

Auch textlicher Kitsch wird gerne geboten, wenn die Zeit über sich selbst schreibt (S. 380), dass der eigene Shop „mit erlesenen Manufakturen“ zusammenarbeite – als sei nicht Manufaktur genug für ein Manufakturen-Buch. Alternativ dann dazu irgendwie passend Texte, wie der über den Berliner Brillenhersteller MyKita (S. 269), der praktisch nur aus Marketing-Floskeln besteht.

Woran es noch krankt. Da der ‚Manufaktur‘-Begriff sich in den vergangenen zwanzig Jahren noch einer – vorsichtig formuliert – mäandernden Nutzung ausgesetzt sah (die Eisdiele nennt sich jetzt gerne „Eis Manufaktur“; gibt es wirklich die „Software-Manufaktur“ oder die „Finanzmanufaktur“?), wäre es gut gewesen, wenn dem Buch eine Definition vorangestellt worden wäre, wie Herausgeber und Verlage den Begriff für ihr Buch sehen und wonach sie die Auswahl der Inserenten vorgenommen haben. Es gibt ja zeitgenössische Definitionen (z. B. www.manufaktur-definition.de) – aber dann hätte natürlich ein Teil der Advertorial-Inserenten nicht im Buch erscheinen können.

Ein besonderes Ei legt sich der Verlag abschließend noch selbst, indem er das Buch auch noch auf der letzten bedruckten Seite 416 mit einem eigenen Siegel ausstattet und zu adeln versucht, das tatsächlich behauptet, das Buch sei „mit Liebe und Sorgfalt begleitet von“ einer Person namens „A. Fürbaß“ worden – vermutlich niemand in der Manufakturen-Szene hat von dieser Dame je gehört.

Mein Fazit: Täuschung, Beliebigkeit, Schlampigkeit, zu teuer. Eigentlich startet das Buch mit einem ganz schönen, persönlichen Vorwort von Olaf Salié – aber nach hinten raus ist das Buch doch nur beliebig (in der Aneinanderreihung von zufälligen Manufakturen, manufakturähnlichen Betrieben, Handwerkern und anderen Firmen) sowie unklar in der Ausrichtung und von bemerkenswerter Sorglosigkeit im täuschenden Umgang mit dem Leser, der das vermeintliche Sachbuch ja ernstnehmen könnte. Das Buch bringt die Manufakturen-Sache nicht weiter voran, sondern ist eher ein Rückschritt. Eine Kaufempfehlung kann wirklich nicht gegeben werden.


Olaf Salié (Herausgeber)

Das große Buch der Manufakturen

Callwey GmbH, 2020

ISBN 978-3-7667-2422-9

EUR 49,95

Repros: Wigmar Bressel

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