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Manufaktur 4.0: Was die Positionen N49º03’54“O13º10’6“ und N34º31’41“O69º10’20“ verbindet

17. Dezember 2018, Zwiesel. Der Begriff Manufaktur mag 350 Jahre alt sein – aber in den Betrieben dieser Produktionsart steckt oft – oder nach wie vor – eine hohe Innovationskraft. Tja, was verbindet die Koordinaten aus der Überschrift? Lesen Sie selbst: Mein Besuch bei Thomas Koy in der superinnovativen Holzprodukte-Manufaktur „Holz.lieb.ich“ im Bayerischen Wald.

Eine Besonderheit der in Zwiesel ansässigen Holzmanufaktur „Holz.lieb.ich“ ist es, die dort hergestellten Produkte mit den GPS-Koordinaten der Standorte der verwendeten Bäume – die den Rohstoff Holz für Verpackungen, Regale und Anderes liefern – zu bezeichnen. Ist das Produkt fertiggestellt, wird die Angabe der Position aus Längen- und Breitengraden, Minuten, Sekunden und Dezimalsekunden auf die Oberfläche gedruckt. Der Geschäftsführer der Manufaktur Dr. Thomas Koy ist vor Jahren auf die Idee gekommen, um, wie er sagt, ein Zeichen zu setzen.

„Mich ärgert, dass jede Firma, die Verpackungen herstellt im Marketing das Schlagwort sustainability benutzt. Egal, ob es sich um Stahl, Glas oder Plastik handelt, alle reden immer von sustainability. Diese Art von Nachhaltigkeit reduziert sich auf einen Marketing-Begriff. Darum wollte ich sie neu definieren. Wir arbeiten ja nun mal mit diesem natürlichen Rohstoff Holz. Also bin ich von der sustainability zur traceability gekommen.“ Der „Rück-Verfolgbarkeit“.

„Wenn jemand sagt, dass er nachhaltig produziert und arbeitet, dann muss diese Nachhaltigkeit rückverfolgbar sein“, so der Geschäftsführer. Thomas Koy ist von der Praxis, den Standort der verarbeiteten Bäume zu benennen, anhaltend überzeugt. Über diese Besonderheit der Manufaktur „Holz.lieb.ich“ wurde schon mehrfach in Zeitungen, Zeitschriften und auch im Manufakturen-Blog berichtet: Die Kennzeichnung beeindruckt Kunden weltweit und Thomas Koy legt Wert auf die Tatsache, dass „unser Massivholz ausschließlich aus Bayern stammt. Die Forstwirtschaftsbetriebe und Sägewerke müssen angeben, aus welchen Forstwirtschaftsgebieten das Holz stammt. Die Fichten – die wir im Bereich Weichholz verarbeiten – stammen zu 100 Prozent aus Gebieten die maximal 20 Kilometer von unserem Standort in Zwiesel entfernt liegen.“

Harthölzer, wie Buche, Esche, Erle und Eiche kommen aus Qualitätsgründen aus dem Spessart, wobei circa 50 Prozent des verarbeiteten Buchenholzes ebenfalls einem Gebiet mit einem Radius von etwa 20 Kilometern um die Manufaktur in Zwiesel entstammen. „Holz.lieb.ich“, so hat man den Eindruck, ist ebenso wie die Bäume, tief verwurzelt im Bayerischen Wald. Doch es gibt noch eine andere Seite der Manufaktur, deren moderne Hallen inmitten hügeliger Waldgebiete liegen. Man entdeckt sie, wenn man fragt, welche Verbindung zwischen den GPS-Koordinaten N49º03’54“O13º10’6“ und N34º31’41“O69º10’20“ besteht. Erstere bezeichnet den Standort einer Buche, aus deren Holz ein schmuckes Kästchen gefertigt wurde, letztere den der afghanischen Hauptstadt Kabul.

Afghanistan ist die Heimat von Fani, einem der Angestellten von „Holz.lieb.ich“, der mit hoher Wahrscheinlichkeit auch an der Herstellung besagter Schatulle beteiligt war. Fani – stämmig und um die 30 Jahre alt – war in Afghanistan Meister im Gewichtheben, bevor es ihn in den Bayerischen Wald verschlug. Dass er als Nicht-Bayer, Nicht-Deutscher und Nicht-Europäer – wahrscheinlich „rückverfolgen“ die in Zwiesel Geborenen Fanis Herkunft in genau dieser Reihenfolge – in der Manufaktur „Holz.lieb.ich“ beschäftigt ist, ist keine Ausnahme.

„Im Betrieb“, so Thomas Koy, „haben wir Mitarbeiter aus neun verschiedenen Nationen. Unter den mehr als 50 Angestellten finden sich Menschen aus Japan, den Philippinen, Afghanistan, China, Mali, Eritrea, Tschechien, Russland und Syrien.“ Welche Gründe gibt es für diese internationale Belegschaft in einer vergleichsweise abgelegenen Region?

„Im Bayerischen Wald haben viele Betriebe das Problem, dass die großen Städte eine Art Sogwirkung auf Fach- und Arbeitskräfte ausüben. Passau, Regensburg und Landshut sind etwa eine Stunde Autofahrt von Zwiesel entfernt. Das BMW-Werk in Dingolfing nennt man im Bayerischen Wald sogar ‚den großen Staubsauger‘.“

Tatsächlich werden laut BMW täglich etwa 13.000 Mitarbeiter mit Bussen an circa 2500 Haltestellen in der gesamten Region eingesammelt und nach Dingolfing zur Schichtarbeit gefahren, – beziehungsweise nach Feierabend wieder nach Hause gebracht.

„Das Problem ist“, erklärt Thomas Koy, „dass BMW sehr gut bezahlt. Ein Helfer bei BMW verdient weit mehr als ein qualifizierter Schreiner im Bayerischen Wald. Darum sieht der Arbeitnehmer erst einmal nur seinen Nettolohn. Doch man muss auch rechnen: Zwei Stunden Fahrt mit dem Bus zur Arbeit und zwei zurück nach Hause. Das bedeutet, den Tageslohn nicht durch acht, sondern durch zwölf Stunden zu dividieren. Das versuchen wir den Arbeitnehmern zu verdeutlichen. Übrigens auch, dass der Freizeitwert in unserer Gegend hoch sein kann.“

Dazu kommt, dass traditionell gerade im Bayerischen Wald viele Familien nebenbei noch etwas Land- oder Forstwirtschaft betreiben. Als Thomas Koy im Jahr 2010 den Betrieb „Holz Liebich“ übernahm, sah er sich auch aus diesen Gründen mit dem Problem konfrontiert, genügend fähige Arbeitskräfte zu finden.

„Als Manufaktur“, sagt er rückblickend, „sind wir von Anfang an sehr offensiv mit dem Thema umgegangen und haben verschiedene Arbeitszeitmodelle angeboten. Der Produktionschef des alten Betriebs wehrte sich anfangs mit Händen und Füßen dagegen. Aber meine Frau hat sich als Thüringerin und Sozialpädagogin durchsetzen können, und so haben wir zum Beispiel Arbeitsplätze geschaffen, die sich zwei Frauen teilen können. Das war im Bayerischen Wald bis zu diesem Zeitpunkt nicht normal. Doch gerade hier können Kinder nur halbtags in die Schule oder den Kindergarten gehen, oder manche Familien, die in einem Mehrgenerationen-Haushalt – ebenfalls typisch für den Bayerischen Wald – leben, haben vielleicht pflegebedürftige Angehörige zu Hause, und dadurch können diese Arbeitnehmer nicht am herkömmlichen Arbeitsmarkt teilnehmen. Aus diesem Grund haben wir gesagt, dann bieten wir eben flexible Arbeitszeitmodelle an, die den Möglichkeiten gerecht werden, die diese Arbeitnehmerinnen oder Arbeitnehmer haben.“

Schon bald machte sich ein auch weiterer positiver Effekt der neuen Arbeitszeitmodelle bemerkbar. „Und siehe da“, sagt Thomas Koy. „Gerade diese Arbeitsplätze wurden effizienter. In zweimal vier Stunden wird von zwei Leuten schneller produziert, als von einem in acht Stunden, der zwischendurch auch mal ‚Lecks‘ hat.“

Der innovative Umgang der Manufaktur mit den Fragen der Arbeitsplatzvergabe und Gestaltung führte schon bald dazu, dass die Herkunft der Menschen, die dort Beschäftigung fanden, internationaler wurde. „Im Bayerischen Wald ist es sehr schwierig, junge Leute zu finden, die bei uns arbeiten wollen. Durch die Tätigkeit meiner Frau – die als Sozialpädagogin Flüchtlinge betreut – fanden viele von ihnen einen Weg in die Manufaktur.“

Bei einer derart internationalen Belegschaft stellt die Kommunikation eine der größten Herausforderungen für einen reibungslosen Ablauf der Produktion dar. Denn Menschen, die gemeinsam etwas herstellen, müssen miteinander kommunizieren, – verbal und auch schriftlich in einer Sprache, die möglichst alle verstehen.

„Die Leute“, sagt Thomas Koy, „die in der Manufaktur arbeiten wollen, sollten willens und dazu in der Lage sein, die deutsche Sprache zu lernen. Das ist für uns wichtig, weil die Integration am Arbeitsplatz mit der Sprache beginnt. Die Basis der Kommunikation muss gegeben sein. Punkt.“ Das Erlernen einer Sprache – zum Teil in einer, demjenigen bis dahin unbekannten Schrift – ist jedoch ein relativ aufwendiger Lernprozess. „Klar,“ räumt Koy ein, „ist das auch alles learning by doing und braucht seine Zeit.“

Um das an einem Beispiel zu veranschaulichen, erzählt er, wie er eines Morgens einen Aushang am Schwarzen Brett des Betriebes befestigte. Fani, der Afghane, stellte sich neben ihn und machte mit seinem Smartphone ein Foto des Blattes. Auf die Frage, warum er dies tue, gab er Thomas Koy zu verstehen, dass er den auf Deutsch verfassten Aushang nun mittels eines Übersetzungsprogramms ins Farsi übersetzen ließe. Technik und Digitalisierung helfen also auch im Kleinen, auf einer individuellen Basis, bei der Zusammenarbeit in der Manufaktur.

Thomas Koy sieht „Holz.lieb.ich“ als eine hochmoderne „Manufaktur 4.0“: „Gerade durch unserer hohe Internationalisierung in der Arbeitnehmerschaft und den immer weiter steigenden Kosten, wie sie eine Manufaktur mit einer großen Zahl an Arbeitnehmern und den damit verbundenen Lohnkosten nun einmal hat, muss ich mir etwas überlegen, wie ich die Manufaktur 4.0, sprich das digitale processing dazu nutze, die Arbeitsabläufe zu vereinfachen und zu optimieren. Beispielsweise ist es für viele unserer Arbeitnehmer einfacher mit einem RFID-Chip [die Daten eines Radio Frequency Identification-Chips lassen sich mit geringer Energie auslesen; RFID-Chips sind beispielsweise im Personalausweis der Bundesrepublik Deutschland zu finden] an ein Terminal zu gehen, um die Arbeitszeit zu erfassen. Aber wir gehen nun noch einen Schritt weiter: Wir werden mit einer speziellen Software die komplette Arbeitsvorbereitung und Durchführung in der Manufaktur digitalisieren.“

Manufakturen-Blog: Thomas Koy hat sein berufliches Leben der Holzmanufaktur Holz.lieb.ich und deren Weiterentwicklung verschrieben (Foto: Martin Specht)

Thomas Koy hat sein berufliches Leben der Holzmanufaktur Holz.lieb.ich und deren Weiterentwicklung verschrieben

Manufakturen-Blog: ...unter anderem integriert die Holzmanufaktur sehr erfolgreich Migranten - wie Fani aus Afghanistan - in den Bayerischen Wald (Foto: Martin Specht)

…unter anderem integriert die Holzmanufaktur sehr erfolgreich Migranten – wie Fani aus Afghanistan – in den Bayerischen Wald

Manufakturen-Blog: Fani beim Tackern von eleganten Geschenkverpackungen, dem Hauptprodukt von Holz.lieb.ich (Foto: Martin Specht)

Fani beim Tackern von eleganten Geschenkverpackungen, dem Hauptprodukt von Holz.lieb.ich

Dazu muss gesagt werden, dass die acht neuen Produktionshallen von „Holz.lieb.ich“ zu beiden Seiten einer Achse angelegt sind, die die Funktion einer Straße in der Produktion übernimmt. Ist ein Arbeitsschritt beendet, wird das Material in den Mittelgang befördert und von dort zur Weiterbearbeitung in der nächsten Halle abgeholt.

„Wir werden in den kommenden zwei Jahren in allen Hallen Terminals installieren“, erläutert der Geschäftsführer. „In der Verwaltung wird jeder Auftrag digital erfasst, auf alle Hallen und Arbeitsschritte heruntergebrochen und an den entsprechenden Maschinen hinterlegt. Dann muss der Maschinenbediener nur noch ans Terminal gehen, seinen Namen eingeben und seinen Chip daran halten, und wir wissen, wie lange er für wie viel Stück gebraucht hat. Bislang schreibt der Mitarbeiter diese Angaben auf die rote Arbeitskarte, aber für manch einen ist es schwierig, das auf Deutsch zu schreiben. Doch diese Daten sind die Basis unseres Deckungsbeitrags. Mit der Digitalisierung wird es einfacher.“

Die Manufaktur hat aber nicht nur Mitarbeiter aus allen Teilen der Welt, sondern auch eine Vielzahl internationaler Kunden, die wiederum von dem globalen Mikrokosmos der tief im Bayerischen Wald entstanden ist, profitieren.

„Wir liefern in 37 Länder“, sagt Thomas Koy. „Wenn uns Kunden aus dem Ausland besuchen, beeindruckt sie auch unsere internationale Belegschaft. So etwas haben sie definitiv nicht im Bayerischen Wald erwartet. Als ich mit dem Eigentümer einer Firma aus Iran durch den Betrieb ging, konnte ich ihm Mitarbeiter vorstellen, die Farsi sprechen, mit denen er sich dann auf Farsi unterhalten konnte. Oder, ein weiteres Beispiel, alle zwei Jahre besucht uns ein Kunde aus Japan. Neuerdings arbeitet auch eine Japanerin in unserer Manufaktur. Jetzt bekommt er seine E-Mails nicht mehr auf Englisch, sondern auf Japanisch.“

Thomas Koy ist stolz darauf, weltweit Kunden – und auch Mitarbeiter aus aller Welt – zu haben. Bevor er vor acht Jahren in Zwiesel ansässig wurde, arbeitete er für ein großes Unternehmen in der Schweiz und kam selbst als Außenstehender in den „Woid“.

„Dieser kulturelle Wandel wird auch an meiner Person deutlich“, beschreibt er seine Erfahrung. „Als ich 2010 hier ankam, schauten die Menschen skeptisch. Ich war Preuße – noch dazu mit einem Doktortitel – der vorher in der Schweiz gelebt hatte. Manchmal habe ich gedacht, dass die Einheimischen darauf warteten, dass ich anfange Bayerisch zu sprechen. Aber ich berlinerte weiterhin und trug auch keine Tracht oder ließ mir einen Gamsbart wachsen. Und dadurch beginnt dann mit Kunden und Menschen schnell ein sehr persönliches Gespräch, weil sie fragen: ‚Was hat sie denn hierher verschlagen?‘ Später wurde ich sogar Botschafter Niederbayerns.“

In diesem Fall kann man also von einer erfolgreichen Integration sprechen. Wahrscheinlich auch darum, hat Thomas Koy ein Bewusstsein dafür entwickelt, was dies für seine ausländischen Mitarbeiter bedeuten kann.

„Fani, der afghanische Gewichtheber“, sagt er. „Ist eigentlich ein Paradebeispiel mustergültiger Integration. Er kam als Analphabet hier her, heute kann er Farsi lesen und spricht ein gutes Deutsch. Er wird von anderen Mitarbeitern an den Wochenenden eingeladen und trainiert weiter als Gewichtheber in einem regionalen Verein. Der Fani arbeitet fleißig und hat sich bei uns dazu qualifiziert, dass er in jeder der acht Hallen einsetzbar ist und zwei Maschinen selbstständig bedient. Er ist mittlerweile Maschinenführer und hat Deutsche als Helfer. Das ist Hammer!“

Leider hat der Afghane Fani seit einiger Zeit ein Problem. Ihm droht die Abschiebung nach Kabul, weil er bei seiner Einreise nach Deutschland nicht alle erforderlichen Dokumente präsentieren konnte. Auf einem Personaldokument fehlt ein Passbild und es ist schwer, einem deutschen Verwaltungsbeamten klar zu machen, dass solche Papiere in dem kriegs- und bürgerkriegsgeplagten Land am Hindukusch sehr einfach zu verlieren, und nur sehr schwer wieder zu beschaffen sind. Thomas Koy hat deswegen bereits an den Regierungspräsidenten geschrieben.

„So etwas regt mich auf“, sagt er. „Auf der einen Seite wird immer gesagt, dass wir Fachkräfte brauchen, auf der anderen Seite soll gerade Fani abgeschoben werden.“

Sein Wissen um die Problematik zeigt, dass dem Geschäftsführer von „Holz.lieb.ich“ der Zusammenhang zwischen der Teamfähigkeit der Mitarbeiter und der Produktivität des Betriebs, bewusst ist. Dies und eine umfassende Digitalisierung, die viele Arbeitsschritte erleichtert, sind ein überaus moderner Ansatz für die Produktion in einer Manufaktur. In diesem Fall ist es also die Arbeit in der Manufaktur, die eine Buche aus dem Bayerischen Wald mit einem Menschen aus Afghanistan verbinden kann.

An eine Sache, sagt Thomas Koy, müsse er sich aber erst gewöhnen. Wenn ein Syrer „Passt scho“ in bayerischem Dialekt zu ihm sagt, kling das immer noch ungewohnt. Aber auch dafür hat er eine Erklärung parat: „Über die Linguistik kann man eben auch Teamfähigkeit unter Beweis stellen und nach außen leben.“ Wahrscheinlich ganz besonders in Bayern.

Fotos: Martin Specht

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„Industrie 4.0 ist in der Manufaktur kein Widerspruch“

29. November 2016, Raubling. Die Wirtschaft steht an der Schwelle zur vierten industriellen Revolution. Durch das Internet getrieben, wachsen reale und virtuelle Welt immer weiter zu einem Internet der Dinge zusammen. Die Kennzeichen der künftigen Form der Industrieproduktion sind die starke Individualisierung der Produkte unter den Bedingungen einer hoch flexibilisierten Produktion, die weitgehende Integration von Kundinnen und Kunden sowie Geschäftspartnerinnen und -partnern in Geschäfts- und Wertschöpfungsprozesse und die Verkopplung von Produktion und hochwertigen Dienstleistungen, die in sogenannten hybriden Produkten mündet. Die deutsche Industrie hat jetzt die Chance, die vierte industrielle Revolution aktiv mitzugestalten. Mit dem Zukunftsprojekt Industrie 4.0 wollen wir diesen Prozess unterstützen.

Ist Industrie 4.0 in der Manufaktur ein Widerspruch? ‚Made in Germany‘ ist als Marke nicht mehr selbstverständlich ein Garant für die Zukunft Deutschlands als Technologiestandort. Nicht stehen bleiben, sondern sich weiter entwickeln heißt die Devise, um weiterhin wettbewerbsfähig zu bleiben. Industrie 4.0 stellt uns vor neue Herausforderungen, bietet aber auch enorme Chancen.

Wir von der IDE-Compressors Manufaktur haben uns zu allererst gefragt, ob Industrie 4.0 überhaupt ein Thema ist, das sich in einer Maschinenbaumanufaktur wirkungsvoll verwirklichen lässt – oder stellt es bei aller Prozessautomatisierung eher einen Hemmschuh dar?

Wie stellt man jedoch den eigenen Betrieb zukunftssicher auf, macht ihn „Industrie 4.0 ready“ und wappnet sich für die digitale Zukunft?

Im Austausch mit einigen Gesprächspartnern stellte ich immer wieder fest, dass oft der Wald vor lauter Bäumen nicht gesehen wird und viele das Thema mit der alleinigen Digitalisierung der Produktion assoziieren.

Industrie 4.0 bietet jedoch sehr viel mehr Möglichkeiten.

Es ist notwendig, Netzwerke zu schaffen, die unsere Manufaktur befähigen, überproportionale Auftragsvolumina so zu handhaben, dass am Ende auch noch ein Ertrag dasteht. Dies bedeutet, mit verlängerten Werkbänken zu arbeiten. Natürlich streben wir nach kontinuierlicher Auslastung, wir können sie jedoch nur bedingt steuern – und gegen Einbrüche im Auftragseingang ist man nicht gefeit. Dafür braucht es dann Ideen, um die Beschäftigung aufrecht zu erhalten.

Der Service ist im Bereich Maschinen- und Anlagenbau ein kontinuierlich wachsender Bereich. Über den Service hinaus sind wir dabei, eine Reihe von Dienstleistungen herauszuarbeiten. Wir sind im Bereich der vernetzten Kompressoren und Füllanlagen sicherlich Vordenker und in einigen Bereichen Technologieführer. Unser Angebot geht eher in Richtung Nullserienfertigung und Ablaufmanagement.

Das Leitmotto ‚Industrie 4.0‘ der Hannover Messe war genau der richtige Impuls. Jetzt gilt es, gemeinsam auch mit Marktbegleitern an definierten Schnittstellen zu arbeiten, um die Vernetzung von Maschinen und Anlagen – insbesondere in der Klein- und Nullserienfertigung – zu standardisieren. Wir werden hier unsere Kernkompetenz, die wir uns in der Entwicklung von Hard- und Softwareschnittstellen und Steuerungen erarbeitet haben, weiter ausbauen und uns als Problemlöser grundsätzlich für alle auf dem Atemluft- und Hochdruckkompressoren-Markt anbieten.

Wir haben 2015 entschieden, dass wir eine komplett neue modulare Digitale HMI-Steuerung und -Überwachung entwickeln werden. Mit diesen modularen Steuerungen werden am Ende mehrere Maschinen-Baureihen ausgestattet.

Damit wollen wir interessierte Kunden, die beispielsweise Anlagen benötigen, die mit einem digital vernetzten Rundum-Sorglos-Paket ausgerüstet sind, gewinnen und bedienen.

Das Gros unserer Wettbewerber ist auf Masse getrimmt. IDE-Compressors Manufaktur ist eine Ideenfabrik, ein Think Tank, – und eine Manufaktur, die kundenspezifische Probleme löst. Wenn es sein muss, bauen wir Maschinen in der Losgröße eins. Wir sind unsere eigene Prozesskette, da wir eine eigene Soft- und Hardwareentwicklung im Haus haben und in keinem Abhängigkeitsverhältnis stehen in Bezug auf die Antriebs- und Steuerungstechnik.

Wir werden auch in Zukunft verstärkt hoch spezialisiert und absolut kundenorientierte Lösungen anbieten, die unseren Kunden weltweit schnell und zuverlässig Vorteile und Kosteneinsparungen bringen. Um unsere Flexibilität zu bewahren, werden wir den Massenmarkt Anderen überlassen. Wir haben natürlich über die verlängerte Werkbank auch eine Serienfertigung. Diese ist notwendig, um dem Wettbewerb bei preissensiblen Produkten gerecht zu werden. So etwas lässt sich nicht auf der Manufaktur-Basis machen.

Wir gehen in der Zukunft den Weg des Ausbaus der eigenen Infrastruktur, für uns ist das Gebot der Stunde, die bisherigen Investitionen zu schützen und neue Dienste für ihre Kunden, Lieferanten und Mitarbeiter zu entwickeln, um diese an uns zu binden. Denn das erhöht die Zufriedenheit aller Beteiligten und schafft mehr Visibilität. Wir entwickeln Technologien zur Integration der IT-gestützten Steuerungen, Produktions- und Qualitätsüberwachungs-Systeme und die Überwachung der dazugehörigen Prozesse und „Service Levels“.

Somit haben wir uns die Basis für weitere Schritte in der Zukunft geschaffen.

Mein Fazit: Industrie 4.0 ist in der Manufaktur kein Widerspruch.

Foto: IDE-Compressors Manufaktur GmbH / Gabriele Adam

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„Manufaktur 4.0 – bedeutet vor allem Vernetzung!“

3. November 2016, Potsdam. Bei einem Gespräch im Frühjahr dieses Jahres berichtete Pascal Johannsen von dem Vorhaben, eine Brandenburger Manufakturen-Straße zu initiieren.

Unsere Bekanntschaft begann vor etwa drei Jahren, als er uns die Gelegenheit gab, unser manufakturähnlich arbeitendes Leuchten-Label in seiner Galerie auszustellen. Das Label „Rejon“, welches in diesem Jahr sein fünfjähriges Bestehen feiert, entstand vor allem aus einem Grund: In Zeiten globaler Vernetzung Produkte im regionalen Netzwerk herzustellen und diese durch das Internet zu vertreiben.

Nun sind mein Partner Jakob Blazejczak und ich von Hause aus Designer und damit ist klar, dass wir Produkte entwerfen – sie aber nicht herstellen. Im Unterschied zur sogenannten Maker-Bewegung, welche eine postindustrielle Ära mit Hilfe von 3D-Druck und computergesteuerten Werkzeugen anstrebt, schätzen wir das traditionelle Handwerk und seine lokale Verwurzelung sehr. Ohne den Einsatz der genannten Technologien grundsätzlich auszuschließen.

„Manufakturähnlich“ an unserem Unternehmen ist, dass wir handwerklich erstellte Bauteile in mehreren Arbeitsschritten anfertigen (lassen) und zu einem finalen Produkt zusammensetzen. Ein Unterschied zumindest in der traditionellen Verwendungsweise des Begriffs ist unsere dezentrale Fertigung, diese könnte man eher mit dem Verlagssystem der frühen Neuzeit vergleichen. Daneben nutzen wir das Internet, um mit unseren Kooperationspartnern aus Handwerk und flexibel spezialisierten Dienstleistungsunternehmen zu kommunizieren; also Datensätze oder technische Zeichnungen übermitteln.

Die flexible Spezialisierung eines Unternehmens gründet häufig auf dem Einsatz computergesteuerter Werkzeuge. Zum Beispiel – in unserem Fall – Betriebe, welche unter Einsatz von CNC Technologie Metallbearbeitung mit Laser- oder Wasserstrahlen anbieten. Die Losgröße bestimmt zwar auch hier das Preis-Leistungs-Verhältnis, Einzelanfertigungen sind aber möglich.

So lassen wir für eine Stehleuchte spezielle Aufnahmen in kleinen Stückzahlen anfertigen. Diese senden wir anschließend an unseren handwerklich arbeitenden Gestellbauer. Nach dem dieser das Sonderteil in die Drahtgestelle eingelötet hat, sendet er die Gestelle zum Pulverbeschichter und dieser leitete das Zwischenprodukt an unseren Schirmhersteller – einem Familienbetrieb, der seit 1930 Stoffleuchtenschirme fertigt und diese Tradition mit hoher Qualität verbindet.

Trotz des Einsatzes moderner Technologie entsteht bei uns also ein Produkt mit hohem Anteil an Handarbeit, dass unsere Kunden – auch über den Preis – zu schätzen wissen.

Wir würden uns als einen Hybriden aus „Verlag und Manufaktur 4.0“ bezeichnen, da wir Produkte

  • mit einem stark regionalen Bezug,
  • mit einem großen Anteil an handwerklich geprägter Könnerschaft,
  • unter dem Einsatz softwarebasierter Kommunikations- und Herstellungstechniken fertigen lassen.

Durch unsere Ausbildung als Produktdesigner sind natürlich einige unserer Arbeitsprozesse stark von virtuellen und digitalen Werkzeugen geprägt. Wir sind es gewohnt, mit Hilfe von 3D Software (CAD) Formen jeglicher Art zu generieren und mit Hilfe von sogenannten Rapid-Prototyping- (3D Druck) oder CNC(CAM)-Technologien Modelle zu erstellen. Der große Fortschritt in der Gestaltung moderner Softwareinterfaces zur Maschinensteuerung ermöglichte es uns bereits während des Studiums, diese Technologien als Zusatzqualifikation zu erlernen. Mittlerweile erscheint das Angebot an regional verfügbaren Dienstleistungen im Bereich der CNC Bearbeitung ausreichend und damit erübrigen sich weitgehend eigene Investitionen.

Selbst wenn inzwischen große Datenvolumen versandt werden können, eine zeit- und ressourcensparende Kommunikation machbar ist – wir halten eine regionale Nähe der Kooperationspartner bei der Herstellung von qualitativ hochwertigen Produkten für notwendig, ja unabdingbar, da gemeinsame Gespräche (inklusive der Begutachtung von Zwischenprodukten) Kooperation und Ergebnis immer positiv beeinflussen.

Ich möchte im Folgenden auf einige besondere Merkmale des 3D Druckes eingehen. Dieser wird fälschlicherweise aufgrund seiner aktuellen Popularität häufig mit dem Thema der Industrie 4.0 vermengt und könnte daher auch Einfluss auf die Interpretation des Begriffs Manufaktur 4.0 haben. Stephan Koziol, Geschäftsführer der gleichnamigen deutschen Marke Koziol, sagte

vor einiger Zeit bei einem Gespräch mit Studenten an der Fachhochschule Potsdam, die Zukunft des 3D Druckes sehe er nicht in der Herstellung des Endproduktes, sondern eher im Formenbau. Kavitäten lassen sich bereits aus Metallpulvern sintern und werden mit Hilfe des Drahterodierens oberflächlich nachbearbeitet. Spritzgussformen, welche auf diese Art erstellt wurden, eignen sich zurzeit aus Gründen der Stabilität eher für Vorserien zwischen 100 und 1000 Stücken. Die Entwicklung von Legierungen mit einer höheren Dichte und stärkeren Belastbarkeit macht aber kontinuierlich große Fortschritte.

Die sogenannten Rapid-Prototyping-Technologien haben ihren Ursprung in der Raumfahrt- und Industrieforschung und werden hier seit ca. 30 Jahren eingesetzt, um Entwicklungsprozesse zu vereinfachen und möglichst schnell zu präzisen und aussagekräftigen Modellen zu gelangen. Unter dem Begriff der additiven Fertigung werden eine Vielzahl sehr verschiedenartiger Druckverfahren verstanden. Jedes für sich genommen, kann in sehr unterschiedlichen Prozessketten eine Anwendung finden. Neben hochgenauen Verfahren, welche Oberflächengenauigkeiten im tausendstel Millimeter-Bereich ermöglichen, wirken die jüngst sehr populär gewordenen Desktopdrucker (FDM) eher plump und ungenau.

Es existieren neben den bereits genannten Verfahren zur Erstellung von Metallformen, verschiedene Verfahren, bei denen flüssige Kunststoffe durch UV-Licht oder Laserstrahlen polymerisieren, zwei Komponenten reagieren, Stäube mit Bindern aushärten, Kunststofffilamente aufgeschmolzen oder Wachs durch feine Düsen auf die Bauplattform gepresst wird.

Sie führen zu einer Vielzahl von verschiedenen Material- und Oberflächeneigenschaften. Manche eigenen sich für thermisch und mechanisch anspruchsvolle Aufgaben, andere lassen sich ausschmelzen und wieder andere können wegen Ihrer niedrigen Auflösung eher als Hilfsmittel zur schnellen Visualisierung von Ideen und Konzepten verstanden werden. Der Preis verhält sich hier fast analog zur den Eigenschaftsprofilen der jeweiligen Technologie und des Resultats. Die Kosten für ein etwa faustgroßes Druckmodell können, je nach Verfahren, zwischen einstelligen bis hin zu dreistelligen Eurobeträgen betragen.

Neben einigen hochspezialisierten Dienstleistern, welche ihren Kunden eine Vielzahl an Verfahren zur Verfügung stellen, entstehen immer mehr lokale Anbieter nach dem Modell des „Copyshops“. Eine Investition in eigene Maschinen ist hier ähnlich unnötig wie bei den CNC-Maschinen durch die flexibel spezialisierten Betriebe (siehe oben).

Was subsumiert nun der Begriff „Manufaktur 4.0“?

Grob zusammengefasst führten in den vergangenen 30 Jahren die beschriebenen technologischen Innovationen zu stark verbreiteten und vielfach genutzten Herstellungsmethoden bzw. Prozessschritten in der Produktentwicklung und in der Herstellung. Sie haben sich sowohl in der Industrie als auch im Handwerk etabliert. Daneben bestimmt das Internet in großem Umfang darüber, mit wem und auf welche Weise wir geschäftlich Kooperieren und Kommunizieren.

In Zukunft besteht ein enormes Potential für neuartige Modelle der Zusammenarbeit zwischen verschiedenen Unternehmen; dies kann zum Beispiel den Einkauf von Rostoffen oder die Spezialanfertigung eines Werkzeuges für die eigene handwerkliche Produktion betreffen. Denkbar sind weiterhin

  • gesinterte oder CNC-gelaserte Stanzwerkzeuge,
  • Schablonen zur Lederbearbeitung, Wachs- oder Kunststoffpositivformen für Guss- Technologien oder
  • hochgenaue Komponenten in feinmechanischen Manufakturprodukten und vieles mehr.

Was nun den Charakter der Waren aus einer solchen hybriden Fertigung (siehe oben) betrifft, darüber wird wohl eher die Gewichtung von handwerklichen und maschinellen Prozessen im Unternehmen ausschlaggebend sein.

Schließlich: Der Geschäftsführer unserer zuliefernden Leuchtenschirm-Manufaktur, sprach neulich bei einem persönlichen Gespräch mit uns von seinem aktuellen Vorhaben, einen Web-Konfigurator zu entwickeln, mit dem er seinen Kunden die Möglichkeit geben könnte, individuelle Größen- und Farbzusammenstellungen online zu entwerfen, mit dem Hinweis: “Bei uns ist sowieso jeder Leuchtenschirm eine Sonderanfertigung!“

Fotos: Rejon

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„Manufaktur 4.0“ – Überlegungen nach der ersten Podiumsdiskussion

21. Oktober 2016, Potsdam. Am 16. September 2016 fand der 1. Brandenburger Manufakturentag im Haus der Brandenburgisch-Preußischen Geschichte in Potsdam statt. Organisiert von der Deutschen Manufakturenstraße e. V. sowie der Kulturland Brandenburg Gesellschaft – eine Auftaktveranstaltung für die Manufakturenstraße in Brandenburg. Gezeigt wurde eine kleine, feine Ausstellung von 20 Brandenburger Manufakturen und manufakturartig arbeitenden Designern, Handwerkern und Herstellern von Konsumgütern, Baustoffen und Lebensmitteln – die Hersteller für die Besucher zum Anfassen, die Geschäftsführer als Gesprächspartner.
Im Rahmen der Ausstellung fand eine Podiumsdiskussion zu Überlegungen nach der „Manufaktur 4.0“ statt, die natürlich auch für die Fachhochschule Potsdam und ihre Absolventen interessant ist. „4.0“ steht in der Industrie für Software-Einsatz in der gesamten Produktionskette vom Designer über den Hersteller bis zum Händler und dem Endkunden, aber auch Beteiligung der Kunden am Design, Transparenz bei den Materialien, Herkunft und Arbeitsbedingungen. Das wird von der Bundesregierung großzügig gefördert. Was könnte analog die förderfähige „Manufaktur 4.0“ werden?

Auf dem Podium saßen neben den Moderatoren Pascal Johanssen und Brigitte Faber-Schmidt drei Hochschulprofessoren der Fachhochschule Potsdam – Prof. Dr. Rainer Funke (Designtheorie), Prof. Alexandra Martini (Gestaltungsgrundlagen), Prof. Hermann Weizenegger (Industrial Design) -, Necdet Yildirim von Carta Forma (Hersteller von Papierwaren aus Oberkrämer), sowie ich als Vorsitzender des Verbandes Deutsche Manufakturen und Silberwarenhersteller (Koch & Bergfeld) aus Bremen.
Ehrlichgesagt warf die Diskussion noch mehr Fragen auf, als sie Antworten ergab – aber vielleicht liegt das auch in der Natur der Sache, wenn es sich um eine Auftaktdiskussion handelt.

Klar ist: Es gab in den vergangenen Jahren wieder große technische Fortschritte. Theoretisch können sich Kunden, Lieferanten, Zulieferer und Hersteller über Software verknüpfen – jeder könnte Einblick in den Produktionsprozess nehmen. Maschinen aus aktuellen Baujahren haben oft eine Computerschnittstelle. Die Frage ist nur: Interessiert das irgendjemanden in der Manufakturenbranche? Die Antwort lautet vermutlich: eigentlich nein. Eigentlich. Und zwar nicht, weil man technikfeindlich wäre – sondern weil häufig schlicht die Anwendbarkeit fehlt.

Man braucht sich nur die Grundsatzfrage zu stellen: Was ist der größte Unterschied zwischen Industrie und Manufaktur? Das ist neben der geringen Mitarbeiterzahl bei Manufakturen auch die geringe Losgröße in der Produktion. Gerade die Losgröße 1 (Sonderanfertigung) stellt die Frage nach der Amortisation jedes Investitionsschrittes.

Geht man einmal optimistisch von einer industriellen Soft- und Hardware-Lebenszeit von zehn Jahren aus (bei Apple- oder Microsoft-Produkten reden wir erfahrungsgemäß von einem Jahr), so bedeutet dies, dass mit der Investition in eine Soft- und Hardware diese sich in diesen zehn Jahren bezahlt gemacht haben muss. Denn dann ist der Fortschritt drum herum so groß, dass neue Investitionen erfolgen müssen.

Nehme ich unseren eigenen Betrieb als Beispiel – die Silberbesteckproduktion -, so rede ich über vermutlich 250 000 bis 400 000 produzierte Besteckteile in zehn Jahren – allerdings aus einer Palette von rund 1500 verschiedenen Stücken (das wäre schon der Optimalfall – insgesamt haben wir rund 15 000 verschiedene Besteckteile seit Bestehen unseres Unternehmens entworfen und gefertigt). Von dem einen Löffel werden mehr gefertigt, von dem anderen sehr viel weniger. Das heißt, mein Aufwand muss für viele unterschiedliche Produkte mit teilweise sehr geringen Stückzahlen passen. Ist das realistisch? Wohl eher nicht. Wir reden ja nicht von einem Warenwirtschaftssystem (haben wir), Internetseite, eMail und Facebook (haben wir), Smartphones und Automobile haben wir natürlich auch schon – also stellt sich die Frage, worauf die Veränderung „4.0“ abzielen könnte.

Auf den Händler-Kontakt? Der Händler ruft an, benötigt die Gravur-Kombination „F“ und „D“ für seinen Kunden, der gerade im Geschäft beraten wird. Schnellste Lösung: drei Seiten Gravur-Kombination aufs Fax gelegt, er kann diese dem Kunden zeigen und nach zehn Minuten ist das Rückfax da – eine Kombination in einer Zierschrift ist angekreuzt. Fertig.

Ich frage mich: Wäre er besser dran, wenn er die Kombinationen im Internet hätte abrufen können, während er den Kunden im Geschäft berät? Ich frage mich mal zurück: Hat der Händler seinen Acrobat Reader für PDFs aktuell – oder macht er jetzt vor den Kunden-Augen erstmal ein Update, damit er nach zwanzig Minuten (Java war auch veraltet und aktualisiert sich schnell noch mit) dann auch noch die richtige Kombination aus den etwa 500 Seiten mit jeweils 20 bis 50 Möglichkeiten herausgesucht hat, endlich etwas vorzeigen kann? Oder will er das doch lieber dem Fachmann – hier: seinem Lieferanten, der sich längst den Ladenöffnungszeiten im Büro angepasst hat – mit der veraltet scheinenden, aber fehlergeringen Fax-Technik überlassen?

Zielt die Veränderung vielleicht auf die Lieferanten-Kommunikation? Gegenfrage: Wieviel Material benötigt wohl eine Manufaktur so im Monat? Reicht die Bestellung per eMail oder Fax (wegen der geforderten Unterschrift) nicht aus?

Bleibt der Endkunde… Der Endkunde ist überglücklich mal alle seine Fragen an den Hersteller stellen zu dürfen. Benötigt der Endkunde einen Zugang in die Produktion der Manufaktur? Nein, benötigt er wohl kaum, da den meisten Endkunden eh die Vorstellungskraft für Produktionsprozesse und die Menge der Möglichkeiten fehlt, es die allermeisten auch nicht interessiert.

Geht es um einen Konfigurator für Bestellungen? Nach meiner bald 20jährigen Tätigkeit für Manufakturen, denke ich: nicht. Denn: Vom Typ her möchte der Endkunde ein bisschen fachsimpeln, feststellen, ob er bei genau diesem Hersteller ‚richtig‘ ist, dort seinen Kauf nach reiflicher Überlegung und Beschäftigung zu tätigen. Er möchte nochmal von einem Menschen am anderen Ende der Telefonleitung versichert bekommen, dass das Bestellte zum gewünschten Termin geliefert wird. Er liebt einfach den Kontakt mit den Menschen ‚dahinter‘, mit den Menschen, die die Produkte herstellen und alles so genau wissen…

Die Diskussion verlief an diesem Nachmittag in Potsdam an der Diskussionsfront 3-D-Druck versus Handarbeit.

3-D-Druck ist faszinierend. Aber relativ langsam. Und hängt von der Qualität der Programmierung ab. Zeit ist Geld. Programmierung kostet Geld. Und es gibt da den zusätzlichen entscheidenden Unterschied: Der Schmied verformt manuell und erhält am Ende einen Stahl mit besonderer Schnitthaltigkeit – der Drucker verschweißt oder verklebt Pulver. Heraus kommt so etwas wie: Eisen, nicht so sehr schnitthaltig. Das ist zwar nur ein Bild – aber es scheint mit irgendwie passend.

Die Bremerhavener Biozoon Food Innovations GmbH wurde gerade mit dem Schütting-Preis, dem Innovationspreis der Bremer Handelskammer, ausgezeichnet für sein Spezialessen aus dem 3-D-Drucker – ein geliertes Lebensmittel, dass Menschen mit Kau- und Schluckstörungen helfen soll: Bohnen im Speckmantel an Lammrücken? Schmeckt so, ist aber Gel. Das Unternehmen hat 24 Mitarbeiter und macht 1,2 Millionen Euro Umsatz. Haken an der Sache: Das Essen ist relativ teuer, denn es muss auf den jeweiligen Patienten und seine Kau- und Schluckfähigkeiten zugeschnitten sein. Da haben wir wieder die Losgröße 1… Und die Frage, warum wir Manufakturen eben doch eher mit Slowfood harmonieren und in einem Boot sitzen, als mit ‚Smoothfood 1.0‘, wie der derzeitige Fachbegriff für das Gel-Essen derzeit ist.

Das größte Problem der „4“ vor der „0“ ist jedoch, dass es die Manufakturen von ihrer DNS wegführt – der Handarbeit und dem Menschen, der im Manufakturprodukt zu finden ist und vom Kunden gesucht wird. Denn die Renaissance der Manufakturen begann vor 20 Jahren nicht in der Faszination der Betreiber für immer vertieftere Technik – sondern in der Begeisterung der Kunden für die Handarbeit, für den Menschen, der trotz seriellen Fertigung im einzelnen Produkt zu finden ist.

Der Mensch – und seine Kompetenz. Seine Meisterschaft in vielen Dingen, vor allem in seiner Urteilskraft. Wann ist ein Produkt ‚gut‘? Kann das ein Roboter entscheiden?

Das unterscheidet Manufaktur und Industrie. Serielle Fertigung – jedoch in Verantwortung des Menschen und nicht der Vorgabe. Nicht das Fließband, das unnachgiebig weiterläuft. Sondern das Auge und die Entscheidung des Mitarbeiters. Und das ist auch das, was der Kunde will – es sei denn, eine Maschine könnte es besser. Dann wäre der Arbeitsplatz futsch, das ist klar.
Kurzes Fazit: Der Charme der Manufakturen liegt gerade in der arbeitsteiligen Handarbeit und im Erkennen der Handarbeit und des Menschen im Produkt. Das Programmieren von Software kostet noch zuviel Zeit und damit Geld, Drucker sind zu langsam und scheinen – wenn überhaupt – im Prototypenbau interessant. Neue Techniken sind dann interessant, wenn sie neue Möglichkeiten und neue Produkte für die Hersteller eröffnen, das ist klar. Reine Automatisationen laufen dem Manufakturgedanken zuwider und bringen noch nicht mal die körperlichen Entlastungen, die dem Außenstehenden interessant erscheinen (Betriebssport und -yoga erübrigt sich beim Konsumgüterhersteller möglicherweise, wenn man eh körperlich arbeitet und ab und an mal die Halbfertigteile zum Kollegen bringt und die Muskulatur ‚abweichend‘ durchblutet wird). Auch digitale Kundennähe ist beim doch recht häufigen Endkunden-Kontakt in der Regel eher ein Wunsch der Hersteller als der Kunden…
Trotzdem finde ich die Diskussion und die Gedankenspiele interessant. Und auch deshalb veranstaltet der Verband Deutsche Manufakturen alljährlich das „Zukunftsforum Deutsche Manufakturen“… Wer eine Idee zur weiteren Zukunft der Manufaktur-Idee hat, bringe sich ein!

Fotos: Deutsche Manufakturenstraße e. V.

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Hier einige Eindrücke vom 1. Brandenburger Manufakturentag: