Manufakturen-Blog: Claudia Schoemig in ihrem Showroom in der Werkstatt in der Raumerstraße 35 unter einer großen Leuchtreklame eines früheren Berliner Geschäfts (Foto: Wigmar Bressel)

Ein Besuch im Independent-Porzellan – ein Besuch bei Claudia Schoemig

18. Februar 2022, Berlin. Okay. Ich habe die wundervollen Arbeiten von Claudia Schoemig schon länger auf Instagram beobachtet. Ich will nicht sagen, dass ich ihre Arbeiten gestalkt habe – aber doch ihren Instagram-Kanal abonniert. Das besondere ihres Gebrauchsporzellans ist der Mix aus Biskuit und Glasur in sehr feinen Harmonien. Ich war zu Besuch auf der ‚Ambiente 2020‘ in Frankfurt am Main (der letzten vor dem wiederholten Aus durch die Pandemie) – und da wurde sie als eine Art ‚Nachwuchskünstlerin‘ protegiert, was natürlich komplett absurd ist, denn die Fränkin in Berlin ist seit einigen Jahren einer der strahlenden Sterne am Independent-Porzellanhimmel. Ich habe sie an ihrem Stand besucht – und beschlossen, dass ich sie aus Sympathie für ihre überlegte Art und Begeisterung für das schöne handgedrehte Serien-Geschirr in ihrer Werkstatt mit Showroom im Prenzlauer Berg aufsuchen muss. Das habe ich dann auch ein Jahr später getan, gerade von der KPM, dem Berliner Platzhirschen für Manufaktur-Porzellan, kommend.

Der berühmte In-Stadtteil im Berliner Osten ist ja ein Ort der Lieblichkeit, des Bio-Kitschs mit seinen Läden für Fallobst-Wiesen-Säften, der durchgentrifizierten Altbaulandschaft, die einst mit Mühe die DDR überstanden hat und heute teilweise teuer wie Nichts ist; berühmt für die sogenannten „Latte-macchiato-Mütter“, die ihr Heißgetränk im wiederverwendbaren „To-go-Becher“ zu sich nehmen, während der Nachwuchs im 500-Euro-Kinderwagen geschaukelt wird. Ist ja auch egal – denn der „Prenzelberg“ ist eine Besonderheit, wie Notting Hill in London oder andere hippe Stadtteile in den Größtstädten unserer Welt. Eigentlich ein Ideal-Stadtteil – wäre da nicht das Problem, dass sich erhebliche Teile der Bevölkerung Bürgerbauten des 19. Jahrhunderts mit Deckenhöhen und Parkett nach der Renovierung kaum mehr leisten können und sich theoretische republikanische Gleichheit nach und nach durch die Macht des Faktischen in Soll und Haben sortiert.

Manufakturen-Blog: Becher-Serie 'Sublim' von Schoemig-Porzellan (Foto: Wigmar Bressel)

Becher-Serie Sublim

Manufakturen-Blog: Becher-Rohlinge warten im Regal auf den zweiten Brand (Foto: Wigmar Bressel)

Becher-Rohlinge warten im Regal auf den zweiten Brand

Manufakturen-Blog: Regale mit Halbfertigteilen betonen den Werkstatt-Charakter (Foto: Wigmar Bressel)

Regale mit Halbfertigteilen betonen den Werkstatt-Charakter

Manufakturen-Blog: Claudia Schoemigs Hündin Martha wacht über den Showroom (Foto: Wigmar Bressel)

Claudia Schoemigs Hündin Matilda wacht über den Showroom

Aber so funktioniert selbst die „soziale Marktwirtschaft“ eben. Aufwendige historische Gebäude benötigen zahlungsfähige Eigentümerinnen und Eigentümer und diese ebensolche Mieterinnen und Mieter. Und wo wollte man sich mit handwerklichem Designer-Porzellan auch ansiedeln, wenn nicht bei den Menschen, die studiert oder anderweitig auch für das Ästhetische gebildet – aber vor allem auch etwas zahlungskräftiger für Individualität und Design sind?

Claudia Schoemig hat sich im Jahr 1999 in diesem Stadtteil verortet; sie macht übrigens keinen reichen Eindruck. Sondern einen sehr durch handwerkliche Arbeitsamkeit und Ernsthaftigkeit und Zielgerichtetheit bestimmten. Ihr schlichter Showroom in der Raumerstraße 35 wird mitbelegt durch Teil-Fertigprodukte, die auf ihren Brand warten. Ruhige Farben bilden den Hintergrund für die Präsentationsbühnen ihrer Porzellane: Teller, Becher, Schalen, Vasen – was es für den Gebrauch bei Tisch eben so bedarf.

„Ich habe das Glück, dass ich einen tollen Vater habe, der gefühlt alles kann und der sich soviel zugetraut hat. Der hat natürlich eine Weile gebraucht, bis er kapiert hat, dass er eine Tochter hat, die sich auch für alles interessiert“, erzählt Claudia Schoemig. Ihr Werdegang ist dementsprechend zunächst unakademisch: Ausbildung zur Keramikerin in einer fränkischen Werkstatt – „die Leute haben mich angeguckt, als wäre ich ein Ufo, wenn ich erzählt habe, was ich mache. Ob das nicht ein ‚aussterbender Beruf sei‘, wurde ich oft gefragt. Und ich habe gedacht: Na, schauen wir mal, wie lange es dauert, bis er ausgestorben ist.“ Das war in den 1980er Jahren. Die 1990er seien dann auch tatsächlich „übel gewesen“, räumt Schoemig ein. „Aber seit zehn Jahren ist handwerkliche Keramik und Porzellan wieder voll am Aufblühen. Gefühlt jeder würde gerne einen Töpferkurs machen und das Gefühl für die handgemachten Dinge kehrt in die Gesellschaft zurück.“

Claudia Schoemig entwickelte sich weiter – vom Ton der Keramikerin hin zum Porzellan, weg von dem, was in der Erde gefunden wird und abgebaut (Ton), hin zum Porzellan, das aus frei konfigurierbaren Stoffen besteht, Hauptbestandteil Kaolin, befreit von den vielen Bestandteilen wie Eisen (das den Ton rötlich färbt), das dafür jedoch viel präziser gehandhabt werden kann, da es keine Überraschungen mehr bereithält.

Dieser Schritt erfolgte bei ihrem nächsten Arbeitgeber – einer kleinen Porzellanmanufaktur, die vor allem für Historienfeste und Filme historische Porzellane fertigte: „Ich wurde immer schneller im Drehen von Porzellanteilen – bis ich die Schnellste war.“

Dann kam ihr Schritt in die Selbständigkeit – und wieder der Vater: „Ich durfte mir eine kleine Werkstatt in seiner Arbeitshalle einrichten; das war eine schöne Zeit!“ Sie zog über Keramikmärkte, übte sich in Direktverkauf und Kundennähe: „Aber ich kriegte die Krise, fragte mich, ob ich mit Anfang zwanzig schon bereit sei, so sesshaft zu werden.“

Natürlich nicht. Es folgte ein Kunststudium im nordhessischen Kassel, zwischendurch an der Hochschule in Berlin-Weißensee, schließlich in Kassel der Abschluss. Ausstellungsteilnahmen, Kunstvereine, selbstorganisierte Künstleraustausche mit Helsinki, Paris, Prag und London – alles prägend für die Frage nach Kunst- oder Gebrauchsporzellan, nach Design oder Funktionalität, nach Positionierung und Preisfindung… vieles pro bono und Ehrenamt – aber das gehört zur Entwicklung als Mensch ja dazu. Und immer wieder die Frage: Was will ich in meinem Leben als Porzellanschaffende wirklich machen?

„Ich habe immer noch soviele Ideen – das kann ich alles gar nicht machen.“ Gibt es für sie garkein Problem, sich selbst zu motivieren? „Ich habe nur das Problem, dass ich nicht alles umsetzen kann, über das ich nachdenke. Dafür fehlt die Zeit. Aber ich habe gemerkt, dass meine Entwürfe und Umsetzungen gut ankommen – also habe ich meine eigene Firma gegründet.“ So entstand die Idee für ‚Schoemig Porzellan‘, an ihrem letzten Studienort, in der Hauptstadt, in der schon Friedrich der Große Porzellan unter dem Namen KPM produzieren ließ. ‚Ö‘ oder ‚oe‘ – sie zuckt mit den Schultern: „Die internationalen Kunden verstehen es nicht.“ Aha – internationale Kunden… das ‚oe‘ schlich sich jedenfalls ein – und aus dem fränkischen Schömig wurde Schoemig.

Wie entwickelt sich bei der heutigen Claudia Schoemig Design? „Das ist sehr unterschiedlich. Vieles entsteht im Prozess, beim Arbeiten; ich frage mich: Wie soll sich ein Gefäß anfühlen? Wie will ich es selbst gerne in der Hand halten? Wie soll es aussehen, wenn ich hineinschaue? Was für mich meine Arbeit ausmacht, ist eher die Richtung Minimalismus, zeitgenössisch-poetisches Tafeln und modernes Interior. “

Ich weiß genau, was sie meint, ich liebe ihre Becher: außen Biskuit-Porzellan, innen in zarten Pastelltönen glasiert. „Ich feile so lange daran herum, bis es gut ist und mir gefällt. Dann kommt der Test mit der Kaffeemaschine, der Probeeinsatz bei den Mitarbeitern und im Bekanntenkreis. Und ob ich es nach einem Monat immer noch gutfinde. Man braucht mir beim Briefing nur einen Brocken hinwerfen – das macht mich glücklich, wenn ich wochenlang daran herumarbeiten darf. Neue Sachen auszudenken – das ist mein Lebenselixier.“

Fotos: Wigmar Bressel

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