Manufakturen-Blog: Der Marstall der Dornburger Schlösser - hier startet die Bauhaus-Keramik und zugleich eine neue Formensprache auch für Manufaktur-Keramik. (Foto: Wigmar Bressel)

Dornburger Schlösser – dort begann die moderne Manufaktur-Keramik

13. November 2022, Dornburg. Vor drei Jahren hörte ich in der ‚Klappholttal – Akademie am Meer‘ auf Sylt während eines Urlaubsaufenthalts den Vortrag des bedeutenden deutschen Architekturkritikers Dankwart Guratzsch (‚Die Welt‘) zu ‚100 Jahre Bauhaus‘. Guratzsch verblüffte die Gäste mit einem Eröffnungsbild: Dies zeigte keineswegs die berühmten Schuhkartons aus Dessau in Glas und Weiß – sondern ein den Meisten unbekanntes Gebäude; natürlich das des ersten ‚Bauhauses‘ aus Weimar, des von Henry van de Velde entworfenen und errichteten Ateliergebäudes (1904 – 1911) der ‚Großherzoglich-Sächsischen Kunstgewerbeschule Weimar‘, die durch ihre Fusion im Jahr 1919 mit Walter Gropius‘ ‚Großherzoglich-Sächsischen Kunstschule Weimar‘ sich zum ‚Bauhaus‘ wandelte: Kunstgewerbe und Kunst vereint. Eine Idee, die dreizehn Jahre hielt – dann wurde das Bauhaus – über Dessau nach Berlin immer weiterverzogen – von den Nationalsozialisten verboten.

Noch weniger ‚form follows function‘ (ein berühmter Spruch des 3. Bauhaus-Direktors Ludwig Mies van der Rohe im US-amerikanischen Exil), als die Gebäude in Weimar, bietet das liebliche Gebäude der ersten Keramikwerkstatt (1920 – 1925) des Bauhauses: der Marstall der Schlösser in Dornburg. In dieser Orgie aus Rosa und Cremegelb, durch Gärten mit den drei Schlössern verbunden – darunter genau gegenüber dem Eingang das Jagd- und Lustschloss – steckten die Wurzeln der späteren ‚Neuen Sachlichkeit‘ und die Basis unserer heutigen Keramik von KPM-Porzellan bis Hedwig Bollhagen, teilweise auch Meissen und Schwarzburger Werkstätten. Der erste Leiter der Keramikwerkstatt wurde der Berliner Gerhard Marcks (1889 – 1981); dieser ist heute vor 41 Jahren gestorben.

Marcks ist in der Manufakturen-Branche kein Unbekannter: Er lieferte Skulpturen-Entwürfe für die Porzellanmanufaktur Meissen, die Schwarzburger Werkstätten für Porzellankunst und die Steingutfabrik Vordamm. Seine „andersartigen“ Entwürfe – er selbst hatte keine keramische Ausbildung und verstand sich überhaupt als Bildhauer – reichten Gropius, um ihn für Dornburg anzuheuern. Marcks soll den Studierenden Gestaltung beibringen. Mit dem lokalansässigen Töpfermeister Max Krehan (1875 – 1925) wird Marcks ein versierter Techniker als ‚Werkmeister‘ zur Seite gestellt.

Die Keramikwerkstatt war für die Studierenden eine Herausforderung: Im Juli 1920 begannen sie mit dem Umbau des Marstalls in Eigenleistung – Pferdeboxen herausreißen, Wände einbauen, Technik mit Hilfe von zwei lokalen Handwerken installieren. Brennöfen einbauen, sechs Drehscheiben auf einem langen Balken – für den ‚Formmeister‘ Marcks ein eigenes Atelier und ein Wohnhaus in der heutigen Max-Krehan-Straße 2; für die Studierenden sind die bisherigen Gesindekammern über den Werkstätten, jedoch möbliert aus den Schlössern, schließlich war die Monarchie ja gerade untergegangen und der eben noch so großzügige und kunstbegeisterte Großherzog „weg vom Fenster“. Mangels eines eigenen Herdes wurde in einer der Schlossküchen mitgekocht. Die Fertigstellung und offizielle Eröffnung der Keramikwerkstatt wurde am 3. Oktober 1920 gefeiert.

Die Keramikwerkstatt sollte sich übrigens finanziell selbst tragen, ihre eigenen Kosten durch marktgängige Geschirre selbst einspielen… es wurde also beschlossen, sicherheitshalber zweigleisig zu fahren: neues marckssches Design hier – klassische Keramik dort… unter den enthusiastischen jungen Bauhäuslern wurden diese Arbeiten als „Bauerkeramik“ verspottet, was viel über das eigene revolutionäre Selbstverständnis und die Meinung über Marcks‘ Lehre aussagt, aber genauso von der Meinung zum Geschmack der größtenteils ländlichen Kunden erzählt, die von Werkmeister Krehan und seiner bisherigen Töpferei angelockt sind.

Nur 16 Studenten absolvieren in den fünf Jahren die Keramikwerkstatt – für die Manufakturen-Branche wird Marguerite Friedlaender (1896 – 1985) die wichtigste, denn sie wird später von der Königlichen Porzellan-Manufaktur (KPM) in Berlin  beauftragt und entwirft berühmtes Geschirr, das heute noch produziert wird. Friedlaender war Dekormalerin in einer Rudolstädter Porzellanmanufaktur – aber das genügte ihr nicht.

Manufakturen-Blog: Das erste Bauhaus - ab dem Jahr 1920 in Weimar (Foto: Wigmar Bressel)

Das erste Bauhaus – ab dem Jahr 1920 in Weimar

Manufakturen-Blog: Gerhard Marcks in seinem Atelier in Berlin-Nikolassee (zwischen 1939 und 1942 - Foto: Archiv der Gerhard-Marcks-Stiftung, Bremen

Gerhard Marcks in seinem Atelier in Berlin-Nikolassee (zwischen 1939 und 1942 – Foto: Archiv der Gerhard-Marcks-Stiftung, Bremen)

Manufakturen-Blog: Formenlager im Museum zur Keramik-Werkstatt (Foto: Wigmar Bressel)

Formenlager im Museum zur Keramik-Werkstatt

Manufakturen-Blog: Dort oben, hoch über der Saale und der Moderne des Bahnhofs trutzend, stehen die drei Schlösser in Reihe - die ersten fünf Jahre Heimstatt für die Bauhaus-Keramik. (Foto: Wigmar Bressel)

Dort oben, hoch über der Saale und der Moderne des Bahnhofs trutzend, stehen die drei Schlösser in Reihe – die ersten fünf Jahre Heimstatt für die Bauhaus-Keramik.

Manufakturen-Blog: Das Jagd- und Lustschloss der Weimarer Herzöge - direkt gegenüber des Eingangs zum Marstall und der Bauhaus-Keramikwerkstatt (Foto: Wigmar Bressel)

Das Jagd- und Lustschloss der Weimarer Herzöge – direkt gegenüber des Eingangs zum Marstall und der Bauhaus-Keramikwerkstatt

Manufakturen-Blog: Glasuren und Färbemittel, wie sie zur Werkstätten-Zeit existierten (Foto: Wigmar Bressel)

Glasuren und Färbemittel, wie sie zur Werkstätten-Zeit existierten

Nach der Gesellenprüfung in der Keramikwerkstatt im Jahr 1922 wechselte sie an die Kunstgewerbeschule Burg Giebichenstein in Halle an der Saale, legte dort als erste Frau in Deutschland die Prüfung zur Keramikmeisterin ab, übernahm im Jahr 1929 die Leitung der dort neu eingerichteten Porzellanwerkstatt. Die KPM aus Berlin beauftragte sie mit einem Kaffee-, Mokka- und Teeservice. Am Ende standen fünf Service mit insgesamt 59 Formen – das berühmteste wurde die sogenannte ‚Hallesche Form‘ und die Vasen unter dem Namen ‚Halle‘, die dekoriert von Trude Petri (1906 – 1998, studiert in Hamburg an der ‚Hochschule für bildende Kunst‘, seit 1929 bei der KPM in Berlin angestellt) bis heute erhältlich sind.

Im Jahr 1925 erfolgte die Vertreibung des Bauhauses aus Weimar – und mit ihr die der Keramikwerkstatt. Während Gropius mit seiner Hochschule nach Dessau ging, wechselten sowohl Marcks als auch Friedlaender nach Halle. Marcks wurde dort Professor und machte seinen Weg. Von ihm stammt zum Beispiel die Skulptur der berühmten ‚Bremer Stadtmusikanten‘ am UNESCO-Welterbe Bremer Rathaus, die heute jedes Jahr Millionen Menschen besuchen, darunter auch viele Japaner, die mit Grimms populären Märchen sozialisiert sind. Sein Gesamtwerk wird durch das Gerhard-Marcks-Haus in Bremen erforscht.

In Dornburg widmet sich inzwischen ein kleines Museum im Marstall der Keramik-Werkstatt; man sieht viele Original-Exponate sowie die Einrichtung aus der damaligen Zeit.

Manufakturen-Blog: Marguerite Friedlaender (2. v. r.) im Kreis der Kommilitonen in der Bauhaus-Keramik-Werkstatt in Dornburg (Ausschnitt eines Fotos des Archivs der Gerhard-Marcks-Stiftung, Bremen

Marguerite Friedlaender (2. v. r.) im Kreis der Kommilitonen in der Bauhaus-Keramik-Werkstatt in Dornburg (Ausschnitt eines Fotos des Archivs der Gerhard-Marcks-Stiftung, Bremen)

Manufakturen-Blog: Die kleine Skulptur der 'Bremer Stadtmusikanten' von Gerhard Marcks im Marcks-Haus, wie sie in Groß am Rathaus steht (Foto: Wigmar Bressel)

Die kleine Skulptur der ‚Bremer Stadtmusikanten‘ von Gerhard Marcks im Marcks-Haus, wie sie in Groß am Rathaus steht

Fotos: Wigmar Bressel, Archiv der Gerhard-Marcks-Stiftung (Bremen)

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