Lennart Palkovits von Böker ist 2018 bester Ausbildungsabsolvent bei den deutschen Zerspanern

21. November 2018, Solingen. Die Solinger Messerschmiede Böker hat den besten deutschen Zerspaner-Azubi 2018 ausgebildet: Lennart Palkovits hat von den 403 bundesweit angetretenen Teilnehmern zum Ausbildungsabschluss zur ‚Fachkraft für Metalltechnik, Fachrichtung Zerspanungstechnik‘ als Bester abgeschlossen. Jetzt folgt der Promireigen: Urkunde aus den Händen von Nordrhein-Westfalens Ministerpräsident Armin Laschet, im Dezember trifft er den Bundespräsidenten. Das wirklich Besondere ist aber: Palkovits ist ein Einser-Abiturient, hätte auch Arzt werden können – aber er interessiert sich für Taschenmesser.

Menschen haben unterschiedliche Hobbys – bei Lennart Palkovits ist es das Taschenmesser. Schon früh entwarf er eigene Klingenformen. Ein Onkel schenkte ihm einen Messerschärf-Kurs bei der renommierten Messermanufaktur Böker Baumwerk.

Dem jugendlichen Fan gefiel der Tag in der Manufaktur so gut, dass er seine Pläne für die Zeit nach dem Abitur im heimatlichen Marl änderte und sich bei dem Familienunternehmen bewarb. Enthusiasten werden immer gesucht – Böker nahm ihn in die Lehre, Palkovits zog nach Solingen.

Inzwischen hat er seine Arbeit in Bökers Handpließterei aufgenommen, dort, wo Klingen und Griffe nach dem Schleifen veredelt und perfekt aufeinander angepasst werden. Sein nächstes Ziel ist die Meisterausbildung, die Böker ihm natürlich hausintern ermöglicht. Auch in die Produktentwicklung darf er sich schon einbringen – die „Faszination Manufaktur“ findet also auch für Arbeitnehmer statt.

Übrigens ist Palkovits kein Einzelfall: Im aktuellen ersten Lehrjahr sind vier der zehn Auszubildenden Abiturienten. Fachkräftemangel und Nachwuchssorgen fallen bei Böker einstweilen aus.

Foto: Böker Baumwerk

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Bernhard Hoetgers Jubiläumsbesteck für Koch & Bergfeld

9. August 2018, Bremen. Wie es halt oft so ist. Jetzt gibt es das Buch zum Jubiläumsbesteck, das damals keiner wollte. Inzwischen liegen die wenigen produzierten Besteckteile in den Museen – und jeder Sammler hätte sie gerne… Der Designer Horst Heeren hat sich die Mühe gemacht, alle auffindbaren Details zu Bernhard Hoetgers Industrie-Design und seiner Arbeit für die Silberwarenmanufaktur Koch & Bergfeld in jahrelanger Arbeit zusammenzutragen.

Bernhard Hoetger (1874 Hörde – 1949 Interlaken) – bekannter Kunst- und Architektur-Tausendsassa, berühmt geworden mit der Gestaltung der Böttcherstraße in Bremen, dem Renommierobjekt des Erfinders des entkoffeinierten Kaffees (‚Kaffee Hag‘), Ludwig Roselius, und verschiedenen Bauten in der damaligen Künstlerkolonie Worpswede, des Cafés ‚Winuwuk‘ in Bad Harzburg und des ‚Muluru‘ im niederländischen Zandvoort; Vertreter des sogenannten ‚Norddeutschen Expressionismus‘.

Manufakturen-Blog: Bernhard Hoetger (1874 - 1949)

Bernhard Hoetger (1874 – 1949, Foto: Archiv Böttcherstraße Bremen)

Wenig bekannt ist, dass Hoetger sich zweimal mit Besteck beschäftigt hat – einmal für sein neues Haus in Fischerhude (im Jahr 1914), ein zweites Mal im Auftrag der Bremer Silberwarenmanufaktur Koch & Bergfeld zu deren 100. Jubiläum im Jahr 1929. Es entstanden unter der Modellnummer 66400 originelle Besteckteile, die vielleicht eher an das Design von Pott erinnern, als für Koch & Bergfeld standen. Aber – das Besteck war auch noch zu teuer in der Produktion. 50 % über dem Verkaufspreis anderer bekannter Modelle (wie des ‚Spaten‘ und der ‚Faden‘-Modelle von Gottfried Koch sowie der ‚Bremer Lilie‘ von Hugo Leven) – das passte nicht zur Weltwirtschaftskrise, zum verlorenen 1. Weltkrieg und dem „Diktatfrieden von Versailles“. Schon nach kurzer Zeit wurde die gestalterische Idee aus Quadraten bei Löffeln und Gabeln sowie Dreiecken bei den Messergriffen überarbeitet und eine gefälligere und einfachere Version entwickelt. Aber auch die wollte nicht richtig verfangen. Hoetger fiel zudem bei den Nationalsozialisten als „entartet“ in Ungnade. Dann kam der Krieg. Danach schmolz Koch & Bergfeld die wenigen schon existierenden Hoetger-Prägewerkzeug ein, machte den Stahl zu Geld. Hoetger selbst starb schon im Jahr 1949 in schweizerischen Interlaken, wohin er aus Berlin vor den alliierten Bombenangriffen geflohen war, und geriet aus dem Blick. Aus die Maus.

Manufakturen-Blog: Bernhard Hoetgers Besteck 66400 im Katalog von Koch & Bergfeld - die Gabelrückseite zeigt schön den Umschwung nach hinten (Repro: Wigmar Bressel)

Hoetgers Besteck 66400 im Katalog von Koch & Bergfeld – die Gabelrückseite zeigt schön den Umschwung des Quadrats nach hinten

Manufakturen-Blog: Suppenschöpfer von Hoetgers Besteck 66400 im Foliant bei Koch & Bergfeld (Repro: Wigmar Bressel)

Suppenschöpfer von Hoetgers Besteck 66400 im Foliant bei Koch & Bergfeld

„Heute, bald einhundert Jahre nach seinem Entstehen, hat dieses Besteckmodell noch immer eine spannungsvolle Originalität“, schreibt Horst Heeren in seinem Buch. „Das Besteck und Silbergerät von Hoetger besticht durch großzügig angelegte ungebrochene Linien und Flächen, die dem Material Silber absolut entsprechen und ihm seine ureigene Wirkung ermöglichen.“ Die Formen von Dreieck und Quadrat seien formal überzeugend eingebunden – dabei die Anforderungen der maschinellen Serienfertigung beachtet: „Diese Synthese, in dieser Deutlichkeit und Vollkommenheit, gibt es kaum bei einem anderen mir geläufigen Besteck.“

Manufakturen-Blog: Horst Heerens Buchtitel zu 'Bernhard Hoetger' (Repro: Wigmar Bressel)

Horst Heerens Buchtitel zu ‚Bernhard Hoetger…‘

Horst Heerens Urteil darf man ruhig vertrauen – er hat sein ganzes Leben in der Silberwarenbranche gearbeitet, wurde doppelt ausgebildet als Entwurfszeichner und Silberschmied bei Koch & Bergfeld. Und als Designer hat er sein persönliches „Meisterstück“ im Jahr 1967 mit dem UEFA-Champions-League-Pokal abgeliefert.

Buch ‚Horst J. Heeren: Bernhard Hoetger Industrie-Design 1928, K & B Besteck 66400 1929, Werkverzeichnis 2018‘, 102 Seiten Farbe, viele Fotos und Repros, EUR 30,00 – zu beziehen über Koch & Bergfeld und den Autor selbst.

Repros: Wigmar Bressel

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Jürgen Betz: „Über das Sponsoring haben wir Ideen für neues Design gesammelt“

11. Juli 2018, Efringen-Kirchen. Borgward ist echt wieder da! Beim Classic-Rennen in Le Mans (Drei Wertungen Tag-Nacht-Tag) belegte ein Borgward Hansa Renncoupé 1500 mit geschätzten 105 PS den überraschenden 4. Platz in der Klasse bis 1500 Kubikzentimeter Hubraum. Und wer hat als Hauptsponsor das 35 000 Euro teure Abenteuer ermöglicht? Die Borgward Zeitmanufaktur aus dem Landkreis Lörrach, ein Sechs-Mann-Betrieb! Höchste Zeit für ein Interview mit deren geschäftsführendem Gesellschafter Jürgen Betz zu den Gründen für dieses „etwas größere“ Engagement.

Der große Wirtschaftswunder-Name Borgward aus Bremen – spektakulärer Nachkriegsaufstieg, dann die genauso überraschende und spektakuläre Pleite. Aufkauf durch Hanomag, Büssing, Faun; das Werk in Bremen-Sebaldsbrück landete schließlich via Hanomag bei Daimler. Wegdämmern in die Geschichte… Schließlich wurde sogar die Marke aufgegeben. Danke dafür! Denn nur so konnte Borgward wieder auferstehen. Es schlug die Stunde des Jürgen Betz: Der Zifferblatt-Spezialist und Besitzer eines historischen Goliath Hansa 1100 schützte sich im Jahr 2003 die freie Marke Borgward und gab ihr neuen Sinn: als Uhr aus seiner neugegründeten Manufaktur. Und inzwischen werden ja auch wieder Borgward-Autos gebaut…

Manufakturen-Blog: Jürgen Betz (M.) mit dem Borgward Zeitmanufaktur Rennteam in Le Mans (Foto: Borgward Zeitmanufaktur)

Jürgen Betz (M.) mit Johann und Jakob Larsson des Borgward Zeitmanufaktur Rennteams in Le Mans

Interview

Es liegt zwar nahe, dass die Borgward Zeitmanufaktur sich auch für Borgward Autos interessiert – aber es ist trotzdem noch ein großer Schritt zum ‚Borgward Zeitmanufaktur Rennteam‘. Warum dieses große Engagement?

Jürgen Betz: Ich hatte vor einiger Zeit von dem Rennwagen gehört und ihn mir auf dem Borgward Welttreffen in Bremen auch angesehen. Er schien mir zwar ziemlich dahingedengelt auszusehen – aber mir war der historische Hintergrund bewusst und mit der Zeit habe ich mich in sein eigentümliches Renndesign hineingeschaut. Als Nächstes hörte ich, dass der Automobilbauer Borgward nicht als Sponsor des Rennwagens für Le Mans zugesagt hätte – da habe ich gesagt: Wir machen das. Eine Bauchentscheidung. Aber sie ist richtig. Denn Event und Rennwagen schlagen die Brücke zu unserer neuen Sportuhren-Linie ‚Forty one‘. Dazu wäre es ohne den Rennwagen nicht gekommen.

Woher stammt der Borgward-Rennwagen?

Er wurde von der Borgward-Rennsportabteilung für das 24-Stunden-Rennen zusammen mit zwei weiteren seiner Art konstruiert und gebaut. Spannend ist, dass er im Jahr 1953 in Le Mans mit der Startnummer 41 antrat – allerdings während des Rennens ausfiel. Als nun letzter seiner Art gelangte er schließlich nach Schweden, gehört heute Lars-Erik Larsson. Die Larssons sind rennbegeistert – im Kindesalter fuhren die beiden Söhne – Johann und Jakob – von Lars-Erik Kart. Und sie haben eine nötige Rennlizenz für Amateurfahrer. Diese wird benötigt, da sich in Le Mans die Fahrer abwechseln müssen und nicht einer allein das Rennen bestreiten kann.

Wie bereitet man sich auf solch ein Rennen vor?

Trainiert haben wir bei der Nürburgring-Classic vor vier Wochen – danach wussten wir: Der Wagen muss nochmal zurück nach Schweden und noch verbessert werden. Aber es hat sich gelohnt. Er ist schneller als ein historischer Porsche 356 und kann damit gegen die Porsche-Konkurrenz gewinnen.

Hat der Wagen komplizierte Technik?

Nein. Aber der Motor wurde schon als Rennwagenmotor entwickelt – er stammt also nicht wirklich aus einem Hansa. Aber er läuft mit normalem Superbenzin.

Manufakturen-Blog: Stoppuhr 'Forty One Le Mans' der Borgward Zeitmanufaktur (Foto: Borgward Zeitmanufaktur)

Stoppuhr ‚Forty One Le Mans‘ der Borgward Zeitmanufaktur

Und hast du das Gefühl, dass sich das Engagement für euch lohnt?

Das Auftauchen eines Borgward-Rennwagens, der auch Rennen fährt, war ein Glücksfall für uns. Wir bauen sportliche Chronographen. Wir wollen aber auch eine gezielte Sportuhren-Serie. Woher soll die Verbindung zum Rennsport kommen? Mit unserem Engagement als ‚Borgward Zeitmanufaktur Rennteam‘ tragen wir in unsere Marke sportive Leidenschaft hinein. Ich habe mich vorher immer gefragt, wie ich das Rennsportfeeling in unsere Uhrenlinie hineinbekomme – jetzt habe ich die Antwort. Und das geht nur, wenn man authentische Geschichten lebt. Ich brauchte Inspiration – ich habe Inspiration bekommen. Über das Sponsoring haben wir Ideen für neues Design gesammelt.

Wie weit ist die Sportuhren-Linie?

Das Design der ‚Borgward Forty One Le Mans‘ steht bereits. Es gibt jeweils auf 41 Stück limitierte Stoppuhren, Chronographen und Handaufzugsuhren – auch mit 24-Stunden-Anzeige.

Fotos: Jürgen Betz

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Luka Lübke als „Food Hero“ mit Cover des Slow-Food-Magazins geehrt

28. Februar 2018, Bremen. Sie ist die Köchin, die mit einem Fernseh-Team von Radio Bremen herumzieht und an unbekannten Türen klingelt, in fremde Kühlschränke schaut – und mit den vorgefundenen Zutaten in den fremden Küchen spontanes Kochen veranstaltet: Luka Lübke wurde jetzt vom Slow-Food-Magazin für ihr Tun und ihre Verdienste rund ums nachhaltige Essen mit einem Cover-Foto geehrt.

Eigentlich ist Luka Lübke in der Manufakturen-Szene gut zuhause: Sie ist gelernte Hutmacherin. Leider ein nahezu ausgestorbenes Handwerk, was man schmerzlich merkt, wenn man ausgelernt hat und alle Betriebe nur den Kopf schütteln und sagen, dass man bald schließen werde. Fiona Bennett war noch nicht am Start – also sattelte die Hutmacherin um… auf Bibliothekarin… Gelesen wird zwar immer… aber öffentliche Bibliotheken werden landauf, landab geschlossen, das eBook soll‘s richten. Dann kam es zu einem erfolgreichen Einstieg in die Modebranche, viele Reisen… Eine verkorkste Reise durch Südafrika brachte sie in ein thailändisches Schweigekloster, dieses sie in thailändische Garküchen, diese sie in eine Ausbildung als Köchin – und Praktikantin in Marcus Bensers Blutwurstmanufaktur in Berlin.

Manufakturen-Blog: Luka Lübke wird vom Slow-Food-Magazin 01/2018 als "Food Hero" geehrt (Repro: Wigmar Bressel)

Luka Lübke wird für ihren nachhaltigen Ansatz beim professionellen Kochen vom Slow-Food-Magazin 01/2018 als „Food Hero“ gewürdigt

Manufakturen-Blog: Luka Lübke redet über ihre Küche und ihre Ansichten zum Essen und Kochen auf dem 3. Manufakturen-Dinner in Bremen (Foto: Christian Arne de Groot)

Luka Lübke redet über ihre Küche und ihre Ansichten zum Essen und Kochen auf dem 3. Manufakturen-Dinner in Bremen (Foto: Christian-Arne de Groot)

Irgendwann kam das erste Restaurant in Bremen. Sie veranstaltete Koch-Challenges, in denen zum Vergnügen ihrer Gäste ehemalige Lehrlinge gegen ihre früheren Meister antraten. Sie selbst auch.

Derzeit leitet die gebürtige Niedersächsin das erste inklusive Bremer Restaurant ‚Marie Weser‘ des Martin Clubs. Wir lernten uns kennen, als sie bei Koch & Bergfeld anlässlich der Verleihung des Bremer Umweltpreises eine Kochshow veranstaltete. Ich durfte als Hausherr mit ihr kochen und lernte ein frisches Ketchup zu machen.

Also holte ich sie als Köchin für das 3. Manufakturen-Dinner und sie hat uns 45 Manufaktur-Unternehmer als Auftakt zu den Bremer Manufakturtagen feudal bekocht. So hängt mal wieder alles mit allem zusammen.

Zunächst aber: Herzlichen Glückwunsch zum Slow-Food-Cover, Luka Lübke!

Fotos bis auf Repros: Christian-Arne de Groot

P. S: Luka Lübke schreibt auch einen wunderbaren Blog

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Christopher Heinemann verlässt Manufactum

31. Januar 2018, Waltrop. Das Jahr 2018 bringt die ersten Veränderungen in der Manufakturen-Branche… Überraschende Nachricht aus dem Manufactum-Ort Waltrop: Dr. Christopher Heinemann, langjähriger Geschäftsführer, verlässt das Unternehmen!

Heinemann schreibt in einer großen Rund-um-eMail: „Nach mehr als 11 Jahren in der Manufactum-Gruppe habe ich meinen Beirat informiert, dass ich meinen bis Ende 2018 laufenden Vertrag nicht verlängern werde und damit im Laufe des Jahres aus der Geschäftsführung der Manufactum-Gruppe ausscheiden und die Otto Gruppe verlassen werde.

Diese Entscheidung ist nach einer so langen Zeit und angesichts meiner Verbundenheit mit dem Unternehmen nicht über Nacht gefallen, sondern seit längerem gereift und bereits vor einigen Monaten gefallen. Manufactum ist mehr als Job für mich, Manufactum ist Teil meines Lebens: die Marke, das Geschäftsmodell, die Produkte, die Kataloge, die Läden, und vor allem die Menschen, die ich ohne Manufactum nicht kennengelernt hätte. Mich hat diese Zeit sehr bereichert.“

Nun wollen natürlich alle wissen – wohin geht die Reise des Manufakturen-Spezialisten Heinemann?

„Was ich nach Manufactum machen werde, werde ich berichten, wenn es spruchreif ist. Nur eins: es wird etwas anderes sein.

Für einen Abschied ist es noch zu früh, dennoch danke ich schon jetzt für die gemeinsame Zeit und freue mich, wenn wir auch über das Jahr hinaus in Verbindung bleiben.“

Heinemann war dreimal Mitglied der Jury zum ‚Manufakturprodukt des Jahres‘ des Verbandes Deutsche Manufakturen e. V. – zuletzt im Jahr 2017 auch als Laudator für den Gewinner, die Rasierpinselmanufaktur Mühle und ihr Set ‚Hexagon‘ auf der Preisverleihung in den Räumen der Porzellanmanufaktur Fürstenberg.

Manufakturen-Blog: Christopher Heinemann während der Jurysitzung zum Manufakturprodukt des Jahres 2017 (Foto: Marcus Meyer)

Christopher Heinemann während der Jurysitzung zum ‚Manufakturprodukt des Jahres 2017’… (Foto: Marcus Meyer)

Manufakturen-Blog: Christopher Heinemann während der Jurysitzung zum Manufakturprodukt des Jahres 2017 (Foto: Marcus Meyer)

…und nochmal während der Jurysitzung zum ‚Manufakturprodukt des Jahres 2017‘. (Foto: Marcus Meyer)

Manufakturen-Blog: Dr. Christopher Heinemann (r.) als Laudator für das 'Manufakturprodukt des Jahres 2017' - das Mühle-Rasierset 'Hexagon' (Foto: Martin Specht)

Christopher Heinemann (r.) als Laudator für das ‚Manufakturprodukt des Jahres 2017‘ – das Mühle-Rasierset ‚Hexagon‘ mit v. l. Verbandsvorsitzendem Wigmar Bressel, Andreas Müller von Mühle und dem damaligen Verbandsvize Hartmut Gehring (Foto: Martin Specht)

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Mitgliederversammlung wählt Bressel und Federhofer-Mümmler zum neuen Vorstandsteam im Verband Deutsche Manufakturen

20. Januar 2018, Bremen. Die  Mitglieder des Verbandes Deutsche Manufakturen e. V. haben gewählt – Wigmar Bressel (Silberwarenmanufaktur Koch & Bergfeld) bleibt für weitere zwei Jahre Vorsitzender; er erhält jedoch einen neuen Stellvertreter: Brigitte Federhofer-Mümmler von der Holzschreibgerätemanufaktur e+m Holzprodukte aus Neumarkt in der Oberpfalz. Hartmut Gehring (Gering Schneidwaren), der im Sommer 2017 an die Spitze des Industrieverbandes Schneid- und Haushaltswaren (IVSH) gewählt worden war, wechselt in den Beirat.

Auch der Beirat, der für die Aufnahme neuer Verbandsmitglieder zuständig ist, wurde teilweise neu besetzt – einstimmig gewählt wurden:

Johan Conze (Deumer)

Hartmut Gehring (Gehring Schneidwaren)

Lothar Göthel (Ars Galea / SGT Spezial- und Gerätetaschen)

Dr. Thomas Koy (Holzmanufaktur Liebich)

Annet Loibl (Tamesis Design)

Andreas Müller (Mühle Rasurkultur)

Gabriele Pötzsch (LMW Leuchten Manufactur Wurzen)

Foto: Volker Gehring

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Matthias Philipp von der Handmade-Worldtour: „Förderprogramme und finanzielle Zuschüsse für Manufakturen weiter ausbauen“

31. Dezember 2017, Berlin. Die Handmade-Worldtour des Berliner Direktorenhauses ist das ehrgeizigste Projekt in der Manufakturen-Branche. 180 Manufakturen und Designbüros sind seit dem Jahr 2015 gemeinsam rund um den Erdball mit einer großen Produkt- und Leistungsschau unterwegs. Start war in St. Petersburg – in den Jahren 2016 und 2017 war sie quer durch China unterwegs. In 2018 erfolgt der Wechsel in die USA. Gerade erschien der ‚Rundbrief‘ zum Jahresende 2017 für die Teilnehmer – Projektleiter Matthias Philipp berichtet von den Stationen, kündigt eine ständige Handmade-Vertretung in Peking sowie Bemühungen um Fördermittel für Manufakturen an.

Die ehrgeizige Ausgangsüberlegung der Direktorenhaus-Crew um Pascal Johanssen und Katja Kleiss war: Kann es schaffen, deutsche Manufakturprodukte und neues deutsches Design auch jenseits der großen Konzernmarken in den Multimillionen-Metropolen der Welt zu zeigen? An erstklassigen Standorten? Mit überschaubarem finanziellen Aufwand für alle Beteiligten – genaugenommen zu Aussteller-Kosten einer einzigen Frankfurter „Ambiente“ oder einer „IMM Cologne“? Aber genauso Geschäftskontakte knüpfen und Verkäufe einfädeln? Es entstand eine Warenpräsentation in Form einer Kunstausstellung… Nicht der Händler wird angesprochen – sondern jeder einzelne Besucher der Schau. Manchmal mehrere Tausend am Tag.

Wagemutige gab es von Anfang an genug – inzwischen hat sich die Teilnehmerzahl an der Worldtour auf 180 verdoppelt. Natürlich gab es auch Genörgel: Schon verspätet gestartet. Der Zeitplan zwischen den Stationen wurde nicht eingehalten. Manchmal war den Teilnehmern unklar, wie unnd wohin die Reise weiterlaufen würde. Zusatzstationen kamen hinzu. Der Verkaufsshop auf Chinesisch hinter der China-Firewall lässt seit mehr als einem Jahr auf sich warten. Probleme wurden unterschätzt – aber wer schon Geschäfte in Asien gemacht hat, kennt Probleme ja und weiß, wie aufwendig die Abwicklung sein kann: Zoll, Transport, Zusammenarbeit. Alles auch Fragen der Kultur.

Matthias Philipp zieht in seinem Rundbrief so Bilanz: „2017 konzentrierten wir uns nochmal ganz auf den chinesischen Markt, der gerade im Bereich der Luxuswaren und Qualitätserzeugnisse mit dem größten Wachstumspotenzial weltweit aufwartet und ein sehr attraktives Marktumfeld für deutschen Unternehmen bietet. Im Fokus standen deshalb die beiden Tier-1-Städte Peking und Tianjin, die zu den wichtigsten Handels- und Finanzmetropolen auf dem chinesischen Festland zählen und das höchste Einkommenslevel/BIP pro Kopf aufweisen – sowie Hongkong, das nach wie vor eines der wichtigsten Handelszentren in Asien ist.

Manufakturen-Blog: 'Handmade Worldtour' in Peking 2016 - Besucher an der Vitrine mit Besteck von Koch & Bergfeld (Foto: Direktorenhaus)

‚Handmade Worldtour‘ in Peking 2016 – Besucher an der Vitrine mit Besteck von Koch & Bergfeld (Foto: Direktorenhaus)

Aufgrund des großen Interesses der deutschen Manufakturen am chinesischen Markt, unseren Erfahrungen im Bereich Logistik und Zollabwicklung sowie unseren zahlreichen Kontakten in die chinesische Wirtschaft und zu chinesischen Medien bleibt ‚Handmade in Germany‘ auch weiterhin in China präsent! 2018 eröffnen wir deshalb in Peking ein ‚Handmade in Germany‘-Verbindungsbüro. In Zusammenarbeit mit dem Berliner Senat wird dieses als erste Anlaufstelle für deutsche Manufakturen und kleine und mittelständische Unternehmen für den Markteintritt beziehungsweise die weitere Markterschließung sowie den Vertrieb in China dienen.“

Insbesondere die deutsche Politik sei weiter zu sensibilisieren und für die Interessen kleiner deutscher Mittelständler zu begeistern: „Bevor es nächstes Jahr mit der Ausstellung weiter nach New York City geht und wir die Möglichkeiten hinsichtlich Förderprogramme und finanzieller Zuschüsse für Manufakturen weiter ausbauen.“

Fotos: Direktorenhaus

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Zur Handmade-Worldtour im chinesischen Fernsehen (aus Vimeo):

 

Ute Czeschka über die ‚Sächsische Weihnacht‘: „Inzwischen steht die Veranstaltung für viele Besucher fest im Kalender“

9. Dezember 2017, Meißen. Ute Czeschka, Jahrgang 1969, ist in der Manufakturen-Szene bekannt wie der sogenannte „Bunte Hund“: Agentur für Manufaktur-Marketing, Buch-Initiatorin von ‚Die feine sächsische Art – Manufakturen in Sachsen‘, Gründerin des Online-Portals Manufakturhaus.com (ausgezeichnet als besonderer Ort 2014/15 von ‚Deutschland – Land der Ideen‘), ständiges Jury-Mitglied beim Wettbewerb zum ‚Manufaktur-Produkt des Jahres‘ des Verbandes Deutsche Manufakturen

Vor zehn Jahren entwickelte sie auch noch die Idee zur ‚Sächsischen Weihnacht‘, einer Weihnachtsverkaufsausstellung für in Sachsen gefertigte hervorragende Dinge aus Manufakturen und Handwerk.

Gleich nach der ersten Veranstaltung mit 14 Ausstellern in einem Dresdner Restaurant kamen die Verantwortlichen von Schloss Wackerbarth begeistert auf sie zu und luden sie ein, die Veranstaltung aufs Schloss zu verlegen. Jetzt findet die ‚Sächsische Weihnacht‘ schon zum 8. Mal auf Wackerbarth statt, hat inzwischen an zwei Tagen achteinhalbtausend Besucher bei fünf Euro Eintrittspreis – höchste Zeit für ein Interview mit der „Macherin“ der weit über Sachsen hinaus bekannten Veranstaltung…

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Interview

Du richtest die ‚Sächsische Weihnacht‘ jetzt bereits zum 9. Mal aus, davon das 8. Mal auf Schloss Wackerbarth – wie ist Dein Resümee?

Super. Weil: Wir sind natürlich am Anfang durch ein Tal der Tränen gegangen. Wenn man solch ein neues Format entwickelt, dann ist man ja noch weit entfernt von perfekt. Wir waren nur ein kleines Team. Wir erlebten Wetterkapriolen. Wir mussten ausreichend Besucher akquirieren. Inzwischen steht die Veranstaltung für viele Besucher fest im Kalender. Und wir – was die Austeller angeht – an einem Punkt sind, dass wir sie uns aussuchen können, weil wir mehr Bewerbungen haben, als es die Ausstellungsflächen hergeben. Deshalb beginnen wir in diesem Jahr damit, einige Aussteller zu wechseln. Für die Besucher soll es interessant bleiben – obwohl ein gewisser Kern an Ausstellern immer bleiben soll.

Aber ein wechselndes Veranstaltungs-Motto gebt ihr euch deshalb nicht gleich?

Nein, die Sächsische Weihnacht muss bunt sein: Manufakturen, Schauwerkstätten, Pfefferküchler – sich im einen Jahr schwerpunktmäßig auf Schreibgeräte zu konzentrieren und im Nächsten auf Lebkuchen, das erscheint uns zu eng. Es geht vor Weihnachten für die Besucher ja auch um das Finden von interessanten Geschenken – da darf man das Angebot nicht zu eng halten. Verschiedene Materialien, verschiedene Preiskategorien, die richtige Sortimentsmischung – es muss für jeden etwas dabei sein. Es soll auch ein Schaufenster der sächsischen Handwerkskunst sein. Alle Bereiche des repräsentativen Handwerks sollen da vertreten sein.

Wieviele Aussteller gibt es dieses Jahr?

Es sind 66. Es waren auch schonmal 72. Aber in diesem Jahr haben einige einen größeren Platzbedarf angemeldet. Zum Beispiel die Porzellanmanufaktur Meissen. Wer Mitarbeiter mitbringt und zeigt, wie sein Produkt gefertigt wird, der bekommt auch mehr Platz. Denn das interessiert die Besucher sehr. So bringt Mühle eine Pinselmacherin mit, der Reifendreher Christian Werner dreht vor Ort, Herrnhuter Sterne arbeiten am Stand. Es wird gedrechselt, Porzellan bemalt, Pfefferkuchen werden verziert…

Wisst ihr etwas über die durchschnittliche Verweildauer?

Wir haben das noch nicht erhoben. Aber ich gehe davon aus, dass die meisten Besucher zwischen drei und fünf Stunden da sind. Wir bieten ja auch Gastronomie von Schloss Wackerbarth und verschiedenen Cafés, Live-Musik, Märchenlesung und Bastelbereich für Kinder – viele machen sich einfach einen schönen halben Tag bei uns.

Diese Weihnachtsausstellung unterscheidet sich von den vielen Anderen im Land durch die handverlesenen Aussteller, von denen ein großer Teil auch Manufakturen sind – wie ist das Interesse der Besucher daran? Verstehen sie den Unterschied zu den Kunsthandwerkern?

Wir haben das Kriterium, dass alle Betriebe aus Sachsen kommen. Ein Großteil sind wirklich Manufakturen – und die Anderen erstklassige Kunsthandwerker. Wir bieten das Schauhandwerk. Und im Gegensatz zu den meisten anderen Weihnachtsmärkten sind 99,9 Prozent der Standflächen in geschlossenen Räumen, wir sind also wetterunabhängig, was die Ausstellung betrifft.

Ich glaube – um die Frage zu beantworten -, dass den Besuchern die Trennlinie zwischen Manufaktur und Kunsthandwerk nicht so geläufig ist. Wir bieten eine gute Mischung.

Das bietest du ja auch mit deinem Online-Handelsportal Manufakturhaus.com.

Die Unterzeile heißt: „Erlesenes deutsches Handwerk“. Es geht mir auch darum, bestimmtes handwerkliches Kulturgut zu erhalten. Das wird in Politik und Kultur inzwischen verstanden und ich bekomme viel Lob. Man sagt mir immer wieder, dass mein Projekt ein Aushängeschild für Sachsen geworden ist. Dass es mir gelungen sei, sächsisches handwerkliches Kulturgut in die Öffentlichkeit und Wahrnehmung gebracht zu haben. Und dass wir Absatzmöglichkeiten bieten, die schließlich wieder das Kulturgut zu erhalten helfen. Es haben sich auf der Veranstaltung schon viele Synergien zwischen den Firmen ergeben, sind Netzwerke entstanden, haben sich neue große Aufträge durch Besucher ergeben, die bei uns auf der Sächsischen Weihnacht waren. Das geht bis zu VW, die auf einmal etwas einer unserer Aussteller in ihrem Shop gelistet haben.

Damit beantwortest du schon die nächste Frage, die ich habe, nämlich ob die Aussteller und du – mit dem Online-Handelsunternehmen ‚Manufakturhaus‘ – durch Bestellungen während des Jahres spüren, dass sich das Mitmachen bei speziell dieser Veranstaltung lohnt.

Ja, die spüren das. Direkt bei der Veranstaltung durch tolle Kontakte, Gespräche und den Abverkauf ihrer Waren. Und ich spüre das auch. Das liegt auch an dem Ausstellerverzeichnis, das wir machen. Die Leute fahren später zu den Betrieben hin und lassen sich Sonderanfertigungen machen. Und ich höre auch von vielen meiner Kunden, dass sie auf der Sächsischen Weihnacht waren und daher mich und mein Portal kennengelernt haben.

Wohin willst du die Ausstellung weiterentwickeln?

Wir bespielen jetzt die gesamte überdachte und wintertaugliche Fläche von Wackerbarth, rund Tausend Quadratmeter. Wir werden das Profil grundsätzlich beibehalten. Was ich mir jedoch vorstelle, ist, dass man die Auswahl der Aussteller noch strikter vornimmt. Dass man Aussteller nimmt, die nicht überall auf den Märkten vertreten sind, sondern die Exklusivität noch weiter steigert. Wir wollen das Schauhandwerk noch weiter ausbauen. Einen Stand bekommt der, der seine Arbeit auch auf Wackerbarth live zeigt. Und im Außenbereich möchte ich die Kulinarik noch weiter ausbauen. Interessante Lebensmittler – „Genusshandwerker“ – in Pagodenzelten.

Was ich mir vorstellen könnte, wäre, ein Gastbundesland auf einer kleinen Fläche hinzuzunehmen: zum Beispiel „Thüringen zu Gast auf der Sächsischen Weihnacht“; oder Tschechien. Allerdings haben wir vor zwei Jahren mit der Technischen Universität Chemnitz eine Umfrage unter Besuchern und Ausstellern gemacht, die hatte als Botschaft, das Konzept unbedingt beizubehalten und nicht zu verändern.

Regionalität als Teil der Identitätssuche vieler Menschen ist also nach wie vor ein ganz entscheidender Antrieb?

Genau. Die Paarung aus Regionalität und Hochwertigkeit ist für viele Menschen spannend. Es hat auch etwas mit lokalem Stolz zu tun: Hey, so etwas Tolles wird bei mir hier in Sachsen gefertigt! Das wusste ich ja gar nicht!

Seit kurzem gibt es auch den Osterkunst- und Frühlingsmarkt auf Wackerbarth – wie entwickelt sich diese Veranstaltung?

Die Ostermesse soll ein anderes Profil haben als die Weihnachtsveranstaltung – es soll also keine Dopplung sein. Es soll noch stärker das Lausitzer Brauchtum herausgearbeitet werden. Außerdem gibt es die Kunsthandwerker aus dem Erzgebirge, die schon lange Osterhasen schnitzen.

Wir wollen es jedoch stärker mit sächsischen Designern verknüpfen. Es gibt hier eine zunehmende Modeproduktion. Manchmal ist die Osterausstellung auch eine Chance für diejenigen, die sich vergeblich auf die Sächsische Weihnacht bewerben. Man muss jedoch wissen, dass die Kaufbereitschaft geringer ist, als im Weihnachtsgeschäft, damit die Erwartungen nicht enttäuscht werden. Wir hatten in diesem Jahr 55 Aussteller, gehen jetzt ins dritte Jahr. Ich bin selbst gespannt, wohin wir diese Veranstaltung entwickelt bekommen.

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Dr. Thomas Koy: „Rückverfolgung ist eine Frage der Authentizität“

30. September 2017, Zwiesel. Wie weit treiben wir in der Nachhaltigkeit die Transparenz? Sehr weit… Die Holzmanufaktur Liebich – der bekannte Holzverpackungshersteller aus Zwiesel – teilte jetzt mit, dass ab sofort alle Kunden automatisch erfahren, woher ihr Holz im Bayerischen Wald genau stammt. Allemal Grund genug, um mit dem Inhabergeschäftsführer Thomas Koy darüber zu sprechen, warum er die GPS-Daten zum Holz auf jede Verpackung druckt.

Die Rückverfolgung – das Tracking – des Holzes bis zurück zum einzelnen Baumstumpf im Wald – wofür ist das wichtig?

Rückverfolgung ist eine Frage der Authentizität. Die Marketingbegriffe dazu sind Traceability – Rückverfolgbarkeit – und Sustainability – Nachhaltigkeit. Die kann man im Marketing gut formulieren – aber wenn man das am Gegenstand nachweisen kann, und zwar nicht bloß bis ins Bundesland, sondern bis in den Wald, ist es eben eine Art der Ehrlichkeit, die man uns als Manufaktur unheimlich abnimmt. Wir haben das für den japanischen Markt angefangen, weil die Japaner großen Wert auf die deutsche Qualitätsarbeit legen – das war für uns ein Versuch und Test, ob es funktioniert und ob es wirklich jemanden interessiert. Dann haben wir das auf die Produkte für Dubai ausgeweitet, dann auf Iran – und schließlich nun für alle. Wir staunen, aber wir kriegen eMails, in denen steht, dass die Kunden sich das tatsächlich auf Google Earth anschauen, den Wald erkunden und sich darüber freuen, dass eine weitere Beziehung zu unseren Produkten entsteht. Sie sehen München, kennen das Hofbräuhaus… und dann ist da dieser riesige schwarze Fleck daneben – das ist der Bayerische Wald, das größte zusammenhängende Waldgebiet Mitteleuropas. Und da gibt es dann diesen Punkt – da stand wirklich dieser Baum, aus dem dann die Verpackung ist, die sie in der Hand halten.

Kam die Idee aus den einzelnen Märkten? Wollten die Kunden das wirklich wissen?

Nein, denk mal andersherum. Wir wollten mit unserer Manufaktur – sie war ja früher einmal eine Holzwarenfabrik, die sogar Tropenholz mit verbaut hat – ein Alleinstellungsmerkmal erarbeiten. Wir verarbeiten nur Massivholz aus Bayern. Und wenn man diesen Anspruch nicht nur behaupten will, dann muss man die Aussage auch nachweisen können. Selbst bei Verpackungen schaut heute Foodwatch drauf und kuckt, ob sie IPPC-getrocknet sind oder ob es nach Chemie riecht und aus China kommt.

Und da haben wir also gesagt – um uns vom Wettbewerb abzugrenzen – wir werden nur heimisches Holz verwenden.

Spielt der Holzpreis keine Rolle? Ich kann mir vorstellen, dass der Wildeinschlag in Rumänien oder Weißrussland doch viel günstiger auf den Markt kommen kann…

Ja, das ist so. Das nehmen wir in Kauf. Da wir aber unser Holz auch LKW-Zugweise kaufen, reden wir vielleicht über sechs Prozent beim Rohholz. Das ist nicht so entscheidend, wie die sonstigen höheren Produktionskosten aus Personal und deutschen Löhnen, Behördenauflagen, Steuern und Overhead.

Aber du machst es, weil du die Garantien geben willst und die Kunden drauf stehen.

So ist es. Die Kunden finden ‚made in Germany‘ gut. Aber ‚made in Bavaria‘ noch besser. Und noch besser: ‚product of a German manufactory‘. Eine deutsche Manufaktur – das ist das, auf was die Kunden stehen. Und wenn die Kunden dann zu uns kommen, wie zum Beispiel Japaner, und unsere 15 000 Quadratmeter Holzgebäude sehen, sehen die hundert Hände, die mit ihren Produkten zu tun haben, die sie so oft in die Hand nehmen, bis sie perfekt und fertig sind, wie es auch nicht vollautomatisiert sein kann, wie sie durch die Handarbeitsanteile ihre Wertsteigerung erfahren – dann sind sie erst richtig glücklich und zufrieden mit ihrer Bestellung.

Gibt es auch Kunden oder Lieferanten, die es als ‚überdreht‘ empfinden, den Baumstumpf der einzelnen Tanne im Wald aufspüren zu können? Ist es für die Holzlieferanten ein Mehraufwand?

Wir haben drei Sägewerke als Holzlieferanten. Wenn sie Waren anliefern, dann müssen sie mir heute die Koordinaten jedes Einschlaggebietes geben. Da das Holz oft aus den Bayerischen Staatsforsten stammt, gibt es diese Daten dort schon, denn die brauchen das aufgrund ihrer Zertifizierung und für ihre Statistiken und die Landesämter. Die müssen sowieso nachweisen, woher das Holz, das sie verkaufen, ganz genau stammt. Der Mehraufwand für die Lieferanten besteht nur darin, mir diese Daten zu organisieren und weiterzuleiten.

Buche, Esche, Erle und Eiche kommen zu uns aus dem Spessart oder dem Main-Franken-Gebiet. Die Fichte kommt hier aus dem Bayerischen Wald aus einem maximalen Radius von 20 Kilometern rund um unsere Manufaktur. Das ist doch toll, oder? Und bei der Fichte exerzieren wir es soweit durch, dass wir mit den Kunden in ‚ihr‘ Waldstück fahren.

Aber das ist ja – in Anführungsstrichen – eine Show. Andererseits ist es aber auch ein starker Nachweis und eine Zusicherung, oder? Wenn man einen Augenblick nachdenkt, dann ist es doch nicht so albern, wie es im ersten Moment klingt.

Danke. Wir hatten amerikanische Kunden zu Gast. Mit denen bin ich in den Wald gefahren: Der Förster hat mit Hund und Stock schon auf uns gewartet. Das Waldstück wurde vorgestellt, alle Fragen beantwortet – dann sind wir zwei Kilometer gewandert, haben in einer Waldhütte gegessen und getrunken, alle haben sich nach und nach auf diesen Wald eingelassen. Sowas ist eine Geschäftsverhandlung in einer ganz anderen Stimmung. Die Kunden arbeiten ja meistens in Industriezentren – die sind schon sehr beeindruckt, die kennen doch sowas gar nicht. Wir haben dann endlich die Chance, die Stereotype wie ‚made in Bavaria‘ und ‚Manufaktur‘ mit Leben zu erfüllen.

Es gab ja mal den Werbespruch einer Bank: „Vertrauen ist der Anfang von allem“. Würdest Du eher dem Satz zustimmen: „Am Ende steht Vertrauen“?

Zutreffend ist doch auch der Klassiker: „Vertrauen ist gut – Kontrolle ist besser“.

Lenin. Aber da ist auch viel Wahres dran. Unsere Geschäftspartner vertrauen ja darauf, dass wir auch nach vielen Jahren unsere Produkte immer noch in ihrem Sinne für sie produzieren. Deshalb ist es für Manufakturen doch viel wichtiger, dass sie sich einen guten Namen erarbeiten, dass die handelnden Personen eine starke Glaubwürdigkeit haben, damit die Geschäftsbeziehungen laufen – statt zuviel Kraft in eine Marke zu stecken…

Hervorragend formuliert. Wenn man sich das Vertrauen erarbeitet hat, dann braucht man auch nicht wegen einer Preiserhöhung von 3 Prozent miteinander diskutieren. Weil der Kunde unseren Aufwand kennt, es versteht. Unsere Firma hat seit anderthalb Jahren keine einzige Reklamation – und das beim Naturprodukt Holz! Das arbeitet doch immer weiter… Das ist doch der Hammer!

Und das mit dem Namen ist genau richtig. Der Geschäftspartner muss blind wissen, dass er sich auf uns und mich verlassen kann. Diese Rückverfolgbarkeit des Holzes bis in den Wald halte ich für keine Überhöhung des Themas, sondern das ist ein Öffnen des Unternehmens hin zu Kunden und ein Werben um das Vertrauen. Und um die Geschäftsbeziehung weiterzuentwickeln, die nicht mehr auf Preisverhandlungen basiert.

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Der Berliner Thomas Koy, Jahrgang 1964, ist seit sieben Jahren Inhaber des traditionsreichen Holzpackungsherstellers Liebich im Bayerischen Wald. Der promovierte Journalist aus dem „Roten Kloster“ – so nannte man die DDR-Journalistenschule an der Universität Leipzig – änderte aufgrund der Wende-Erlebnisse seine Weltsicht radikal, geriet Anfang der 1990er Jahre in die Getränkeindustrie, hatte ein ganze Reihe von internationalen Jobs, zuletzt als Europa-Vertriebschef in Genf für einen amerikanischen Konzern.

Vor sieben Jahren stieg er aus – zog mit seiner Familie in den Bayerischen Wald nach Regen und trat per Kauf die Unternehmernachfolge an. Seitdem blüht Holz-Liebich wieder richtig auf: 50 feste Mitarbeiter, weltweite Aktivitäten bis Japan und Iran; das alte Werk wurde zu klein – Koy baute im benachbarten Zwiesel das größte Werk in Holzbauweise in Deutschland (15 000 Quadratmeter); gerade wurde die Baugenehmigung zur Erweiterung erteilt. Die Marke heißt nun auch ‚HOLZ.LIEB.ICH‘. Inzwischen ist er ‚Botschafter Niederbayerns‘, darf mit auf die großen wirtschaftspolitischen Podien…

Als CSU-Generalsekretär Andreas Scheuer seinen Betrieb besuchte, hatte er einen Mitgliedsantrag für die CSU dabei. Koy: „Sie wissen schon, dass ich als Stundent Mitglied in der SED war?“ Scheuer: „Frühere Kommunisten werbe ich am Liebsten!“

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Der Journalist Martin Specht: Manufakturen, Handwerk, Drogen, Krieg

05.02.2017, Wuppertal. Ehrlichgesagt, habe ich einfach Lust, zum Jahresbeginn mal ein paar Fotos zu zeigen. Meiner Meinung nach gute Fotos, teilweise noch nie veröffentlicht, aus der Manufakturen-Szene. Sagt man Fotos – fragt man nach dem Fotografen. So schreibe ich einfach einmal über Martin Specht, einen international tätigen und in Fachkreisen bekannten Fotografen und Journalisten, dessen Bilder in vielen renommierten Zeitungen und Zeitschriften erschienen sind – von BILD über STERN und NEW YORK TIMES war alles dabei.

Ich mag Martin Spechts Fotos und seine Art zu schreiben und zu erzählen. Gerade die Texte seiner bisherigen Bücher klingen nach „C‘est la vie“ – jedoch ohne demonstrierendes Achselzucken. Seine Fotos haben einen erzählenden Stil – meistens actionreich, manchmal sind sie auch nur traurig und leer. Oder doch sehr cool.

Kennengelernt habe ich ihn im Dezember des Jahres 1990, als er mich für die BILD-Zeitung mehrfach porträtierte. Die Fotos haben mir so gut gefallen, dass ich mich von ihm später für meine Eltern fotografieren ließ – mitten in Halle an der Saale auf dem Marktplatz. Meine Eltern sollten Fotos von ihren Kindern zur Silberhochzeit bekommen. Ich wollte eins mit Tageslicht. Es war ungewohnt, vor all den Passanten auf dem Markt immer wieder die Brille abzunehmen und im richtigen Winkel vor das Gesicht zu halten – so, wie es Martin gefiel; und es galt noch das Vertrauen in den Fotografen, denn es gab ja noch keine Digitalkameras, auf deren Bildschirmen man die Meinung des Fotografen kontrollieren konnte. Martins damaliges Foto hängt heute noch zusammen mit den Anderen bei meinen Eltern im Wohnzimmer…

Dann ging es um die Jurysitzung zum „Manufakturprodukt des Jahres 2014“ sowie das 6. Zukunftsforum Deutsche Manufakturen bei Weigang im fränkischen Ebern – wer soll es fotografieren? Aus irgendeinem Grund dachte ich an Martin Specht, obwohl wir bestimmt fünfzehn Jahre keinen Kontakt mehr hatten. Google brachte seine Internetseite, über sein Satellitentelefon erwischte ich ihn bei der Arbeit in Afghanistan – wir verabredeten uns zum Telefonieren nach seiner Rückkehr.

Erstaunlicherweise waren die Aufträge trotz seiner Internationalität für uns bezahlbar. Martin Specht sagt dazu nur: „Ich freue mich ehrlichgesagt über jede Anfrage, versuche es immer möglich zu machen.“

Martin Specht wurde im Jahr 1964 in Wuppertal geboren, wo sein Vater bis vor kurzem ein Architekturbüro betrieb, wuchs dort auf – und lebt heute wieder dort. Seine Karriere begann im Jahr 1989 mit dem Porträtieren des Zusammenbruchs des Ostblocks, er ging dann mit den Amerikanern in den Irak, war auf dem Balkan, an vielen Brandherden in Afrika. Im Jahr 2005 dokumentierte er für die Vereinten Nationen die Hungersnot in Niger und das Erdbeben in Pakisten, lebte jedes Jahr mehrere Monate beruflich in Bagdad.

Dann immer wieder Afghanistan. Etliche Male war er bei der Jagd auf Osama bin Laden dabei, begleitete das Marine-Corps bei ihren Luftlandeoperationen (er erhielt im Jahr 2014 für eine Reportage von den Marines den ‚Sergeant Major Dan Daly Award‘).

Bei einer Reportage in Südfrankreich über ein Altersheim für Deutsche, die in der französischen Fremdenlegion gedient haben, entstand die Idee zu seinem ersten Buch: ‚Heute trifft es vielleicht dich – Deutsche in der Fremdenlegion‘, über eine Reportage und sein Leben bei Mara-Jugendgangs in Guatemala entstand die Idee zum Buch ‚Narco Wars‘, dann kam ein Ghostwriting des Weges…

Martin Specht wurde für den Henry-Nannen-Preis nominiert, stand auch auf dessen Shortlist – neben Grimme die höchste Auszeichnung, die man in Deutschland als Journalist erfahren kann. Dann seine Nominierung zum Prix Bayeux-Calvados, dem französischen Kriegsberichter-Preis.

Manufakturen-Blog: Selfie von Martin Specht in Mossul (Irak) während der Offensive im Dezember 2016 (Foto: Martin Specht)

Manufakturen-Blog: Selfie von Martin Specht auf den Ölfeldern von Qayyra (Irak) während der Offensive im Dezember 2016 (Foto: Martin Specht)

In Ebern holte ich ihn an einen Tisch mit Lothar Göthel, Inhaber der Spezial- und Gerätetaschen-Manufaktur SGT / Ars Galea im sächsischen Burkhardtsdorf. Göthel produziert auch die von ihm entwickelten schussicheren Kevlar-Westen für viele Spezialkräfte – unter anderem für israelische auf den Golan-Höhen, die die teure Besonderheit haben, dass sie die Einzigen sind, die den Beschuss der Kalaschnikov aushalten – dem Standard-Sturmgewehr mit der höchsten Geschoss-Mündungsgeschwindigkeit (bei ca. 900 km/h). So fand ein interessantes Gespräch statt über Militärtechnik und Notwendigkeiten und ich musste an Fotos von Martin aus Afghanistan oder dem Irak denken, an dem er als Einziger unter lauter Marines seinen bevorzugten Delta-Force-Helm trägt. Der Helm hat eine steilere Front, vor der man mit einem Fotoapparat besser operieren kann. Göthels Weste trägt Specht übrigens nicht – sie ist von den Standard-Kräften nicht zugelassen, denn Kevlar ist nicht stich-, sondern nur schussfest. Aber die Spezialkräfte schert das nicht, sie schätzen deren andere Vorteile…

Im Sommer 2015 haben Martin Specht und ich dann ein Projekt begonnen – Fotoreportagen über Manufakturen in Bremen und Niedersachen, in unserer Freizeit. Wie die sogenannte Wilhelm-Wagenfeld-Tischleuchte bei Tecnolumen montiert wird, die Besteckproduktionen von Wilkens und Koch & Bergfeld arbeiten, wie Lautsprecher bei Ceratec Audio Design zusammengesetzt werden…

Irgendwann wird es fertig und ergibt ein Buch.

Den Fotos aus der Manufakturen-Branche habe ich Fotos aus zwei seiner Reportagen gegenübergestellt: Eine über die Wayuu, ein indigenes Volk in Kolumbien, das die bekannten Mochila-Taschen fertigt; sowie die Bilder von einer Reportage aus der Gegend der umkämpften Stadt Mossul im Irak – beide aus dem Jahr 2016. Im Anschluss an Martin Spechts Fotos können Sie ein Gespräch lesen, das ich im Dezember 2016 mit ihm geführt und aufgezeichnet habe.

 Fotos aus der Manufakturen-Branche (aus den Jahren 2014-15):

Reportage über die Produktion der traditionellen ‚Mochilas‘ (Taschen) durch das Volk der Wayuu in Nordkolumbien:

Fotos aus der Reportage vom Beginn des ‚Sturms auf Mossul‘, der letzten Millionenstadt in den Händen des IS – von Martin Specht im Dezember 2016:

Im Gespräch mit Martin Specht

„Zugang zu Menschen zu finden, ist das Aufwendigste, Wichtigste und Entscheidende“

Wigmar Bressel: Wie siehst du dich?

Martin Specht: Von heute aus betrachtet sehe ich mich vor allem als Autor der drei Bücher, die ich in den vergangenen drei Jahren veröffentlicht habe – zwei zur Fremdenlegion, eins zu den weltweiten Drogenkriegen.  Bei mir geht es in meiner Karriere immer um Reportagen. Ich habe in den vergangenen 15 Jahre überwiegend beides gemacht – Texte und Fotos. Bei mir geht es immer um die Themen, unabhängig davon ob es in der Textsprache oder der Bildsprache stattfindet. Ich sehe mich schon als Journalist und Autor, der mit sehr verschiedenen Themen zu tun hat.

Aber du lässt dir die Themen doch durch die Auftraggeber vorgeben?

Beides. Ich entwickele selber Themen und schlage diese möglichen Auftraggebern vor – also Verlagen oder Redaktionen. Für mache Themen werde ich beauftragt – aber es ist eine Kombination aus beidem.

Gibt es Themen oder Geschichten, die du abgelehnt hast?

Nein, eigentlich nicht. Ich werde aber fast auch nur für die Themen beauftragt, bei denen man denkt, dass ich die Kompetenz dafür besitze. Manche Dinge sind trivialer als andere oder weniger komplex – aber im Grunde ist das Meiste schon interessant.

Warst Du schon überall auf der Welt? Warst Du auf allen Kontinenten?

Australien noch nicht. Viele Themen spielten in Afrika. Der Mittlere Osten natürlich, Lateinamerika, USA.

Europa sowieso.

Europa ist ja Lebensmittelpunkt.

Ist es für einen Journalisten heute egal, wo er lebt? Ist es egal, ob Wuppertal oder Berlin?

Ich denke, in einer globalisierten Welt und mit Zugang zu einem internationalen Flughafen, den es hier in der Nähe gibt, ist es ziemlich egal, wo man lebt. Ich muss nicht täglich irgendwelche Leute treffen, die ich nur an einem bestimmten Ort antreffe. Im Gegenteil – ich bin ja viel unterwegs…

Ist Wuppertal ein Rückzugsort, ein Refugium?

Für mich ist es Heimat. Ich habe hier meine Eltern, ich habe hier Freunde… Als Rückzugsort betrachte ich es nicht. Hier umgibt mich natürlich viel Vertrautes. Wenn ich über die Straße gehe, dann treffe ich Freunde, Bekannte. Ich lebe hier, ich arbeite hier, ich schreibe hier überwiegend an den Büchern…

Man könnte ja sagen, man wählt sich Wuppertal, um ein bisschen abgeschieden zu sein…

Ich sehe das nicht so. Ich lebe hier ganz komfortabel. Wenn ich arbeite, sitze ich vornehmlich in meinem Arbeitszimmer und würde dann auch nicht durch Berlin-Mitte schlendern. Also ich glaube es ist egal, in welcher Stadt ich in Mitteleuropa lebe.

Du bist ja dein ganzes Leben schon selbständig, warst auch noch nie angestellt – ist das wichtig für das Lebensgefühl des Journalisten Martin Specht?

Das hat sich einfach nur nie anders ergeben. Ich habe es mir nicht frei gewählt. Es ist so wie es ist – ich musste mich nie entscheiden.

Was ist das Spannendste, was du gemacht hast?

Immer das Nächste… Lateinamerika beschäftigt mich natürlich sehr. Das hängt sehr mit der Herausforderung zusammen. Das, was vor mir liegt, ist spannend, weil mich die Frage sehr beschäftigt, ob es mir gelingt, das neue Thema umzusetzen. Ich begegne Menschen, ich komme an fremde oder neue Orte – von daher ist das vor mir Liegende und Unbekannte immer das Spannendere.

Du hast viele Reportagen gemacht an aus der Sicht der Allgemeinheit sehr gefährlichen Orten. Und das ist ja eine Entscheidung zu sagen: Ich bin bereit, mitten in den Irak-Krieg zu gehen, ich bin bereit, in Afghanistan bei der Jagd auf Osama bin Laden mitzumarschieren, Motive zu suchen und zu finden, bei der man ja doch unter einer akuten Bedrohungslage ist. Da gibt es Schießereien und Querschläger – du hast mir mal geschildert, wie du mehrfach für mehrere Stunden unter Beschuss lagst. Man könnte sich ja auch sein Brot mit Reportagen verdienen, die eine viel höhere Wahrscheinlichkeit haben, dass einem nichts passieren kann…

Kann schon sein. Ich denk natürlich, dass man das macht, was man am besten kann und im Optimalfall, was einen interessiert. Diese Frage der Gefahr oder Nichtgefahr… Natürlich ist es gefährlich. Andererseits ist es dadurch natürlich auch interessant.

Dieses Interview in Deinem Buch ‚Narco Wars‘ mit dem Auftragskiller – wie geht man in solch ein Thema rein? War das Erfahrung? Hattest du ein ausreichend beruhigendes Bauchgefühl? Oder hattest du dabei Angst? Man will ja nicht vorgeführt bekommen, wie Menschen ermordet werden, möchte auch nicht selbst zum Abschluss ermordet werden…

Ach Angst eigentlich nicht. Das war spannend. Jedesmal ist es auch wieder neu. Dieser Begriff der ‚Erfahrung‘ ist nur relativ zu nutzen. Auch wenn ich mich seit Jahren in diesen Ländern bewege, ist der Unberechenbarkeitsfaktor doch hoch. Jedesmal ist wieder neu. Ich versuche mich nicht mit ‚Erfahrung‘ in falscher Sicherheit zu wiegen. Bei manchen Leuten habe ich ein gutes Gefühl – wie bei jeder zwischenmenschlichen Beziehung. Bei anderen Leuten denke ich: Okay, besser etwas vorsichtiger. Bei Kriminellen bin ich generell sehr vorsichtig – sie sind eben kriminell…

…du hast doch auch mal diese große Mara-Reportage gemacht…

…genau, diese Leute sind kriminell, sie sind zum Teil auch drogenabhängig und wissen auch nicht immer, was sie tun. Und mögen auch nicht immer Journalisten. Manchmal ja, manchmal nein. Das kann sich ändern und kippt dann auch schon mal während der Reportage, es kann sich im Zuge einer Begegnung schlagartig ändern. Ich bin grundsätzlich schon vorsichtig.

Aber man kann ja solch einer Situation dann oft nicht schnell entkommen.

Man muss den Leuten begegnen und sich anhören, was sie zu sagen haben.

75 tote Journalisten im Jahr 2016.

Ja, es werden jedoch überwiegend die Journalisten umgebracht, die permanent in diesen Ländern leben. In Mexiko zum Beispiel. Für mich, der ich mich dort maximal zwei-drei Monate aufhalte, sehe ich das nicht so als Problem. Aber für die, die da wirklich leben, mit ihren Familien, bekannt sind. Und die Drogenkartelle besitzen natürlich auch Radio- und Fernsehsender. Der von mir in ‚Narco Wars‘ beschriebene und sehr bekannte ‚Drogenbaron‘ Pablo Escobar war Herausgeber einer Zeitung, des Medellin Civico – von daher sind dann auch die Journalisten, die für diese Medien arbeiten, Teil des Geschehens.

Du beschreibst eine Szene in Mexiko, in der du mit einem Informanten unterwegs bist. Dann passiert etwas in einer Seitenstraße. Ihr haltet an, macht ein paar Fotos – dann entscheidet ihr, doch weiterzufahren, weil die Situation „aggressiv“ wurde. Lebt der Informant noch, hast du zu ihm noch Kontakt?

Ja, tut er. Ich versuche grundsätzlich, den Kontakt zu allen Informanten zu halten, so gut es geht. Vor allem natürlich zu den Informanten, die mir sehr geholfen haben. Das ist auch für mich wichtig. Für mich enden Geschichten ja nicht nach einer Veröffentlichung – ich komme da immer wieder drauf zurück, nutze Informanten wieder, wenn ich wieder in das Land komme.

Das Wichtigste sind für Dich und Deine Kontakte also funktionierende Kontakte.

Zugang zu Menschen zu finden, ist das Aufwendigste, Wichtigste und Entscheidende – und die halte ich dann natürlich auch.

Wird dir in diesen Ländern immer geglaubt, dass du Journalist bist? Oder wird manchmal auch vermutet, dass du doch für einen ausländischen Dienst arbeitest?

Wenn man es vermutet, vermutet man es – aber ich glaube eher nicht. Ich bin eher der nette deutsche Journalist.

Du machst gerade ein Buch für den Ch. Links Verlag über Kolumbien – das Land. Was gibt es zu entdecken?

Die Kultur, die Geschichte – es hängt natürlich auch wieder eng mit der Drogenproblematik zusammen. Es gibt da aber viele Gebiete, die angenehm und interessant sind und in denen man sich bewegen kann. Die Natur ist grandios. Das Problem ist allerdings, dass es schon schlagartig unangenehm werden kann, wenn man die touristischen Pfade verlässt. Sich in den großen Städten aufzuhalten, ist meiner Meinung nach kein Problem – oder an der Karibikküste. Da gibt es wirklich nette Orte, da kann man Urlaub machen.

Wenn du jetzt nach Medellin zurückkehrst, um an dem Kolumbien-Buch weiterzuarbeiten – hat das dann jemand mitbekommen, dass ‚Narco Wars‘ erschienen ist?

Ja, ich habe darüber sogar dort an der Universität von Antiochia mit Studenten diskutiert. Das wissen die Leute schon.

Und wie sehen die Studenten das so?

Für die heute Anfang bis Mitte Zwanzigjährigen sind Pablo Escobar und das Medellín-Kartell Geschichte. Sie wissen natürlich, dass es immer noch Drogenkriminalität in großem Stil gibt, aber die ist heute weniger auffällig, verborgener. Das spektakulärere Geschehen findet inzwischen in Mexiko statt. Natürlich hängt es zusammen. Für die Studenten ist der Friedensprozess mit der FARC und der ELN ein wichtiges und vieldiskutiertes Thema.

Du warst jetzt ja gerade wieder im Irak, warst beim sogenannten ‚Sturm auf Mossul‘ dabei, sagst: Es ist dort so kaputt, wie noch nie.

Es wird immer kaputter.

Du erzählst, dass es in der arabischen bzw. islamischen Welt eine große Unruhe gibt, die du mit einem dritten Weltkrieg vergleichst, da die schweren bewaffneten Auseinandersetzungen sich quer durch Afrika über den Golf bis nach Pakistan ziehen.

Also für die muslimische Welt ist es im Moment schon wie ein Weltkrieg. Die massiven Zerstörungen. Die ständige Angst, Bombardements und Beschuss ausgesetzt zu sein, der Willkür des Krieges, jedes Sicherheitsgefühl verloren zu haben. Das erzeugt die großen Flüchtlingsbewegungen: Syrien, Irak, Afghanistan, Jemen – selbst Pakistan. Einige dieser Staaten scheinen auch zu zerfallen. Kein Mensch weiß, wie lange es den Irak noch geben wird. Die Folgen sind schon gravierend.

Wie sehen denn deine Informanten und Kontaktpersonen die Situation? Sie erleben ja die Zerstörung ihrer uralten Kulturen und Landschaften. Fordern sie von uns mehr Engagement? Oder sollen wir uns raushalten?

Ich glaube, in Syrien und im Irak haben sich schon viele Menschen ein stärkeres Eingreifen und Engagement des Westens gewünscht.

Das sind ehemalige Kolonien – es gab ja früher kaum nicht-kolonialisierten Raum…

Man darf nicht vergessen, dass ein Teil dieser Länder zuvor Gebiete und Regionen des Osmanischen Reichs waren oder zu dessen Einflussbereich gehörten – denn die osmanischen Sultane waren ja auch kolonial; sogar imperial, wenn man will. Es war nicht nur Europa, das Kolonien unterhielt.

In Mali hat der überwiegende Teil der Bevölkerung das Eingreifen der früheren Kolonialmacht Frankreich begrüßt. Mali hatte keine richtige Armee. Es gab da trotzdem einen Militärputsch, der das Land aber so geschwächt hat, dass diese fundamentalistischen Milizen im Anschluss weite Teile erobern und sich dort halten konnten. Mali hatte dem nichts entgegenzusetzen, keine echte Armee, die denen hätte begegnen können. Das ging nur mit Hilfe von außen.

Ist die Idee vom Nationalstaat für diese Regionen noch zeitgemäß?

Die Kulturen sind alt, die Völker, die dort leben, sind da schon sehr lange und viel länger, als die in der jüngeren Vergangenheit willkürlich mit dem Lineal auf Karten gezogenen Grenzen. Der Staat wird überall dort Bestand haben, wo er von der Bevölkerung als positiv angesehen wird. Aber wenn der Staat nur so wahrgenommen wird, als wäre er mit Checkpoints überzogen, wo mir auch noch Geld abgenommen wird, wenn ich von einem Ort zum Nächsten fahren will. Der korrupt ist und dann noch dem erstbesten Feind, wie dem IS, ein Drittel des Landes kampflos überlässt – da stellen sich viele Menschen die Frage: Was bindet mich an diesen Staat?

Wo starke ethnische Konflikte vorhanden sind, wo Korruption herrscht oder der Staat schlicht unfähig ist – diese Staaten werden meiner Meinung nach wieder zerfallen.

Wie groß ist deiner Meinung nach das Kurden-Thema für die nördlichen Teile der damit konfrontierten Staaten – glaubst du, dass es einen Kurdenstaat geben wird?

Hängt davon ab, wer sich dafür interessiert und einsetzt. Die Kurden versuchen das seit vielen Jahren, haben jetzt eine Autonomie im Nord-Irak. Es ist meiner Meinung nach eher eine wirtschaftliche Frage. Und: Wer würde ihn anerkennen? Ohne das geht es ja auch nicht. Wenn die Kurden morgen einen Staat ausriefen und Krieg mit der Regierung in Bagdad – an der sie ja beteiligt sind – darüber führten, dann wäre es doch die Frage, wer diesen neuen Staat anerkennen würde.

Die Türken werden es nicht anerkennen.

Die Türken werden es nicht anerkennen.

Ich weiß es nicht. Es hängt auch davon ab, wie sich der Irak weiterentwickelt. Es gibt bestimmt Gruppen, die es wollen. Es gibt Andere, die es nicht wollen. Es reduziert sich auf die Frage: Wer erkennt ihn an und wer würde ihn schützen.

Also hängen die Kurden doch von unser aller Haltung ab – und weniger von sich selbst.

Ich würde es sagen, ja. Die kurdische Armee hat keine schweren Waffen…

…weil sie ihr auch keiner gibt.

Genau. Im Moment sind die Kurden wichtig als Verbündete im Kampf gegen den IS. Aber die Städte Erbil und Kirkuk sind auch Wirtschaftsstandorte und Machtzentren, Kirkuk hat Öl. Durch sie läuft der Handel mit der Türkei. Andererseits hat Kurdistan auch viele Parteien mit unterschiedlichen Interessen – das ist auch keine einfache Ausgangslage. Aber ich kann es echt nicht einschätzen, wie das ausgeht.

Nationalstaaten oder größere Staaten bieten ja auch Chancen. Im afrikanischen oder afghanischen Stammes-Flickenteppich – ohne Nationalstaat als Klammer – gäbe es dann für viele Volksgruppen eben keinen Zugang zu Universitäten, kein funktionierendes Versicherungssystem, vielleicht keine Krankenhäuser. Wenn die Masse des Steueraufkommens zu gering ist, funktionieren viele Sozial- und Infrastrukturleistungen nicht, sie können nicht stattfinden.

Ja, das ist so.

Was gibt es für eine Geschichte, die du noch unbedingt machen musst? Zur ISS hochfliegen?

Schön wär’s… Ich würde gerne. Bestimmt interessant. Der ferne Blick. Auf die Erde. Aufs Ganze.

Aufgezeichnet am 19. Dezember 2016 bei Martin Specht in Wuppertal in der Küche sitzend und Kaffee trinkend, nachdem wir auf meinen Wunsch die erste Fahrt meines Lebens mit dieser weltberühmten Schwebebahn gemacht haben – aber auch Martin Specht war von der Tour begeistert: „Hey, das sind ja die neuen Wagen. Die sind gestern erst indienstgestellt worden – mit denen bin ich auch noch nicht gefahren!“

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