„Es geht um uns selbst“ – Julia Francesca Meuter im Gespräch über ihr Buch ‚Vom Wert der Dinge‘

30. März 2019, Bremen. Im März 2019 erschien im Verlag Deutsche Manufakturen e. V. das Buch zur Masterarbeit von Julia Francesca Meuter: ‚Vom Wert der Dinge‘.

Meuter, Jahrgang 1992, ist in Neapel als Kind deutscher Eltern geboren und aufgewachsen, hat in Florenz den ersten Teil ihres Studiums (Bachelor in Industrie-Design) absolviert, den zweiten Teil in Bremen an der Hochschule für Künste (Master in Integriertes Design). In dieser Arbeit beschäftigte sie sich mit Manufakturen. Die Buchgestaltung war Teil der Masterarbeit.

Wigmar Bressel: Frau Meuter, sind sie durch Ihre Beschäftigung mit Manufakturen schlauer über diese und den ‚Wert der Dinge‘ geworden?

Julia Meuter: Über Manufakturen auf jeden Fall. Meine Vorstellung von Manufakturen entstammte dem, was ich von Manufactum her kannte: eine Welt von Produkten aus Holz oder Naturbelassenem – es ging eben mehr in Richtung Handwerk, als größere Produktionen, die größer als Dinge aus dem Handwerk sind. Es hat mir geholfen einen Einblick zu bekommen, den Begriff auch für mich zu definieren und zu beschreiben.

Wo liegt denn für sie die Bedeutung von Manufakturen und manufakturartigen Betrieben?

Das „Manufakturartige“ ist ja ein bisschen das Problem. Ich habe verstanden, dass es eine Grenze gibt, die der Manufaktur-Begriff umschreibt, sowie eine gewisse Art von Produkten und Ansprüche, die an diese Produkte gestellt werden. Und bei vielen Produkten kann man feststellen, dass das Etikett „Manufakturprodukt“ nur als Marketingbegriff verwendet wird – das Produkt dem jedoch nicht entspricht.

Haben Manufakturen ihrer Meinung nach Zukunft?

Ja. Ich glaube ja. In Anbetracht einer größeren Veränderung unserer Gewohnheiten und unserem Kaufverhalten, in unseren Bedürfnissen auch. Ich glaube, dass Manufakturen in unserer Gesellschaft zukünftig eine große Rolle spielen können. Wenn wir uns darauf einlassen, unseren Konsum etwas zu beschränken, dann können die Produkte, die Manufakturen anbieten, Teil dieser Veränderung sein. Deswegen noch einmal: ja.

Was hat sie im Rahmen ihrer Recherche am Meisten überrascht?

Da ich mich sehr für Entwicklungsprozesse interessiere, fand ich den historischen Hintergrund sehr interessant, aus dem heraus es zur Gründung von Manufakturen kam, die Begriffsentwicklung, wirtschaftliche und soziale Prozesse, die eine Rolle spielten. Außerdem überraschte mich die große Anzahl an unterschiedlichen Bereichen, in denen es Manufakturen gibt. Welche Vielfalt an Produkten hergestellt wird, die alle gebraucht werden. Es hat mich bereichert, darin Einblicke gewährt zu bekommen.

Glauben sie, dass sie selbst einmal in einer Manufaktur arbeiten werden?

Das könnte ich mir vorstellen. Wie sieht die Manufaktur der Zukunft aus? Wie kann man Veränderungen bei Produkten und im Auftritt gestalten? Die Mitarbeit an diesem Prozess fände ich spannend.

Führt sie ihr Weg jetzt zurück nach Italien? Oder bleiben sie in Deutschland? Oder ist es ihnen im Prinzip egal, wo sie arbeiten werden?

Ja, ich würde schon gerne zurück nach Italien. Aber nach vier Jahren in Bremen fühle ich mich hier auch ein bisschen zuhause. Meine Heimatstadt Neapel ist natürlich ein bisschen größer – aber ich muss zugeben, dass ich mich da auch vor allem in meinen Kreisen bewege, und weniger ein Großstadtgefühl habe. Neapel ist trotz der vielen Einwohner auch ein bisschen dörflich.

Was hält sie denn davon ab, jetzt die Werkstatt von Franco und Maria – zwei der Protagonisten ihres Buches – zu übernehmen?

Deren Werkstatt ist ja hauptsächlich handwerklich ausgelegt. Auch wenn ich es interessant finde, was sie machen, ist es nicht wirklich etwas für mich. Ich bin kein Künstler oder Kunsthandwerker. Ich bin Gestalterin. Vermutlich würde mich das rein Handwerkliche nicht erfüllen.

Aber es gibt ja viele Gestalter – ich denke zum Beispiel an Stefanie Hering aus Berlin, die ihr Porzellan ja auch ‚nur‘ entwirft und dann zum Beispiel von der Porzellanmanufaktur Reichenbach in Thüringen fertigen lässt. Es gibt viele Beispiele, in denen am Anfang der Unternehmensgründung ein Designer stand – der am Ende einen großen Fertigungsbetrieb hatte. Zum Beispiel Bernd T. Dibbern von der gleichnamigen Manufaktur. Sie sind gestartet mit einer Idee für Möbel oder Porzellan oder Glas – am Ende hat es ihnen keiner so hergestellt, wie sie es genau wollten. Dann haben sie es eben selbst gemacht – notgedrungen.

Manufakturen-Blog: Buchtitel 'Vom Wert der Dinge' (Grafik: Julia Francesca Meuter)

Buchtitel ‚Vom Wert der Dinge‘ (Grafik: Julia Francesca Meuter)

Ja, das stimmt. Ich bin jedoch auch kein Produktdesigner. Ich habe so zwar mal in Florenz mein Studium begonnen – aber ich mache gerne grafische Gestaltung und ich interessiere mich für breitere Prozesse, als nur für das Endprodukt an sich. Ich interessiere mich dafür, wie ein Produkt soziale oder menschliche Beziehungen verändern kann. Wie Manufakturen ein Teil einer anderen wirtschaftlichen Entwicklung sein könnten. Wie die Gesamtsumme der Prozesse unsere Entwicklung beeinflussen kann.

Aber die Frage ist dann ja: Wer ist ihr Auftraggeber? Wer hat daran ein Interesse? Wie kann man das einbringen – und zu welchem Zweck will man es einbringen?

Überall da, wo es Entscheidungsprozesse gibt, wo es Entwicklungsprozesse gibt, wo es Probleme gibt, die gelöst werden müssen. Es geht ein Stück weit um den öffentlichen Raum, der gestaltet werden muss – und da reichen eben Architekten nicht aus, sondern es bedarf Kulturwissens und vieler Wissensrichtungen, damit ein Umbau oder ein Neubau nicht floppt. Dafür werden wir heute ausgebildet.

In ihrem Buch stellen sie ja die These auf, dass wir unsere Gesellschaften ohne große Verluste in unserem Konsumverhalten wandeln könnten. Jedoch haben Menschenmassen und Gruppen oft keine Lust sich zu wandeln. Sie leben so vor sich hin, wie sie es kennen. Was denken sie: Wird das ein Kampf, eine Überzeugungsleistung – oder ist das eine Einsicht, die eigentlich schon da ist und unter dem bisherigen Verhalten schlummert und nur geweckt werden will? Ich meine: Konsumkritik gab es ja schon immer.

Genau – Konsumkritik gab es schon immer. Leute, die dafür warben, dass man nicht so viel oder überhaupt nicht fliegt, dass man Müll trennt, Plastik wiederverwertet. Wir scheinen mir inzwischen einen Schritt weiter. Es gibt ja diese Schülerbewegung ‚Fridays for Future‘, die europaweit für Veränderungen in der Klimapolitik demonstriert. Es scheint immer mehr Menschen unvermeidbar, dass sich etwas ändern muss. Und dass es uns einzelnen Menschen obliegt, zu entscheiden, wen wir an die Macht wählen.

Ich habe jetzt vor einigen Wochen beschlossen, keine Bananen und keine Mangos mehr zu kaufen, weil der Frachtweg zu weit ist. Es gibt andere Obst- und Gemüsesorten, die mehr Kalium als Bananen haben und näher angebaut werden – das kann man für sich ja einmal ausprobieren. Auch kleine Entscheidungen machen einen Unterschied.

In der Zeitschrift ‚National Geografic‘ stand, es ginge ja nicht darum, die Welt zu retten – sondern diese für uns. Es geht um uns selbst. Wenn die Meeresspiegel immer weiter steigen, dann ist es nicht nur für die Küstenstädte, sondern ziemlich schnell für uns alle ein Problem.

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Julia Francesca Meuter: Vom Wert der Dinge

190 Seiten, 94 Fotos

ISBN 978-3-9814732-4-7

EUR 22,00

Foto: privat

Grafik: Julia Francesca Meuter

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