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‚Tini‘ ist eine der Letzten ihrer Art – diese überlebende Vase von Weimar-Porzellan hat jetzt ihren eigenen Projektraum in Hamburg

7. September 2022, Hamburg. Das Projekt kam aus Bauch und Herz, erscheint sicherlich den meisten Menschen verrückt – und unverständlich allemal. Die Hamburger Fotografin Susanne Katzenberg hat ihrer Spontanverliebtheit – in eine Vase aus den 1960er Jahren von Weimar-Porzellan (1790 – 2018) aus dem thüringischen Blankenhain – wieder Leben eingehaucht und einen Projektraum in Hamburg-Altona eingerichtet; gemeinsam mit ihm wurde am Samstag die neue Künstler-Edition der Vase von Krashkid vorgestellt.

Was tun, wenn einen auf einmal die Erkenntnis trifft? Man, weiß, dass man jetzt etwas unternehmen muss. Man nicht einfach nur zuschauen kann, wie der Lauf der Zeit so Vieles einfach verschwinden lässt. Niemand dazusein scheint, der es einem abnimmt? Auf einmal die Frage, an sich selbst gestellt, spürt: Du. Jetzt.

Susanne Katzenberg war im Jahr 2019 in Weimar, um für eine Geschichte über ‚100 Jahre Bauhaus‘ zu recherchieren; immer wieder stieß sie auf Querverweise zu den Thüringer Manufakturen, Porzellanmanufakturen zumal. Recherchen, Spaziergänge, Wanderungen – eines Tages stand sie vor der frischgeschlossenen Weimarer Porzellanmanufaktur in Blankenhain bei Weimar: 228 Jahre nach ihrer Gründung, Traurigkeit ausstrahlend aus einem riesigen Industriezweckbau heraus, dabei eben noch hochherrschaftliche Formen genauso produzierend wie Neue Sachlichkeit, Sozialistischen Realismus – und klare Formen aus der Zeit des Bauhauses, aus der Zeit, in der die spendablen und an Moderne und Alltagskultur so interessierten Weimarer Herzöge ihre Bedeutung verloren hatten, als die erste deutsche Republik Weimar berühmt und belächelt wurde.

Sie recherchierte und telefonierte sich zum bemühten Insolvenzverwalter Rolf Rombach sowie dem ratlosen und frustrierten Eigentümer Turpin Rosenthal durch, man führte sie durch die Hallen des stillstehenden Werkes, vertraute ihr irgendwann einfach die Schlüssel an „für ihr Fotoprojekt“, als das sich dieses alte Kulturgut einfach anbot.

Als klar war, dass es in Blankenhain so nicht weitergeht, dass gerade einmal Interesse am Markennamen bestand, wagte Katzenberg tollkühn den großen Schritt: Sie ging auf den Insolvenzverwalter zu, erwarb aus Anteilnahme an ihrem eigenem Projekt ‚über Weimar-Porzellan‘, in das sie sich immer tiefer hineingearbeitet hatte, die Formen und Nutzungsrechte für eine schlanke, gerade Vase aus den 1960er Jahren: den Entwurf ‚Tini‘ von Peter Smalun, der oft für Weimar Porzellan gearbeitet hat. Ihr Versuch einer Reminiszenz, einer Erinnerung – am Ende des langen Denkprozesses gab sie diesem Wirken den hoffnungsvollen Namen „unverloren“; in zwei Suchrunden fand sie einen Kunsthandwerker und die Porzellanmanufaktur Reichenbach, die bereitwaren, sich mit einer Neuauflage der Vase zu beschäftigen. Und inzwischen vielfach die Foren nachfertigen mussten – denn Susanne Katzenberg hat es vermocht, in nur zwei Jahren sage und schreibe 2500 neue Vasen zu verkaufen; mit einer neuen Haptik, mit neuen Dekoren, mit Künstler-Editionen. Jede freie Minute widmete sie der Vase, wie besessen, sich abarbeitend an einem klitzekleinen Vermächtnis der ehemals bedeutenden und großen Manufaktur: Sie legte eine Fotodokumentation vor, formte diese zum Buch, gewann den thüringischen Wirtschaftsminister Benjamin-Immanuel Hoff als Grußwortschreiber für das Buch – der fand es noch nicht einmal merkwürdig, dass sich eine Hamburgerin von Hamburg aus um die Erinnerung an diese lange Unternehmensgeschichte bemühte: „Ich danke der Autorin herzlich für die Spurensuche in Blankenhain und wünsche der Publikation viele interessierte Leserinnen und Leser sowie dem traditionsreichen Porzellanland Thüringen große Aufmerksamkeit.“ Als wäre es nicht gerade seine originäre Aufgabe, sich um das „Porzellanland Thüringen“ – bis Kriegsende Zentrum der deutschen Porzellanherstellung – zu kümmern.

Manufakturen-Blog: Peter Smalun, Designer der Vase 'Tini' im Porträt im Buch 'unverloren' von Susanne Katzenberg (Foto: Wigmar Bressel)

Peter Smalun, Designer der Vase ‚Tini‘, im Porträt im Buch ‚unverloren‘ von Susanne Katzenberg

Manufakturen-Blog: Buch-Cover "Susanne Katzenberg: unverloren - Hommage an Weimar Porzellan Thüringen", Verlag Braus EUR 29,80 (Foto: Wigmar Bressel)

Buch-Cover „Susanne Katzenberg: unverloren – Hommage an Weimar Porzellan Thüringen“, Verlag Braus, EUR 29,80

Manufakturen-Blog: Krashkid-Variante der 1960er-Jahre Vase 'Tini' von Weimar-Porzellan - Künstleredition (Foto: Wigmar Bressel)

Krashkid-Variante der 1960er-Jahre Vase ‚Tini‘ von Weimar-Porzellan – Künstleredition

Manufakturen-Blog: Schaufenster des Projektraums 'Projekt unverloren' in der Hospitalstraße 91 in Hamburg-Altona (Foto: Wigmar Bressel)

Schaufenster des Projektraums ‚Projekt unverloren‘ in der Hospitalstraße 91 in Hamburg-Altona

Manufakturen-Blog: Fotodokumentation zur Weimarer Porzellanmanufaktur im Projektraum in der Hospitalstraße 91 (Foto: Wigmar Bressel)

Fotodokumentation zur Weimarer Porzellanmanufaktur im Projektraum in der Hospitalstraße 91

Manufakturen-Blog: Historische 'Tinis', neue 'Tinis' - Susanne Katzenberg ist inzwischen die Spezialistin für die 1960er-Vase (Foto: Wigmar Bressel)

Historische ‚Tinis‘, neue ‚Tinis‘ – Susanne Katzenberg ist inzwischen die Spezialistin für die Vase

Nun ist das Buch da, der Projektraum – und soviel Wissenswertes, wie es über ‚Tini‘ nur herauszufinden gibt: Dass deren Designer Peter Smalun (Jahrgang 1939) auf kurze Produkt-Namen mit dem End-Buchstaben ‚I‘ steht, dass sich diese geraden Formen zu DDR-Zeiten besonders in Skandinavien gut verkauften; dass der Westpreuße Smalun aus Marienburg durch die Flucht nach Blankenhain kam, dort bei Weimar-Porzellan seine Ausbildung zum Modelleur machte, dann kam für ihn die Fachschule für angewandte Kunst in Sonneberg, die Ingenieurschule für Keramik in Hermsdorf, das Studium an der Burg in Halle. Ihm verdanken wir die Erinnerung, dass die DDR in den ersten Jahrzehnten nach der Gründung mit dem Bauhaus fremdelte – ‚form follows function‘ entstand durch die Bauhaus-Dissidenten in den USA und eben nicht im Sozialistischen Realismus.

Jetzt also Krashkid (mit bürgerlichem Namen: Caspar David Engstfeld) auf Smaluns ‚Tini‘, der gebürtige Osnabrücker mit seinen PopArt-Filzstift-Tattoos auf der so ernstgemeinten Form des Westpreußen. Für schlanke 99 Euro. Man erschrickt, dass man bei einfachen schwarzen abstrakten Zeichnungen so unwillkürlich an Keith Haring erinnert wird, als hätte dieser das schnelle abstrakte Zeichnen für sich allein gepachtet. Krashkids ‚Tini‘ erzählt jedoch eine andere Geschichte, als Haring es getan hätte: „Ich wollte von der Situation nach der Party erzählen – daher auch der Name ‚flowers and cigarettes‘. Die Party ist vorbei – die Erinnerung an den schönen Abend noch da“, sagt der Künstler. Ein halbaufgeklapptes Messer aus dem Hause Opinel im Dekor erinnert daran, dass etwas angeschnitten wurde. Vielleicht Blumen, vielleicht Torte zur Eröffnung des Projektraums.

Fotos: Wigmar Bressel, Susanne Katzenberg

 

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Interview

„Ich fand es respektlos, dieses Erbe aus drei Jahrhunderten der Vernichtung zu überlassen.“

Manufakturen-Blog: Susanne Katzenberg in der Weimarer Porzellanmanufaktur (Foto: Katzenberger)

Susanne Katzenberg in der Weimarer Porzellanmanufaktur

Frau Katzenberg, wie geht es ihnen heute, wenn sie „Weimar-Porzellan“ hören?

Gut. Gut, weil ich glaube, dass ich das mir Menschenmögliche getan habe, um an Weimar-Porzellan in angemessener Form zu erinnern und das zu würdigen, was da in den Jahrhunderten geleistet wurde. Von daher geht es mir gut. Ich finde es natürlich traurig. Aber ich habe meinen Teil beigetragen.

Würden sie sagen, dass wir Menschen, die eine Empathie für solche Firmen und Vorgänge haben, uns damit abfinden müssen, dass solche Vorgänge, wie das Verschwinden von Weimar-Porzellan nach 228 Jahren, stattfinden?

Nein, das würde ich nicht sagen. Ich fürchte, dass wir gezwungen sind. Aber ich finde, dass wir nicht genug nach Wegen aus der Situation gesucht haben.

Hatten sie das Gefühl, dass sich viele andere Menschen für das Problem interessiert haben?

Hatte ich nicht. Ich habe in meinem Auto viele Unterlagen und Zeichnungen persönlich ins Staatsarchiv nach Weimar gefahren, weil sich niemand dafür interessiert hat. Ich fand es respektlos, dieses Erbe aus drei Jahrhunderten der Vernichtung zu überlassen. Kapitalismus hin oder her – das finde ich einfach nicht angemessen.

Sie haben für ihr Buch einige ehemalige Mitarbeiter interviewt.

Ich wollte kein ‚Lost-Places-Buch‘ machen. Sie sollten von der Kunst des Porzellanmachens erzählen.

Hat das Buch etwas bewirkt?

Es ist jetzt in der zweiten Auflage. Es wurden inzwischen mehr als eintausend Exemplare verkauft. Und es melden sich immerwieder Menschen bei mir, die einen Bezug zu Weimar-Porzellan haben und über ihre Beziehung sprechen wollen. Insofern ist mir bestimmt ein auch zeitgeschichtliches Werk gelungen, das auch in vielen Jahrzehnten noch interessant ist.

 

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Eckard Christiani: „Ist die Art und Weise, wie wir leben, die richtige?“

26. August 2022, Berlin. Er glaubt an das Nachhaltigkeits-Thema Manufaktur. Entwickelte eine Konzeption für eine eigene Manufakturen-Zeitschrift, fertigte einen Prototypen, reiste auf der Suche nach Partnern durch die Republik – aber der Mut der Manufakteure war nicht da. Jetzt ist Eckard Christiani von der Designagentur Quintessense mit seinem neuen Projekt unterwegs: der Bücherreihe ‚Morgen – wie wir leben wollen‘. Bücher mit den Schwerpunkten Ernährung, Wohnen, Gesundheit, Medien, Mobilität, Digitalisierung, in denen er eine Vielzahl von Interviews abdruckt, die er unter der Überschrift Nachhaltigkeit und Zukunft geführt hat – mit Fachleuten, Politikern und Prominenten. Und einem Jeden von uns steht die Möglichkeit offen, diese Bücher zu kaufen und die Ideen und das Wissen verbreiten zu helfen. Zeit für ein Gespräch.

Lieber Herr Christiani, wie kam es denn zu der Bücherreihe ‚morgen‘?

Schon als Student wollte ich Bücher machen. Es war immer mein Ziel, Bücher zu gestalten und herauszubringen, die komplexe Inhalte auf attraktive Art und Weise transportieren. Ich wollte nichts weniger, als das Buch neu erfinden. (lacht)

Als dann die Corona-Pandemie im Frühjahr 2020 Fahrt aufnahm, wurden viele Kunden-Projekte auf Eis gelegt, und ich hatte plötzlich enorm viel Zeit! Da dachte ich mir: Wenn Bücher machen, warum nicht jetzt?

Im Urlaub in Österreich kam mir die Idee zur Buchreihe morgen – wie wir leben wollen. Durch die Corona-Pandemie begannen alle nachzudenken, das Leben änderte seine Richtung und alles wurde plötzlich auf den Prüfstand gestellt: Ist die Art und Weise, wie wir leben, die richtige? So habe ich mir für die erste Staffel der Reihe zwölf Themen überlegt, die für uns gesellschaftlich wichtig sind und über die ich mit Gesprächspartnerinnen und Gesprächspartnern sprechen und nachdenken wollte.

Inzwischen sind vier Bücher erschienen.

Ja. Zu den Themen Ernährung, Medien, das weite Feld Umwelt und Wohnen. Zur Buchmesse in Frankfurt erscheint Band 5 zum Thema Gesundheit. Dann folgen Mobilität, Gartenbau und Landwirtschaft sowie Digitalisierung. Ich bin sehr neugierig unterwegs! Aber ich kann mir das natürlich nicht alles selbst ausdenken; also habe ich mir für jedes Thema, jedes Buch zwölf Expertinnen und Experten gesucht: Menschen, die dazu etwas zu sagen haben – auch mal Prominente oder Politikerinnen und Politiker. Diese Gespräche sind für mich der eigentliche Kick, der eigentliche Antrieb, diese Bücher zu machen. Ich habe bislang auf diesem Weg mit 65 Menschen gesprochen, die richtig etwas zu erzählen hatten und die ich sonst nicht so ohne weiteres kennengelernt hätte. Es ist also auch ein bisschen egoistisch.

Nein, da würde ich widersprechen – das ist nicht egoistisch. Das ist doch wie mit meinem Manufakturen-Blog: Auch sie stellen ja ihre Ergebnisse der Allgemeinheit zur Verfügung und zur Diskussion. Es ist ja kein Gesetz, dass Arbeit nicht weiterbilden oder spaßmachen darf. Irgendetwas stößt man auch immer an oder bewegt etwas weiter – auch wenn man es nur in seltenen Fällen erfährt.

Es gab unglaublich spannende Gespräche – auch mit Prominenten wie Schauspieler Hannes Jaenicke, den ich zwischen seinen Krimi-Drehs in Amsterdam während seines Frühstücks interviewen durfte. Oder mit Renate Künast im Bundestag, mit „Mr. Media“ Thomas Koch oder mit Barbara Becker. Aber natürlich waren auch die Gespräche mit weniger bekannten Koryphäen wie Professor Glaubrecht aus Hamburg hochinteressant. Er hat kürzlich ein Buch mit sage und schreibe tausend Seiten herausgebracht: „Das Ende der Evolution“. Da geht es um das drängende Problem des Artensterbens. Wirklich lesenswert.

Manufakturen-Blog: die Bücher der morgen-Reihe von Eckard Christiani (Foto: Verlag)

…die Bücher der morgen-Reihe

Fassungslos ließ mich ein Gespräch mit Moritz Riesewieck für das Medien-Buch zurück. Wir sprachen darüber, was Menschen alles anstellen, um unsterblich zu werden – oder was, um ihre Liebsten weiterleben zu lassen. Das Thema: „Unsere digitale Seele“. Was wird aus unseren Daten nach unserem Ableben?

Ich habe für mich eine Nachlassverwalterin bestellt. Ich hatte auch überlegt, ob ich für meine Eltern – im Jahr 2020 verstorben – eine Erinnerungs-Homepage einrichte; aber hätten die das gewollt?

Es gibt in den USA einen Mann, der seinen erkrankten Vater immer und immer wieder interviewt und nach dessen Tod eine virtuelle Person – den Dad-Bot – programmiert hat, mit der er und seine Mutter sich seitdem immer mal wieder austauschen können.

Das gibt es als Projekt auch mit den letzten noch lebenden Holocaust-Überlebenden – das ist für solche Zwecke des eindringlichen Erlebens bestimmt noch spannender, als nur Video-Interviews. Andererseits tritt uns so via Avatar jetzt auch ABBA entgegen…

Trauerarbeit ist wichtig. Und sie sollte nicht verhindert werden, weil man ständig im virtuellen Kontakt verharrt.

Fünfzehn Uhr ist sonntags immer Kaffee mit Papa.

Genau. Ich weiß es nicht.

War es schwierig an die Gesprächsteilnehmer heranzukommen?

Nein. Es ist mir nur zweimal passiert, dass potentielle Gesprächspartnerinnen und Gesprächspartner nach der Auflage des Buchreihe gefragt haben: „Wie hoch? 3000 Stück? Nein, dafür habe ich dann doch keine Zeit.“ – Da denke ich: Die haben schon ihre Bühne – und brauchen meine nicht.

Die allermeisten machen mit. Manches Mal ist es schwierig einen Termin zu finden. Aber das ist ja auch normal. Wer etwas zu sagen hat, wird nicht nur von mir gehört.

Wie bringt man denn eine Auflage von 3000 Stück unter die Menschen?

Zunächst ist die Buchreihe als Corporate Publishing-Projekt für die Buchbinderei Integralis in Hannover in Leben gerufen worden. Integralis will damit zeigen, welch tolle Bücher sie dort produzieren können. Eine weitere Auflage geht direkt in den Buchhandel. Das heißt, man kann die Bücher ganz normal in der Buchhandlung bestellen. Oder direkt beim Verlag.

Man kann aber auch als Unternehmen diese Bücher für sich entdecken und sagen: Ich möchte mich auch auf diesen Zukunftsfeldern präsentieren. Und: Ich lasse die Reihe von Herrn Christiani für meine Unternehmung individualisieren – an mein Corporate Design anpassen – und verschenke sie an meine Kunden, um mit diesen in einen Dialog zu treten. Man kann sein eigenes Cover bekommen, sein eigenes Vorwort oder sogar ein eigenes Kapitel. Hochwertigkeit spielt in der Produktion eine besondere Rolle.

Deswegen sind die Bücher auch so schön verarbeitet.

Genau. Aber gleichzeitig ist es ein Commitment und Statement, wozu sich solch ein Unternehmen bekennt und was es umtreibt. Wie gehen wir in die Zukunft? Ein einfaches ‚weiter so‘ – wohl eher nicht.

Sind die Bücher radikal genug? Oder wollen sie garnicht radikal sein?

Es sind keine Kampfschriften. Es geht vielmehr um Fragen und Zukunftsideen, die ich interessant finde und über die ich mir Gedanken machen will.

Im Gesundheitsbuch geht es auch einfach um Wissensvermittlung: Wo stehen wir heute? Wo wollen wir hin? Oder: Wo geht es mit der Wissenschaft hin? Im Gespräch mit der Herzchirurgin Dilek Gürsoy rede ich über das Verpflanzen von Kunstherzen, mit Alexandra Renkawitz über die Frage, wie wir unser Mikrobiom im Darm gesund halten oder mit Professorin Claudia Traidl-Hoffmann über die körperlichen Auswirkungen der Klimaveränderungen. So bekommen wir eine Vorstellung von der Zukunft und ihren vermuteten Notwendigkeiten.

Wichtigste Erkenntnis aus ihrem Gesundheitsfragen-Buch?

Es gibt keine Geheimrezepte für ein langes gesundes Leben. Aber morgens eine frischgepresste halbe Zitrone in warmem oder kaltem Wasser in kleinen Schlucken zu trinken – das empfehlen alle. (lacht)

Fotos: Martin Specht, Verlag

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Ferdinand von Schirachs Vorschlag zur Erweiterung unserer bürgerlichen Grundrechte – eine Steilvorlage für die Manufakturen

22. November 2021, Bremen. „Jeder Mensch hat das Recht, dass ihm nur solche Waren und Dienstleistungen angeboten werden, die unter der Wahrung der universellen Menschenrechte hergestellt und erbracht werden.“ Dies ist Artikel 5 der von Ferdinand von Schirach vorgeschlagenen Erweiterung der Grundrechte für uns Bürgerinnen und Bürger der Europäischen Union. Der Artikel-Vorschlag ist ein Plädoyer für eine Verbesserung unserer Welt, die den Mensch auch in Wirtschaft und Handel wieder zentraler ins Bewusstsein rückt und ihn aus dem Sumpf des ‚human capital‘ zieht, hin zu Verantwortung und Respekt, ihm die Mindest-Würde gibt, die in Bangladeshs und Chinas Shareholder-Value-Fabriksmolochen noch nie vorhanden war.

Ferdinand von Schirach ist als Buchautor, Dramatiker und Schriftsteller bekannt, dessen Werke von verschiedenen Fernsehsendern erfolgreich verfilmt wurden und werden. Der frühere Strafrechtler greift existentielle Fragen im Rahmen der Aufarbeitung von Kriminalfällen auf, die den Fernsehzuschauer meist in-sich-hinein-fragend zurücklassen – so ist es eben mit den existentiellen Fragen nach Schuld und Gerechtigkeit; ein jeder kann nur versuchen, diese für sich aus seiner derzeitigen Position heraus zu bewerten und zu entscheiden – die Gesellschaft versucht es mit Gesetzesrahmen, die diese im weitesten Sinne zusammenhalten sollen.

Umso interessanter ist es, wenn der erfolgreiche Autor auf einmal ins Gesellschaftspolitische tritt; und entgegen seiner Profession nicht bewertend, sondern eher untypisch-gesetzgeberische Vorschläge für eine Verbesserung der Welt macht. In diesem Fall ganz Große: mit dem Vorschlag zur Erweiterung der Grundrechte für uns alle als Bürgerinnen und Bürger der Europäischen Union.

Sein Deklarations-Vorschlag ist:

„Wir,

die Bürgerinnen und Bürger der Europäischen Union,

erachten die nachfolgenden Grundrechte, in Ergänzung der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte, der Europäischen Menschenrechtskonvention, der Charta der Grundrechte der Europäischen Union und der Verfassungen ihrer Mitgliedsstaaten

als selbstverständlich:

Artikel 1 – Umwelt

Jeder Mensch hat das Recht, in einer gesunden und geschützten Umwelt zu leben.

Artikel 2 – Digitale Selbstbestimmung

Jeder Mensch hat das Recht auf digitale Selbstbestimmung. Die Ausforschung oder Manipulation von Menschen ist verboten.

Artikel 3 – Künstliche Intelligenz

Jeder Mensch hat das Recht, dass ihn belastende Algorithmen transparent, überprüfbar und fair sind. Wesentliche Entscheidungen muss ein Mensch treffen.

Artikel 5 – Globalisierung

Jeder Mensch hat das Recht, dass ihm nur solche Waren und Dienstleistungen angeboten werden, die unter der Wahrung der universellen Menschenrechte hergestellt und erbracht werden.

Artikel 6 – Grundrechtsklage

Jeder Mensch kann wegen systematischer Verletzungen dieser Charta Grundrechtsklage vor den Europäischen Gerichten erheben.“

Manufakturen-Blog: Ferdinand von Schirach: Jeder Mensch - das Buchcover aus dem Luchterhand-Verlag (Foto: Wigmar Bressel)

Ferdinand von Schirach: Jeder Mensch – das Buchcover in EU-Blau und Gold aus dem Luchterhand-Verlag

Kurz und knackig die Stoßrichtung: Von Schirach fordert den Schutz des Menschen vor ausgeuferter Globalisierung und Digitalisierung – zumindest in der Europäischen Union. Heißt übersetzt: den Schutz vor den ‚Big Five‘ (nein, nicht Elefant, Löwe, Nashorn, Flusspferd und Tiger), sondern vor Alphabet, Facebook, Google, Amazon, Apple und ihren Nacheiferern. Er fordert uns auf, mit ihm gemeinsam von der Wirtschaft – auch unserer eigenen deutschen Industrie – den Wandel des Umgangs mit der ‚Werkbank-Verlängerung nach Asien‘ der Industriekonzerne mitzufordern, die Absurdität der Müllverschiffung nach Afrika und Sonstwo am jeweils anderen Ende der Welt unwirtschaftlich zu machen. Schlusszumachen mit hemmungs- und rücksichtslosem Rohstoff-Abbau dort, wo wir Otto-Normal-Verbraucher nicht so einfach hinschauen können; und uns aus Bequemlichkeit häufig auch nicht durchringen, es nachdrücklich zu wollen.

Für die Manufakturen ist das Manifest eine Steilvorlage: Ihr ethisches Handeln mit lokalen Produktions-Arbeitsplätzen, mit der Beschäftigung von Menschen jeden Ausbildungsstandes, oft auch von Menschen mit Einschränkungen, mit ihrem Bemühen um höchste Qualität, Langlebigkeit und damit Nachhaltigkeit, um kulturelle Identität, um das Einhalten aller Auflagen, die aus gesellschaftlichen Überlegungen heraus beschlossen werden, um Zusammenhalt und Regionalität – alles das erführe durch diese Front gegen die Produktions-Anonymität mit ihren absurden Auswüchsen (giftiges Kinderspielzeug, giftige Lebensmittel, giftige Kleidung, unsichere Konsumgüter) und dem Wissen, dass sie unter menschenverachtenden Umständen (ungeschützter Umgang mit Giften, Ausbeutung, Missbrauch und Gewalt) hergestellt werden, eine große Erleichterung.

Ferdinand von Schirach stellt in den Erklärungen und Begründungen zu seinen Vorschlägen selbst die Fragen, die sich stellen: „Wie können wir den Herausforderungen unserer Zeit begegnen? Wie organisieren wir unsere Gesellschaft besser? Wir müssen heute erneut entscheiden, wer wir sein wollen.“

Wer wir sein wollen… Wir haben die Blutdiamanten aus den Bürgerkriegsländern ausgeschlossen. Wir haben die Fingerabdruck-Kartei für Gold eingerichtet. Wir haben verschiedene Treibhaus-Gase verboten. Ist es nicht an der Zeit, auch mit dem unethischen Ausbeuten der Menschen in den großen Zweit- und Dritt-Welt-Staaten durch Boykott schlusszumachen? „China und andere autoritäre Systeme können ja niemals ein Vorbild für uns sein“, schreibt von Schirach. „Das Wesen der demokratischen Politik ist der kluge Kompromiss, es sind die kleinen Schritte und der vorsichtige Ausgleich von Interessen. Vieles geht scheinbar zu langsam, aber genau dadurch achtet unsere Gesellschaft die Würde des Menschen, dadurch ist sie rechtsstaatlich.“ Er schreibt weiter: „Nichts hat eine solche Kraft wie der gemeinsame Wille der Bürgerinnen und Bürger. Es sind ja unsere Gesellschaft, unsere Welt und unser Leben. Und wir sind es, die Verantwortung für die Menschen tragen, die schwächer sind als wir.“

Von Schirach verbleibt nicht im Schriftstellerischen – es wurde ein gemeinnütziger Verein gegründet, der sich für die neuen Grundrechte einsetzt: Stiftung Jeder Mensch e. V. (www.jeder-mensch.eu). Unter dieser Adresse kann jeder EU-Bürger seine Zustimmung unter einen Appell setzen, der die Europäische Union und ihre Mitgliedsstaaten auffordert, mittels eines Verfassungskonventes die benannten Probleme mittels der vorgeschlagenen neuen Grundrechte anzugehen.

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Jeder Mensch

36 Seiten

Luchterhand-Verlag, München

ISBN 978-3-630-87671-9

EUR 5,00

Ferdinand von Schirach steckt den Gewinn aus dem Buch in das Projekt ‚Stiftung Jeder Mensch e. V.‘

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Der Katalog zur Kunst: ‚Das ManufakturenBlogPopArtProjekt‘ als Buch erschienen

13. April 2021, Bremen. Der Katalog zur Digital-Kunst: Für alle, die sich von Instagram fernhalten, erschienen jetzt 116 Bilder aus dem ‚Manufakturen-Blog-PopArt-Projekt‘ von Wigmar Bressel auf hochwertigem Kunstdruckpapier im Format 28 mal 21 Zentimeter als Buch – eine Hommage an die Manufakturen-Branche; und zugleich ein neuer Blick.

„Das Manufaktur-Produkt soll neu gedacht und wahrgenommen werden. Über den Farbwechsel, die Farbbearbeitung gelingt es, die Form zu abstrahieren und zu verfremden. Dies alles entwickelt sich aus dem subjektiven Empfinden des Verfremdenden und dessen Erfahrung mit dem Manufaktur-Produkt heraus“, schreibt Antje Katrin Hatzler in ihrem Essay, das statt eines Vorwortes dem Kunstkatalog vorangestellt wurde. Hatzler, selbst Kunstsammlerin, beobachtet das Projekt seit dem ersten Tag. Teilweise begleitete sie Bressel auch auf seinen Exkursions-Streifzügen in die Manufakturen-Welt.

Bressels Technik ist einfach zu beschreiben: Sie basiert auf – in der Regel – eigenen Fotos, die mithilfe eines Bildbearbeitungsprogramms farblich übersteigert, verschärft, verzerrt, im Bild vervielfältigt werden. Die Ergebnisse erinnern eher an Andy Warhols berühmte Elvis-Drucke, weniger an Roy Lichtensteins Comic-Extreme, die sich durch die übergroßen Rasterpunkte auszeichnen, um eine Einordnung zwischen den beiden berühmtesten PopArtlern des 20. Jahrhunderts zu versuchen.

Manufakturen-Blog: Buch-Cover 'Das Manufakturen-Blog-PopArt-Projekt' von Wigmar Bressel (Repro: Wigmar Bressel)

Buch-Cover ‚Das Manufakturen-Blog-PopArt-Projekt‘

Jedes Kunstwerk ist einzigartig – Bressels Bearbeitungen von Fotos von Arbeitstabletts aus der Schmuckmanufaktur Deumer oder Stoffproben der Hemdenmanufaktur Campe & Ohff sind es auch.

Hatzlers Fazit in ihrem Essay: „Auch der traditionell geprägte Betrachter und Kunde, wissend um den Preis, die Herstellung, das Prestige der Produkte, erhält eine Einladung, die ‚Dinge‘ noch einmal neu zu denken… Das macht den Unterschied! Sich lösen vom Gewohnten! Neu denken! Es ist der Versuch, den Bogen vom Begriff ‚Manufaktur‘ zum Begriff ‚Kunst‘ zu spannen. Und den inneren Wert des Manufaktur-Produkts noch einmal anders an die Oberfläche zu holen…

Die Verfremdung kann jedoch auch als Frage an die Manufakturen verstanden werden: Was sind, was können wir alles noch? Wo benötigt unsere Kreativität mehr Raum? Welche Chancen für Innovationen tun sich auf? Denn: Warum verstehen die Betrachter dieser Bilder die Innovationskraft oft besser, als die Manufakteure und ihre Mitarbeiter – also: die Manufaktur-Betriebe – selbst?“


Wigmar Bressel

Das Manufakturen-Blog-PopArt-Projekt

Das Buch zum Projekt auf Instagram: @manufakturenblogpopartprojekt
mit einem Essay von Antje Katrin Hatzler
Design und Layout: Julia Francesca Meuter

Verlag
Der Manufakturen-Blog

140 Seiten in Farbe
Softcover, kaschiert und mit Relieflack, Prägung

ISBN 978-3-9822763-0-4

EUR 29,80

zum Shop

Fotos: Wigmar Bressel

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Wie ein Katalog – nur ohne Messe: ‚Das große Buch der Manufakturen‘ des Olaf Salié

27. April 2020, München. Der Callwey-Verlag präsentiert gemeinsam mit der Verlagsgruppe Die Zeit (ja ja, kleiner geht die Allianz nicht) in diesem Frühling ein umfangreiches Buch (420 Seiten im Überformat) in der Manufakturen-Branche: ‚Das große Buch der Manufakturen‘ – herausgegeben von Olaf Salié. Ein großes und vor allem schweres Buch, das in Text und Form eher schwülstig anmutend daherkommt, wie vor eigenem Kraft-Bewusstsein glücksbesoffen torkelnd auf dem Buchrücken in eigenen Aussagen kondensierend, wie: „Unverzichtbares Nachschlagewerk der schönsten Manufakturen im deutschsprachigen Raum“; man verspricht „mit allen wichtigen Hintergrundinformationen“ ein „umfassendes Hersteller- und Adressverzeichnis“… Man glaubt, man träfe auf die ‚Marktschreiergilde‘.

Selbstüberhöhung und Selbstüberschätzung… es berührt peinlich. Denn niemand steht für die Aussagen in diesem Buch gerade, niemand hat für das Buch recherchiert; die Texte durften die vertretenen Betriebe mithilfe von Profi-Textern selbst schreiben – und je mehr Geld sie für ihr Advertorial (eine Anzeige in Textform, meistens täuschend ähnlich zum redaktionellen Teil eines Mediums von Verlag und Werbeagenturen produziert) bereit waren zu investieren, desto bedeutender durften sie sich darstellen… Olaf Saliés altbekannte Konzeption aus dem unter seiner Leitung insolvent gegangenen Verlag ‚Deutschen Standards‘, das auch auf dieses Projekt angewendet wurde.

Ach – wären das interessante Infos für Sie als Leser gewesen, bevor Sie sich zum Buch-Kauf (oder als Beschenkter: zum Lesen) – entschlossen hätten? Ja? Davon erfahren Sie in diesem Buch nichts. Fühlen Sie sich getäuscht? Dürfen Sie. Denn dieses Buch ist in Wahrheit ein Katalog mit 380 Seiten Advertorials. Ein Buch ohne Autor. Und ohne Verantwortungsgefühl. Dafür für EUR 49,95 im Buchhandel (nun ja – ‚Kataloge‘, zumal zu Spezialfragestellungen, können eben auch teuer sein).

Kaufpreiskalkulation. Über den Preis kann man ein Projekt auch torpedieren. Das Buch ist im Handel (und auch positioniert als Geschenk) viel zu teuer, zumal es ja so fulminant über die sich darstellenden Firmen bereits abbezahlt wurde: jede von ihnen sollte zwischen EUR 980 („Premiumeintrag“) bis EUR 7800 („Partner“) zahlen. „Bewerben“ konnten sich die rund 600 angeschriebenen Firmen allerdings laut Vermarktungs-Exposé auch um einen der (angeblich 100) kostenlosen Grundeinträge… Oh jeh – Lotterie, oder was?

Drumherum. Auch dieses Salié-Buch hatte wieder einen sogenannten „Beirat“: Da er selbst ja Buch-Macher und nicht Sachbuch-Autor oder Schriftsteller ist, sich also ständig mit Dingen beschäftigt, von denen er selbsteinschätzend zu wenig Ahnung hat, bietet er ausgewählten Unternehmern eine Scheinmitsprache an. Diese werden auf Seite 15 des Buches aufgelistet. Für ihre Bereitschaft, ihren Unternehmer-Namen für die Vermarktungsexposés zur Verfügung zu stellen, wurde ihnen ein Rabatt von 50 Prozent auf ihre Einträge angeboten.

Optik. Das Layout des Buches wurde u. a. von Mario Lombardo entwickelt. Lombardo hat ein Büro für solche Fragestellungen, ist seit vielen Jahren bekannt. Lombardo entschied sich für eine mit Straßenzügen und Manufaktur-Namen bedruckte oder tättowierte Hand auf dem leinenartig-gebundenen Titel, die in verschiedenen Farben und Haltungen immer wieder im Buch auftaucht.

Manufakturen-Blog: 'Das große Buch der Manufakturen', Herausgeber Olaf Salie, Edition Die Zeit, Callwey Verlag (Repro: Wigmar Bressel)

‚Das große Buch der Manufakturen‘

Handarbeit. Ein vermutlich klassischer Denkfehler, da in Manufakturen zwar die Mitarbeiter dank ihrer Erfahrung entscheiden – jedoch nur teilweise in Handarbeit produzieren (sonst wären sie ja Handwerker – und keine Manufakturmitarbeiter; ohne Maschinen wären sie gar nicht in der Lage, in Serie zu fertigen).

Mangelnde inhaltliche Sorgfalt. Am Ärgerlichsten an diesem Buch sind die vielen inhaltlichen Fehler oder ‚Ungenauigkeiten‘, die sich aus den unterschiedlichen Interessen der Beteiligten ergeben: Die Zeit versucht mit diesem Buch den Verkauf ihrer Artikel im Zeit-Shop weiter anzukurbeln (im Buch je extra markiert); der Callwey-Verlag war nur bereit das Buch zu produzieren, wenn das finanzielle Risiko null oder gering sei; und die Manufakturen und Nicht-Manufakturen, die nun im Buch vertreten sind, haben als Advertorial-Inserenten halt darauf gepocht, sich so darzustellen, wie es ihnen gerade in den Kram passte. Der Zeit und dem Callwey-Verlag war das offensichtlich vollkommen „schnurz“.

Beispiele dafür gefällig?

Haben Sie schon einmal von der Manufaktur ‚Stand der Dinge‘ (S. 151) gehört? Nein? Kein Wunder – ist ja auch keine. Sondern es handelt sich um Produktgestalterinnen mit einem einzigen Mitarbeiter. Tecnolumen (S. 83) aus Bremen kennen Sie vielleicht wegen der Wagenfeld-Lampe (und der Anti-Plagiat-Kampagne). Jeder, der die Firma kennt, weiß, dass sie im Wesentlichen auswärts von Bremen „in Deutschland und Europa“ (Zitat Selbstdarstellung Firmenhomepage) produzieren lässt – hier wird sie als deutscher Hersteller vorgestellt. Oder Käthe Kruse (S. 342) – nur im Kleingedruckten wird das (Haupt-) Werk in Lettland erwähnt, vergessen auch zu erwähnen, dass das Unternehmen einem chinesischen Spielwarenhersteller gehört. Auf der Titelseite wird ein Unternehmen „Vickermann“ genannt – es heißt Vickermann und Stoya.

Auch textlicher Kitsch wird gerne geboten, wenn die Zeit über sich selbst schreibt (S. 380), dass der eigene Shop „mit erlesenen Manufakturen“ zusammenarbeite – als sei nicht Manufaktur genug für ein Manufakturen-Buch. Alternativ dann dazu irgendwie passend Texte, wie der über den Berliner Brillenhersteller MyKita (S. 269), der praktisch nur aus Marketing-Floskeln besteht.

Woran es noch krankt. Da der ‚Manufaktur‘-Begriff sich in den vergangenen zwanzig Jahren noch einer – vorsichtig formuliert – mäandernden Nutzung ausgesetzt sah (die Eisdiele nennt sich jetzt gerne „Eis Manufaktur“; gibt es wirklich die „Software-Manufaktur“ oder die „Finanzmanufaktur“?), wäre es gut gewesen, wenn dem Buch eine Definition vorangestellt worden wäre, wie Herausgeber und Verlage den Begriff für ihr Buch sehen und wonach sie die Auswahl der Inserenten vorgenommen haben. Es gibt ja zeitgenössische Definitionen (z. B. www.manufaktur-definition.de) – aber dann hätte natürlich ein Teil der Advertorial-Inserenten nicht im Buch erscheinen können.

Ein besonderes Ei legt sich der Verlag abschließend noch selbst, indem er das Buch auch noch auf der letzten bedruckten Seite 416 mit einem eigenen Siegel ausstattet und zu adeln versucht, das tatsächlich behauptet, das Buch sei „mit Liebe und Sorgfalt begleitet von“ einer Person namens „A. Fürbaß“ worden – vermutlich niemand in der Manufakturen-Szene hat von dieser Dame je gehört.

Mein Fazit: Täuschung, Beliebigkeit, Schlampigkeit, zu teuer. Eigentlich startet das Buch mit einem ganz schönen, persönlichen Vorwort von Olaf Salié – aber nach hinten raus ist das Buch doch nur beliebig (in der Aneinanderreihung von zufälligen Manufakturen, manufakturähnlichen Betrieben, Handwerkern und anderen Firmen) sowie unklar in der Ausrichtung und von bemerkenswerter Sorglosigkeit im täuschenden Umgang mit dem Leser, der das vermeintliche Sachbuch ja ernstnehmen könnte. Das Buch bringt die Manufakturen-Sache nicht weiter voran, sondern ist eher ein Rückschritt. Eine Kaufempfehlung kann wirklich nicht gegeben werden.


Olaf Salié (Herausgeber)

Das große Buch der Manufakturen

Callwey GmbH, 2020

ISBN 978-3-7667-2422-9

EUR 49,95

Repros: Wigmar Bressel

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Pascal Johanssen: „Das Anstiften von positiven oder kritischen sozialen Verhaltensweisen“

23. Januar 2020, Berlin. Wenn aus dem Direktorenhaus in Berlin eine neue Publikation angekündigt wird, steigt die Spannung: Niemand hat bisher auf eigenes Risiko so viele Veröffentlichungen zu Manufaktur-Fragen riskiert, wie Pascal Johanssen. Jetzt legt er das Buch ‚Handmade in Germany – Manufactory 4.0‘ vor. 260 Seiten Texte, Interviews und Fotos, in und mit denen gemeinsam er der Frage nach der Manufaktur in Gegenwart und Zukunft nachgeht. Und damit die Gedanken auch aus dem deutschsprachig-kulturellen Schmortopf entweichen können, ist das Buch komplett zweisprachig deutsch-englisch gehalten – 38 Euro Kaufpreis sind gut investiertes Geld, wenn man wissen möchte, wohin die Reise der Manufakturen gehen und welche Bestimmung den Manufakturen in unserem Wirtschaftssystem zukommen könnte…

Ja, Sie haben richtig gelesen: Bestimmung. Denn genauso, wie das Erlernen von handwerklichen Fähigkeiten unser Gehirn anregt und weiterentwickelt, so muss man nur das „Vieles geht“ der freien Kräfte der liberalisierten und globalisierten Marktwirtschaft gedanklich für einen Augenblick verlassen, um sich zu erinnern, dass Dinge und Systeme eine Bestimmung haben können, die sich aus ihrer jeweiligen Immanenz der vielen kleinen typischen Teilchen zusammensetzt und nicht nur Problem, sondern zugleich Lösung anbietet. Bei Pascal Johanssen im Buch klingt das dann so:

„Die These dieses Buches ist, dass wir ein neues Qualitätsverständnis für unsere Produkte brauchen, das Solidität, Agilität und Pietät verbindet. … Pietät schließlich meint in diesem Zusammenhang, eher im antiken Wortsinn, den Respekt vor dem Menschen, als ‚pflichtbewusstes Benehmen gegenüber Mensch und Gott‘. Den Produkten muss eine ethische Komponente eingewoben sein, die ausspricht, dass eine positive Zukunft nicht allein durch technologische und ökonomische Möglichkeiten angetrieben wird, sondern zudem von einer kulturellen Leitidee getragen wird: nämlich von der Vision, ein gutes Leben für möglichst weltweit zehn Milliarden Menschen organisieren zu können.“

Ist das nicht ein aufregendes Zitat aus dem Buch? Daran erinnert zu werden, dass man als kleine Manufaktur und Kunsthandwerker in irgendwo doch am Großen und Ganzen mitarbeitet, man für die Nachhaltigkeit in der Konsumgüter-Branche mit verantwortlich sein könnte?

Ich jedenfalls verabredete mich mit Pascal Johanssen sofort zu einem Telefongespräch über sein neues Buch:

„Das Buch soll eine Lebens- und Arbeitseinstellung zusammenfassen“

Welche Idee steckt hinter dem neuen Buch?

Mir geht es darum, aufzurütteln. Wir haben viele facettenreiche Unternehmen mit Qualitäten, die weit über das reine Produzieren schöner Produkte hinausreichen. Aber niemand weiß das. Viele bewegen sich in Nischen. Man hat das Gefühl, dass das notwendige ‚übergeordnete Gespräch‘ fehlt. Das war mein Ansatzpunkt für das Buch: die Akteure selber zu Wort zu bringen. Sie dazu zu bringen, Chancen und Probleme selbst zu formulieren.

Das Buch ist mit einem aufwändig geprägten Hardcover ausgestattet – aber nach dem Lesen und Betrachten der vielen Fotos versteht man doch: Es ist eigentlich ein Arbeitsbuch mit Thesen zu Manufaktur und artverwandter Produktionsformen. Was hat dich zu dieser Buchausstattung bewogen?

Das Buch ist ja nicht in erster Linie nur für Manufakturen gedacht. Es ist für Leser gedacht, die die Vermutung haben, dass hinter der Fassade der „romantischen“ Manufakturen, von denen man ab und zu liest, eigentlich etwas ganz Anderes steckt: nämlich heutige Unternehmen, die in der Gegenwart leben, aber nicht industriell produzieren und nicht jeden Trend mitmachen. Das Buch soll eine Lebens- und Arbeitseinstellung zusammenfassen.

Mir ging es tatsächlich darum, dass auch Unbeteiligte Eindrücke aus dieser Welt bekommen können – quer durch die Gewerke, quer durch die unterschiedlichen Größen der vorgestellten Betriebe. Bilder sind da natürlich ebenso wichtig wie Texte. Die Typografie des Buches ist vielleicht etwas experimentell, na ja, das ist Geschmacksache!

Zum Inhalt. In deinem vorangestellten Essay fällt das Wort „Pietät“ auf. Was hast du dir bei der Einführung dieses Wortes in den Manufakturen- und Konsum-Gesellschafts-Diskurs gedacht?

Der Begriff Pietät wirkt ziemlich aus der Zeit gefallen, das dachte ich auch schon… er wird ja eher mit Bestattungsunternehmen im Verbindung gebracht. Mir ging es aber um etwas Anderes. Ich wollte ausdrücken, dass Unternehmen heute, nach allem was man weiß, eine Verantwortung tragen: für die Umwelt, den Konsum, das Anstiften von positiven oder kritischen sozialen Verhaltensweisen.

Manufakturen-Blog: Das neue Buch 'Handmade in Germany - Manufactory 4.0' von Pascal Johanssen - versehen mit Arbeitsmarken des Interviewers (Foto: Wigmar Bressel)

Das neue Buch ‚Handmade in Germany – Manufactory 4.0‘ von Pascal Johanssen (versehen mit Arbeitsmarken des Interviewers)

Dieses Verantwortungsbewusstsein trägt heute – gerade in Deutschland – jeder gern vor sich her, jedes Unternehmen, ob es jetzt Windkraftanlagen baut oder Müsli einrührt. Diese demonstrative „Verantwortung“ ist mittlerweile ein Standart-Dispositiv des Ethik-Marketings. Pietät ist leiser. Ein eingeschriebenes Gefühl für Angemessenheit, das man hat oder nicht. Die Produkte der Zukunft müssen neben ihren anderen Produktqualitäten mit einer Selbstverständlichkeit „Gutes“ bewirken, ohne das man darüber ständig reden muss.

Du meinst, du hast ein Wort gesucht, das von den Zeitgeist-Leuten noch nicht leichtfertig verbraucht wurde…

Ja. Zeitgeist ist ja nichts Schlechtes, aber die große „Verantwortungserwartung“, die die heutige Welt jedem abverlangt, macht alles so schwer. Eine selbstverständliche Leichtigkeit, ein intelligenter Umgang mit Ressourcen, wäre doch schon ausreichend.

Du weist im Buch den Manufakturen eine Bedeutung für die Nachhaltigkeits-Wende im Konsumgüterbereich zu. Siehst du in der Produktionsart von produzierendem Handwerk und Manufakturen eine Immanenz in der Frage von Nachhaltigkeit?

Ich habe mir immer die Frage gestellt: Welche Rolle spielt eigentlich ein nicht-industriell produzierendes Unternehmen heute noch? Soll es – wie ein Museum – an althergebrachte Fertigungstechniken erinnern? Natürlich nicht. Manufakturen sind auch nicht einfach Luxusunternehmen, die für die happy few produzieren. Das können gern die Luxuskonzerne übernehmen. Aus meiner Sicht knüpfen Manufakturen an den Werkbund-Gedanken an, an die Frage, was eigentlich ein gutes Produkt ausmacht, das sich in die alltägliche Lebenswelt von normalen Menschen einbringen kann. Die Lösung dieser Frage ist gar nicht so einfach, weil allen ethischen und emotionalen Wünschen immer eine wirtschaftliche Realität für alle Beteiligten entgegensteht. Die Beantwortung der Frage, was ein gutes Produkt heute ist, also die Aktualisierung des Werkbund-Gedankens, kommt an der nachhaltigen Produktion nicht vorbei. Für die Realisierung der Konsumwende haben Manufakturen tatsächlich eine aktuelle Relevanz! Sie können hier etwas leisten, was andere nicht können. Die anderen großen Themen – die Energiewende oder Mobilitätswende etc. – werden zwischen Politik und Industrie ausgehandelt. Hier haben Manufakturen keine messbare Wirkung, sie sind höchstens Ideengeber. Bei der privaten Konsumwende können Manufakturen einschreiten: sie bieten dem Kunden, der das gängige Industrieprodukt sieht und kennt, das etwas bessere Produkt. Die Alternative, die vielleicht sauberer produziert wurde, die etwas schöner ist, bei dem der Kunde vielleicht sogar denjenigen kennt, der es hergestellt hat. Das sind Qualitäten, die Industrieprodukte nur ganz schwer simulieren können.

Fotos: Philipp Haas, Wigmar Bressel

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Pascal Johanssen (ed.)

Handmade in Germany – Manufactory 4.0

deutsch/englisch, Hardcover

EUR 38,00

ISBN 978-3-89790-541-2

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Ausstellung zum nicht-Industrie-Buch ‚Vom Wert der Dinge‘

29. Juni 2019, Bremen. ‚Vom Wert der Dinge‘ ist der Titel des für die Manufakturen-Branche so interessanten Buches von Julia Francesca Meuter. Es entstand im Rahmen ihrer Masterarbeit an der Hochschule für Künste Bremen. An diesem Wochenende gibt es die Ausstellung zum Buch in der spacigen Location ‚Hulsberg Crowd‘ in Bremen als finaler Höhepunkt einer Zwischennutzung zu sehen – dieser Teil des Klinikums Bremen-Mitte wird Ende der kommenden Woche abgerissen, um einem Parkplatz für die Bauarbeiten am Klinikum zu weichen. Viele interessante Studien-Arbeiten kann man kostenfrei zu erkunden – auch diese, in einem perfekt gestalteten Raum – eine Hommage an die nicht-Industrie.

Öffnungszeiten

Sa – So 12.00 – 20.00 Uhr

Mo – Di 14.00 – 19.00 Uhr

Am Schwarzen Meer 142, 28205 Bremen

Hier ein paar Fotos von der Ausstellungseröffnung:

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Julia Francesca Meuter: Vom Wert der Dinge

190 Seiten, 94 Fotos

ISBN 978-3-9814732-4-7

EUR 22,00

zu beziehen über den Verband, den Buchhandel oder Amazon etc.

Link zum Interview mit Julia Francesca Meuter hier im Manufakturen-Blog.

 

Manufakturen-Blog: Zitat Wigmar Bressel, Vorsitzender des Verbandes Deutsche Manufakturen e. V. (Foto eines Wand-Tattoos von Julia Francesca Meuter: Wigmar Bressel)

Zitat Wigmar Bressel, Vorsitzender des Verbandes Deutsche Manufakturen e. V., aus dem Buch ‚Vom Wert der Dinge‘ (Foto eines Wand-Tattoos von Julia Francesca Meuter)

 

Manufakturen-Blog: Hülsberg-Crowd, Jahresausstellung der Hochschule für Kunst Bremen, Ausstellungsbesucher (Foto: Wigmar Bressel)

Die Jahresausstellung 2019 der Hochschule für Kunst Bremen, Ausstellungsbesucher im Raum zur Masterarbeit von Julia Francesca Meuter

Fotos: Wigmar Bressel

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„Es geht um uns selbst“ – Julia Francesca Meuter im Gespräch über ihr Buch ‚Vom Wert der Dinge‘

30. März 2019, Bremen. Im März 2019 erschien im Verlag Deutsche Manufakturen e. V. das Buch zur Masterarbeit von Julia Francesca Meuter: ‚Vom Wert der Dinge‘.

Meuter, Jahrgang 1992, ist in Neapel als Kind deutscher Eltern geboren und aufgewachsen, hat in Florenz den ersten Teil ihres Studiums (Bachelor in Industrie-Design) absolviert, den zweiten Teil in Bremen an der Hochschule für Künste (Master in Integriertes Design). In dieser Arbeit beschäftigte sie sich mit Manufakturen. Die Buchgestaltung war Teil der Masterarbeit.

Wigmar Bressel: Frau Meuter, sind sie durch Ihre Beschäftigung mit Manufakturen schlauer über diese und den ‚Wert der Dinge‘ geworden?

Julia Meuter: Über Manufakturen auf jeden Fall. Meine Vorstellung von Manufakturen entstammte dem, was ich von Manufactum her kannte: eine Welt von Produkten aus Holz oder Naturbelassenem – es ging eben mehr in Richtung Handwerk, als größere Produktionen, die größer als Dinge aus dem Handwerk sind. Es hat mir geholfen einen Einblick zu bekommen, den Begriff auch für mich zu definieren und zu beschreiben.

Wo liegt denn für sie die Bedeutung von Manufakturen und manufakturartigen Betrieben?

Das „Manufakturartige“ ist ja ein bisschen das Problem. Ich habe verstanden, dass es eine Grenze gibt, die der Manufaktur-Begriff umschreibt, sowie eine gewisse Art von Produkten und Ansprüche, die an diese Produkte gestellt werden. Und bei vielen Produkten kann man feststellen, dass das Etikett „Manufakturprodukt“ nur als Marketingbegriff verwendet wird – das Produkt dem jedoch nicht entspricht.

Haben Manufakturen ihrer Meinung nach Zukunft?

Ja. Ich glaube ja. In Anbetracht einer größeren Veränderung unserer Gewohnheiten und unserem Kaufverhalten, in unseren Bedürfnissen auch. Ich glaube, dass Manufakturen in unserer Gesellschaft zukünftig eine große Rolle spielen können. Wenn wir uns darauf einlassen, unseren Konsum etwas zu beschränken, dann können die Produkte, die Manufakturen anbieten, Teil dieser Veränderung sein. Deswegen noch einmal: ja.

Was hat sie im Rahmen ihrer Recherche am Meisten überrascht?

Da ich mich sehr für Entwicklungsprozesse interessiere, fand ich den historischen Hintergrund sehr interessant, aus dem heraus es zur Gründung von Manufakturen kam, die Begriffsentwicklung, wirtschaftliche und soziale Prozesse, die eine Rolle spielten. Außerdem überraschte mich die große Anzahl an unterschiedlichen Bereichen, in denen es Manufakturen gibt. Welche Vielfalt an Produkten hergestellt wird, die alle gebraucht werden. Es hat mich bereichert, darin Einblicke gewährt zu bekommen.

Glauben sie, dass sie selbst einmal in einer Manufaktur arbeiten werden?

Das könnte ich mir vorstellen. Wie sieht die Manufaktur der Zukunft aus? Wie kann man Veränderungen bei Produkten und im Auftritt gestalten? Die Mitarbeit an diesem Prozess fände ich spannend.

Führt sie ihr Weg jetzt zurück nach Italien? Oder bleiben sie in Deutschland? Oder ist es ihnen im Prinzip egal, wo sie arbeiten werden?

Ja, ich würde schon gerne zurück nach Italien. Aber nach vier Jahren in Bremen fühle ich mich hier auch ein bisschen zuhause. Meine Heimatstadt Neapel ist natürlich ein bisschen größer – aber ich muss zugeben, dass ich mich da auch vor allem in meinen Kreisen bewege, und weniger ein Großstadtgefühl habe. Neapel ist trotz der vielen Einwohner auch ein bisschen dörflich.

Was hält sie denn davon ab, jetzt die Werkstatt von Franco und Maria – zwei der Protagonisten ihres Buches – zu übernehmen?

Deren Werkstatt ist ja hauptsächlich handwerklich ausgelegt. Auch wenn ich es interessant finde, was sie machen, ist es nicht wirklich etwas für mich. Ich bin kein Künstler oder Kunsthandwerker. Ich bin Gestalterin. Vermutlich würde mich das rein Handwerkliche nicht erfüllen.

Aber es gibt ja viele Gestalter – ich denke zum Beispiel an Stefanie Hering aus Berlin, die ihr Porzellan ja auch ‚nur‘ entwirft und dann zum Beispiel von der Porzellanmanufaktur Reichenbach in Thüringen fertigen lässt. Es gibt viele Beispiele, in denen am Anfang der Unternehmensgründung ein Designer stand – der am Ende einen großen Fertigungsbetrieb hatte. Zum Beispiel Bernd T. Dibbern von der gleichnamigen Manufaktur. Sie sind gestartet mit einer Idee für Möbel oder Porzellan oder Glas – am Ende hat es ihnen keiner so hergestellt, wie sie es genau wollten. Dann haben sie es eben selbst gemacht – notgedrungen.

Manufakturen-Blog: Buchtitel 'Vom Wert der Dinge' (Grafik: Julia Francesca Meuter)

Buchtitel ‚Vom Wert der Dinge‘ (Grafik: Julia Francesca Meuter)

Ja, das stimmt. Ich bin jedoch auch kein Produktdesigner. Ich habe so zwar mal in Florenz mein Studium begonnen – aber ich mache gerne grafische Gestaltung und ich interessiere mich für breitere Prozesse, als nur für das Endprodukt an sich. Ich interessiere mich dafür, wie ein Produkt soziale oder menschliche Beziehungen verändern kann. Wie Manufakturen ein Teil einer anderen wirtschaftlichen Entwicklung sein könnten. Wie die Gesamtsumme der Prozesse unsere Entwicklung beeinflussen kann.

Aber die Frage ist dann ja: Wer ist ihr Auftraggeber? Wer hat daran ein Interesse? Wie kann man das einbringen – und zu welchem Zweck will man es einbringen?

Überall da, wo es Entscheidungsprozesse gibt, wo es Entwicklungsprozesse gibt, wo es Probleme gibt, die gelöst werden müssen. Es geht ein Stück weit um den öffentlichen Raum, der gestaltet werden muss – und da reichen eben Architekten nicht aus, sondern es bedarf Kulturwissens und vieler Wissensrichtungen, damit ein Umbau oder ein Neubau nicht floppt. Dafür werden wir heute ausgebildet.

In ihrem Buch stellen sie ja die These auf, dass wir unsere Gesellschaften ohne große Verluste in unserem Konsumverhalten wandeln könnten. Jedoch haben Menschenmassen und Gruppen oft keine Lust sich zu wandeln. Sie leben so vor sich hin, wie sie es kennen. Was denken sie: Wird das ein Kampf, eine Überzeugungsleistung – oder ist das eine Einsicht, die eigentlich schon da ist und unter dem bisherigen Verhalten schlummert und nur geweckt werden will? Ich meine: Konsumkritik gab es ja schon immer.

Genau – Konsumkritik gab es schon immer. Leute, die dafür warben, dass man nicht so viel oder überhaupt nicht fliegt, dass man Müll trennt, Plastik wiederverwertet. Wir scheinen mir inzwischen einen Schritt weiter. Es gibt ja diese Schülerbewegung ‚Fridays for Future‘, die europaweit für Veränderungen in der Klimapolitik demonstriert. Es scheint immer mehr Menschen unvermeidbar, dass sich etwas ändern muss. Und dass es uns einzelnen Menschen obliegt, zu entscheiden, wen wir an die Macht wählen.

Ich habe jetzt vor einigen Wochen beschlossen, keine Bananen und keine Mangos mehr zu kaufen, weil der Frachtweg zu weit ist. Es gibt andere Obst- und Gemüsesorten, die mehr Kalium als Bananen haben und näher angebaut werden – das kann man für sich ja einmal ausprobieren. Auch kleine Entscheidungen machen einen Unterschied.

In der Zeitschrift ‚National Geografic‘ stand, es ginge ja nicht darum, die Welt zu retten – sondern diese für uns. Es geht um uns selbst. Wenn die Meeresspiegel immer weiter steigen, dann ist es nicht nur für die Küstenstädte, sondern ziemlich schnell für uns alle ein Problem.

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Julia Francesca Meuter: Vom Wert der Dinge

190 Seiten, 94 Fotos

ISBN 978-3-9814732-4-7

EUR 22,00

Foto: privat

Grafik: Julia Francesca Meuter

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Bernhard Hoetgers Jubiläumsbesteck für Koch & Bergfeld

9. August 2018, Bremen. Wie es halt oft so ist. Jetzt gibt es das Buch zum Jubiläumsbesteck, das damals keiner wollte. Inzwischen liegen die wenigen produzierten Besteckteile in den Museen – und jeder Sammler hätte sie gerne… Der Designer Horst Heeren hat sich die Mühe gemacht, alle auffindbaren Details zu Bernhard Hoetgers Industrie-Design und seiner Arbeit für die Silberwarenmanufaktur Koch & Bergfeld in jahrelanger Arbeit zusammenzutragen.

Bernhard Hoetger (1874 Hörde – 1949 Interlaken) – bekannter Kunst- und Architektur-Tausendsassa, berühmt geworden mit der Gestaltung der Böttcherstraße in Bremen, dem Renommierobjekt des Erfinders des entkoffeinierten Kaffees (‚Kaffee Hag‘), Ludwig Roselius, und verschiedenen Bauten in der damaligen Künstlerkolonie Worpswede, des Cafés ‚Winuwuk‘ in Bad Harzburg und des ‚Muluru‘ im niederländischen Zandvoort; Vertreter des sogenannten ‚Norddeutschen Expressionismus‘.

Manufakturen-Blog: Bernhard Hoetger (1874 - 1949)

Bernhard Hoetger (1874 – 1949, Foto: Archiv Böttcherstraße Bremen)

Wenig bekannt ist, dass Hoetger sich zweimal mit Besteck beschäftigt hat – einmal für sein neues Haus in Fischerhude (im Jahr 1914), ein zweites Mal im Auftrag der Bremer Silberwarenmanufaktur Koch & Bergfeld zu deren 100. Jubiläum im Jahr 1929. Es entstanden unter der Modellnummer 66400 originelle Besteckteile, die vielleicht eher an das Design von Pott erinnern, als für Koch & Bergfeld standen. Aber – das Besteck war auch noch zu teuer in der Produktion. 50 % über dem Verkaufspreis anderer bekannter Modelle (wie des ‚Spaten‘ und der ‚Faden‘-Modelle von Gottfried Koch sowie der ‚Bremer Lilie‘ von Hugo Leven) – das passte nicht zur Weltwirtschaftskrise, zum verlorenen 1. Weltkrieg und dem „Diktatfrieden von Versailles“. Schon nach kurzer Zeit wurde die gestalterische Idee aus Quadraten bei Löffeln und Gabeln sowie Dreiecken bei den Messergriffen überarbeitet und eine gefälligere und einfachere Version entwickelt. Aber auch die wollte nicht richtig verfangen. Hoetger fiel zudem bei den Nationalsozialisten als „entartet“ in Ungnade. Dann kam der Krieg. Danach schmolz Koch & Bergfeld die wenigen schon existierenden Hoetger-Prägewerkzeug ein, machte den Stahl zu Geld. Hoetger selbst starb schon im Jahr 1949 in schweizerischen Interlaken, wohin er aus Berlin vor den alliierten Bombenangriffen geflohen war, und geriet aus dem Blick. Aus die Maus.

Manufakturen-Blog: Bernhard Hoetgers Besteck 66400 im Katalog von Koch & Bergfeld - die Gabelrückseite zeigt schön den Umschwung nach hinten (Repro: Wigmar Bressel)

Hoetgers Besteck 66400 im Katalog von Koch & Bergfeld – die Gabelrückseite zeigt schön den Umschwung des Quadrats nach hinten

Manufakturen-Blog: Suppenschöpfer von Hoetgers Besteck 66400 im Foliant bei Koch & Bergfeld (Repro: Wigmar Bressel)

Suppenschöpfer von Hoetgers Besteck 66400 im Foliant bei Koch & Bergfeld

„Heute, bald einhundert Jahre nach seinem Entstehen, hat dieses Besteckmodell noch immer eine spannungsvolle Originalität“, schreibt Horst Heeren in seinem Buch. „Das Besteck und Silbergerät von Hoetger besticht durch großzügig angelegte ungebrochene Linien und Flächen, die dem Material Silber absolut entsprechen und ihm seine ureigene Wirkung ermöglichen.“ Die Formen von Dreieck und Quadrat seien formal überzeugend eingebunden – dabei die Anforderungen der maschinellen Serienfertigung beachtet: „Diese Synthese, in dieser Deutlichkeit und Vollkommenheit, gibt es kaum bei einem anderen mir geläufigen Besteck.“

Manufakturen-Blog: Horst Heerens Buchtitel zu 'Bernhard Hoetger' (Repro: Wigmar Bressel)

Horst Heerens Buchtitel zu ‚Bernhard Hoetger…‘

Horst Heerens Urteil darf man ruhig vertrauen – er hat sein ganzes Leben in der Silberwarenbranche gearbeitet, wurde doppelt ausgebildet als Entwurfszeichner und Silberschmied bei Koch & Bergfeld. Und als Designer hat er sein persönliches „Meisterstück“ im Jahr 1967 mit dem UEFA-Champions-League-Pokal abgeliefert.

Buch ‚Horst J. Heeren: Bernhard Hoetger Industrie-Design 1928, K & B Besteck 66400 1929, Werkverzeichnis 2018‘, 102 Seiten Farbe, viele Fotos und Repros, EUR 30,00 – zu beziehen über Koch & Bergfeld und den Autor selbst.

Repros: Wigmar Bressel

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