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Flair Modellbrillen / Dr. Eugen Beck GmbH & Co. KG als ‚Manufaktur des Jahres 2017‘ ausgezeichnet

19. Mai 2017, Bremen. Der Verband Deutsche Manufakturen hat wieder die „Manufaktur des Jahres“ gewählt. Ausgezeichnet wird im Jahr 2017 die Flair Modellbrillen / Dr. Eugen Beck GmbH & Co. KG aus Oelde/Westfalen. Die Begründung für die Auszeichnung ist die vor 50 Jahren erfolgte erfolgreiche Einführung des Markennamens ‚Flair‘ und das Lebenswerk des Unternehmers Gunter Fink, der mit zahlreichen Innovationen und Ideen die 120-Mitarbeiter-Manufaktur zum Global Player weiterentwickelt hat. Flair-Brillen erhalten Brillenträger heute in 60 Ländern.

Eigentlich wollte Eugen Beck im Jahr nach Ende des Zweiten Weltkriegs Plastikkämme herstellen – ein frisch eingestellter Mitarbeiter, der durch die Kriegswirren aus Brandenburg nach Oelde gelangt war, überzeugte ihn jedoch beharrlich, es mit Brillengestellen aus Plastik zu versuchen. Aus Plastik wurde Acetat. Aus Acetat wurde Metall. Aus Metall wurde schon in den 1970er Jahren ‚rahmenlos‘. Die Idee hinter allem: Die leichteste Brille der Welt zu fertigen. Und dem Brillenträger einen höchstmöglichen Tragekomfort zu ermöglichen.

So ähnlich kam es auch zum Markennamen Flair: Dem Unternehmen wurde als Standort die alte Funkstation auf dem 174 Meter hohen Mackenberg – der höchsten Erhebung im östlichen Münsterland – zugewiesen. Die Funkstation ist immer noch als eines von mehreren Gebäuden Werksbestandteil. Aber das Gelände um sie herum ist heute ein Naturschutzgebiet. Und auch die Teilnehmer des denkwürdigen Brainstormings im Jahr 1967 empfanden, Ort und Lage schon als Luxus. Überliefert ist aus diesem der Ausspruch, man produzieren doch „in einem tollen Flair“ – so entstanden früher Markennamen bei Mittelständlern.

In Gunter Finks Zeit kamen die rasanten Innovationen: Brillengestelle, die unzerbrechlich wurden, Brillengestelle ohne Schrauben in den Bügeln, rahmenlose Gestelle, deren Gläser mit Nylonfäden verbunden statt geschraubt wurden. Brillengestelle, die aus Naturfasern gefertigt werden. Garantiert Nickelfrei. Oder aus reinem Gold. Manchmal entwickelt mit führenden japanischen Technologieunternehmen. Designed von Collani oder praktisch unbekannten Industriedesignern oder Mitarbeitern. Inhouse in 3-D-Simulationen zur Produktentwicklung umgesetzt, außerhalb des Naturschutzgebietes – wie behördlich vorgeschrieben – lackiert. Akribisch mit selbstentwickelten Maschinen auf Bruchfestigkeit getestet – und doch alles mit sehr viel Handarbeit im Detail gefertigt.

Das Unternehmen verlassen heute täglich 500 Brillengestelle in alle Welt. Bereits mit echtem, entspiegelten Brillenglas versehen – der Kunde soll schließlich sofort wissen, dass irgendetwas ‚anders‘ ist.

„Am Beispiel Flair können andere Manufakturen viel lernen. Verbesserung, Verbesserung, und noch einmal Verbesserung des Produkts – darum muss es Manufakturen gehen. Das ist das, was der Kunde am Ende fühlt und spürt. Das möchte er haben, dafür ist er bereit den Produktionsstandort Deutschland zu bezahlen. Wir sind froh, mit unserer Auszeichnung auf diese Vorzeige-Manufaktur hinweisen zu können“, sagte Wigmar Bressel, Vorsitzender des Verbandes deutsche Manufakturen, in seiner Laudatio.

Weitere Informationen & Ansprechpartner:

Wigmar Bressel, Verband Deutsche Manufakturen, Tel. 0421 – 55 90 6-20

www.deutsche-manufakturen.org

Letta Siebert-Daniel, Flair, Tel. 0 25 21 – 84 00 48

www.flair.de

Manufakturen-Blog: Flair wude als ‚Manufaktur des Jahres 2017‘ ausgezeichnet – v. l. Verbandsvorsitzender Wigmar Bressel, von Flair Sven Reiß, Magida Sahli, Ralf Bode und Verbandsvize Hartmut Gehring (Foto: Martin Specht)

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SZ-Magazin lässt sechs Künstler Porzellan als Unikat bemalen – eine Benefiz-Aktion

29. April 2017, München. Das SZ-Magazin – die Magazin-Beilage der Süddeutschen Zeitung am Freitag – hat eine Kooperation für den ‚guten Zweck‘ geschmiedet: Sechs internationale Künstler und Illustratoren bemalen ausgesuchte Einzelteile von deutschen Porzellanherstellern. Die Manufakturen Dibbern, Fürstenberg, KPM, Meissen und Nymphenburg – sowie Rosenthal als eher industrieller Betrieb – haben bei der Aktion mitgemacht. Jetzt kann man sich mit Spenden um die Zulosung der Kunstwerke bewerben.

Dibbern (‚Manufaktur des Jahres 2015‘) hat die Titelseite des SZ-Magazins vom 28. April 2017 abbekommen: Der Pariser Künstler Jean Jullien durfte sechs weiße Schalen und Teller aus der Form ‚Motion‘ mit naiv gezeichneten Elefanten (wie für ein Kinderbuch) gestalten – einfach bemalt mit einem Porzellanmalstift mit schwarzer Farbe. Bettina Göttsch, die das Projekt bei Dibbern betreut hat, sagt: „Wir hatten erst überlegt, ob wir echte Porzellanfarbe schicken. Dann, ob der Künstler nicht besser zu uns kommt und von uns angeleitet wird. Schließlich, ob wir ihn Grafiken entwerfen lassen und wir diese dann selbst drucken lassen und einbrennen – aber dafür reichte die Zeit nicht, der Vorlauf war einfach zu kurz. Das macht aber letztenendes auch nichts.“ Der Künstler erhielt den Pozellan-Malstift, auf die Schnelle aufgetrieben in London.

Nun sind Julliens Dibbern-Ideen auf dem SZ-Magazin-Titel, versehen mit einer knackigen, SZ-Magazin-typischen Überschrift: „Elefant im Porzellanladen“. Dibbern-Geschäftsführer Ben Dibbern freut sich über den Coup, der ihn genaugenommen nur ein bisschen Zeit und ein paar weiße Porzellanteile plus Farbe und Versand gekostet hat: „Das ist eine super Aktion.“

Auch in der niedersächsischen Porzellanmanufaktur Fürstenberg (dort findet am 11.-12. Mai 2017 das 9. Zukunftsforum Deutsche Manufakturen statt) herrscht gute Laune. Andreas Blumberg, Leiter Marketing & Kommunikation des im Jahr 1747 gegründeten Unternehmens, erzählt: „Wir haben mit Geoff McFetridge in Los Angeles zwar nur telefonieren können, hatten aber trotzdem einen intensiven Austausch.

Wir haben ihn beraten, wie er mit der Farbe umgehen muss, dass sie im Backofen ‚gebrannt‘ werden kann – allerdings auch nur als Verzierung hält und nicht spülmaschinenfest sein kann. Und wie man die Kunstwerke heil aus Kalifornien zum Fotoshooting zurückbekommt.“

Dann ging die Reise von vier Teilen der neuen Form ‚Fluen‘ (gerade von Alfredo Häberli für Fürstenberg entworfen) auf die Reise nach Kalifornien.

Auch die anderen Porzellane wurden interessant verändert, denn die Form tritt bei jedem neuen Design hinter die Bemalung zurück: ‚Kurland‘ von KPM comicartig von Stefan Marx, MeissensNeuer Ausschnitt‘ von Serge Bloch mit orangegewandeten naiven Figuren; der US-Illustrator Andy Rementer malte zwei Porträts auf die ‚Suomi‘-Kannen von Rosenthal, ein großes Karo-Muster erhielten zwei Teile aus Nymphenburgs Form ‚Lotos‘ von der New Yorkerin Leanne Shapton.

Die Zulosung eines der Porzellane erfolgt so: Man soll mindestens fünf Euro für den ‚SZ-Adventskalender‘ oder ‚Ärzte ohne Grenzen‘ spenden. Auf dem Überweisungsträger soll man den Namen eines der Porzellane (präzise: Porzellan + Künstlername) eintragen. Eine von der Bank gestempelte Kopie des Überweisungsträger soll man dann bis zum 24. Mai 2017 an das SZ-Magazin schicken oder faxen. Daraus generiert das SZ-Magazin dann pro fünf Euro ein Los. Klingt möglicherweise etwas kompliziert? Man wird es ja lesen, ob die Porzellane verlost wurden.

Foto: Wigmar Bressel (Ausschnitt eines Fotos von Rafael Krötz auf der Titelseite des SZ-Magazins vom 28.04.2017)

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Einladung zum 9. Zukunftsforum Deutsche Manufakturen

Herzliche Einladung zur Verleihung der Auszeichnungen
Manufaktur des Jahres 2017
Manufaktur-Produkt des Jahres 2017
am 11. Mai in Fürstenberg im Rahmen des 9. Zukunftsforums Deutsche Manufakturen

Sehr geehrte Damen und Herren,
liebe Manufakteure,

wie fänden Sie es, wenn sich eine Möglichkeit auftäte, den Manufakturen-Begriff vor Missbrauch durch Dienstleister und Importeure, Handwerker und Hobbyaktivisten zu schützen – und Ihrer Manufaktur die besondere Stellung zurückzugeben, die sie verdient? Trauen Sie den deutschen Manufakturen einen eigenen Klang, eine ‚Soundmarke‘ zu? Fänden Sie es spannend, gemeinsam ein Shop-in-Shop-System zu entwickeln, um – zum Beispiel – dem Sterben Ihres Einzelhandels etwas entgegenzusetzen? Das sind Fragen, die wir gerne mit Ihnen diskutieren wollen…

Wir treffen uns zum 9. Zukunftsforum Deutsche Manufakturen am 11. und 12. Mai 2017 in der Porzellanmanufaktur Fürstenberg im gleichnamigen Ort bei Höxter im Weserbergland. Die berühmte Manufaktur, gegründet im Jahr 1747 durch Herzog Carl I. von Braunschweig-Wolfenbüttel – ist heute immer noch in niedersächsischem Staatsbesitz. Fürstenberg hat gerade seinen ‚Mitmach-Bereich‘ und den musealen Teil mit großem Aufwand auf den neuesten Stand gebracht. Auch Fürstenberg hat in den vergangenen Jahren die eigene ‚Aufstellung‘ verändert und sich Individualreisenden und Endverbraucher-Kunden weiter geöffnet. Geschäftsführerin Stephanie Saalfeld führt uns durch den Betrieb und erklärt die Konzeption.

Das Programm mit dem Anmeldeformular für das Zukunftsforum mit dem Titel

Projekte für Manufakturen

finden Sie auf unserer Homepage als PDF zum Herunterladen – nutzen Sie die Gelegenheit, sich Denkanstöße für Ihren Betrieb zu holen!

Wir laden Sie aber auch wieder ganz herzlich ein zur Verleihung der Auszeichnungen „Manufaktur des Jahres“ sowie „Manufaktur-Produkt des Jahres“. Die Verleihungen der Auszeichnungen des Wettbewerbs 2017 finden im Rahmen des Zukunftsforums am 11. Mai 2017 um 19.00 Uhr im Schloss Fürstenberg statt.
Die Teilnahme an der Abendveranstaltung mit den Preisverleihungen ist frei und unabhängig von der Teilnahme am Zukunftsforum.

Wir freuen uns schon auf Ihre Anmeldung für dieses traditionelle Treffen der Manufakturen-Branche und wünschen Ihnen eine gute Anreise!

Bremen, im April 2017

Wigmar Bressel
Hartmut Gehring
– Vorstand –

Deutsche Manufakturen e. V.   Kirchweg 200   28199 Bremen   Tel. 0421 – 55 90 6-20   Fax 55 90 6-55   VR 7441 HB   www.deutsche-manufakturen.org
Vorsitzender: Wigmar Bressel (Koch & Bergfeld Besteckmanufaktur) stellv. Vorsitzender: Hartmut Gehring (Gehring Schneidwaren)
Beirat: Lothar Göthel (SGT Spezial- und Gerätetaschen), Dr. Thomas Koy (Holzmanufaktur Liebich), Andreas Mann (SeitzMann), Elmar. J. Merget (Weigang), Wolfram Mümmler (e+m holzprodukte), Andreas Müller (Mühle Rasurkultur), Matthias Vickermann (Vickermann und Stoya)

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Game of Gnomes

13. April 2017, Gräfenroda. Reinhard Griebel führt in Gräfenroda die letzte Manufaktur für Gartenzwerge – vor allem Deutsche und Amerikaner lieben sie noch. Ein Werkstattbericht.

Den Handschlag zur Begrüßung gibt Reinhard Griebel direkt durchs Fenster, hinein in den Märchen-Hof. Dort steht man also und realisiert nur langsam die Unwirklichkeit dieser Gegenwart, sie wirkt wie getuscht von ein paar Pixar-Zeichnern. Die reale Begrüßungshand von Griebel führt zu einem kleinen Männerkörper, darauf ein knubbelrundes Gesicht, so pudermatt und sanft wie der gebrannte Ton Tausender Zwerge, die hier wohnen. Griebel lächelt, kommen Sie doch herein, und während dies geschieht, denkt man an diesen Spruch von den Herrchen und ihren Tieren, die einander mit den Jahren immer ähnlicher würden und vielleicht ja nicht nur die.

Schon auf dem Papier hatte alles ja geklungen wie gemalt. Es war, nein, es ist einmal: Reinhard Griebel aus Gräfenroda in Thüringen, Betreiber der letzten deutschen Manufaktur für Gartenzwerge. Das Märchen ist also echt, und es verliert nicht dadurch, dass sein Beginn und sein Ende im Reich des Ungewissen liegen.

Es war einmal, nein, es könnte einmal so gewesen sein, dass die Wiege aller Gartenzwerge in Gräfenroda stand. Reinhard Griebel hat praktischerweise gleich selbst eine Chronik für sein Gartenzwergmuseum zusammengetragen. Sie nimmt ihren Anfang Mitte des 19. Jahrhunderts bei Heinrich Dornheim, der in Gräfenroda mit seiner „Thierköpferei“, so schreibt es Griebel, „eine Tradition begründen würde, die sich bis heute trotz vieler Hindernisse und Anfeindungen erhalten hat.“ Bei ihm gelernt haben soll auch Philipp Griebel, ein Vorfahr, der Dornheim 14 Jahre lang diente und schließlich seine eigene Manufaktur eröffnete.

Die Bergleute waren seinerzeit wegen ihres Arbeitsumfeldes „von kleinem Wuchs“ und der alte Griebel soll bei Begegnungen mit ihnen auf die Idee mit den Zwergen gekommen sein. Sein Urgroßvater Philipp habe damit Mut und Fleiß der Bergleute würdigen wollen, sagt Griebel und das mache ihn zu einem der „Väter der Gnome“.

Reinhard Griebel hat viel getan, damit diesen Anschein wirklich niemand als trügerisch empfinden muss, sogar Postkarten hat er drucken lassen: Gräfenroda, „birth place of the garden gnome“.

Von „Hindernissen und Anfeindungen“ in der Folge dieser Geburt gäbe es nun mehr Geschichten zu erzählen, als man so denkt. Hier nur die jüngeren: Bald nach dem Zweiten Weltkrieg verbot ein Ministerium Familie Griebel, ihre Produkte im eigenen Land zu verkaufen. Der Zwerg sollte als Ausfuhrware Devisen bringen, „für den einfachen Bürger hier waren nur Zwerge zweiter Wahl und Exportüberhang vorgesehen“, sagt Reinhard Griebel, aber er weiß auch, dass ein solcher Überhang mit etwas Findigkeit letztlich immer irgendwie organisiert werden konnte. 1985 teilte die DDR Griebels Vater schließlich mit, er möge seinen Betrieb doch bitte ganz schließen und sich wie seine Mitbewerber der neu zu schaffenden „Gräfenroda-Keramik“ anschließen. Nachdem der Scheinriese DDR wenig später gefallen war, erkämpfte sich Familie Griebel den Betrieb zurück und erlebte gute Jahre.

Mehr zu erzählen gäbe es auch von den realen „Zwergenkongressen“ und den Zweifeln, die es dort an der Person Griebel (Selbstdarsteller!) und seiner Version der Genesis des Gartenzwerges gibt – manche sagen etwa, der Ur-Zwerg komme aus Drawno in Polen, und darüber dürfte man sich noch ewig streiten können. Faktisch aber bleibt es so, dass Reinhard Griebel und seine Frau als Letzte in diesem Land in nennenswertem Umfang und von Hand Zwerge produzieren, während andere nur darüber reden. Und wenn die Griebels schon derart emsig ihren Betrieb führen, dann darf man bei allen Zweifeln auch mal eine alte Weisheit aus dem Habitat der Zwerge hervorkramen: Ohne Arbeit, früh bis spät, kann dir nichts geraten / Der Neid sieht nur das Blumenbeet, aber nicht den Spaten.

Reinhard Griebel produziert heute an 200 Tagen im Jahr 4000 bis 5000 Zwerge, ein Drittel bleibt in Deutschland, ein weiteres geht in die USA, ein letztes ins europäische Ausland. In Deutschland heißen die Zwerge noch immer Fritz oder Gustav oder Herbert, in Frankreich verkaufen sie sich besser als: Jacques. Das Geschäft ist also international, das ist gut, weil neue Märkte erschlossen wurden, das ist aber auch schlecht, weil Deutschland keine heißherzige Nation der Gartenzwergfans mehr ist.

Und Internationalisierung ist ja selten eine Einbahnstraße. In China, sagt Griebel ohne Groll, gießen die Hersteller in großen Fabriken aus einer Plastikform bis zu 100 000 Zwerge, das macht dann einen Euro Stückkosten in der Produktion. Griebel hingegen verwendet Gipsformen, er kann ihnen mal 40, mal 45 Zwerge abringen, „dann verschwindet das Gesicht“. Bei anspruchsvollen Modellen kommen nicht selten mehr als zehn verschiedene Formen für Einzelteile zum Einsatz, wenn ein Zwerg zum Beispiel Pfeife raucht, dann braucht es allein dafür schon zwei Güsse.

Es ist eine gewisse Übersichtlichkeit, die Griebels Werkstatt in Gräfenroda auszeichnet, und es herrscht in ihr exakt jene nur minimale Unordnung, ohne die es keine echte Gemütlichkeit geben kann. Die Werkstatt ist das, was Olli Dittrichs Dittsche muggelig nennen würde, und sie ist auch eine Sturmhütte gegen die Massenware und ein Lazarett für Reinhard Griebels eigenes, letztes Aufgebot – die gebrannten Zwerge liegen auch mal flach darnieder und herum, ohne Füße oder mit abgeplatzten Fingern. Sie sind Helden der Handarbeit.

„Wir sind keine Politiker, wir arbeiten mit der Hand“, sagt auch Reinhard Griebel, das ist ihm wichtig. Er hat sich, weit mehr im Guten als im Schlechten, eingefunden in und abgefunden mit der Rolle des Mohikaners, des bis zum möglichen Schluss treuen Handwerktätigen.

Griebel sagt, er sei mit den Zwergen groß geworden, und das ist eine so schöne Formulierung, dass man sie eigentlich nicht mit Erläuterungen verunreinigen möchte. Aber: Reinhard Griebel meint damit, dass die Zwerge für ihn an erster Stelle nie Kunst waren oder Kitsch, sondern stets ehrlicher Täglichbrot-Erwerb. Deswegen befragt er sich auch mit 63 Jahren nicht, ob ihn die Allgegenwart der Gnome auch einmal ermüden könnte. Deswegen erzählt er mit glaubwürdiger Überzeugung davon, dass es auf der Welt doch im Grunde kein besseres Kollegium geben könne als seine Zwerge: „Die schimpfen nicht, die sprechen nicht und die lächeln den ganzen Tag, was will ich denn mehr?“

Ein wenig mehr Anerkennung, das wäre schon was, nicht für ihn, aber für die Zwerge. Der Gartenzwerg gilt als Schutzheiliger des deutschen Spießertums, und wenn ein junger Mensch sich heute damit eindeckt, dann steht er unter dem ernsten Verdacht zwanghaften Ironisierens. Dabei ist das Handwerk von Reinhard Griebel ein filigran-anspruchsvolles wie andere auch und objektiv betrachtet nicht minder von Wert. Subjektiv betrachtet dürften einem als Zwerg die Nasen anderer in der Regel gerümpft erscheinen.

Griebel hat sich eine schöne kleine Verbalskizze für diese Ungerechtigkeit der Welt zurechtgelegt, sie geht so: „Wenn ich zum Beispiel eine Schiller-Büste mache, dann kostet es 4000 bis 5000 Euro, die so zu modellieren, dass die Leute sagen: Ja, das ist Schiller. Wenn ich Schiller dann aber eine Zipfelmütze aufsetze, dann darf er plötzlich nur noch ein Zehntel kosten, weil dann ist es ja Kitsch.“

Nur, warum ist das so? „Man braucht die Zwerge erst mal nicht. Ein Leben ohne Gartenzwerge ist für viele nichts Besonderes“, sagt Griebel, was eine noch höfliche Formulierung für jene altbekannte Grausamkeit ist, dernach Kleine schon deswegen gern geschubst werden, weil sie es mit sich machen lassen. Griebel macht sich über diese seine kleine Welt wie auch über die große vor dem Tore so seine Gedanken, sie sind frei, auch während der Arbeit, „und das Schöne ist ja, man kann den Zwergen viel erzählen und sie erzählen es nicht weiter.“

Manchmal, sagt Griebel, ist es auch andersherum. „1999 war das, da hatte doch jeder auf der Welt einen Wunsch, wie es im neuen Jahrtausend weitergehen solle, und da haben mir die Zwerge erzählt: Wir wollen eine Frau.“ Ein so nachvollziehbarer wie eigener Wunsch, waren die Zwerge doch aus den Gnomen hervorgegangen und die Gnome wie beschrieben inspiriert von den Bergleuten, in deren Stollen wiederum keine Frauen hatten arbeiten dürfen. Griebel entschied sich für die Moderne, er schuf die „Gräfin Roda“ und er landete dafür, kein Scherz: vor Gericht.

Die Internationale Vereinigung zum Schutz der Gartenzwerge lud Griebel vor das Zwergengericht in Basel. Worauf lautete die Anklage? „Nicht statutengerecht, weil kein Bart“, sagt Griebel, er wurde dann tatsächlich verurteilt, wobei er strafmildernd in eigener Sache nicht unerwähnt lassen möchte, dass es schon auch lustig gewesen sei, „die Richter trugen ja alle Zipfelmützen. Aber es war gleichzeitig sehr ernst, schließlich ging es um eine Frau, und da war ja auch die Frage, was passiert, wenn bei den Zwergen die Frauen und die Männer mal zusammen im Ofen sind.“

Das Zwergengericht jedenfalls erlegte Griebel auf, die Produktion der Gräfin einzustellen und nur noch Restbestände zu verkaufen. Die Restbestände halten sich auf wundersame Weise bis heute, immer wieder tauchen irgendwo ein paar neue Gräfinnen auf, und wer weiß, vielleicht passiert ja wirklich etwas in den Öfen, die nachts im Schutz der Dunkelheit ziemlich ordentliche Betriebstemperaturen erreichen. Offiziell brennt Griebel nachts, weil da der Strom günstiger ist, aber nicht nur er weiß, was sich auf Munkeln reimt.

Um den Zwergennachwuchs ist es auf längere Sicht trotzdem nicht gut bestellt. Griebel wird nicht bis zu seinem Jüngsten Tage in der Werkstatt stehen, seine beiden Kinder haben sogenannte ordentliche Berufe ergriffen – und auf den dauerhaften Bestand der Nachfrage würde selbst der Hausherr keine Wette abgeben. Griebel schwankt zwischen sanftmütigem Fatalismus und zarter Hoffnung, wenn er über die Zukunft der Zwerge nachdenkt, mal formuliert er ein Stellenprofil für seinen möglichen Nachfolger (kein Manager-Typ!), mal kommt er wieder auf die Chinesen zu sprechen, die ja eben auch nicht doof seien und die oberflächlichen Interessen auch des hiesigen Marktes am Ende besser bedienen könnten.

Womöglich ist es so, dass der Zwerg demnächst ein weiteres Mal zu einer deutschen Symbolfigur wird. In Thüringen diskutiert die Landespolitik gerade heftig eine Verwaltungs- und Gebietsreform, die helfen soll, den Bevölkerungsrückgang und das Ausglühen vor allem kleinerer Orte aufzufangen. Auch um Gräfenroda wickelte die Treuhand nach der Wiedervereinigung das Abenteuerland ab, nur etwas mehr als 3000 Einwohner sind geblieben, und wenn man den Märchenhof der Griebels verlässt und über die Autobahn davonrauscht, dann kann man eine Weile auf dem schönen Wort Jing-Jin-Ji herumkauen, von dem im Radio die Rede ist, dieser geplanten chinesischen Metropolregion mit ihren vermutlich 130 Millionen Einwohnern.

Im Film war es einst auch so, dass dem handgeschaffenen Gartenzwerg das Ende drohte. In Go Trabi Go 2 – Das war der wilde Osten reiste Udo Strutz in die USA, rumpelstilzte einen Millionen-Investor herbei und kehrte als Held zurück. Nur war das eben kein reales Märchen, und in der Realität ist es leider so, dass der Präsident der USA angekündigt hat, seinem Land zu neuer Größe zu verhelfen. Der Zeitgeist, er sprach sich auch in dieser Ankündigung mal wieder deutlich gegen die Zwerge aus.

Lizensierter Nachdruck des Artikels in der Süddeutschen Zeitung vom 8./9. April 2017. Dank an den Fotografen Moritz Frankenberg für die Erlaubnis zur kostenfreien Nutzung seiner wunderbaren Fotos!

Fotos: Moritz Frankenberg

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Handschuh-Hersteller Roeckl versucht Insolvenz in Eigenverantwortung in den Griff zu kriegen

7. April 2017, München. Deutschlands traditionsreiche Handschuhmanufaktur Roeckl ist in Insolvenz: 290 000 Euro Verlust bei 18 Millionen Euro Umsatz in 2016 brachten die Roeckl Handschuhe & Accessoires GmbH & Co. KG derart in Schieflage, dass der Gang zum Gericht beschritten werden musste, berichtet die Süddeutsche Zeitung.

Lichtblick: Die Insolvenz soll in Eigenverantwortung abgewickelt und selbst Lösungen mit den Gläubigern gefunden werden.

Das im Jahr 1839 gegründete Unternehmen Roeckl befindet sich seit einiger Zeit im ‚Umbau‘: Eine sportliche Linie wurde entwickelt, das Sortiment wurde breiter gemacht. Zu den berühmten und von Vielen geschätzten feinen Handschuhen kamen zahlreiche weitere Accessoires hinzu.

Das war auch eine sinnvolle Entscheidung der geschäftsführenden Gesellschafterin Annette Roeckl, die das Unternehmen in sechster Generation führt, – denn der traditionelle Handschuh für die kalte Jahreszeit benötigt ebendiese – Kälte.

Wenn die Erderwärmung die Kälte jedoch immer öfter ausfallen lässt und die Mode nicht so sehr auf die behandschuhte Hand drängt, dann hilft perspektivisch nur die Erweiterung auf Accessoires, die auch tauglich für weniger tiefe Temperaturen sind.

Einstweilen soll laut Süddeutscher Zeitung 45 Mitarbeitern gekündigt worden sein, sieben Standorte (wie das Geschäft in der Bremer Katharinenklosterhof-Passage auf den Fotos) wurden geschlossen.

Annette Roeckl wurde im Jahr 2014 im Handelsblatt zitiert: „Das Unternehmen ist jetzt 175 Jahre alt… Jede meiner Entscheidungen soll so sein, dass die Firma nochmal so lange bestehen kann.“

Ich drücke die Daumen für gute Entscheidungen!

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Döttling-Tresore: Wenn alle Versuche der Serie von Kunden zu Einzelstücken gemacht werden

14. März 2017, Sindelfingen. Allgemeine Tresor-Definition: Ein Tresor ist ein schwerer Schrank, an dem sich der Einbrecher die Zähne ausbeißt. Döttlings Definition: Der Tresor ist ein Wohnmöbel, das seinen Besitzer glücklich macht, und an dem sich jeder Unbefugte die Zähne ausbeißt.

Im baden-württembergischen Sindelfingen wurde im Jahr 1919 die berühmte Schlosserei gegründet – nur dass man dort den Begriff ‚Schlosserei‘ eben etwas wörtlicher nimmt: Die Tresor-Manufaktur Döttling baut weltbekannte Tresore, restauriert alte ‚Sicherheitsmöbel‘ und entwickelte einen einzigartigen ‚Uhrenbeweger‘, der die teuren Armbanduhren seiner Eigentümer am Laufen hält, da die oft vielen Uhren nicht alle gleichzeitig getragen werden können. Interesseant ist sicherlich auch eine Partnerschaft mit Karl Lagerfeld beim Luxus-Tresor Narcissus.

Die neun Mitarbeiter arbeiten inzwischen in einem hochmodernen Gebäude. Die Geschäfte werden weltweit getätigt – es wird viel gereist. Und die PR-Frau sitzt in der englischen Grafschaft Kent.

Ein Gespräch mit dem geschäftsführenden Gesellschafter Andreas Schlittenhardt.

Herr Schlittenhardt, was ist das Geheimnis Ihrer Tresore?

Ich glaube, das Besondere ist sicherlich, dass jedes unserer Stücke immer ein individuelles Einzelstück ist, gefertigt nach den persönlichen Vorstellungen seines zukünftigen Besitzers. Es gibt bei uns keine Serienfertigung, kein Lager. Kein Döttling-Tresor ist wie der andere, jeder ein Unikat. Das gibt es auf dem Markt nicht noch einmal. Dazu kommt der ausgeprägte Innovationsgeist, der fester Bestandteil der Döttling-DNA ist. Wir haben beispielsweise den ersten und einzigen Reisesafe der Welt entwickelt (The Guardian), den ersten Tresor mit einer transparenten Türe aus Panzerglas (The Gallery), den ersten Uhrenbeweger, der sich nach dem Zufallsprinzip und über Kopf bewegt (Gyrowinder) oder den ersten Safe mit hinter dem Innenraum einschwingenden, sprich im geöffneten Zustand unsichtbaren Türen (The Chameleon).

Ihre Tresore zeichnen sich neben der ausgefeilten Mechanik durch ihre luxuriöse ‚Verpackung‘ aus – Zebrafell, eingebaute Uhrenbeweger, Holz jeder Art… wie wichtig ist der ‚Innenausstattungs-Anteil‘, der ‚Tresor als Möbel‘, für Ihre Kunden?

Extrem wichtig! Wir sagen immer: Wir bauen die einzigen Safes, die der Kunde nicht hinter einem Bild oder im Keller versteckt, sondern ins Wohnzimmer stellt, am liebsten offen. Unsere Tresore sind am Ende Stück für Stück die ganz persönliche Projektionsfläche für die Wünsche und den Stil unserer Kunden. Von pinkfarbenem Rochenleder über das Lieblings-Segel eines Yachtliebhabers bis zum Fell von Rindern aus der eigenen Rinderzucht eines Farmbesitzers, von Schuhregalen über Uhrenbeweger, Humidore und Cognac Bars bis hin zu Waffenhalterungen – es gibt fast nichts, was wir nicht schon verarbeitet hätten. Im Innenraum wie auf der Außenfläche.

Manufakturen-Blog: Andreas Schlittenhardt (Foto: Döttling)

Andreas Schlittenhardt ist bei Döttling Geschäftsführer für Controlling und Marketing (Foto: Döttling)

Ist Ihren Kunden die mechanische Technik, das Geräusch, das solch ein Tresor beim Aufschließen macht, wichtig?

Absolut. Viele unserer Kunden sind begeisterte Automobilbesitzer oder Uhrensammler und schätzen ,höchste Ingenieurkunst‘ per se. Die Begeisterung für einen Döttling-Tresor kommt nicht alleine durch das Erscheinungsbild, sondern vor allem durch die eingebaute Technik – ganz egal ob diese 200 Jahre alt ist oder hochmodern. Da kommt bei vielen Kunden der Entdeckergeist durch.

Was denken Sie – was bewahren Ihre Kunden in Ihren Tresoren auf?

Das kommt ganz auf die Ausstattung des Tresors an. Alle unsere Tresore sind maßgeschneidert, um den Ansprüchen des Kunden entgegenzukommen. Viele unserer Kunden wollen ihre Uhrensammlung sicher aufbewahren. Dazu lassen wir Uhrenbeweger einbauen. Andere verwahren klassisch ihren Schmuck oder Dokumente auf. Aber es gibt auch Kunden, die ihren Tresor als Waffenschrank nutzen oder ihre Zigarren in einem speziell eingebauten Humidor lagern. Wir haben vor Jahren einen Safe für eine Dame in New York gebaut, die ihre Lieblings-Schuhe von Louboutin darin aufbewahrt. Es gibt kaum etwas, das wir nicht schon gesehen hätten.

Da sich Ihre Tresore bei Ihren Kunden vermutlich in modernen und sowieso gesicherten Immobilien aufhalten – glauben Sie, dass sich Ihre Sicherheitsschränke eher gegen das persönliche Umfeld Ihrer Kunden denn gegen Einbrecher richten?

Ein Kunde aus Mexiko hat einmal zu mir gesagt: „Mein Safe bleibt immer offen. Wer es lebend in mein Wohnzimmer schafft, hat es verdient, ihn leer zu machen.“ Tatsächlich sind die Grundstücke und Immobilien unserer Kunden so gesichert, dass viele den Safe nur schließen, wenn sie sich in einen längeren Urlaub begeben.

Sie haben sich mit Ihrer Firma auch noch ein zweites Feld begeben – das der mechanischen ‚Uhrenbeweger‘. Wie kam es dazu?

Viele unserer Kunden sind Uhrensammler von handgefertigten Chronographen, die im Idealfall ständig in Bewegung sein sollten. Da reicht es natürlich nicht aus, die Uhr „einfach nur“ in eine Schmuckschublade zu legen. Aus diesem Grund bieten wir mechanische Uhrenbeweger als Modul an, die die Chronographen aufgezogen halten.

Was zeichnet Ihre Uhrenbeweger aus?

Hier möchte ich speziell auf unseren Gyrowinder eingehen, der ein einzigartiges Ingenieurskunstwerk ist: Das hochpräzise Instrument ermöglicht ein vollkommen freies Drehen der Uhr in alle Richtungen – also inklusive Totalüberschlag – was dem Tragen der Uhr am Handgelenk am nächsten kommt. Bereits dadurch hebt sich der Gyrowinder markant von herkömmlichen Uhrenbewegern ab, die eine Uhr lediglich auf einer festen Achse entweder nach links oder nach rechts drehen.

Wie groß ist die Konkurrenz auf solch einem Spezialgebiet?

Es gibt natürlich auch andere Tresorhersteller weltweit und viele werben damit vermeintlich individuelle Stücke zu produzieren. Da wird dann eine einfache Sonderlackierung plötzlich zur Individualisierung. Am Ende merkt der Kunde schnell, dass die Meisten an ihre Grenzen stoßen, wenn es um wirklich Maßgeschneidertes geht. Was Döttling neben der absoluten Individualfertigung abhebt, ist unsere Expertise auf dem Gebiet der antiken Tresorrestauration. Da sind wir weltweit die einzige Manufaktur, die sich darauf spezialisiert hat. Und unser Expertenteam an Restaurateuren ist absolut einzigartig.

Macht Sie die Bearbeitung und immer weitere Verfeinerung der Lösungen dieser an Sie gestellten Aufgaben zufrieden – mit anderen Worten: Befriedigt Sie Ihre Arbeit?

Über alle Maßen! Jeder neue Auftrag ist eine Herausforderung und eine kleine Abenteuerreise. Besonders spannend ist die Restauration antiker Tresore. Darin besteht ein besonderer Reiz, diese Zeitzeugen alter Handwerkskunst zu bewahren und mit modernster Sicherheitstechnologie zu kombinieren. Dieser Arbeitsprozess ist äußert befriedigend. Es gibt kaum einen Wunsch, den wir dem Kunden nicht erfüllen können. Wenn sie am Ende jemandem, der wirklich schon alles gesehen hat und besitzt, seinen Safe ausliefern und der bekommt fast feuchte Augen vor Begeisterung – das ist unbezahlbar.

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Ambiente 2017: Kochen, essen, schreiben – was Sie Neues von deutschen Manufakturen gesehen haben sollten

13.02.2017, Frankfurt am Main. Die größte Überraschung auf der Konsumgütermesse Ambiente 2017 bescherte mir Römertopf: Wenn die Manufaktur aus Ransbach-Baumbach im Westerwald im 50. Jahr ihres Bestehens für ein neues Produkt gleich die Tongrube wechselt, genau genommen statt ausschließlich in Moschheim Ton einzukaufen, nun auch noch in Niederahr ordert, dann bleibt der Besucher verdutzt am Stand stehen und fragt sich, was los ist. 50 Jahre Terracotta – und nun dies.

Michel Rouland ist immer noch der Frontmann, auch die anderen Mitarbeiter am Stand in Halle 3.1 sind vertraut. Aber da stehen rechts und links der Gesprächszone mit den vielen terrakottafarbenen, offenporigen und im Betrieb zu wässernden Römertöpfen – die berühmten Töpfe für das fettfreie Braten gegen die Kalorien des deutschen Wirtschaftswunders – anthrazitfarbene Kochgeschirre, die glasiert glänzen, und hinzu kommt eine große Grillstation sowie Plakate, auf deren Fotos die neuen Töpfe im Feuer stehen: „Römertopf goes BBQ“.

Okay. Die neuen Kochgeschirre sind aus einem anderen Ton – der feuerfest ist. Und das konnte eben der bisherige terrakottafarbene Ton nicht. Außerdem hat der neue Ton eine ganz feine Beschaffenheit, fühlt sich seidig matt an (z. B. auf der Innenseite des Deckels) – und ist cremeweiß. Damit der Topf diesmal keine Feuchtigkeit aufnimmt und im Feuer platzt, wurde er glasiert. In einer faszinierenden Farbe – es ist anthrazit. Erinnert jedoch gerade bei den runden Töpfen sehr an Stahlhelme. Gemüse anbraten, Chilli vom Grill – ich glaube, Männer werden diese Farbe lieben und die Töpfe zum In-die-Glut-stellen – mit ihrer ursprünglichen Art, vielleicht am ehesten zu beschreiben als: Nomaden-Art – zum Renner machen. Verkaufspreise ab 34 Euro.

Noch eine neue Idee zum Thema Kochen kommt von Mono in Halle 4.0. Die Besteckmanufaktur aus Mettmann (mit der weiteren Marke Pott und Sarah Wiener als Aushängeschild für eine Pott-Messer-Serie) hat ihren Messestand neu in geschmackvollem Moosgrün eingerichtet – trotz blauschwarzen Mono-Logos (gut!). Und sich etwas Neues zum Thema Topfdeckel ausgetüftelt. Wohlgemerkt zum Deckel – denn „Mono steigt nicht in die Topfproduktion ein“, sagt Geschäftsführer Wilhelm Seibel.

Aber der neue Deckel kann etwas: Auf der Unterseite sind feine Silikonringe angebracht. Da der Deckel nach unten gewölbt ist, kann man ihn praktisch in jedem Winkel auf verschiedenste Töpfe aufsetzen – das Wasser tropft nach innen ab, er kommt danach auch tropffrei aus der Geschirrspülmaschine. Außerdem verfügt er über einen Kaltgriff und man kann auf ihm – besser: in ihm – den Kochlöffel ablegen sowie alternativ dort das Schnittgut aufbewahren, bis alles geschnippelt ist und in den Topf soll. Bezeichnend ist auch der Produktname: mono multitop. Verkaufspreise: 48 bzw. 58 Euro (22cm/26 cm).

Für den Handel gibt es eine raffinierte Kampagne unter wasistdas.mono.de, in der der Endverbraucher sich in der Zeit vom 24. April bis 26. Mai 2017 Gedanken machen soll, was das neue Teil wohl sei, seine Ideen dazu bei Mono einreichen und Einkaufsgutscheine gewinnen kann.

Marc Weyersberg mit seiner Kupfermanufaktur aus Starzach baut sein Sortiment weiter aus. Zu den induktionsherdgeeigneten und keramikbeschichteten Bratpfannen und Backformen gibt es weitere Größen, die Mini-Stielcasserole für die Vorspeisen, Tarteform, jetzt kommt ein sehr großer Bräter hinzu. „Ich habe inzwischen zwölf Töpfe und Pfannen zu einem Preis von mehr als 500 Euro Verkaufspreis im Handel – damit bin ich hier in der Halle 3.1 sicherlich einzigartig“, grübelt Weyersberg offen nach. Halle 3.1 – das ist die mit den großen deutschen und europäischen Koch-Marken. Teuer scheint kein Problem: Die Kupfermanufaktur Weyersberg hat den Stückumsatz bei diesen teuren Luxus-Geräten vervierfacht, hat überhaupt einen tollen Lauf.

Auch die Gehring-Brüder Hartmut und Volker aus Solingen haben sich dem Kochen verschrieben – genaugenommen dem Schneiden. 2000 verschiedene Kochmesser entstanden im Laufe der bisher 60jährigen Firmengeschichte. Ganz neu aus der Manufaktur, die ja in Deutschland der Vorreiter der Damaststahl-Messer ist: Messer aus Damaststahl mit teilgeprägten und polierten Klingen. Das Muster – eine Gras-Struktur – ist geschützt; eine andere, aussehend nach Hammerschlag (aber geprägt), wurden gerade mit dem Design-plus-Preis 2017 für Nachhaltigkeit ausgezeichnet, die Messer sind auch in der sogenannten ‚Galleria 1‘ ausgestellt.

Ein Arbeitsgang mehr – und das Interesse der großen Händler ist riesig. Solche Messer hat man noch nicht gesehen. Verkaufspreis ab 50 Euro.

Neuester Promi-Koch mit Gehring-Messern ist Johann Lafer.

Einen anderen Weg geht die ebenfalls Solinger Messermanufaktur Güde. Inhaber Dr. Peter Born treibt das ‚intellektuelle‘  Damastmesser weiter auf die Spitze. Deutscher Damaststahl in der Version ‚Wilder Damast‘ wird 300-lagig zwei Tage geschmiedet. Die Griffhölzer sind aus bis zu 1500 Jahre altem Wüsten-Eisenholz. Das Holz ist genauso toll strukturiert wie der ‚Wilde Damast‘, schwer zu bearbeiten, wie es der harte Name schon sagt, eine Kostbarkeit. Das neue Messer mit extrem breiter Klinge – eine Mischung aus chinesischem Kochmesser und Fleischerbeil – bleibt demensprechend etwas für den Liebhaber oder fanatischen Koch – es kostet 1800 Euro.

Dafür hat sich Peter Born einmal hingesetzt und die Geschichte des Messers aufgeschrieben – von der Steinzeit bis heute: Herstellung, Stahl, Holz, Messer, Pflege und Aufbewahrung. Zweisprachig deutsch-englisch: „Die Messer. The Knives.“ Bestellenswert!

Von der Herstellung zum Dinieren. Am Stand der Porzellanmanufaktur Dibbern aus Bargteheide in der Halle 4.1 ist immer was los. Dibbern geht nicht zur Messe ohne neue Vorschläge an Handel und Gastronomie. Ben Dibbern: „Wir haben Art déco im Angebot, skandinavisches Design und eine vielleicht als Retro empfundene neue Form mit dem Namen ‚Heritage‘.“ Alles aber in Fine Bone China, weiß und bunt natürlich zum Mixen.

Viele Händler waren überrascht – schon öfter war Dibbern seiner Zeit voraus. Manches Projekt wurde meiner Meinung nach zu schnell abgebrochen (ich sag nur: ‚Miami‘). Abwarten ist jedoch nicht die Art der drei Herren, die die Geschäfte sehr erfolgreich lenken. Vielleicht geben sie Handel und Kunden diesmal eine Chance, sich hinterher zu entwickeln. Oder auch wieder nicht.

Eine ganz andere Strategie verfolgt die Porzellanmanufaktur Fürstenberg im Parallelgang, im Jahr 1747 gegründet und in der gleichnamigen Burg oberhalb Höxters zu Hause. Mitte März 2017 eröffnet dort das neue Porzellanmuseum mit Mitmachbereich. Nachdem die Manufaktur im niedersächsischen Staatsbesitz (gehalten über die NordLB) sich über die Jahrhunderte ihren besonderen Ruf für ihre Porzellanmalerei erarbeitet hat, gibt es jetzt eine radikale Erweiterung: Mit der Beauftragung des argentinisch-schweizerischen Designers Alfredo Häberli gelangen weitere neue Formen, die nach meinem Eindruck noch mehr auf die Gastronomie abzielen. Unter dem Namen ‚Fluen‘ entstand echtes Gebrauchsporzellan. Gebrauchsporzellan auch deshalb, weil die Preise echt verträglich sind und gastronomiefähig. Auch die gedruckten Dekore als Alternative zum ewigen Weiß sind gut: Strahlenringe in Braun und Beige (Dekor ‚Fine Lines‘) oder geschwenkte Kreise in Mint und Gold und Blau auf dem Tellerrand – bei weißen Essflächen (Dekor ‚Shifting Colors‘) . Los geht’s bei untypischen 20 Euro.

Ich möchte Sie noch zu einem Gang in die Halle 11.1 animieren. Es hat sehr entfernt auch noch etwas mit essen und trinken zu tun. Dort möchte ich Ihnen einen Gang zur  renommierten Schreibgeräte-Manufaktur e+m holzprodukte aus Neumarkt in der Oberpfalz empfehlen. Wolfram Mümmler und seine Frau Brigitte leiten ein seit vier Familiengenerationen bestehendes Unternehmen, das die tollsten Schreibgeräte aus Holz drechselt. Hört sich nach ‚regional‘ an? Nein, hingehen! Neueste Kracher: Kugelschreiber aus dem Holz alter Weinreben gedrechselt (250 Euro). Oder aus dem Holz bisheriger Barrique-Fässer (190 Euro). Oder hauchdünne Kugelschreiber (1 cm Durchmesser) namens ‚Style‘ und ‚Style.us‘ aus Wildkirsche, Wenge, Zebrano oder Walnuss, mit deren Kappe man Handys bedienen kann (z. B. wenn man Handschuhe trägt oder das Gefühl hätte, man hätte zu dicke Finger) – ab 35 Euro.

Das mittelständische Unternehmen war mal der große deutsche Federhalter-Hersteller. Im Krieg schwerst getroffen, hatte es sich vierzig Jahre nach ’45 wieder so weltweit verbreitet, dass ein amerikanischer Präsident namens Ronald Reagan einen wichtigen Vertrag mit einem Holzschreibgerät der Familie Mümmler unterschrieb – und auf einem Foto reckte er den Kugelschreiber hinterher in die Kamera.

Die Ambiente 2017 geht noch bis zum 14. Februar, 17.00 Uhr, Tageskarte 37 Euro.

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Von Weihnachtsmännern, Krippen und dem Christkind – Marolins Papiermaché aus dem Schiefergebirge

16. Dezember 2016, Steinach. Eine der faszinierendsten Manufakturen, die uns die deutsche Wiedervereinigung beschert hat, ist der Figuren-Hersteller Marolin aus dem thüringischen Steinach. Faszinierend, weil das Unternehmen seit dem Jahr 1900 Weihnachtsmänner, Osterhasen, Krippen aus der selbstentwickelten und markenrechtlich geschützten Marolin-Masse herstellt – einer Papiermaché, die ähnlich Porzellan entweder in Model gedrückt oder in Gipsformen gegossen wird; anschließend erfolgt das Bemalen von Hand.

Das Unternehmen wurde von Richard Mahr gegründet und gemeinsam mit seiner Frau Minna entwickelt. Mahr war figürlicher Porzellanmaler, hatte auch in einer Porzellanmanufaktur gearbeitet. Er beschloss sich jedoch auf Papiermaché zu konzentrieren – er vermutete einen Wettbewerbsvorteil bei den Kunden im Vergleich zum teureren Porzellan. Er tüftelte und probierte – irgendwann hatte er das passende Material, gab ihm die ersten beiden Buchstaben seines Namens. Und tatsächlich machte das Unternehmen seinen Weg, beschäftigte vor dem 2. Weltkrieg bis zu 150 Mitarbeiter. Im Jahr 1940 erfolgte die kriegsbedingte Einstellung der Produktion.

Nach dem Krieg der Neustart – aber mit der Block-Bildung und der Zugehörigkeit zum Ostblock das Aus für Krippen und Weihnachtsmänner, Osterhasen und anderen Schmuck aus Marolin für die Jahreszeitenfeste. Vorläufiger Tiefpunkt: Die Enteignung im Jahr 1974, die Überführung in einen  „Volkseigenen Betrieb“ („VEB“) und schließlich als Betriebsteil eines Kombinats. Was der Ostblock beim Betriebsteil „Marolin“ orderte, waren Plastik-Spielfiguren im Spritzgussverfahren. Und irgendwann auch der Westen: Vedes, Karstadt, ToysRus bestellten günstig in Steinach in der DDR.

Dann kam das Ende der DDR… Evelyn Forkel, Urenkelin des Firmengründers, studierte Bauingenieurin, wandte sich gemeinsam mit ihrem Vater, der im Außenhandel des Kombinates, das sich das elterliche Unternehmen einverleibt hatte, weitergearbeitet hatte, an die Treuhand, kaufte den früheren Familienbetrieb zurück. Es schwang Nostalgie mit – aber es war auch eine Flucht nach vorn: Das Geschäft mit den Kunststoff-Spielzeugtieren lief und hätte doch eine Zukunft auch nach der Wiedervereinigung bieten können… Bot es aber nicht. In kürzester Zeit waren die West-Kunden aufgrund steigender Löhne und Gehälter weg. Und guter Rat teuer.

Wirklich teuer. Denn das Marolin-Rezept war auch weg. Es galt schon lange als verloren. Weil sich zu DDR-Zeiten niemand mehr dafür interessiert hatte. Ein großer Brand hatte sich im Jahr 1958 durch die Fachwerkimmobilie gefressen, auch noch viele alte Formen vernichtet.

Beim großen Aufräumen gab es die Überraschung: Auf einer Kellertür stand das verlorengeglaubte Rezept geschrieben, hatte in der Unbeachtung überlebt – und das Unternehmen konnte zu seinen Wurzeln zurückkehren.

Unter der Bezeichnung Papiermaché wurden schon verschiedenste Massen angerührt – die von Marolin besteht aus Ton, Kaolin, Pflanzenleim – und eben Papierfasern. Hinzu kommen Skelettdrähte, die den größeren Figuren zusätzliche Stabilität verleihen. Die genaue Zusammensetzung ist natürlich ein Betriebsgeheimmnis.

Tja, handbemalte Papiermaché – ökologisches und nachhaltiges Material hin, modernste zertifizierte Acrylfarben her – braucht das irgendjemand im 21. Jahrhundert? Waren nicht die schwerverwüstlichen Kunststoffspritzguss-Spielzeugtiere genau das Richtige für Kinder?

Christian Forkel, Richard Mahrs Ururenkel, der Verkauf und Marketing von Marolin leitet, sieht das natürlich auch so: „Echte Marolin-Figuren sind eher empfindlich. Ähnlich Porzellan. Es kann etwas abbrechen – und sie dürfen besser nicht runterfallen. Obwohl wir Vieles reparieren können.“ Und sie wären auch teures Spielzeug: Kleine Figuren kosten schonmal dreißig Euro, große mehr als hundert und mehr.

„Es handelt sich auch im eigentlichen Sinn nicht um Spielzeug, sondern um Design und Kunsthandwerk.“ Vielleicht auch Kulthandwerk – seriell – aus der Manufaktur. Denn die Figuren haben einen ganz eigenen Charme. Ihnen fehlt die Lackiertheit von Porzellanfiguren. Sie sind angenehm leicht, wirken fast zerbrechlich. Die Gestaltung ist eher naturalistisch… – aber kann man das von einer Figur, wie dem Weihnachtsmann, überhaupt sagen?

Marolin fertigt rund 50 verschiedene Weihnachtsmänner – in verschiedenen Größen und Ausführungen – der Verrückteste sitzt in einer Art Seifenkiste aus einem großen Schuh, ein Anderer aus den 1950er Jahren trägt ein Kind – dem Christkind sehr ähnlich – auf seiner Schulter. Forkel: „Das kann man ironisch sehen – die Figur entstand unter dem Eindruck der jungen DDR.“

In Zeiten von Facebook werden Diskussionen dazu „socialnetworkend“ geführt. Eintrag auf der Marolin-Facebook-Seite: „Lasst doch diesen neumodischen Kram“ – gemeint ist der Weihnachtsmann.

Dabei ist der Weihnachtsmann eine der wirklich alten Figuren der Menschheit. An der Martin-Luther-Universität in Halle an der Saale sitzt ‚der‘ deutsche Spezialist für den Weihnachtsmann – der Ethnologe Professor Dr. Thomas Hauschild. Hauschild veröffentlichte im Jahr 2012 den 6000 Mal verkauften wissenschaftlichen Bestseller „Weihnachtsmann – die wahre Geschichte“ (S. Fischer Wissenschaft, ISBN 978-3-10-030063-8) – im Gespräch dazu sagte er mir: „Die Idee vom Weihnachtsmann entstand vermutlich zuerst in Asien. In China gibt es den Gott Shou Xing, den kann man seit etwa dreitausend Jahren nachweisen. Der sieht unserem heutigen westlichen Weihnachtsmann sehr ähnlich – roter Mantel, weißer Bart, individueller Helfer im kalten Winter und ansprechbar für ein langes Leben.“ Und: Shou Xing fährt im rentiergezogenen Schlitten über das Firmament. „Dann gibt es den ‚Weißen Alten‘, der aus dem Himalaya in die Mongolei hinabsteigt – der ist auch sehr alt, aber mangels schriftlicher Zeugnisse schwer zu datieren.“ Und um 600, 700 unserer Zeitrechnung taucht der Bischoff von Myra (heute: Demre) aus Kleinasien bei uns auf – Nikolaus. Hauschild: „Man muss die Seidenstraße mitdenken, den uralten Austausch. Die Chinesen tauchten um Fünfzehnhundert mit Schiffen, die dreimal so groß waren, wie die von Columbus, an der Ostküste Afrikas auf. Da war der Austausch um die Idee vom Weihnachtsmann längst in vollem Gang. Ich denke, seit dem frühen Mittelalter war der Weihnachtsmann bei uns in Europa ein Faktor. Aber ich spreche sowieso lieber von einem Geflecht, er ist heute überall auf der Welt anzutreffen – die Weihnachtsmann-Idee ist gut und groß. Sie gehört zur Menschheit. Kindern und Alten, Schwachen und Kranken in Dunkelheit und Kälte zu helfen und ihnen etwas zu schenken – das ist eine einfache und zugleich starke Idee. Man könnte auch sagen: Der Weihnachtsmann steht für die Menschenrechte.“

Und das Christkind? Hauschild: „Das Christkind ist ja eine Idee der Reformation, von Martin Luther und der evangelischen Bewegung, sollte den Weihnachtsmann-Kult eindämmen und dem Christentum etwas für die kalten Tage und Nächte im Winter geben – es konnte sich jedoch nie durchsetzen. Kurioserweise ist es heute eher in katholischen Gegenden zu Hause. Aber es ist einfach nicht spannend genug.“

Heute fertigt Marolin – ganz korrekt: die Richard Mahr GmbH – wieder rund 1300 verschiedenste Figuren. Aus der selbstentwickelten Marolin-Masse. Nach den Entwürfen von Richard Mahr selbst, aber vor allem nach denen seines Mitarbeiters Julius Weigelt, inzwischen aber auch nach denen seines Ururenkels Christian Forkel. Wenn man Forkel folgenden Halbsatz hinwirft: „Das Weihnachtsgeschäft ist…“, dann beendet er ihn irgendwie seufzend so: „…dominierend. Wir machen 80 Prozent unseres Jahresumsatzes in dieser Zeit. Schöner wäre es, wenn es kontinuierlicher liefe – aber es ist eben so.“ Einzige Unterbrechung: die Osterzeit mit den Osterhasen – auch wieder so ein Marolin-Thema.

Marolin baut einstweilen Weihnachten weiter aus. Inzwischen hat man sich das Bemalen von Glas angeeignet, historische Formen für Weihnachtsbaumschmuck aus Thüringen aufgekauft. Forkel: „Viele Leute sind die modernen Farbvorgaben aus dem Handel – dieses Jahr pink, nächstes Jahr blau – leid. Sie wollen traditionellen Schmuck kaufen können. Das bieten wir jetzt auch.“ Gerade ging der neue Internet-Shop online.

Fotos: Christian Forkel, Wigmar Bressel

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„Industrie 4.0 ist in der Manufaktur kein Widerspruch“

29. November 2016, Raubling. Die Wirtschaft steht an der Schwelle zur vierten industriellen Revolution. Durch das Internet getrieben, wachsen reale und virtuelle Welt immer weiter zu einem Internet der Dinge zusammen. Die Kennzeichen der künftigen Form der Industrieproduktion sind die starke Individualisierung der Produkte unter den Bedingungen einer hoch flexibilisierten Produktion, die weitgehende Integration von Kundinnen und Kunden sowie Geschäftspartnerinnen und -partnern in Geschäfts- und Wertschöpfungsprozesse und die Verkopplung von Produktion und hochwertigen Dienstleistungen, die in sogenannten hybriden Produkten mündet. Die deutsche Industrie hat jetzt die Chance, die vierte industrielle Revolution aktiv mitzugestalten. Mit dem Zukunftsprojekt Industrie 4.0 wollen wir diesen Prozess unterstützen.

Ist Industrie 4.0 in der Manufaktur ein Widerspruch? ‚Made in Germany‘ ist als Marke nicht mehr selbstverständlich ein Garant für die Zukunft Deutschlands als Technologiestandort. Nicht stehen bleiben, sondern sich weiter entwickeln heißt die Devise, um weiterhin wettbewerbsfähig zu bleiben. Industrie 4.0 stellt uns vor neue Herausforderungen, bietet aber auch enorme Chancen.

Wir von der IDE-Compressors Manufaktur haben uns zu allererst gefragt, ob Industrie 4.0 überhaupt ein Thema ist, das sich in einer Maschinenbaumanufaktur wirkungsvoll verwirklichen lässt – oder stellt es bei aller Prozessautomatisierung eher einen Hemmschuh dar?

Wie stellt man jedoch den eigenen Betrieb zukunftssicher auf, macht ihn „Industrie 4.0 ready“ und wappnet sich für die digitale Zukunft?

Im Austausch mit einigen Gesprächspartnern stellte ich immer wieder fest, dass oft der Wald vor lauter Bäumen nicht gesehen wird und viele das Thema mit der alleinigen Digitalisierung der Produktion assoziieren.

Industrie 4.0 bietet jedoch sehr viel mehr Möglichkeiten.

Es ist notwendig, Netzwerke zu schaffen, die unsere Manufaktur befähigen, überproportionale Auftragsvolumina so zu handhaben, dass am Ende auch noch ein Ertrag dasteht. Dies bedeutet, mit verlängerten Werkbänken zu arbeiten. Natürlich streben wir nach kontinuierlicher Auslastung, wir können sie jedoch nur bedingt steuern – und gegen Einbrüche im Auftragseingang ist man nicht gefeit. Dafür braucht es dann Ideen, um die Beschäftigung aufrecht zu erhalten.

Der Service ist im Bereich Maschinen- und Anlagenbau ein kontinuierlich wachsender Bereich. Über den Service hinaus sind wir dabei, eine Reihe von Dienstleistungen herauszuarbeiten. Wir sind im Bereich der vernetzten Kompressoren und Füllanlagen sicherlich Vordenker und in einigen Bereichen Technologieführer. Unser Angebot geht eher in Richtung Nullserienfertigung und Ablaufmanagement.

Das Leitmotto ‚Industrie 4.0‘ der Hannover Messe war genau der richtige Impuls. Jetzt gilt es, gemeinsam auch mit Marktbegleitern an definierten Schnittstellen zu arbeiten, um die Vernetzung von Maschinen und Anlagen – insbesondere in der Klein- und Nullserienfertigung – zu standardisieren. Wir werden hier unsere Kernkompetenz, die wir uns in der Entwicklung von Hard- und Softwareschnittstellen und Steuerungen erarbeitet haben, weiter ausbauen und uns als Problemlöser grundsätzlich für alle auf dem Atemluft- und Hochdruckkompressoren-Markt anbieten.

Wir haben 2015 entschieden, dass wir eine komplett neue modulare Digitale HMI-Steuerung und -Überwachung entwickeln werden. Mit diesen modularen Steuerungen werden am Ende mehrere Maschinen-Baureihen ausgestattet.

Damit wollen wir interessierte Kunden, die beispielsweise Anlagen benötigen, die mit einem digital vernetzten Rundum-Sorglos-Paket ausgerüstet sind, gewinnen und bedienen.

Das Gros unserer Wettbewerber ist auf Masse getrimmt. IDE-Compressors Manufaktur ist eine Ideenfabrik, ein Think Tank, – und eine Manufaktur, die kundenspezifische Probleme löst. Wenn es sein muss, bauen wir Maschinen in der Losgröße eins. Wir sind unsere eigene Prozesskette, da wir eine eigene Soft- und Hardwareentwicklung im Haus haben und in keinem Abhängigkeitsverhältnis stehen in Bezug auf die Antriebs- und Steuerungstechnik.

Wir werden auch in Zukunft verstärkt hoch spezialisiert und absolut kundenorientierte Lösungen anbieten, die unseren Kunden weltweit schnell und zuverlässig Vorteile und Kosteneinsparungen bringen. Um unsere Flexibilität zu bewahren, werden wir den Massenmarkt Anderen überlassen. Wir haben natürlich über die verlängerte Werkbank auch eine Serienfertigung. Diese ist notwendig, um dem Wettbewerb bei preissensiblen Produkten gerecht zu werden. So etwas lässt sich nicht auf der Manufaktur-Basis machen.

Wir gehen in der Zukunft den Weg des Ausbaus der eigenen Infrastruktur, für uns ist das Gebot der Stunde, die bisherigen Investitionen zu schützen und neue Dienste für ihre Kunden, Lieferanten und Mitarbeiter zu entwickeln, um diese an uns zu binden. Denn das erhöht die Zufriedenheit aller Beteiligten und schafft mehr Visibilität. Wir entwickeln Technologien zur Integration der IT-gestützten Steuerungen, Produktions- und Qualitätsüberwachungs-Systeme und die Überwachung der dazugehörigen Prozesse und „Service Levels“.

Somit haben wir uns die Basis für weitere Schritte in der Zukunft geschaffen.

Mein Fazit: Industrie 4.0 ist in der Manufaktur kein Widerspruch.

Foto: IDE-Compressors Manufaktur GmbH / Gabriele Adam

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Cornelia Dotschat: Die Unternehmerin bietet ihren Manufaktur-Kaffee jetzt auch in Kapseln für Nespresso-Maschinen an

23. November 2016, Lilienthal. Seit kurzem gibt es Manufakturkaffee aus Cornelia Dotschats Rösterei de koffiemann für das Nespresso-Kapsel-System. Ein Besuch bei der innovationsfreudigen Unternehmerin im niedersächsischen Lilienthal direkt vor den Toren Bremens.

Die Immobilie ist wirklich schmucklos-schlicht. Ein Zweckbau im Gewerbegebiet Moorhausen. Genaugenommen eine Produktionshalle mit eingeschobenen Büros und einem Besprechungsraum, Labor und Hochregallager. Aber der feine Röstgeruch verrät sofort: Hier ist man richtig auf der Suche nach dem prämierten Kaffeeröster de koffiemann – und Cornelia Dotschat, der Gründerin.

Lehrjahre sind keine Herrenjahre, das weiß jeder. Und unter Lehrjahre kann man subsummieren, wenn ein Unternehmen erst sieben Jahre alt ist, sich kräftig entwickelt, derzeit schon 14 Mitarbeiter hat – und man noch nicht weiß, wo es die aufregende Reise einmal hinführt. Das Portfolio des eigenen Angebots schon groß ist – aber noch nicht vollständig. Wenn man zwar Träume hat, wie alles einmal aussehen soll – aber noch nicht weiß, ob der Standort dann richtig ist. Und dann investiert man eben schon gar nicht in Bauschmuck.

Cornelia Dotschat ist mit Kaffee aufgewachsen. Ihr Vater Helmut ist schon ewig selbständig im Kaffeehandel. Trotzdem ging sie erst einmal zur Kreissparkasse, wurde studierte Sparkassenfachwirtin in Hannover, stieg auf zur Geschäftsstellenleiterin im heimatlichen Lilienthal – und stieg im Jahr 2010 nach neun Jahren bereits wieder aus. Mit siebenundzwanzig.

Cornelia Dotschat zuckt mit den Schultern, sagt: „Das Leben ist so bunt. Die Kaffee-Leidenschaft war einfach zu groß. Und ich hatte schon begonnen, der Kreissparkasse Kaffee meines Vaters zu verkaufen…“

Der Kaffee trat wieder massiv in ihr Leben… Wenn man das Foyer von de koffiemann betritt, dann sieht man gleich den Kaffeebusch mit den roten Kirschen. Cornelia Dotschat lächelt: „Die reichen nur für eine Tasse.“ Für die braucht man sieben Gramm Kaffee. Die bekommt man gerade so aus den paar Früchten heraus, denn unter dem Fruchtfleisch warten nur zwei kleine grün-gräuliche Kerne – die „Bohnen“. Und um die geht es ja.

Man rechnet zweieinhalb Kilo Kaffeekirschen für ein Pfund Kaffee. Das Fruchtfleisch wird auf der Plantage beziehungsweise im Ursprungsland abgequetscht oder geschält – die Bohnen gehen auf die meist lange Reise und landen im Röster. Und hier trennen sich die Wege von Industrie- und Manufakturkaffee auch schon. Die Bohnen werden in der industriellen Kaffeeröstung nun bei bis zu 400 Grad Celsius etwa 90 Sekunden lang hocherhitzt, die Röstung anschließend durch Besprühen mit Wasser abgestoppt und der gemahlene Kaffee bisweilen auch noch mit unter anderem Maltodextrin und/oder Karamell – solange es deklariert wird – legal verschnitten (angeblich zur positiven geschmacklichen Beeinflussung – vor allem aber zur Verringerung der hohen Kaffeesteuer, wenn mehr als 11 % gestreckt und dann auch noch im Ausland produziert wird; Quelle: Mitteldeutscher Rundfunk, Archiv); die anderen Bohnen wandern zu in der Regel kleinen privaten Röstereien wie de koffiemann, die die Bohnen bei nur 200 Grad dafür bis zu 17 Minuten lang rösten, die Röstung danach mit Luft statt Wasser stoppen und in der Regel eben keinerlei Verschnitte mit Ergänzungs- oder Ersatzstoffen vornehmen.

Cornelia Dotschat: „Das ist auch der Grund, weshalb unser Kaffee immer teurer sein muss, als der günstige Kaffee der großen Konzerne – der Kunde bekommt halt auch etwas Anderes.“

Kaffeerösten ist nicht unbedingt Hexenwerk. Die Erstausstattung für eine professionelle Rösterei beträgt keine hunderttausend Euro. Das Rösten kann man lernen. Früher gab es angeblich allein in Bremen und Umland 700 Röstereien.

Heute gibt es mit Jacobs und Melitta zwei Große – und inzwischen schon wieder zwei Handvoll Kleine, Private, Mittelständische, Manufakturartige. Das macht klar, weshalb es nicht ausreicht, sorgfältig Rohkaffee irgendwo auf der Welt einzukaufen (die anbaustärksten Länder sind übrigens der Reihe nach Brasilien, Vietnam, Indonesien, Kolumbien und Indien, China liegt auch schon auf Platz 11) und weitere Bohnen für den Handel zu produzieren – sondern es muss Innovation her, wenn man von diesem gelistet werden will.

De koffiemann ist im Handel gelistet. Dazu beigetragen hat CupIn – ein System, das Dotschat und ihr Team mit einem Maschinenbauer entwickelt hat: Filterkaffee für eine Tasse. Es hört sich irgendwie überflüssig und nach Verpackungsmüll an, ist jedoch – wenn man der einzige Kaffeetrinker im Raum ist oder auf Reisen – sehr praktisch und schmeckt super. Und die Filter sind kompostierbar.

CupIn funktioniert so: Der Filter ist mit gemahlenem Kaffee gefüllt. Diesen reißt man oben auf und spannt ihn mit Papphaken über den Tassenrand. Heißes Wasser hineingießen, durchlaufen lassen – fertig.

Obwohl zehn Tassen 5,29 Euro kosten, wurden in den ersten acht Monaten nach der Markteinführung mehr als hunderttausend Einheiten in den Handel geliefert… Diese Innovation wurde bereits drei Monate nach Markteinführung bei der Wahl zum „Manufaktur-Produkt des Jahres 2016“ mit dem Sonderpreis „Beobachtung von Trends“ ausgezeichnet.

Und seit acht Wochen gibt es nun Kapseln mit Dotschats Manufakturkaffee für die Nespresso-Maschine: „Das war ehrlichgesagt jedoch ein langer Weg. Wir haben anderthalb Jahre daran getüftelt.“

Zunächst musste einmal Nespresso gerichtlich gezwungen werden, Wettbewerber überhaupt zuzulassen. Die kleine Kapsel war mit rund 200 Patenten und Geschmacksmustern geschützt. Diesen Kampf kämpften für Dotschat Andere, die auch auf den Kapselmarkt wollten. Deutsche Gerichte entschieden schließlich: Die Marktmacht von Nespresso ist so stark, dass sie mit ihren Patenten und Mustern Wettbewerb verhindert. Und kippten einen Teil des Schutzes.

Nun konnte es an das Entwickeln eigener Kapseln gehen. Dotschat: „Kapselwerke schossen aus dem Boden, man bewarb sich bei uns, wir haben kräftig gegoogelt – aber die Produkte waren nicht ausgereift.“ Kapseln fielen durch die Halterungen in den Maschinen, der Kunststoffbecher ließ zuviel Luft durch und der Kaffee in der Kapsel alterte zu schnell. „Die einfachste Frage war, wieviel und welcher Kaffee in die Kapsel hineinmuss. Und zwar nur Kaffee – sonst nichts.“ Vor einiger Zeit kam ein Abfüller auf Dotschat zu, dessen Kapsel wirklich funktioniert.

Bedarf wird gesehen: In den paar Wochen seit Markteinführung im September 2016 wurden die Kapseln schon von 30 Lebensmittelhändlern gelistet. Zehn Kapseln kosten 3,29 Euro.

Derzeit gibt es von de koffiemann einen ‚Lungo‘ aus der populären, fruchtigen Arabica-Bohne und ‚Espresso‘ aus Arabica mit 30 Prozent Anteil der Fülle und Kraft gebenden Robusta-Bohne. Dotschat: „Die Italiener machen ihren Espresso oft sogar nur aus Robusta, denn der gibt aufgrund der Inhaltsstoffe dieser Sorte die schöne Crema, den standfesten karamellfarbenen Schaum – und den Wumms.“

Fotos: Wigmar Bressel

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