Wigmar Bressel: „Manufakturen spielen eine wirtschaftskulturelle Rolle“
26. Januar 2021, Bremen. Es ist Anfang Dezember 2020. Wigmar Bressel wartet auf die Abholung eines Dutzend Kartons mit Dokumenten. Zehn Jahre lang – seit Juni 2010 bis Oktober 2020 – war der Bremer Unternehmer Vorsitzender des Verbandes Deutsche Manufakturen e. V. In dieser Zeit diente ihm sein Büro in den Räumen der Firma Koch & Bergfeld auch als Geschäftsstelle. Jetzt erfolgt die Übergabe an Bressels Nachfolgerin. Die Unterlagen der vergangenen zehn Jahre hat der scheidende Vorsitzende bereits gesichtet, nun ist alles verpackt und soll auf den Weg zu ihr. Während wir am Telefon darüber sprechen, sitze ich an meinem Schreibtisch in Medellín. Auf einer Seite steht die Stele, die ein befreundeter Künstler geschaffen hat, auf der anderen eine Keramik der indigenen Gruppe der Shipibo aus dem Amazonasgebiet.
Beim Anblick der beiden Gegenstände denke ich, dass auch in Südamerika das Thema „Manufaktur“ spürbar und relevant ist.
Bei der Shipibo-Keramik handelt es sich um ein Gebrauchsobjekt, das nur unter ganz bestimmten Bedingungen so entstehen konnte. Der Fertigungsprozess der indigenen Amazonasbewohner lässt sich natürlich nicht – allein schon wegen der gänzlich anderen ökonomischen Voraussetzungen – mit dem einer Manufaktur in Solingen oder dem Bayrischen Wald vergleichen. Doch auch er ist einzigartig und unterscheidet sich fundamental von der industriellen Herstellung in einer globalisierten Welt. Es zeichnet Bressel aus, dass er in solchen Zusammenhängen zuhause ist. Obwohl er bestens mit den technischen Details der Manufakturprodukte vertraut ist, hat sich doch in vielen Gesprächen gezeigt, dass sich Bressels Gedanken auch auf einer intellektuellen Ebene bewegen. Da geht es mehr um das Thema „Manufaktur“ an sich und dessen mögliche Relevanz im 21. Jahrhundert. Nicht zuletzt aus diesem Grund zieht Wigmar Bressel in meinem Interview ein Resümée der vergangenen zehn Jahre und wagt einen Ausblick auf die kommenden.
„Nicht das Schaufenstermarketing, sondern einen Trend befördern“
Martin Specht: Du bist einer der Gründer der ‚Deutschen Manufakturen‘, – habt ihr von Beginn an eine konkrete Zielsetzung verfolgt?
Wigmar Bressel: In der Zeit der Jahrtausendwende begannen ernsthafte Mittelständler mit zählbaren Beschäftigtenzahlen – jeder mit zehn bis 150 Mitarbeitern – damit, den Manufaktur-Begriff aufzugreifen und ihn auf sich anzuwenden. Damit wollten sie sich von der Industrie abheben, – aber ebenso vom Kunsthandwerker in seiner Werkstatt. Damals lag es in der Luft, sich mit dem Thema zu beschäftigen. Dann kamen Verkaufsmessen für den Endverbraucher auf. Da sind sich viele der späteren Verbandsmitglieder begegnet: Koch & Bergfeld, Mühle Rasierpinsel, die Sächsische Porzellanmanufaktur Dresden, die Porzellanmanufaktur Meissen, KPM, die Hemdenmanufaktur Campe & Ohff, Messerhersteller wie Gehring, Vickermann und Stoya, Puls Maßanzüge. Bei diesen Aufeinandertreffen entstand die Idee, dass man den Manufaktur-Begriff etwas fester klopfen müsste, damit er sich besser erklären aber auch nutzen lässt. Daraus folgerte irgendwann, dass wir dazu etwas gründen müssten.
Damit war ein gemeinsames Ziel gewissermaßen schon definiert…
Ja, genau, es sollte eine Plattform geschaffen werden, auf der der Manufaktur-Begriff für unsere Zeit entwickelt wird. Wichtig war aber auch, dass es für das einzelne Mitglied nicht zu viel kosten würde. Wir waren ja schon alle in den verschiedenen Standesorganisationen, wie etwa dem Schneidwarenverband, dem Lederwarenverband und wie sie alle heißen. 2010 gründeten wir im Schütting – der Handelskammer – in Bremen den Verband „Deutsche Manufakturen“ als eingetragenen Verein. Bremens Wirtschaftssenator Martin Günthner (SPD) hielt die politische Auftaktrede, der Designer und Intellektuelle Heinz-Jürgen Gerdes sprach über „Was Zukunft hat“ – es war ein würdiger Start in schönem Rahmen.
Es hat dann noch sechs Jahre gedauert, bis die Definition des Manufaktur-Begriffs feststand. Warum war das so aufwendig?
Tatsächlich waren Jahre der ehrenamtlichen Diskussion notwendig, bis wir eine Definition hatten, von der alle sagten: ‚Darunter würde ich mich versammeln‘. Dazu mussten wir natürlich zuerst die Kriterien festlegen. Man würde der Bandbreite der Manufakturen nicht gerecht werden, wenn man zum Beispiel sagt: ‚Nur wer über den Einzelhandel verkauft, der darf bei uns Mitglied werden.‘ Doch man muss sich als Manufaktur ganz klar von den Dienstleistern absetzen. Man hat ja eine eigene Produktpalette samt Produktentwicklung. Und dadurch eben auch ein ganz anderes Risiko. Das ist für eine Manufaktur insgesamt eine weitaus größere Aufgabe, als lediglich auf einen Kundenauftrag zu reagieren!
Die Definition ist heute auf einer eigenen Internetseite (www.manufaktur-definition.de) für jedermann einsehbar. Wie fielen denn bislang die Reaktionen darauf aus?
Bei der Definition bin ich nach wie vor sehr stolz darauf, dass sich bis heute mehr Betriebe dazu bekannt haben, als lediglich die, die auch Mitglied im Verband sind. Man muss anderen eben Anknüpfungspunkte bieten. Das ist sehr wichtig, damit von außen Kreativität in den Verband hereingetragen wird. Und wir sind im Lauf der letzten zehn Jahre auch stetig gewachsen. Heute hat der Verband 34 Mitglieder.
Der Manufaktur-Begriff erlebte in den vergangenen Jahren eine Art Renaissance, – hat sich durch die Arbeit des Verbandes etwas an der öffentlichen Wahrnehmung geändert?
Ich glaube schon. Wenn zuletzt ein Journalist bei mir anrief und eine Information zu einem Thema haben wollte, das mit den Manufakturen zu tun hat, stellte ich fest, dass es praktisch niemanden mehr gibt, der nicht schon vorher im Internet die Definition gelesen hat. Es war gut, dass wir heute etwas haben, das in einem mehrjährigen Diskussionsprozess abgeklopft wurde und tatsächlich tragfähig ist. Die Definition wurde im Wesentlichen von Hartmut Gehring und mir geprägt. Ich glaube, darauf können wir wirklich stolz sein. Menschen, die ihren Mini-Betrieb oder ihr Kunsthandwerk Manufaktur nennen möchten, müssten jetzt eigentlich wissen, dass der Begriff auf sie nicht zutrifft. Es ist Quatsch, wenn der Fliesenleger sich Fliesenmanufaktur nennt – denn das kann nur ein Fliesenhersteller sein, der im manufakturellen Sinne produziert. Da muss man nach der Definition auch nicht drüber verhandeln – weil es keinen Sinn macht.
Gibt es sonst noch etwas, von dem du sagen würdest: ‚Das haben wir in den zehn Jahren geschafft!‘?
Ein weiterer wichtiger Schritt war die Entwicklung unseres Logos sowie das ‚Deutsche Manufakturen-Siegel‘, das den Kunden Orientierung gibt. Das hat wiederum einige Zeit gedauert, weil viele Überlegungen zu berücksichtigen waren. Aus der Beschäftigung mit dem Siegel entstand die Idee, mit dem ‚Manufakturprodukt des Jahres‘ einen Wettbewerb auf die Beine zu stellen.
Das Ziel dabei war, sich mit den Manufakturprodukten möglichst abstrakt zu beschäftigen. Letzen Endes sind solche Dinge – die Preise, die Laudatien – ja eine Fiktion, aber wir brauchen diese Fiktion, – Dinge an die wir glauben und für die wir bereit sind, Zeit aufzubringen, weil sie uns inhaltlich weiterbringen und weil sie uns verbinden.
Und dann ist da noch eine kleine Anzahl von Publikationen, die in unserem eigenen Verbands-Verlag erschienen sind – ‚Wer schreibt, bleibt‘, sagt ein altes Sprichwort. Auch damit haben wir etwas für die Zukunft getan.
Mich persönlich hat die intensive Beschäftigung mit dem Thema zur Gründung des Manufakturen-Blogs animiert – rund 100 Artikel, Berichte und Meldungen sind in ihm bisher schon erschienen – sie werden jeden Tag gelesen, manche wurden bereits an die 2000 Mal abgerufen, andere natürlich auch nur 150 Mal, so, wie es die Leute interessiert und wonach sie suchen. Daraus entstanden Social-Media-Aktivitäten, teilweise mit sehr interessanten Abonnenten aus Medien und eben der Manufakturen-Branche.
Dazu passen auch die sogenannten Zukunftsforen, die einmal im Jahr stattfinden…
Die Zukunftsforen sind eigentlich eine Selbstverständlichkeit. Es war klar, dass man sich treffen muss, um die Inhalte weiterzudiskutieren. Mir war ganz wichtig, dass wir eine Vorwärtsgewandtheit ausdrücken. Deswegen auch der Begriff ‚Zukunftsforum‘.
Auf dem Zukunftsforum 2019 hattest du angekündigt, bei der kommenden Mitgliederversammlung nicht mehr für den Vorsitz kandidieren zu wollen. Warum?
Ich bin der Meinung, dass es für so eine Organisation wie den Verband ‚Deutsche Manufakturen‘ wichtig ist, dass nach einer gewissen Zeit ein neuer Blick ermöglicht wird. Mein Vater war Vorsitzender verschiedener Vereine. Zum Teil über 30 Jahre lang. Da konnte ich beobachten, dass es Mitglieder gab, die im Laufe der Zeit unzufrieden wurden, weil – zum Beispiel – Veranstaltungen immer auf die gleiche Art gemacht wurden. Das habe ich mir früh abgeguckt und gesagt, dass es irgendwann an der Zeit ist, dass jemand anderes den Vorsitz übernimmt, und ich hatte mir eine Stellvertreterin aufgebaut. Brigitte Federhofer-Mümmler wurde jetzt im Oktober dementsprechend einstimmig gewählt. Ich finde es sehr gut, dass jetzt eine Frau an der Spitze eines Wirtschaftsverbandes steht. Das gibt es bislang nicht so oft.
Wird es die Zukunftsforen auch weiterhin geben?
Das kann ich natürlich nicht sagen. Es obliegt dem neuen Vorstand. Angekündigt wurde es erstmal für das Jahr 2021, – in der Hoffnung, dass es trotz Corona auch möglich ist. Aber ich wüsste auch nicht, was die Alternative wäre. Man muss sich verbandsintern mindestens einmal im Jahr sehen und für die innere Abstimmung die anstehenden Fragestellungen diskutieren.
Wie siehst du die nächsten zehn – oder fünf – Jahre für den Verband?
Ich denke, dass der Verband Allianzen mit anderen Bewegungen schließen sollte, die in die gleiche Richtung streben. Wir sollten den Mut haben, auch politisch zu werden. Politisch sein, bedeutet, dass wir eben auch bereit sind auszusprechen: ‚Wir sind globalisierungskritisch‘. Denn das ist ja genau das, was die Betriebe ausmacht, die alles selbst herstellen. Ich bin davon überzeugt, dass dies die Fragestellung für die Zukunft ist. Wenn man darauf nicht eingeht, wird er sich möglicherweise nicht weiterentwickeln. Man muss jetzt den Mut haben, sich einer größeren Sache zu stellen. Viele Lebensmittelmanufakturen sind bei ‚slow food‚, weil es ihnen sinnvoll erscheint. Wenn solche Konglomerate schon da sind, kann man sich ihnen ja annähern und zusammenarbeiten, vielleicht Allianzen schließen – im Sinne des Gemeinsamen. Das ist meines Erachtens die aktuelle Herausforderung. Es ist mir klar, dass es viel Arbeit macht und man die nötigen Mittel aufbringen und einsetzen muss. Aber als Verband muss man sich überlegen, ob man dazu in der Lage ist, eine Bewegung zu fördern, anstatt nur zu sagen: ‚Wir wollen mehr von unseren Produkten verkaufen.‘ Also eben nicht das Schaufenstermarketing, sondern einen Trend befördern. Ich könnte mir vorstellen, dass es Sinn macht, so etwas Großes anzugehen. Die anderen Strukturen sind in unserem Verband ja jetzt alle da, erprobt und geübt. Es muss jetzt eine größere Vision her. Doch man muss sie sich auch zutrauen und dann mutig voranschreiten.
Klingt, als sähen das nicht alle Verbandsmitglieder so?
Die allermeisten Manufakturen – vor allem die kleineren – sind sich nicht darüber im Klaren, dass sie eine wirtschaftskulturelle Rolle spielen, aus der sie ja auch etwas machen dürfen. Es wird – nach meinem Empfinden – zu klein gedacht und man traut sich zu wenig zu. Man könnte ruhig stärker seine Produktionsorte prägen. Gerade im Hinblick auf die Manufakturen denke ich, dass die Globalisierung so abgehoben hat, dass darunter Platz für viel Neues entstanden ist. Da, glaube ich, könnte man ansetzen.
Foto: Julia Francesca Meuter
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