Über das Audio-Logo und sein ‚Making of‘
Meine Mutter Gisela Bressel (1944 – 2020) war ihr gesamtes Berufsleben vor allem Musiklehrerin an einer Grundschule. Das hat die Entwicklung von mir und meinen Geschwistern natürlich sehr geprägt, zumal wir alle sie irgendwann mal im Grundschulunterricht als Lehrerin hatten.
Als ich zwölf Jahre alt wurde, bekam ich zum Geburtstag eine Hörspiel-Kassette geschenkt: „Wir entdecken Komponisten: Joseph Haydn“ von der Deutschen Grammophon (heute als CD oder Stream verfügbar), die mein Verständnis von Klassischer Musik sehr geprägt hat. Haydn (1732 – 1809) bildet mit Mozart und Beethoven das inhaltliche Dreigestirn der Wiener Klassik. Wir Deutschen verdanken kurioserweise ihm die Melodie zu unserer Nationalhymne. Kurioserweise – da Haydn das Musikstück für Kaiser Franz II. von Österreich-Ungarn („Gott! Erhalte Franz, den Kaiser!“) im Jahr 1797 komponierte, ein monarchistisch-patriotisches Lied in Jahren, in denen die Monarchien durch das republikanische Frankreich herausgefordert waren. Das Lied verselbständigte sich und landete – versehen mit dem Text von Hoffmann von Fallersleben – durch deutsche Studenten über das Hambacher Fest im deutschen Identitätsgefühl; es widerstand der deutschen Monarchie; es überstand überbordenden Patriotismus und deutsche Schützengräben, den Nationalsozialismus – und es ließ sich bei Gründung der Bundesrepublik auch nicht durch Beethovens berühmte ‚Ode an die Freude‘ ersetzen, wie vorgeschlagen. Spannend, dass sich ein vom Monarchen und absoluten Herrscher in Auftrag gegebenes Musikstück später gegen die Monarchie selbst richten würde, und zum Nationalgefühl und Nationalsymbol der bürgerlichen Republik des Nachbarlandes werden konnte.
Da dieses Musikstück so schnell so populär wurde, komponierte Haydn noch im selben Jahr zum „Kaiser-Lied“ sein „Kaiser-Quartett“ – ganz klassisch: Vier Sätze, besonders und besonders anhörenswert auch für klassikmusikalische Laien ist der zweite Satz mit den Variationen zu Haydns berühmter Melodie.
Da wir uns im Manufakturen-Blog vorrangig mit deutschen Manufakturen beschäftigen, hatte ich den Wunsch, dass für das Audio-Logo aus ebendiesem zweiten Satz eine Mini-Sequenz Verwendung fände.
Komponist Julius Holtz (2. v. l.) lässt sich von Albert Kutz verschiedene Versionen der gezupften Töne vorspielen – alles vor laufender Kamera
Dreh des regulären Glockenspiels um 12 Uhr mittags – man weiß ja noch nicht, was man noch braucht…
Große Glocken mit mehr als acht Tonnen Gewicht und mehr als zwei Metern Durchmesser – auch sie werden von Hand bespielt. Jede Glocke ist individuell gestaltet – diese mit dem Denkmal des berühmten Hallensers August Hermann Francke und dem halleschen Stadtwappen.
Julius Holtz, Komponist und Sounddesigner, der meine Ausstellung im Direktorenhaus im Sommer 2021 besuchte und den ich dort kennengelernt habe, war natürlich skeptisch, da man an Logos nicht mit fertigen Vorstellungen, sondern sinnvollerweise offen und sich auf den Prozess einlassend herangeht. Aber – manchmal kann man einen Prozess eben doch auch anders betreiben, als es das Lehrbuch empfiehlt.
Das Logo war nach einigen Monaten fertig und von mir abgenommen. Julius hatte super Ideen und wir einigten uns darauf, dass das Logo im Klang – so, wie viele Reportagen im Blog auch – von unserer Kultur im deutschen Sprachraum berichten sollte. Er schlug Kirchturmglocken vor, diese weitergedacht als bespielbares Turmglockenspiel, gefunden beim Amsterdamer Westkerk-Carillon in den Niederlanden, verfeinert von einer Stradivari aus dem Orchester der Berliner Sinfoniker. Über eine Sound Library, eine Musik- und Klänge-Bibliothek, beschaffte er die benötigten Töne und Klänge für die Haydn-Sequenz.
Was soll ich sagen – es klang perfekt… aber auch ein bisschen sehr clean. In mir beschäftigte sich das Unterbewusstsein ebenfalls mit der Distanz zu diesem Zugekauften, absolut Unpersönlichen aus der digitalisierten Welt, dessen relativer Gegenpol eben die Welt der Manufakturen mit ihrer starken handwerklichen Orientierung (trotz aller Maschinen) sowie der starken lokalen Verwurzelung ist.
Also stellte ich die Frage in den Raum, ob wir das Logo für mich stärker emotionalisieren könnten. Und das würde heißen: Alles ‚von Hand‘ noch einmal ganz persönlich aufzunehmen.
Für mich war auch gleich klar: Wir müssen dafür nach Halle an die Saale fahren, wo es Orchester gibt, die ich schon oft gehört habe. Und ich würde einen sehr guten Violinisten finden, der seine Geige für mich in einem historischen Musikzimmer mit herausragendem Klang zupfen würde – in der Bohlenstube im Musikmuseum Händelhaus. Sowie ein Glockenspiel, für das ich im Jahr 1992, als es errichtet wurde, die Pressearbeit gemacht und dessen Anfangsjahre begleitet habe. Und das ich so oft gehört habe: das Carillon im ‚Roten Turm‘, das mit 76 Glocken größte in Europa, das zweitgrößte auf der Welt…
Uns wurde Jonny Zoum, ein in Berlin ansässiger australischer Toningenieur, vermittelt; wir vertrauten auf seine Referenz „hat Billie Eilish aufgenommen“ – und sind auch sehr dankbar für seine geleistete Arbeit an den beiden Aufnahmeorten in Halle.
Schließlich haben wir uns überlegt, dass man bei der Gelegenheit noch ein Video „für YouTube“ drehen könnte… okay, das kann man am Besten mit LöweTV aus Leipzig umsetzen, Fernsehmacher, die für ihre sorgfältige Kameraführung (in diesem Fall: Malte Niessen, sowie Tony Gräfe für den Ton) und ihren innovativen Schnitt bekannt sind (besonderer Dank an Nico Hattendorf für die Postproduktion). Abgesehen davon: Inhaber Ingo Löwe war der erste Kameramann, der mich im Jahr 1990 für den Mitteldeutschen Rundfunk gefilmt hat.
Der Drehtag war dann eine kleine Herausforderung. Sowohl das Händelhaus mit der historischen Bohlenstube ließ mehr Lärm von außen herein, als gedacht („Auto!“). Aber der von der Staatskapelle Halle vermittelte Violinist Albert Kutz behielt die Nerven beim ständigen Wiederholen des „Pizzicatos“, des Zupfens der Saiten der historischen Geige. Noch dramatischer war der Lärmteppich oben im Roten Turm auf mehr als 40 Metern Höhe: Straßenbahn, Tatü-tata, Kindergeschrei, Autos, immer wieder die Straßenbahn schallten vom Marktplatz hinauf, Kirchturmglocken und die eigenen Glocken des Roten Turms unterbrachen uns regelmäßig – Carilloneur Maximilian Metz: „Das ist hier völlig normal.“
Wenn Sie sich das ‚Making of‘ anschauen – dann sehen Sie auch eine Reise in meine Vergangenheit. Aber versuchen Sie sich auch einfach vorzustellen, wie vom Roten Turm aus über den Marktplatz und die gesamte Innenstadt die Hallenser zwei Stunden lang für die Aufnahmen des Manufakturen-Blog-Logos beschallt wurden… Sie verstehen bestimmt, was das für ein Gefühl ist, das erlebt zu haben. Und für immer in meinem Herzen.
Fotos: Wigmar Bressel
Maximilian Metz an seiner ehrenamtlichen Wirkungsstätte – in einem schallisolierten Container zwischen den Glocken im Roten Turm