Manufakturen-Blog: Einige versammelte Weihnachtsmänner von Marolin (Foto: Christian Forkel)

Von Weihnachtsmännern, Krippen und dem Christkind – Marolins Papiermaché aus dem Schiefergebirge

16. Dezember 2016, Steinach. Eine der faszinierendsten Manufakturen, die uns die deutsche Wiedervereinigung beschert hat, ist der Figuren-Hersteller Marolin aus dem thüringischen Steinach. Faszinierend, weil das Unternehmen seit dem Jahr 1900 Weihnachtsmänner, Osterhasen, Krippen aus der selbstentwickelten und markenrechtlich geschützten Marolin-Masse herstellt – einer Papiermaché, die ähnlich Porzellan entweder in Model gedrückt oder in Gipsformen gegossen wird; anschließend erfolgt das Bemalen von Hand.

Das Unternehmen wurde von Richard Mahr gegründet und gemeinsam mit seiner Frau Minna entwickelt. Mahr war figürlicher Porzellanmaler, hatte auch in einer Porzellanmanufaktur gearbeitet. Er beschloss sich jedoch auf Papiermaché zu konzentrieren – er vermutete einen Wettbewerbsvorteil bei den Kunden im Vergleich zum teureren Porzellan. Er tüftelte und probierte – irgendwann hatte er das passende Material, gab ihm die ersten beiden Buchstaben seines Namens. Und tatsächlich machte das Unternehmen seinen Weg, beschäftigte vor dem 2. Weltkrieg bis zu 150 Mitarbeiter. Im Jahr 1940 erfolgte die kriegsbedingte Einstellung der Produktion.

Nach dem Krieg der Neustart – aber mit der Block-Bildung und der Zugehörigkeit zum Ostblock das Aus für Krippen und Weihnachtsmänner, Osterhasen und anderen Schmuck aus Marolin für die Jahreszeitenfeste. Vorläufiger Tiefpunkt: Die Enteignung im Jahr 1974, die Überführung in einen  „Volkseigenen Betrieb“ („VEB“) und schließlich als Betriebsteil eines Kombinats. Was der Ostblock beim Betriebsteil „Marolin“ orderte, waren Plastik-Spielfiguren im Spritzgussverfahren. Und irgendwann auch der Westen: Vedes, Karstadt, ToysRus bestellten günstig in Steinach in der DDR.

Dann kam das Ende der DDR… Evelyn Forkel, Urenkelin des Firmengründers, studierte Bauingenieurin, wandte sich gemeinsam mit ihrem Vater, der im Außenhandel des Kombinates, das sich das elterliche Unternehmen einverleibt hatte, weitergearbeitet hatte, an die Treuhand, kaufte den früheren Familienbetrieb zurück. Es schwang Nostalgie mit – aber es war auch eine Flucht nach vorn: Das Geschäft mit den Kunststoff-Spielzeugtieren lief und hätte doch eine Zukunft auch nach der Wiedervereinigung bieten können… Bot es aber nicht. In kürzester Zeit waren die West-Kunden aufgrund steigender Löhne und Gehälter weg. Und guter Rat teuer.

Wirklich teuer. Denn das Marolin-Rezept war auch weg. Es galt schon lange als verloren. Weil sich zu DDR-Zeiten niemand mehr dafür interessiert hatte. Ein großer Brand hatte sich im Jahr 1958 durch die Fachwerkimmobilie gefressen, auch noch viele alte Formen vernichtet.

Beim großen Aufräumen gab es die Überraschung: Auf einer Kellertür stand das verlorengeglaubte Rezept geschrieben, hatte in der Unbeachtung überlebt – und das Unternehmen konnte zu seinen Wurzeln zurückkehren.

Unter der Bezeichnung Papiermaché wurden schon verschiedenste Massen angerührt – die von Marolin besteht aus Ton, Kaolin, Pflanzenleim – und eben Papierfasern. Hinzu kommen Skelettdrähte, die den größeren Figuren zusätzliche Stabilität verleihen. Die genaue Zusammensetzung ist natürlich ein Betriebsgeheimmnis.

Tja, handbemalte Papiermaché – ökologisches und nachhaltiges Material hin, modernste zertifizierte Acrylfarben her – braucht das irgendjemand im 21. Jahrhundert? Waren nicht die schwerverwüstlichen Kunststoffspritzguss-Spielzeugtiere genau das Richtige für Kinder?

Christian Forkel, Richard Mahrs Ururenkel, der Verkauf und Marketing von Marolin leitet, sieht das natürlich auch so: „Echte Marolin-Figuren sind eher empfindlich. Ähnlich Porzellan. Es kann etwas abbrechen – und sie dürfen besser nicht runterfallen. Obwohl wir Vieles reparieren können.“ Und sie wären auch teures Spielzeug: Kleine Figuren kosten schonmal dreißig Euro, große mehr als hundert und mehr.

„Es handelt sich auch im eigentlichen Sinn nicht um Spielzeug, sondern um Design und Kunsthandwerk.“ Vielleicht auch Kulthandwerk – seriell – aus der Manufaktur. Denn die Figuren haben einen ganz eigenen Charme. Ihnen fehlt die Lackiertheit von Porzellanfiguren. Sie sind angenehm leicht, wirken fast zerbrechlich. Die Gestaltung ist eher naturalistisch… – aber kann man das von einer Figur, wie dem Weihnachtsmann, überhaupt sagen?

Marolin fertigt rund 50 verschiedene Weihnachtsmänner – in verschiedenen Größen und Ausführungen – der Verrückteste sitzt in einer Art Seifenkiste aus einem großen Schuh, ein Anderer aus den 1950er Jahren trägt ein Kind – dem Christkind sehr ähnlich – auf seiner Schulter. Forkel: „Das kann man ironisch sehen – die Figur entstand unter dem Eindruck der jungen DDR.“

In Zeiten von Facebook werden Diskussionen dazu „socialnetworkend“ geführt. Eintrag auf der Marolin-Facebook-Seite: „Lasst doch diesen neumodischen Kram“ – gemeint ist der Weihnachtsmann.

Dabei ist der Weihnachtsmann eine der wirklich alten Figuren der Menschheit. An der Martin-Luther-Universität in Halle an der Saale sitzt ‚der‘ deutsche Spezialist für den Weihnachtsmann – der Ethnologe Professor Dr. Thomas Hauschild. Hauschild veröffentlichte im Jahr 2012 den 6000 Mal verkauften wissenschaftlichen Bestseller „Weihnachtsmann – die wahre Geschichte“ (S. Fischer Wissenschaft, ISBN 978-3-10-030063-8) – im Gespräch dazu sagte er mir: „Die Idee vom Weihnachtsmann entstand vermutlich zuerst in Asien. In China gibt es den Gott Shou Xing, den kann man seit etwa dreitausend Jahren nachweisen. Der sieht unserem heutigen westlichen Weihnachtsmann sehr ähnlich – roter Mantel, weißer Bart, individueller Helfer im kalten Winter und ansprechbar für ein langes Leben.“ Und: Shou Xing fährt im rentiergezogenen Schlitten über das Firmament. „Dann gibt es den ‚Weißen Alten‘, der aus dem Himalaya in die Mongolei hinabsteigt – der ist auch sehr alt, aber mangels schriftlicher Zeugnisse schwer zu datieren.“ Und um 600, 700 unserer Zeitrechnung taucht der Bischoff von Myra (heute: Demre) aus Kleinasien bei uns auf – Nikolaus. Hauschild: „Man muss die Seidenstraße mitdenken, den uralten Austausch. Die Chinesen tauchten um Fünfzehnhundert mit Schiffen, die dreimal so groß waren, wie die von Columbus, an der Ostküste Afrikas auf. Da war der Austausch um die Idee vom Weihnachtsmann längst in vollem Gang. Ich denke, seit dem frühen Mittelalter war der Weihnachtsmann bei uns in Europa ein Faktor. Aber ich spreche sowieso lieber von einem Geflecht, er ist heute überall auf der Welt anzutreffen – die Weihnachtsmann-Idee ist gut und groß. Sie gehört zur Menschheit. Kindern und Alten, Schwachen und Kranken in Dunkelheit und Kälte zu helfen und ihnen etwas zu schenken – das ist eine einfache und zugleich starke Idee. Man könnte auch sagen: Der Weihnachtsmann steht für die Menschenrechte.“

Und das Christkind? Hauschild: „Das Christkind ist ja eine Idee der Reformation, von Martin Luther und der evangelischen Bewegung, sollte den Weihnachtsmann-Kult eindämmen und dem Christentum etwas für die kalten Tage und Nächte im Winter geben – es konnte sich jedoch nie durchsetzen. Kurioserweise ist es heute eher in katholischen Gegenden zu Hause. Aber es ist einfach nicht spannend genug.“

Heute fertigt Marolin – ganz korrekt: die Richard Mahr GmbH – wieder rund 1300 verschiedenste Figuren. Aus der selbstentwickelten Marolin-Masse. Nach den Entwürfen von Richard Mahr selbst, aber vor allem nach denen seines Mitarbeiters Julius Weigelt, inzwischen aber auch nach denen seines Ururenkels Christian Forkel. Wenn man Forkel folgenden Halbsatz hinwirft: „Das Weihnachtsgeschäft ist…“, dann beendet er ihn irgendwie seufzend so: „…dominierend. Wir machen 80 Prozent unseres Jahresumsatzes in dieser Zeit. Schöner wäre es, wenn es kontinuierlicher liefe – aber es ist eben so.“ Einzige Unterbrechung: die Osterzeit mit den Osterhasen – auch wieder so ein Marolin-Thema.

Marolin baut einstweilen Weihnachten weiter aus. Inzwischen hat man sich das Bemalen von Glas angeeignet, historische Formen für Weihnachtsbaumschmuck aus Thüringen aufgekauft. Forkel: „Viele Leute sind die modernen Farbvorgaben aus dem Handel – dieses Jahr pink, nächstes Jahr blau – leid. Sie wollen traditionellen Schmuck kaufen können. Das bieten wir jetzt auch.“ Gerade ging der neue Internet-Shop online.

Fotos: Christian Forkel, Wigmar Bressel

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